Die Digitalisierung für Mensch und Umwelt nachhaltig und global gestalten
Einleitung
In den letzten Jahren wurden wir Zeugen von zwei großen Transformationen, die weitgehend parallel an Fahrt gewinnen und viele Lebens- und Wirtschaftsbereiche tangieren: die digitale Transformation sowie die Transformation zur Nachhaltigkeit. Eine Frage, die in Forschung und Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist dabei, wie sich diese parallelen Veränderungsprozesse gegenseitig beeinflussen. Die Arbeit der Forschungsgruppe „Digitalisierung und Transformation zur Nachhaltigkeit“ am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) Potsdam befasst sich dabei schwerpunktmäßig mit den sozio-ökologischen sowie den sozio-ökonomischen Folgen der Digitalisierung im industriellen Kontext.
Die Digitalisierung in der Wirtschaft ist seit einigen Jahren in vollem Gange und lässt sich durch drei prägnante Veränderungsprozesse charakterisieren: Neben ganzen Wertschöpfungsmodellen verändern sich auch Informations- und Ressourcenflüsse. Alle drei Prozesse haben dabei erheblichen Einfluss auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Sozialwesen.
Sozio-ökologische Auswirkungen
Die Veränderung der Ressourcenflüsse ist für die ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung maßgeblich. Im Bereich der Ressourcenflüsse ist einerseits zu beachten, dass alle an Industrie 4.0 beteiligten Fertigungssysteme mit Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) wie beispielsweise Sensorik, Aktuatoren, Prozessoren und Kommunikationshardware nachgerüstet oder durch moderne Systeme ersetzt werden müssen. Dies wird nötig, um etwa Datenerhebung und ‑analyse zu ermöglichen und die Systeme vernetzen zu können. Das für Industrie 4.0 notwendige „Upgrading“ ganzer Fertigungssysteme ist also zunächst mit einem erheblichen initialen Ressourcenaufwand verbunden. Andererseits besteht die Hoffnung, dass die Digitalisierung in der Wirtschaft – und hier besonders der industriellen Produktion – durch Effizienzsteigerung und das Schließen von Stoffkreisläufen („Circular Economy“) ressourcenschonendere Wirtschaftsweisen unterstützen kann. Der prominenteste Ansatz für Materialeinsparungen ist die additive Fertigung, deren bekannteste Form der 3D-Druck ist. Mit diesem Verfahren ist es zudem möglich, auch leichtere Produkte herzustellen, die wiederum weitere Effizienzpotenziale in der Nutzungsphase erschließen.
Eine zunehmend digitalisierte Wirtschaft benötigt aber auch sehr viel Energie. Viele Studien prognostizieren (leicht) steigende Energiebedarfe für die weltweite Nutzung von IKT bis 2030. Andererseits bestehen auf Prozessebene interessante Effizienzpotenziale für mehr Energieeffizienz. Unter anderem können Produktionsprozesse durch Digitalisierung in energetischer Hinsicht optimiert werden. So wird in der Robotik daran gearbeitet, dass Roboter Aktionen nicht wie bisher so schnell wie möglich, sondern nur so schnell wie nötig durchführen. Dieser Ansatz konnte in einer Untersuchung Energieeinsparungen von bis zu 30 Prozent erzielen (vgl. Riazi u. a. 2017). Die Digitalisierung der Wirtschaft ermöglicht es zudem, das Zusammenspiel verschiedener Industrien ökologisch symbiotisch zu gestalten. Eine flächendeckende Integration der Wirtschaft im Sinne der sogenannten Sektorenkopplung ist langfristig wünschenswert, um ein Sektor-übergreifendes Optimum im energetischen Zusammenspiel verschiedener Industrien zu erreichen. Um den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch zu erhöhen und dabei gleichzeitig die Schwankungen in deren Produktion abzufedern, können digitale Technologien für die Sektorenkopplung eingesetzt werden. Dabei wird die Industrie zu einem aktiven Akteur in einem dezentralen Energiemanagement. Vielversprechend ist dabei der Ansatz, die produktionsseitige Flexibilität von Industrie 4.0 mit der hohen Volatilität erneuerbarer Energien in Einklang zu bringen, indem Produktionsprozesse gezielt zeitlich so verschoben werden, dass ihr Energiebedarf am größten ist, wenn erneuerbare Energie in hohem Maße verfügbar ist.
Ein deutlich größeres Spektrum an Unternehmen muss dazu befähigt werden, als aktiver Akteur an der Sektorenkopplung teilzunehmen, indem die dafür notwendigen Technologien und das erforderliche Know-how verfügbar gemacht und bestehende Hürden abgebaut werden. Ob die geschilderten Ansätze den Mehrbedarf an Rohstoffen und Energie für die Ausrüstung mit und den Betrieb von digitalen Technologien in der Wirtschaft kompensieren können, ist wissenschaftlich bisher nicht belegt (vgl. Niehoff/Beier 2018). Studien zeigen, dass die Modernisierung von Produktionsprozessen gemäß Industrie 4.0 zwar zu Effizienzgewinnen führen dürfte, in vielen Fällen jedoch keine signifikante Reduzierung des Material- und Energieverbrauchs nachgewiesen werden kann. Die Gründe dafür liegen in einer absoluten Steigerung der Produktion, einer Tendenz, sich im Laufe der Zeit ausschließlich auf die Prozesseffizienz zu konzentrieren, und einem Versäumnis, das Potenzial der Digitalisierung im Umweltmanagement von Unternehmen auszuschöpfen. Es deutet sich allerdings an, dass der Einsatz von IKT, insofern er gezielt und mit Augenmaß erfolgt, durchaus positive ökologische Effekte erzielen kann. Die Realisierung von Potenzialen und die Vermeidung negativer Feedbacks, sogenannter Rebound-Effekte, hängen dabei auch von der Schaffung adäquater Anreize, Rahmenbedingungen und Verpflichtungen seitens der Politik ab.
Zahlreiche Rohstoffe für die Produktion von digitalen Geräten, die überwiegend im Globalen Norden genutzt werden, werden mit hohen Kosten für Mensch und Umwelt in den Ländern des Globalen Südens abgebaut. Daher muss dringend verhindert werden, dass die Digitalisierung die existierenden Ungleichgewichte zwischen Globalem Norden und Süden weiter verstärkt. Die Vereinbarkeit von Umwelt- und Klimaschutzzielen mit der Digitalisierung allein in die Hände von Unternehmen und Konsumentinnen und Konsumenten zu legen, ist nicht ausreichend. Vielmehr braucht es klug gesetzte politische und regulative Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung. Damit die nachhaltige Gestaltung der digitalisierten Wirtschaft gelingen kann, sollte in den nationalen und internationalen Debatten das Wohl von Mensch und Umwelt in den Vordergrund gerückt werden.
Soziale Auswirkungen
Industrie 4.0 verändert in vielen Regionen der Welt die Qualität und Quantität industrieller Beschäftigung grundlegend. Da die industrielle Beschäftigung für die sozioökonomische Entwicklung von Gesellschaften von großer Bedeutung ist, werden diese Veränderungen intensiv erforscht. Frühe Studien haben Industrie 4.0 mit der Substitution von Arbeitskräften und steigender Arbeitslosigkeit in Verbindung gebracht (hier insbesondere Frey/Osborne 2013), während andere Studien nahelegen, dass dieser Effekt oft überschätzt wurde oder Industrie 4.0 sogar zu mehr Industriebeschäftigung führen könnte. Allerdings haben die meisten Publikationen theoretische Annahmen diskutiert, während empirische Belege für die tatsächlichen Veränderungen rar sind. Zudem gibt es regional große Unterschiede angesichts der Heterogenität zwischen den Ländern in Bezug auf die industrielle Entwicklung sowie die Verbreitung von Industrie-4.0-Technologien.
Wir haben in einer eigenen Studie die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf Qualität und Quantität industrieller Beschäftigung in Brasilien, China und Deutschland verglichen. Darin wird ersichtlich, dass insbesondere für Bereiche, die im Allgemeinen mit einem größeren Anteil relativ gering qualifizierter Arbeitskräfte verbunden sind (Fertigung, Montage), ein Rückgang des Personalbedarfs erwartet wird. Da unsere Ergebnisse für Bereiche, die im Allgemeinen mit einem größeren Anteil relativ hoch qualifizierter Arbeitskräfte verbunden sind (Entwicklung), deutlich positiver ausfielen, können wir daraus auf eine zunehmende Polarisierung zwischen hoch- und geringqualifizierten Arbeitskräften in Bezug auf die Beschäftigungsmöglichkeiten schließen. Diesen Effekt haben wir insbesondere in größeren Unternehmen feststellen können. Darüber hinaus erwarten die Unternehmensvertreter:innen in allen Tätigkeitsbereichen eine Erhöhung der erforderlichen Mitarbeiterqualifikationen. Es ist also festzuhalten, dass sich die Tätigkeitsprofile in den verschiedenen von Industrie 4.0 tangierten Bereichen verändern werden und die Tätigkeiten darin voraussichtlich anspruchsvoller werden. Auf der anderen Seite gehen die befragten Expert:innen aber auch davon aus, dass die Beschäftigten zunehmend durch intelligente Assistenzsysteme in ihrer Arbeit unterstützt werden. Es wird eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darin bestehen, darauf zu achten, dass die zunehmende Polarisierung in der industriellen Beschäftigung nicht dazu führt, dass die breite Anwendung digitaler Technologien der Zunahme prekärer Arbeit Vorschub leistet.
Um die durch die Digitalisierung induzierten sozialen Auswirkungen von gesellschaftlicher Tragweite umfassender abschätzen zu können, dürfen aber nicht nur die betriebswirtschaftlichen Veränderungsprozesse betrachtet werden. Eine systemische Betrachtung wichtiger volkswirtschaftlicher Parameter wie des Einflusses auf Verdienstmuster von Beschäftigten unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche (als Folgeerscheinung der wachsenden Polarisierung) sowie der gegebenenfalls auftretenden globalen Verlagerungen von Produktionstätigkeiten durch die Digitalisierung ist ergänzend von großer Bedeutung.
Schlussfolgerungen
Ganz allgemein bestehen zwischen den vielfältigen Anwendungen digitaler Technologien und den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit viele Verflechtungen und sektorübergreifende Abhängigkeiten. Chancen und Risiken sind dabei eng miteinander verwoben und erfordern fundierte und bewusste Managemententscheidungen, damit digitale Technologien wirksam werden und eine nachhaltige Entwicklung begünstigen. Digitale Innovationen werden nicht per se zu mehr Nachhaltigkeit führen. Vielmehr sind eine professionelle und gründliche Technikfolgenabschätzung sowie ein klares Bekenntnis zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen erforderlich, um Nachhaltigkeit in allen drei Nachhaltigkeitsdimensionen zu fördern. Die Verbesserung der digitalen Kompetenzen in allen Bevölkerungsgruppen, die Sicherstellung eines freien Internetzugangs, die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der digitalen Modernisierung sowie die Gestaltung digitaler Produkte, die den Energie- und Materialbedarf reduzieren, sind wichtige Maßnahmen für eine nachhaltige digitale Zukunft.
Um die Chancen für eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, bedarf es neuer gesellschaftlicher Initiativen, um die Rahmenbedingungen mitzugestalten, unter denen die Digitalisierung gestaltet werden kann. Solche Initiativen sollten alle relevanten Akteure in Diskursen zusammenbringen, um die systemischen Auswirkungen dieser Transformation zu adressieren, eine faire Vertretung von Entwicklern, Nutzern und Regulierungsbehörden zu gewährleisten und die Chancen zu fördern, die mit den digitalen Potenzialen verbunden sind (vgl. Renn/Schweizer 2020). Darüber hinaus dürften zwischen den ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen der Nachhaltigkeit Konflikte und Dilemmata entstehen, die schmerzhafte Abwägungen und Kompromisse erfordern. Viele dieser Konflikte und Einschränkungen können jedoch angegangen und teilweise gelöst werden, wenn alle Akteure bereit sind, gemeinsam Ziele, Regeln und Vorschriften für eine Governance-Struktur im Einklang mit den normativen Zielen der Nachhaltigkeit mitzugestalten. Ein solcher Ansatz, der in einem deliberativen und interdisziplinären Diskurs aller relevanten Akteure ermittelt und konkretisiert wird, sollte auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen beruhen und am Gemeinwohl ausgerichtet sein.