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Community oder Gemeinde?!

Über Gemeinschaftsbildung im digitalen Raum #digitalekirche

Nicht alles Pastorale, was im digitalen Raum stattfindet, wird den prägenden Eigenschaften digitaler (Glaubens-)Kommunikation gerecht, meint Lisa Quarch. Am Beispiel eigener Projekte zeigt sie auf, was für gelungene, dem Kontext der Social Media angemessene digitale Kommunikation typisch und notwendig ist.

An einem gewöhnlichen Dienstagabend sitze ich in einem Instagram-Livestream mit Kira (@kira_beer), einer anderen jungen Frau, die auf Social Media über ihren Glauben spricht. Im Stream sind so um die 50 Menschen, die uns beiden dabei zuhören, wie wir uns fragen, wie wir über unsere Erfahrungen mit Gott erzählen können, ohne übergriffig oder anmaßend anderen gegenüber zu sein. Eine von uns beiden sagt den Satz: „Ich kann nichts Anderes tun, als meine eigene Geschichte zu erzählen.“ 

So einfach dieser Satz klingt, so wird er doch so häufig nicht umgesetzt.

Meine eigene Geschichte mit Gott. Ich erzähle von dieser, so gut ich kann. Irgendwann habe ich begonnen, dies digital zu tun, erst in einem Podcast und jetzt auf Instagram: In einem Livestream montags abends, in einem Gottesdienst sonntags vormittags, in einem Post donnerstags nachmittags. In einer Story auf dem Friedhof, in einem Reel (Kurzvideo; die Red.) zwischen Schreibtisch, Main-Ufer und weiten Spielräumen. 

Wenn ich auf Instagram meine eigene Geschichte erzähle, erzählen mir auch andere Menschen ihre, und dadurch stellen wir manchmal fest, dass uns Dinge verbinden. Dass wir auf ähnliche Herausforderungen und Hindernisse stoßen, aber auch ähnliche Hoffnungsträger und Inspirationsquellen finden. Wenn uns in aller Unterschiedlichkeit genug verbindet, dann entsteht Motivation und Ideenreichtum für Projekte und Aktionen, die mit Gott und Gebet zu tun haben und dabei ganz unterschiedlich sind. Und um diese Projekte herum entsteht Gemeinschaft.

Ich stelle nun zwei solcher Projekte vor, an denen ich selbst beteiligt war und bin:

1. Das feministische Andachtskollektiv

Das feministische Andachtskollektiv (fAk) ist ein Produkt des ersten Corona-Lockdowns aus dem Jahr 2020. Damals gab es eine kurze Phase, in der eine unglaublich große Zahl an Projekten auf Social Media aus dem Boden geschossen ist. Die meisten von diesen Ideen gab es ein paar Monate später nicht mehr (was überhaupt nicht schlimm ist, Kurzlebigkeit gehört zu Social Media auch dazu!). Das feministische Andachtskollektiv gibt es immer noch. Was ist das fAk eigentlich? Es ist ein Zusammenschluss von zehn Personen (allerdings nicht mehr die gleichen wie zu Beginn), die in den damals entstandenen Projekten des Lockdowns die feministische Perspektive vermisst haben. Und so haben wir einfach mal gestartet und eine christliche Andacht aus feministischer Perspektive in unseren Instagram-Storys gepostet. Das hat vielen Menschen gefallen. Unser Content hat Anschluss genommen an die Geschichten anderer, und so hat dieser sich immer weiter verbreitet. Wir sind vieles, von dem manche Menschen auf Social Media geglaubt haben, dass es das in den Kirchen nicht gibt oder auch nicht geben darf: Wir sind ökumenisch, wir sind jung, wir sind feministisch. Wir sind digital. Wir sind unabhängig. Wir sind politisch. Wir sind bunt, laut, leise.

Dass diese Kombination überhaupt möglich ist, hat gereicht, um dafür zu sorgen, dass wir gesehen wurden, und hat uns gezeigt, dass es viele Menschen gibt, denen es so geht wie uns: Sie vermissen die persönlichen Geschichten in Gottesdiensten, die schönen Texte und den Feminismus.

Und so legten wir los und probierten uns aus! Wir haben uns immer wieder verändert und neu aufgestellt. So sind wir auch immer noch auf der Suche danach, was wir eigentlich wollen und wie wir funktionieren, und stellen uns auch immer wieder die Frage, ob wir als Kollektiv gut funktionieren, und das ist auch gut so. Denn auch in einem jungen, innovativen Projekt ist es manchmal sehr verlockend, in das „Aber das haben wir schon immer so gemacht“ zu verfallen. Und das wollen wir nicht.

Eine spannende Frage zum fAk ist: Warum gibt es dieses Kollektiv immer noch – obwohl die meisten Produkte des ersten Lockdowns sehr schnell verschwunden sind? Ich glaube, da gibt es mehrere Gründe. Als wir das fAk gegründet haben, war es vor allem eins: Ein Kind von Sehnsucht. Wir haben eine Form von Gebet vermisst, und dann haben wir sie einfach selbst gemacht. Das tat uns gut, und somit war von Anfang an eine hohe Identifikation und ein hohes Maß an Engagement da. Engagement ist, glaube ich, ein weiterer wichtiger Punkt: Das ganze Projekt ist ehrenamtlich. Niemand von uns wird für diese Arbeit bezahlt. Zwar haben wir alle irgendetwas mit Theologie oder Religion studiert, aber das fAk ist nicht Teil unserer Arbeit. Das bringt offensichtliche Nachteile mit sich: Wenn die Lohnarbeit gerade zu viel Raum einnimmt, fällt die Arbeit fürs fAk aus. Es hat aber auch die Vorteile, die meiner Meinung nach auch die allgemein herausragenden Vorteile des digitalen Raumes sind, von denen der analoge Raum und auch das Ehrenamt im analogen Raum etwas lernen können: Wir mussten für unsere Arbeit niemanden fragen – keinen Bischof, kein Presbyterium, keine Chefin. Wir mussten kein ausgearbeitetes Konzept vorlegen oder uns bemühen, irgendwie an den Kirchenschlüssel und die eingeschaltete Heizung zu kommen. Wir konnten ohne großen Plan für die Zukunft, aber mit großer Motivation und Vision einfach starten. Das hat natürlich zu Pannen und Fehlern geführt, zu schlechtem Ton und Rechtschreibfehlern, zu problematischen Aussagen und totaler Verwirrung. Aber das ist auch okay so. Denn wir haben immer und immer wieder um Feedback gebeten und haben das Feedback immer wieder in die nächsten Andachten eingearbeitet. Und das führt zu einem weiteren Punkt, der meiner Meinung nach den Erfolg dieses Projektes ausmacht: Von Anfang an setzte das fAk auf Kollaboration. Das liegt natürlich einmal im Wesen eines Kollektivs, aber auch in diesem hätten wir einfach eine geschlossene Gruppe werden können. Das wollten und wollen wir jedoch nicht. Wir haben Menschen begeistert, und so haben wir diese einfach dazugeholt und zur Mitarbeit inspiriert. In fast jeder unserer Andachten haben wir Gäst:innen mit dabei. Diese gestalten in aller Freiheit einen Beitrag. Die einzigen Vorgaben, die wir unseren Gäst:innen machen, sind: 1. inklusive Sprache, 2. nicht länger als zwei Minuten und 3. sie müssen der Meinung sein, dass ihr Beitrag in unsere Andacht passt. Dadurch bringen wir unseren Gäst:innen Vertrauen entgegen. Und dieses wird immer wieder belohnt durch kreative, liebevolle und ermutigende Beiträge.

Wenn ich mich auf Instagram umschaue, stelle ich fest: Die Projekte der Glaubenskommunikation, die funktionieren, sind diejenigen, die so konzipiert sind, wie eben Social Media funktioniert: Alle senden und alle empfangen. Klassische kirchliche Kommunikation funktioniert meistens genau anders herum: Einer sendet und alle anderen empfangen. Das ist die Kommunikation des Pfarrhauses, die Kommunikation der Predigt, die Kommunikation der/des im Fernsehen oder Internet übertragenen Messe/Gottesdienstes. Die Kirchenräume sind genau dafür ausgelegt. Sie sehen aus wie ein Theater oder ein Hörsaal. Sie sind nicht dazu gedacht, dass alle Menschen senden und alle empfangen dürfen. Die Social-Media-Räume dagegen sind genau so gedacht. Und wenn Glaube und Kirche dort in authentischen Formaten zu finden sein sollen, dann muss die Kommunikationsform transformiert werden. Damit meine ich nicht, dass alle lernen, wie ein Smartphone funktioniert, sondern echte Veränderung. Nicht nur „die Form“ muss sich wandeln, sondern auch die Struktur des Inhaltes. Die digitalisierte Art der Kommunikation anzuwenden hat immer etwas mit dem Risiko zu tun, Macht abzugeben. Wenn die Kommunikation an eine digitalisierte Gesellschaft angepasst und nicht einfach nur digital wird, dann passiert die Verteilung der Macht von ganz alleine. Es ist eine notwendige Bedingung dafür, denn es öffnet Räume, in denen alle senden und alle empfangen können. Das ist der Grund, warum Social Media ein so wichtiger Ort zur Selbstermächtigung ist. Gerade im kirchlichen Bereich, aber auch in anderen stark hierarchischen Strukturen. Macht hat hier nicht die Person mit dem höchsten Amt, sondern die mit den meisten Verbündeten. Nicht umsonst fällt in digitalen Kirchenräumen immer wieder der Satz: Netzwerk schlägt Hierarchie. Auf Social Media ist das wahr. Ich glaube, in einer digitalisierten Gesellschaft und Kirche wird es immer wahrer, auch im analogen Bereich.

So viel zum feministischen Andachtskollektiv.

 

Ich möchte noch ein anderes Projekt vorstellen. Ich habe auf meinem Instagram-Account eine Reihe gestartet (gerade pausiert sie leider aus zeitlichen Gründen #ehrenamt) mit dem Titel:

2. Safe space with Holy Spirit

Die Idee dahinter ist sehr einfach: Immer zwei Menschen, eine andere Person und ich, starten gemeinsam einen Livestream auf Instagram.

In diesem Livestream beten wir gemeinsam und zwar immer für das, was dem*der Anderen gerade in diesem Moment auf dem Herzen liegt. Ohne Vorbereitung, ohne Skript. Einfach frei und ehrlich. Ich habe dies ungefähr zwei Monate lang, dreimal die Woche angeboten. In die Gebete habe ich immer auch noch Gebetsanliegen aus meiner Instagram-Community mitgenommen, die mir zugeschickt wurden. Auch mein:e Gäst:in hat häufig in ihrem Profil nach Gebetswünschen gefragt. Die Menschen, die mit mir live gegangen sind, waren ganz unterschiedlich. Sehr oft waren es Personen, die vorher noch nie in einem Instagram-Livestream waren. Das hat überhaupt nichts ausgemacht. Social Media ist einfach, und Gebet, besonders freies Gebet, ist es auch, wenn alle mit Offenheit und der Bereitschaft, sich auch ein bisschen verletzlich zu zeigen, an die Aktion herangehen. Ich kann für mich sagen und habe dies sowohl von meinen Live-Mitbeter:innen als auch von den anderen Anwesenden so zurückgemeldet bekommen: Die ehrliche und einfache Form dieses Gebets war sehr, sehr kraftvoll und voller Segen. Diese Aktion zeigt, wie einfach und gleichzeitig machtvoll digitale Arbeit sein kann. Auch diese Aktion hat vor allem auf zwei Dinge gesetzt: Gemeinschaft und Ehrlichkeit.

Social Media ist, wie der Name schon sagt, sozial.

Wenn ich einfach irgendetwas in die Kamera rede, dann kann es gut sein, dass dies ein paar Menschen anspricht, aber um eine Gemeinschaft, eine Community zu bilden, braucht es mehr.

Es braucht Offenheit, es braucht die Bereitschaft, sich verletzbar zu zeigen, und es braucht die Möglichkeit, sich selbst einzubringen: Kommunikation darf nicht einseitig bleiben. Beides hat dieses Projekt auf einfache und unkomplizierte Weise getan.

 

Das waren zwei Social-Media-Formate, die erfolgreich sowohl digitale Glaubenskommunikation als auch digitale pastorale Arbeit gemacht und so gut funktioniert haben. Ich habe versucht, hier darzulegen, warum das meiner Meinung nach der Fall war. Ich fasse es noch einmal kurz zusammen:

  • Die Projekte setzen auf Gemeinschaft – Social-Media-Arbeit ist gemeinschaftlich, und das sind diese Projekte auch.
  • Menschen erzählen ihre Geschichten. Sie sind ehrlich und offen.
  • Sie sind persönlich aus der Ich-Perspektive. Es gibt keine vorgefertigten Antworten, es gibt nur Ehrlichkeit und Authentizität.
  • Sie sind digitalisiert, denn es sind nicht einfach Produkte, die analog irgendwann mal geklappt haben und die dann gefilmt worden sind, sondern es sind eigenständige digitale Produkte.
  • Sie sind selbstermächtigend!

 

Ich bin bereits auf die Frage eingegangen, inwiefern sich digitalisierte Produkte von analogen Produkten unterscheiden, jenseits davon, dass sie eben im digitalen Raum konsumiert werden.

Dazu noch eine Erklärung: Ich glaube, in der Frage nach digitalisierten Produkten ist die strikte Trennung zwischen digital und analog gar nicht so zielführend. Ein Bistum, das einen Livestream einer Messe auf der Bistums-Facebookseite streamt, hat noch lange keine digitalisierte Pastoral. Das Bistum hat ein digitales Angebot, aber meiner Meinung nach kein digitalisiertes.

Der richtige Ansatz wäre eher eine Trennung zwischen Produkten für eine digitalisierte Gesellschaft und Produkten für eine rein analoge Gesellschaft, die auch mal etwas Digitales nutzt, wenn es sein muss. Auch ein analoger Gottesdienst kann ein Produkt einer digitalisierten Gesellschaft sein, wenn er deren Regeln befolgt. Auch in einem analogen Gottesdienst kann sich die Kommunikationsform ändern. Sie kann neu gedacht und anders strukturiert werden. Ein paar Hinweise dafür habe ich aufgelistet, aber natürlich gibt es da noch viel mehr zu sagen. Das würde den Rahmen dieses Artikels allerdings sprengen. Klar muss sein: Nur weil etwas digital ist, ist es noch lange nicht innovativ. Tobias Sauer schrieb einmal in einem Artikel den schönen Satz: „Scheiße stinkt auch digital“ (Sauer 2021). Und damit hat er einfach Recht. Es ist kein Zeichen für neu und innovativ, wenn etwas im Internet zugänglich ist. Social Media ist schon lange kein „neues Medium“ mehr. Es ist ein gewöhnliches und von vielen täglich genutztes Medium, ein normaler Teil der Lebensrealität der Gesellschaft mit Vorteilen und Nachteilen – so wie jedes andere Medium das auch ist.

Enden möchte ich mit einer kleinen Anekdote, die vielleicht noch die letzte Person überzeugt, die solche Sätze wie „Instagram ist doch nur oberflächlich“ und „Auf Social Media geht es nur um Selbstdarstellung“ glaubt: Ich arbeite als Pastoralassistentin in einer Pfarrei in Frankfurt. Vor ein paar Wochen war dort an Allerseelen ein „Totengedenken“. In der Andacht habe ich eine kleine Ansprache gehalten. Diese habe ich vorher einigen Menschen aus der Pfarrei gegeben und um Feedback gebeten. Ich habe von unterschiedlichen Seiten den Hinweis bekommen, meine Worte seien zu persönlich. Es stimmt – in den ersten Sätzen berichtete ich in der Ansprache von meiner eigenen Trauer um den Tod meines Großvaters. Das Feedback konnte ich gut nachvollziehen und habe den Text deshalb geändert. Ich glaube, es war für den Rahmen wirklich nicht angebracht. Auf Instagram machte ich auch einen Input zu Allerseelen. Ganz anders, aber auch schön. Ich mache seit Ostern letztes Jahr die Reihe „Holy Sounds“. An jedem kirchlichen Feiertag teile ich ein paar Gedanken von mir und ein Lied, das mein „Soundtrack zum Tag“ ist. Dann frage ich meine Community nach ihrem Soundtrack und teile die Lieder. Und so erstellen wir gemeinsam eine Playlist mit vielen, vielen Aspekten des Tages. An Allerseelen erzählte ich vom Tod meines Großvaters und welches Lied für mich deswegen gerade besonders gut zu Allerseelen passt. Ich musste auf Instagram gar nicht darüber nachdenken, ob das „zu persönlich“ ist. Das war es auch nicht. Für diesen Rahmen hat es gepasst.

Digitale Glaubenskommunikation ist persönlich. Tiefgründig. Voller Gemeinschaft.

So wie Kirche eben auch ist. So wie Christentum eben ist. Geschichten werden erzählt, andere hören zu und erzählen ihre Geschichten, und so entstehen neue Märchen, Romane, Kurzgeschichten, Elfchen und Epen – Glaubens- und Lebenszeugnisse.