Nicht ohne die anderen
Gemeinsame Pfarreileitung durch Priester und hauptamtliche Laien im Bistum Osnabrück
Wilfried Prior legt mit dem Band nicht nur seine pastoraltheologische Dissertation vor, sondern liefert damit auch einen Baustein des Projekts „Pastorale Koordination“ des Bistums Osnabrück. Er verbindet also seine theologische Weiterqualifizierung mit seiner beruflichen Tätigkeit als einer der Projektleiter. Diese Innenperspektive thematisiert er explizit (vgl. 20–26).
Hintergrund der Arbeit ist das Projekt „Pastorale Koordination“ des Bistums Osnabrück (2011/13–2016). In zuerst sieben, dann in insgesamt 13 Pfarreien/Pfarreiengemeinschaften wurde neben dem Pfarrer ein hauptamtlicher Laienmitarbeiter (Gemeinde- oder PastoralreferentIn) mit Leitungsaufgaben in festgelegten Bereichen betraut.
Dieses Modellprojekt beruht auf pastoralen Grundentscheidungen des Bistums, etwa, statt eine Überlastung der Priester durch weitere Pfarreifusionen in Kauf zu nehmen, lieber auf eine Förderung neuer Modelle von Leitung durch LaiInnen und damit auf eine Neujustierung des priesterlichen Dienstes zu setzen. Angezielt wurde neben einer Entlastung der Pfarrer von Verwaltungsaufgaben und einer organisationalen Qualitätssteigerung auch eine Weiterentwicklung des Dienstes von Gemeinde- und PastoralreferentInnen durch Teilhabe an der pfarrlichen Gesamtverantwortung.
Prior stellt den Projektverlauf umfassend dar, beginnend mit dem Projektdesign, das auch eine ständige Begleitung und eine eigens konzipierte Fortbildung vorsah. Er geht auch auf Schwierigkeiten und Konflikte ein: Z. B. musste, damit die pastoralen Koordinatoren stimmberechtigte Mitglieder im Kirchenvorstand werden konnten, das Niedersächsische Konkordat geändert werden. Zudem kam es in einigen Fällen zu Auseinandersetzungen – etwa zu Zuständigkeitskonflikten mit Kitaleitungen –, doch viele Befürchtungen im Vorfeld, etwa wo es überall zu unguter Konkurrenz kommen könnte, bewahrheiteten sich nicht.
Besonders ausführlich geht Prior auf die Evaluation des Projekts ein, bei der die Haupt- und Nebenamtlichen sowie die Mitglieder von Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderatsvorstand der betroffenen Pfarreien/Pfarreiengemeinschaften befragt wurden. Diese Gruppen bewerteten die pastorale Koordination durchgehend positiv. Da der für die Evaluation verwendete Fragebogen neben Bewertungsskalen auch Freitext vorsah, kann Prior aus Zitaten auch unterschiedliche Wahrnehmungen, Anliegen und Anregungen der einzelnen Gruppen herausarbeiten.
Mittlerweile wurde das Projekt vom Bistum in eine dauerhafte pastorale Praxis überführt: „Aus heutiger Sicht gesehen (Anfang 2019) wird das Modell ‚Pastorale Koordination‘ bistumsweit als Strukturveränderung mit problemlösendem Potential und Akzeptanz in Pfarreien und pastoralen Berufsgruppen wahrgenommen. Inzwischen sind 23 von 72 Pfarreien und Pfarreiengemeinschaften nach diesem Leitungsmodell besetzt“ (149).
Die Arbeit verbindet organisationswissenschaftliche und theologische Perspektiven. Deshalb stehen vor der eigentlichen Projektvorstellung umfangreiche Reflexionen zur Pfarreileitung aus beiderlei Sicht. Dabei wird in die theologischen Überlegungen in Kapitel 5 aus einer organisationswissenschaftlichen Perspektive, in die Kapitel 4 einführt, insbesondere die Frage nach dem Auftrag von Kirche und kirchlichem Dienst eingebracht. Prior beklagt, dass in ekklesiologischen Diskursen die Frage nach dem Wozu von Kirche hinter der Frage zurücksteht, was das Wesen der Kirche sei; Lumen gentium dagegen beschreibe das Wesen der Kirche „konsequent von der Sendung der Kirche her“ (74). Daran schließe sich Papst Franziskus in Evangelii gaudium an. „Diese Priorisierung verändert nicht einfach nur äußerlich eine Herangehensweise, sondern grundlegend das Verständnis kirchlicher Institutionen und kirchlichen Handelns und auch das Entfalten des sakramentalen Wesens der Kirche“ (82).
Vor diesem Hintergrund behandelt Prior im Folgenden – organisationswissenschaftliche und theologische Sichtweise verbindend – Strukturen und Strategien der Kirche und das Verhältnis von LaiInnen und Klerikern. Prior bemüht sich hier um eine Klärung von Aufgaben und Rollen – insbesondere von Priestern – und arbeitet nicht nur die historische Bedingtheit herkömmlicher Priesterbilder heraus, sondern auch die daraus folgende Flexibilität bei der Ausgestaltung von Ämtern und Diensten. Mit diesen wichtigen Reflexionen schafft er eine Basis für „Suchbewegungen“ (131) wie das Osnabrücker Projekt „Pastorale Koordination“ auf dem Weg „hin zu einer neuen Sozialgestalt von Kirche“ (ebd.).
Abgeschlossen wird die Arbeit durch zwei kleinere Kapitel: Während Kapitel 7 (obwohl „Über das Leitungsmodell hinaus – Einsammeln von Erfahrungen und Theorien“ überschrieben) für den Rezensenten etwas redundant wirkt, sind die Ausführungen in Kapitel 8 insbesondere zu einem (möglichen) neuen kirchlichen Autoritätsverständnis ein inspirierender Ausblick. Die umfangreichen Anhänge nach dem Literaturverzeichnis gewähren u. a. Einblicke in konzeptionelle Überlegungen der Bistumsverwaltung und in die Freitextantworten bei der Befragung im Rahmen der Projektevaluation.
Stellenweise finden sich etwas gehäuft formale Mängel, insbesondere bei den Literaturangaben, deren Gestaltung in ihrer Eigenwilligkeit den Rezensenten nicht überzeugt. Insgesamt punkten aber die im Großen und Ganzen gelungenen Ausführungen mit der systematischen Darstellung eines lehrreichen pastoralen Experiments und der Befruchtung wichtiger theologischer bzw. ekklesiologischer Reflexionen durch eine organisationswissenschaftliche Perspektive.
Martin Hochholzer