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Feminismus in der katholischen Kirche

Maria 2.0: Eine Frage der Macht

Seit Mai 2019 engagieren sich katholische Frauen in der Initiative „Maria 2.0“ gegen die Machtstrukturen in der katholischen Kirche und für die volle Gleichstellung von Frauen, inklusive des Zugangs zum Weiheamt. Kurz darauf vereinten sich unter dem Namen „Maria 1.0“ Frauen, die als Gegenbewegung wahrgenommen wurden und sich insbesondere gegen die Forderung wenden, das Weiheamt für Frauen zugänglich zu machen.
Wir haben Vertreterinnen beider Gruppen nach ihrer Vision für Frauen in der Kirche gefragt – wie können Frauen Gemeinde und Kirche tragen?

Im Mai 2019 riefen katholische Frauen in Münster eine Streik- und Aktionswoche aus und Tausende folgten ihrem Ruf. Ausgangspunkt war das Entsetzen über sexualisierte Gewalt und die Vertuschung derselben in der römisch-katholischen Kirche. Die 2018 veröffentlichte MHG-Studie, die die Ursachen des Missbrauchs untersuchte, nannte den Umgang mit Macht, die Sexualmoral der Kirche und die priesterliche Lebensform als neuralgische Faktoren, die Missbrauch begünstigen. Schnell wurde klar, dass klerikale Männerbünde die Vertuschung der Taten und den Schutz der Täter gefördert haben. Die Motivation, sich gegen diese Macht- und Missbrauchsstrukturen aufzuheben, rührt daher, dass Frauen sich nicht mehr für eine Kirche engagieren können und wollen, in der die Gesetze ausschließlich von Männern gemacht werden.

Die Machtfrage – ein Tabu in der katholischen Kirche

In ihrem 2017 erschienenen Buch „Der Weiberaufstand. Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen“ fragt Christiane Florin nach der Macht in der Kirche und erntet zunächst Unverständnis von Seiten der Kirchenmänner. Macht gebe es in der Kirche nicht, nur Dienst. Oder wie Joseph Ratzinger bemerkt: Die Kirche handle mit Vollmacht. Der Umgang mit Macht ist die zentrale Frage, um die es beim Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter geht. Mit knapp hundert Jahren Verspätung erreicht der Feminismus nun die letzte global wirkende Institution, deren Alleinstellungsmerkmal es auch im 21. Jahrhundert noch ist, Frauen den Zugang zur Macht zu verwehren und damit zu diskriminieren. Frauen müssen die Machtfrage stellen, wollen sie wirklich eine Neuausrichtung und Veränderung bewirken.

Macht ist in der katholischen Kirche an die Weihe gebunden. Nur ge­weihte Männer können entscheidende, einflussreiche Positionen be­setzen. Frauen wird die Weihe verweigert, ergo haben sie keine Macht. Maria 2.0 jedoch auf die Forderung nach der Frauenordination zu redu­zieren, verkürzt den Horizont, in dem sich die Bewegung aufstellt. Der gleichberechtigte Zugang von Frauen zu allen Ämtern und Diensten der Kirche ist zwar eine der zentralen Forderungen, doch kann er nur ge­dacht werden mit einer umfassenden Neuausrichtung in allen Kernbe­reichen der katholischen Kirche. Dazu gehören das Amts-, Kirchen- und Sakramentenverständnis. Diese Bereiche müssen in neuen Kategorien gedacht werden, die sich vor allem auch an der Frage der Gerechtigkeit orientieren müssen. Verbunden mit einer Neuausrichtung ist eine Ana­lyse, mit welcher Konzeption von Macht Kirche agiert. In all ihren Voll­zügen spielt Macht eine elementare Rolle. Deshalb muss untersucht werden, wie durch Amts-, Kirchen- und Sakramentenbegriff Macht ausgeübt wird. In all diesen Bereichen spielt Macht eine elementare Rolle, wird jedoch vollkommen tabuisiert. Es gibt keine theologisch-wissenschaftlichen Abhandlungen darüber, wie die dogmatische Rück­führung des Amtes auf Gott diejenigen, die das Amt ausführen, zu allmächtigen Herrschern über Leib und Seele macht. Der Grund ist einfach: Gäbe es beispielsweise eine offene Diskussion über Macht im Verständnis wie in der Ausübung des Amtes, wäre die Frage nach der Kontrolle dieser Macht unumgänglich. Eine Institution, der weltweit 1,2 Milliarden Menschen angehören und die als Arbeitgeber fungiert, muss die soziale Kategorie der Macht thematisieren. Sie kann sich nicht hinter absolutistisch-monarchischen Herrschaftsformen verstecken, will sie aufrichtig den Missbrauch von Macht verhindern.

Das Gleiche gilt für den Kirchenbegriff: „Außerhalb der Kirche kein Heil“ postuliert einen Kirchenbegriff, der mit aller Macht sein Terri­torium absteckt und zu dem nur „Ein‑geweihte“ Zugang haben. Zwar ist allen Getauften dieselbe Würde zugesprochen, aber nur geweihte Männer entscheiden über das Dazugehören. Kommunikation nach ihren Regeln – oder Exkommunikation. Setzen sich Getaufte über die Regeln hinweg, wird ihnen die Mitgliedschaft abgesprochen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Regeln diskriminierend oder menschen­verachtend sind, wie am Beispiel der exkommunizierten Priesterinnen um Ida Raming zu beobachten ist.

Auch Sakramente werden als Machtmittel eingesetzt und so ihres Sin­nes als Zeichen des Heils entleert. Wenn die Institution bspw. wieder­verheiratet geschiedenen Menschen die Teilnahme an der Eucharistie verweigert, setzt sie Sakramente als Machtmittel ein, die entscheiden, ob der Mensch Teil der Gemeinschaft ist oder nicht. Auch in der Corona­krise war zu beobachten, dass viele Priester sich auf die Feier der Eucha­ristie unter allen Umständen und trotz vieler berechtigter gesundheit­licher Einwände fixierten. Kritisiert wurde auch die Selbstbezüglichkeit eines Messefeierns, bei der Priester sich als Stellvertreter Christi und zugleich der Gemeinde verstanden. Dagegen legte man auf Anregungen zu Gottesdienstformen, die von allen Getauften in Hausgemeinschaften gefeiert werden können, viel zu wenig Wert.

Würden in Ermangelung öffentlicher Gottesdienste die getauften Gläu­bigen sich als bevollmächtigt begreifen, Jesus um seine Gegenwart in Brot und Wein zu bitten, würde das zentrale Alleinstellungsmerkmal des Klerus, als exklusiv bevollmächtigter Hüter des Kults zu fungieren, ad absurdum geführt. Sind die Zugangskriterien für die, die die Eucha­ristie „gültig“ feiern dürfen, „Mann, Kleriker, zölibatär lebend“, dann hat auch nur diese immer kleiner werdende Kaste die Macht, das ge­meinschaftsstiftende Mahl als Vergegenwärtigung Jesu zu feiern. Das Festhalten an dieser Macht stößt allerdings immer mehr auf die Weige­rung, auch von engagierten Ordensfrauen (vgl. „Fülle in der Leere“), sich auf diese Weise bevormunden zu lassen. Neue Wege werden selbstbewusst gegangen, und indem Frauen nicht mehr um Erlaubnis bitten, lassen sie die Kirchenmänner machtlos zurück. Nicht umsonst richtet auch Maria 2.0 den Sakramentenbegriff an Charisma und Sen­dung aus, wie es die Junia-Initiative aus der Schweiz treffend auf den Punkt bringt.

Die Macht der Worte: Gibt es einen gerechten Diskurs in der katholischen Kirche?

Diskurs wird in der katholischen Kirche autoritär geführt. Das wird be­sonders deutlich bei der Frage der Frauenordination. Die Vertreter der Amtskirche werden nicht müde, diese Frage für entschieden zu erklä­ren, indem sie auf das von Papst Johannes Paul II. verfasste Schreiben Ordinatio sacerdotalis aus dem Jahr 1994 verweisen. Im letzten Absatz erklärt er apodiktisch: „Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeu­tenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.“ Er wollte also die bischöflichen „Brüder“ gegen Frauen stärken, in denen man keine „Schwestern“ mehr erkennt.

Mit dieser theologisch höchst fragwürdigen Behauptung wird seit Jahren jeder Diskurs im Keim erstickt. Das ist Machtausübung in Reinform. Diskurse zu verbieten und Sprechverbote zu erteilen sind Instrumente autoritärer Regime und nicht Merkmale einer Institution in der Spur Jesu. Letztlich geht es darum, die Deutungshoheit über die Begriffe zurückzuerobern. Es gibt keine Gerechtigkeit in der katholi­schen Kirche, solange sie nicht in der Gleichberechtigung von Frauen und Männern verwirklicht ist. Die Kirche bedient sich der Begriffe der Aufklärung, ohne sie in ihren Strukturen zu verwirklichen. Das ist un­redlich. Auch wenn sie es leugnet, sind ihre Strukturen diskriminierend. Die Fest‑stellung, Frauen seien gleichwürdig, aber nicht gleichartig, sie hätten aufgrund dessen andere Aufgaben als Männer, ist diskriminie­rend, weil Männer die Rolle der Frau definieren. Angefangen bei Augustinus („Das Weib ist ein minderwertiges Wesen, das von Gott nicht nach seinem Ebenbilde geschaffen wurde. Es entspricht der natürlichen Ordnung, dass die Frauen den Männern dienen.“) bis zu Papst Franziskus („Die Frau ist das edelste Fleisch der Welt.“) bestim­men solche bis dato unwidersprochenen Aussagen das katholische Frauenbild. Dieser Deutungshoheit müssen sich Frauen entziehen und einen gerechten Diskurs einfordern, der nicht immerzu mit dem Willen Gottes argumentiert. Über Gottes Willen Bescheid zu wissen, sollte sich kein Mensch anmaßen. Die entscheidende Frage lautet: Dient etwas der Verkündigung des Evangeliums oder dient es nicht?

Wirkmacht weltweit: Maria 2.0 und das Catholic Women’s Council

Schnell hat sich aus der Graswurzelinitiative Maria 2.0 eine Marke ent­wickelt, die als Synonym für Widerstand in der katholischen Kirche gilt. Getragen von der jahrzehntelangen Arbeit der großen deutschen Frau­enverbände KDFB und kfd, war im Mai 2019 das Momentum gekom­men, der Frauenbewegung innerhalb der katholischen Kirche einen neuen Schub zu verleihen. Der laute Protest kam aus dem Innersten der Kirche, von den Frauen, die noch geblieben sind und die Gemeinden maßgeblich tragen. Kaum eine Gemeinde, die ohne das ehrenamtliche Engagement von Frauen überlebensfähig wäre.

Selbstbewusst und selbstbestimmt nehmen Frauen nun ihr Schicksal selbst in die Hand. Wieso sollten sie im Kirchenraum ihre Grundrechte über Bord werfen und davon absehen, gleichberechtigt zu sein? Darf der im Grundgesetz verbürgte Artikel 3: „Niemand darf wegen seines Ge­schlechtes, seiner Abstammung […] benachteiligt […] werden“ von der Kirche unbeachtet bleiben?

Im November 2019 gründete sich auf Initiative der in Rom ansässigen Organisation Voices of Faith das Catholic Women’s Council (CWC). Zu den Gründungsmitgliedern zählen Maria 2.0, die großen deutschspra­chigen Frauenverbände aus der Schweiz, Österreich und Deutschland und verschiedene Einzelinitiativen. Bereits im Januar schlossen sich bei einem Treffen in Rom weltweit tätige Organisationen, Theologinnen und Initiativen an. Das CWC versteht sich als ein Netzwerk von Frauen, das die Gleichberechtigung von Frauen im Rahmen einer umfassenden Erneuerung der Kirche forciert. Innerhalb der Organisation gibt es eine Bandbreite an Überzeugungen, die jedoch alle auf den Nenner „gleiche Würde, gleiche Rechte“ gebracht werden können. Das Argument, die „Frauenfrage“ sei nur in der nördlichen Erdhalbkugel virulent und kein Thema für die Weltkirche, ist damit entkräftet. Interessant dabei ist, dass das kirchliche Lehramt meint definieren zu müssen, was genau die Frauenfrage sei, anstatt die Fragen mündiger Katholikinnen ernst zu nehmen. Wenn die Kirche als Global Player die Standards der Ge­schlechtergerechtigkeit verinnerlichen würde, hätte sie einen maßgeb­lichen Einfluss auf Länder, in denen Frauen gesellschaftlich immer noch diskriminiert werden. Insofern bedeutet die Arbeit des CWC Solidarität mit Frauen auf der ganzen Welt. Gemeinsam beschreiten die Frauen nun einen Weg, der zum Ziel hat, eine eigene Synode voraussichtlich 2021 einzuberufen, bei der Frauen die Themen setzen und ihre Vorstel­lungen von einer gerechten Kirche formulieren. Das bedeutet, dass nicht Männer die Agenda vorgeben und über Frauen sprechen, sondern auch hier Frauen ihr Schicksal selbstbestimmt in die Hand nehmen. Sie werden nicht umhinkommen, die „Machtfrage“ zu stellen. Allerdings werden sie nicht darauf abzielen, andere auf klerikal ausgeübte Weise kleinzuhalten, sondern alles, was in ihrer Macht steht, zu tun, um Menschen bei ihrer Selbstwerdung und ihrer Suche nach Gott zu unterstützen.