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Wie aus Hülsen Worte werden

Glaube neu buchstabiert

Der Jesuit Klaus Mertes hat 2018 einen kleinen Band über die großen Begriffe des christlichen Glaubens vorgelegt. Angesichts einer sich ständig verändernden Sprache und einer zunehmenden Unverständ­lichkeit will er die zu leeren „Hülsen“ gewordenen Worte mit Beobach­tungen, eigenen Erfahrungen und Geschichten aus der Literatur und Zeitgeschichte in ihrer ursprünglichen Bedeutung wieder freilegen. Er widersteht der Versuchung, die Worthülsen schlicht und einfach zu entsorgen und neue Begriffe an ihre Stelle zu setzen (z. B. Resilienz statt Geduld, Bescheidenheit statt Demut etc.). Stattdessen setzt er sich den sperrig gewordenen Worten aus, um so auch die Anschlussfähigkeit an die christliche Frömmigkeits- und Theologiegeschichte nicht aufgeben zu müssen.

Mit kurzen drei- bis fünfseitigen Texten erschließt Mertes 38 Schlüssel­worte des Glaubens. Der Auswahl liegt kein bestimmtes Prinzip zugrun­de, sie ist vielmehr biographisch gewachsen. Man könnte jedoch auch einige Kategorien benennen: So beginnt Mertes mit den ersten Artikeln des Glaubensbekenntnisses und wendet sich den Begriffen Gott, Aufer­standener und Geist zu. Danach folgen im Wechsel Texte zu sakramen­talen Fragen (z. B. Beichte, Sakramente), zu Tugenden (z. B. Barmher­zigkeit, Demut, Gerechtigkeit, Hoffnung), zur Kirche (z. B. Amt, Institu­tion, Priester), zu theologischen Fragen (z. B. Erbsünde, Erlösung, Glau­ben, Inkarnation, Jungenfrauengeburt, Kreuz, Trinität) und zum Thema Frömmigkeit (z. B. Engel, Dämonen). Den Abschluss bildet eine etwas längere Abhandlung über den Zorn.

Auf zwei Begriffe sei kurz eingegangen: Seine Gedanken zum Thema Evangelium beginnt Mertes mit der Erinnerung an Hans-Dietrich Genschers legendären Auftritt auf dem Balkon der mit DDR-Flüchtlin­gen überfüllten Prager Botschaft im Jahr 1989. Seine „gute Nachricht“ war: „Sie können ausreisen.“ Von dort geht er zum Evangelium Jesu, das großen Jubel (aber auch Widerstand) auslöst. Aber der Hörer bleibt nicht beim Jubel stehen, sondern es kommt zu einer Verstetigung, zur Verinnerlichung, zum Ergriffensein. Dies verbindet Mertes mit einer Anfrage an die „Evangelisierung“, da die Gefahr, Menschen, Völker und Kulturen als bloße Objekte zu behandeln, nach wie vor gegeben ist. In dieser Denke müssten vor allem „die Anderen“ sich ändern. Solch „gleichgeschaltete Jubelmassen“ sind Mertes aber – zu Recht – nicht geheuer. Erstrebenswert erscheint ihm vielmehr, ein wirklicher „Freu­denbote“ zu sein, jemand, der „erfüllt [ist] von der Freude, die [er] mit­teilen“ darf, und von der „Vorfreude auf die Freude, die [die] Botschaft bei den Hörenden auslösen wird“. In eine ähnliche Richtung gehen die Anregungen zum Thema Mission. Mertes erzählt von einer überraschen­den Einladung, auf die hin er anlässlich eines muslimischen Fastenbre­chens Gelegenheit hatte, über seinen christlichen Glauben zu sprechen, und blickt von dort auf Jesu Praxis. Diese war geprägt von spontanen Gesprächen auf dem Weg und grenzüberschreitenden Einladungen von Außenstehenden wie Zöllnern, Dirnen, Kranken und Armen. So plädiert er im Blick auf ein missionarisches Leben weniger für Strategieentwick­lung und Aktionen, sondern dafür, sich absichtslos und mit einer das eigene Christsein nicht versteckenden Auskunftsfreudigkeit auf die Straßen und in den Alltag zu begeben.

Das Buch verführt dazu, darin zu blättern und bei den Begriffen mit dem Lesen zu beginnen, die einem ins Auge fallen. Aber auch die Gesamtlektüre ist nicht zu verachten, da man auf diese Weise dem Grundduktus von Mertens Theologie (und auch seiner Person) Schritt für Schritt näherkommt. Ein Gefühl des Bekanntwerdens tritt ein. Mit seiner Mischung aus theologischen Beobachtungen, persönlichen Erfah­rungen und passenden Geschichten gelingt es dem Autor insgesamt, zu vielen Begriffen wieder einen neuen Zugang zu eröffnen. Dabei hilft auch seine klare und verständliche Schreibe. Er will keine Abhandlun­gen vorlegen und kann sich daher in der Regel bei jedem behandelten Begriff auf einen Aspekt beschränken. Auch wenn man bisweilen gerne mehr lesen würde, legt dieser Ansatz, der die Begriffe im wahrsten Sin­ne des Wortes nicht „erschöpfend“ behandeln will, viele gute und auch unerwartete Spuren und regt so zum neuen Nachdenken über die oft­mals zu „Worthülsen“ gewordenen zentralen Begriffe des christlichen Glaubens an. Damit ist schon sehr viel gewonnen.

 

Markus-Liborius Hermann