„In echt ist es ja doch schöner“
Überlegungen zur Katechese im digitalen Raum
Corona hat uns herausgefordert, auch in der Katechese. Wie gut, dass es die digitalen Werkzeuge gibt. Und doch ist spürbar: Eigentlich wollen wir wieder zurück. Zurück zu „echten“ Begegnungen. Zurück zu einer Katechese vor Corona. Dahin, wo alles wieder so wird, wie es früher, wenn wir ehrlich sind, doch nie gewesen ist. Ich glaube, dass Corona für das katechetische Wirken der Kirche ein großer Schritt nach vorne gewesen ist. Vor allem, wenn wir die Zeichen der Zeit verstehen und uns ernsthaft darauf einlassen.
In einer der unzähligen Videokonferenzen, die uns die vergangenen Monate begleitet haben, überraschte mich eine Kollegin mit der Aussage: „Es ist doch gut, dass wir bald wieder richtige Katechese machen können.“ Richtig war aus ihrer Sicht Katechese in analogen Räumen. Das Zusammenkommen ohne die auferlegten Beschränkungen. Die so genannte „Face-to-Face“-Kommunikation. Diese Aussage hat mich nachdenklich gemacht, hatte ich doch die Pandemie-Zeit so ganz anders erlebt. In meiner Rolle als Referent für Katechese im Erzbistum Köln, die ich bis Sommer dieses Jahres innehatte, durfte ich spannende Aufbrüche begleiten. Wir haben viel nachgedacht über das Wesen der Katechese und uns im besten Sinne heraus-fordern lassen. Heraus aus den altbewährten Konzepten und Wegen. Heraus aus der Komfortzone, ja auch zaghaft heraus aus innerkirchlichen Filterblasen. Aus diesem Blickwinkel erscheint mir die Sehnsucht nach den alten Formaten wie ein Schritt zurück, den ich für mich nicht mehr gehen möchte.
Um zu erläutern, welche Chance ich in digitalen katechetischen Formaten sehe, möchte ich zwei Gedanken nebeneinanderlegen. Zum einen scheint es mir wichtig, zu verstehen, dass der digitale Raum ein wirklicher Lebensraum von Menschen ist. In meiner Jugend habe ich noch formuliert: „Ich gehe mal ins Internet.“ Heute lebe ich permanent vernetzt. Die Menschen, denen ich online begegne, sind nicht zwangsläufig die gleichen wie in meiner Offline-Welt. Digitalität ist weit mehr als eine technologische Veränderung. Der digitale Raum ist eine soziologische Größe geworden.
Darüber hinaus sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, welche Art von Katechese wir zukünftig betreiben wollen. Die Fragen liegen schon lange auf dem Tisch. Welche Relevanz wird die jahrgangsbezogene Sakramentenvorbereitung aka Kommunionsunterricht in Zukunft haben? Wie wird es gelingen, Erwachsene besser in katechetischen Formaten zu erreichen? Wie können wir die Formate partizipativer und kommunikativer entfalten? An diesen Punkten hat die Coronalage den Finger deutlich in die katechetischen Wunden gelegt und zugleich Erfahrungsräume geschaffen, aus denen wir für die Zukunft lernen können.
Der digitale Raum als Ort der Katechese
Unterscheiden wir die Formate der letzten Monate nach ihrem Gelingen, so fällt auf, dass überall dort Relevanz und Wirkung entstanden ist, wo die handelnden Akteur/innen die Eigengesetzlichkeit des Digitalen wahr- und ernstgenommen haben. So genügt es zum Beispiel nicht, genauso zu arbeiten wie im analogen Raum und schlicht eine Kamera draufzuhalten, um das Format später auf YouTube zu veröffentlichen. Wer die Chancen des Digitalen für das katechetische Handeln wirksam machen will, muss sich zunächst mit dem Phänomen der Digitalität auseinandersetzen und dieses als eine eigene kulturelle Wirklichkeit anerkennen. Digitalisierung von Katechese bedeutet nicht, neue, hippere, technischere Methoden oder Werkzeuge einzusetzen. Vielmehr ist erforderlich, das christliche Kerygma in eine neuartige Kultur zu übersetzen.
Dass die alten Vorstellungen hier nur sehr begrenzt wirksam sind, zeigt am ehesten das Beispiel der Kommunionkatechese. Ein zentrales Ziel der Vorbereitung von Kindern auf den Empfang der Eucharistie ist das Kennenlernen und Erleben der christlichen Gemeinschaft. „Das geht ja digital jetzt gar nicht mehr“, habe ich oft gehört. Das ist insofern richtig, wenn man Gemeinschaft gleichsetzt mit einer lokalen Gleichzeitigkeit. Da, wo Menschen sich an einem Ort zur gleichen Zeit versammeln, entsteht Gemeinschaft. Aber Hand aufs Herz: Wie viele Gottesdienste haben vielleicht auch Sie erlebt, wo Sie mit vielen Menschen zur gleichen Zeit im gleichen Raum waren und dennoch keine Gemeinschaft fühlen konnten? Hier kann es sinnvoll sein, tiefer einzusteigen in die Frage, was denn wirklich Gemeinschaft, Verbundenheit, Communio ausmacht. Dazu ist hier nun nicht der Raum, nur so viel: Gemeinschaft kann eben auch bedeuten, gemeinsam an einer Sache zu arbeiten, zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten. Gemeinschaft kann heißen, eine Leidenschaft zu teilen, nicht umsonst sprechen wir beispielsweise im Fußball von „Fangemeinden". Gemeinschaft im digitalen Raum hat sicher mit Zugehörigkeit zu tun, funktioniert aber wunderbar zeitlich asynchron und örtlich flexibel.
In diesem Sinne gilt es, mit dem digitalen Raum eine völlig neue Kultur zu evangelisieren. Das neue Direktorium für die Katechese schlägt in diesem Zusammenhang eine wertvolle Definition von Evangelisierung vor, die beschreibt, worum es mir in diesem Zusammenhang geht: „Evangelisieren bedeutet nicht, ein Gebiet zu besetzen, sondern spirituelle Prozesse im Leben von Menschen auszulösen, damit der Glaube Wurzeln schlägt und an Bedeutung gewinnt. Die Kultur zu evangelisieren erfordert, bis in deren Herz vorzudringen, dorthin, wo neue Themen und Paradigmen entstehen, sodass der innerste Kern des Einzelnen und der Gesellschaft erreicht wird, um diese von innen heraus mit dem Licht des Evangeliums zu erleuchten“ (Direktorium für die Katechese 43). Bislang bewegen wir uns als Kirche eher am Rande dessen, was wir Digitalisierung nennen. Wir sollten es zu einem Herzensanliegen machen.
Lebensbegleitend katechetisch wirken
Die landläufig geteilte Beobachtung, dass Katechese digital „nicht so gut funktioniert“, hat aus meiner Sicht auch mit der Frage nach den Adressaten katechetischen Handelns zu tun. Mit Blick auf die klassischen Felder der Sakramentenkatechese, nämlich die Erstkommunion und die Firmung, trifft diese Beobachtung sicher zu. Gerade im Rahmen der Kommunionvorbereitung scheitert der Versuch der digitalen Katechese oft schon an der technischen Ausstattung.
Im Alter von neun Jahren haben zwar zunehmend mehr Kinder ein erstes Smartphone, aber hier von Medienkompetenz zu sprechen, halte ich für sehr gewagt. Viele digitale Angebote der Coronazeit waren daher abhängig vom guten Willen der Eltern, die Kinder im Umgang mit der Technik zu unterstützen. Dies hat – neben Home-Office und Home-Schooling – nicht selten zu vermehrtem Stress und Verweigerung in den Familien geführt. Jugendliche im Firmalter dagegen haben schon eine sehr hohe Affinität zu digitalen Medien. Allerdings sind hier die Katechet/innen oft mit hohen Erwartungen an Technik und Ästhetik konfrontiert.
Die Unterhaltungsindustrie legt die Messlatte dessen, was Jugendliche als „am Puls der Zeit“ empfinden, recht hoch. Das wiederum setzt eine hohe Medienkompetenz auf Seiten der Katechet/innen voraus. Insofern lässt sich durchaus ableiten, dass das Verhältnis von Katechese und Digitalität als schwierig bezeichnet werden kann.
Wären da nicht die Erwachsenen …
Ja, sie lesen richtig. Aus meiner Sicht liegt genau hier der große Gewinn zum einen der Digitalisierung und der Erfahrungen aus der Corona-Pandemie. Schon lange beklagen wir ja das Fehlen von Angeboten der Katechese und Glaubenskommunikation für Erwachsene. Lehramtliche Texte fordern spätestens seit der Würzburger Synode eine verstärkte Hinwendung zu den Erwachsenen. Doch so richtig gelungen ist das leider bislang noch nicht. Der digitale Raum bietet hier die Chance zu einem echten Umdenken. Warum? Weil er entgrenzt ist.
Wir haben Katechese in den allermeisten Fällen bislang rein territorial verortet. Die Gemeinde ist Trägerin der Katechese. So weit, so gut. Das will ich auch gar nicht in Frage stellen. Allerdings bringt diese Sichtweise eben auch viele Hindernisse für die Ansprache von Erwachsenen mit sich, die ich im Folgenden an nur wenigen Beispielen darstellen möchte.
- Zielgruppen: Lebensbegleitende Katechese setzt dort an, wo Menschen in ihrem Leben offen sind für die Frage nach Gott. Klassischerweise bedienen wir hier die großen Lebenswenden, Geburt, Adoleszenz, Familienphase, Tod und Trauer. Nun gibt es aber im Leben von Menschen noch viele andere Momente, die geeignet sind, die Frage nach dem Glauben und auch der eigenen Identität zu stellen. Nicht immer ist es mir möglich, dort, wo ich lebe, Anschluss zu finden, um mein Leben im Licht des Glaubens zu deuten. Es ginge demnach darum, dass Menschen sich verbinden, die ähnliche Fragen umtreiben. In einer Territorialgemeinde, in der beispielsweise viele Familien leben, werde ich es als Alleinstehende/r schwer haben, Anschluss zu finden. Wenn ich ein Thema mit mir trage, das ggf. schambehaftet ist, möchte ich dieses vielleicht gar nicht an meinem Lebensort teilen. Der digitale Raum bietet hier die Möglichkeit, über alle territorialen Grenzen hinweg mit Menschen zusammenzukommen, die die gleichen Fragen bewegen. Menschen, die in ähnlichen Lebenssituationen sind. Dass dabei Gemeinschaft entsteht, sei hier nur am Rande erwähnt.
- Ästhetik: Es gibt Pfarrhäuser, die kann ich riechen, wenn ich nur ein Bild von ihnen sehe. Vielen kirchlichen Immobilien haftet ein bestimmter Charme an, der ein wenig aus der Zeit gefallen scheint. Das bedeutet nicht, dass Menschen sich dort nicht wohlfühlen. Dennoch gibt es Menschen, die einen deutlich anderen Anspruch an Ästhetik haben und diesen auch artikulieren. Das fängt bei der Einrichtung an, geht über visuelle Angebote bis zu liturgischer Inszenierung. Die allseits bekannten Sinus-Milieus bilden diese Heterogenität deutlich ab. Klar ist, dass keine Territorialgemeinde all diese Ansprüche bedienen kann. Schon jetzt ist aber im digitalen Raum erkennbar, dass Menschen sich allein aufgrund ästhetischer Komponenten zu Gruppen und Kreisen zusammenfinden.
- Verfügbarkeit: Der Bibelkreis trifft sich immer mittwochabends im Pfarrheim. Immer. Und wer mittwochs nicht kann, ist leider nicht dabei. Was im analogen Leben logisch erscheint, ist im digitalen Raum nicht zwingend notwendig. Digitale katechetische Formate erlauben eine zeitliche und örtliche Flexibilität, die gut zur heutigen, sehr individuellen Lebenswelt passt. Ein schönes Beispiel dafür ist die Netzgemeinde da_zwischen, die via Messenger zeitlich und örtlich flexible Gottesdienstformate bereitstellt.
Nun könnte man mir vorwerfen, meine Überlegungen würden eine Spaltung von Gemeinden befördern. Sie begünstigten das Entstehen von Filterblasen, wo Menschen nur um sich selber kreisen und den Blick nach außen verlieren. Das ist mithin allerdings keine Frage der Formate, sondern vor allem der Haltung und der Inhalte. Mir geht es hier um die Förderung einer Vielfalt katechetischer Formate in der Einheit des christlichen Glaubens. Daher ist es vor allem wichtig, keine der genannten Formate gegeneinander auszuspielen. Kein Format ist „besser“ als ein anderes. Nur sollten die jeweiligen Formate auf ihre Wirksamkeit und Relevanz ehrlich geprüft werden. Und hier plädiere ich vor allem im Bereich der Erwachsenenkatechese für mehr Mut zur Katechese im digitalen Raum.
Dieser Mut ist vor allem bei Leitungspersonen gefragt, denn es geht nicht zuletzt um Ressourcen. An dieser Stelle lässt sich viel von den evangelischen Geschwistern lernen. In den Landeskirchen der EKD gibt es Pfarrstellen für den digitalen Raum (sic!). Pfarrpersonen erhalten explizite Stellenanteile für die Arbeit im Digitalen. Davon sind wir in der katholischen Kirche leider noch sehr weit entfernt. „Mit Blick auf die kirchliche Praxis in Pastoral, Bildung, Caritas und anderen Handlungsfeldern sollten vor der Verurteilung neuer Entwicklungen der Mut zum Experimentieren – und damit auch Mut zu einer Fehlerkultur – stehen. Sich auf Digitalität einzulassen bedeutet, sich neuen Anforderungen auszusetzen. Und das fühlt sich vielleicht wie Kontrollverlust an. Aber dies ist notwendig, wenn derart revolutionäre Veränderungen uns herausfordern“ (Thesenpapier Digitalität und Künstliche Intelligenz, These 12).
Nicht zuletzt erfordert die Hinwendung zu den Menschen im digitalen Raum genau jenes Umdenken, das in der Katechese über viele Jahre gewünscht, aber längst noch nicht überall eingetreten ist: weg vom Frontalunterricht hin zu echter dialogischer Glaubenskommunikation. Und hier gibt es Rückendeckung von ganz oben: „In der Kirche ist man häufig an eine monodirektionale Kommunikation gewöhnt: Es wird gepredigt und gelehrt und dogmatische Zusammenfassungen werden dargestellt. Außerdem ist es schwierig, mit jüngeren Menschen, die an eine Sprache gewöhnt sind, in der Schrift, Ton und Bild zusammentreffen, nur über schriftliche Texte zu sprechen. Digitale Kommunikationsformen bieten dagegen größere Möglichkeiten, da sie offen für Interaktion sind. Daher ist es notwendig, neben technologischen Kenntnissen auch effiziente Kommunikationsmöglichkeiten zu erlernen, um insgesamt eine Präsenz im Internet sicherzustellen, die die Werte des Evangeliums bezeugt“ (Direktorium für die Katechese 214).