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„Wo fallen tatsächlich die Entscheidungen in der Diözese?“ Erfahrungen einer Pastoralamtsleiterin

Ein Interview mit Dr. Veronika Prüller-Jagenteufel

Dr. Veronika Prüller-Jagenteufel hatte nahezu acht Jahre lang die Leitung des Pastoralamtes der Erzdiözese Wien inne. Im Interview gibt sie Auskunft, wie sie zu der Aufgabe kam, welche Erfahrungen sie als Frau in dieser Leitungsposition gemacht hat. Es schafft Veränderungen, wenn Frauen auf ihre Weise Leitung in der Kirche gestalten. Dennoch sieht sie auch Grenzen in einer Organisation, in der zumeist ordinierte Männer Leitungspositionen wahrnehmen.

euangel:

Frau Prüller-Jagenteufel, was hat Sie gereizt, die Aufgabe als Pastoral­amtsleiterin der Erzdiözese Wien zu übernehmen?

Prüller-Jagenteufel:

Mich hat gereizt, tatsächlich konkrete Verantwortung zu übernehmen. Als gelernte Pastoraltheologin habe ich ja viel nachgedacht darüber, was Kirche und Kirchenleitung könnte, sollte, müsste. Ich wollte versuchen, aus dem Konjunktiv einen Indikativ zu machen. Es braucht ja auch Leu­te, die bereit sind zuzupacken. Ich bin damals in die Erzdiözese Wien zunächst ehrenamtlich „hineingerutscht“, über die Schiene der katho­lischen Frauenbewegung, bei der ich vom Erzbischof bestellte Geistliche Assistentin wurde. Ich war sozusagen Bindeglied zwischen dem Ver­band, der Diözese und dem Erzbischof. Da begann gerade der Prozess „Apostelgeschichte 2020“, den ich interessant fand, spannend und aussichtsreich; da habe ich angefangen, mich stärker kirchenentwick­lerisch zu involvieren.

euangel:

Haben Sie sich auf diese Stelle beworben oder sind Sie gefragt worden?

Prüller-Jagenteufel:

Ich bin gefragt worden. Es hatte sich eine engere Zusammenarbeit mit Kardinal Schönborn ergeben und irgendwann habe ich ihm gesagt: „Wenn du mich an einer Stelle brauchen kannst, dann stehe ich zur Verfügung.“ Ein halbes Jahr später ist er darauf zurückgekommen. An einem Abend nach dem Abschluss der drei großen diözesanen Ver­sammlungen (2009/10) gab es für den engeren Kreis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein Abendessen mit dem Kardinal. Da hat er gebeten, ob ich nachher noch für ein Gespräch Zeit hätte. Ich weiß noch, dass ich am Heimweg meinen Mann angerufen und gesagt habe: „Der Kardinal hat mir einen Leitungsjob im Pastoralamt angeboten.“ Mein Mann fragte: „Welche Abteilung?“, und ich sagte: „Das ganze!“ Ich war schon sehr überrascht.

euangel:

Gab es damals grundsätzlich die Überlegung, einer Frau die Leitung des Pastoralamts anzubieten, oder ist das eher aus dieser persönlichen Kenntnis heraus erwachsen?

Prüller-Jagenteufel:

So wie ich es wahrgenommen habe, ging es mehr um die Person. Ich glaube nicht, dass Kardinal Schönborn unbedingt eine Frau gesucht hat. Aber er war sich sehr wohl bewusst, dass das ein Zeichen setzt, wenn er eine Frau nimmt, und das wollte er auch so.

euangel:

Sie waren die erste Frau auf dieser Position?

Prüller-Jagenteufel:

Ich war die erste Frau auf dieser Position in der Erzdiözese Wien, ich war die zweite Pastoralamtsleiterin in Österreich. Elisabeth Rathgeb, die damalige Kollegin im Seelsorgeamt der Diözese Innsbruck, war schon länger im Dienst; sie habe ich dann angerufen: „Kannst du deinen Job empfehlen?“ Dann hatte ich ein bisschen Bedenkzeit und habe zugesagt.

euangel:

Welche Reaktionen gab es?

Prüller-Jagenteufel:

Die Reaktionen, die ich direkt nach meiner Ernennung erhalten habe, waren positiv. Oft habe ich gehört: „Super, dass du als Frau das machst.“ Es ist eben immer noch nicht selbstverständlich, dass Frauen Führungs­positionen in der Kirche erhalten. Allein dafür gibt es dann viel Sympa­thie. Es hat auch einiges an medialer Aufmerksamkeit gege­ben, die einem Wechsel auf dieser Führungsebene in der Öffentlichkeit norma­ler­weise nicht zukommt. Das wurde schon über den inneren kirchlichen Kreis hinaus wahrgenommen.

euangel:

Wie war die Atmosphäre in der Kooperation auf Leitungsebene? Haben Sie den Eindruck gehabt, anerkannt zu werden?

Prüller-Jagenteufel:

Mein Vorgänger war als Priester ganz selbstverständlich Mitglied im Priesterrat und Domherr. Ein befreundeter Priester kam mir damals grinsend auf der Straße entgegen und fragte mich: „Wirst du jetzt auch Domfrau?“ (lacht) Also, das wurde ich natürlich nicht, auch nicht Mit­glied im Priesterrat. Aber ich war Mitglied im Bischofsrat, dem engsten Beratungsgremium des Erzbischofs, und dort völlig gleichberechtigt.

euangel:

Es ist also nicht nur „die Frau“, die in eine „Männerposition“ einrückt, sondern es geht auch um das Thema „Frau“ und „Ordinierte“?

Prüller-Jagenteufel:

Es ist beides. Ich habe meine Dissertation über Hildegard Holzer geschrie­ben, die Gründerin der Ausbildung für Seelsorgehelferinnen in Österreich. Anhand ihrer Geschichte habe ich herausgearbeitet: Wir sind als Frauen in der Kirche mit einer doppelten Differenz konfrontiert: Mann/Frau und Klerus/Laien. Für Frauen sind immer beide Differenz­ebenen relevant. Dabei ist nicht immer leicht zu unterscheiden: Welche Reaktionen oder Schwierigkeiten sind jetzt worauf zurückzuführen? Weil eben beide Ebenen miteinander verknüpft sind.

euangel:

Gab es denn in der Hauptabteilungsleiterrunde auch nicht-ordinierte Männer, an denen man hätte sehen können, was jetzt eher dem Thema Klerus/Nichtklerus und was dem Thema Mann/Frau zukommt?

Prüller-Jagenteufel:

Viele der Mechanismen und Muster treffen männliche Laien in ganz ähnlicher Weise. Es gibt in der Erzdiözese Wien mehr als dreißig DienststellenleiterInnen, die damals etwa alle zwei Monate mit dem Generalvikar, ihrem direkten Vorgesetzten, zusammenkamen. Davon war ungefähr ein Drittel Frauen. Die anderen waren zum Großteil nicht-geweihte Männer. Anders war es im Bischofsrat. Zu diesem Gremium gehörten damals der Erzbischof, der Generalvikar, zwei Weihbischöfe, drei weitere Bischofsvikare, der Kanzler und die Pastoralamtsleitung. Dort war ich als ordentliches Mitglied zugleich die einzige Frau und die einzige nicht-ordinierte Person.

euangel:

Wie haben Sie sich in diesem Gremium gefühlt?

Prüller-Jagenteufel:

Grundsätzlich gut und zugleich war es auch irgendwie eigen. Am An­fang wurde es auch thematisiert: „Wie geht es dir als Frau denn mit uns?“ Für mich war die Frage: Wie bewege ich mich jetzt hier? Ich hatte den Eindruck, das gemeinsame Klerikersein schafft eine bestimmte Art von Verbindung unter den Männern. Da ist die Atmosphäre noch ein­mal anders, als wenn eine Frau mit nicht-geweihten Männern zu­sammenarbeitet. Es ist da noch eine andere Rollenstärke im Spiel. Und das eben vermischt mit der Mann-Frau-Geschichte. Einer der Kollegen im Bischofsrat hat mich immer wieder begrüßt mit: „Grüß dich, Weib­lichkeit!“ Ich habe ihm das nie übelgenommen; es war mit Augenzwin­kern und Charme gesagt und so von mir aufgenommen – und zugleich hat es meine besondere Position deutlich bezeichnet. So etwas ist ambi­valent. Es gehört zum Schwierigsten, mit solchen Doppeldeutigkeiten gut umzugehen.

euangel:

Ob „die Ironie“ das Problem war? Oder dass auf einmal das Geschlecht vor der Person rangiert?

Prüller-Jagenteufel:

Jede Frau kennt das wahrscheinlich: Im sozialen Interagieren bin ich manchmal primär „Frau“, aber natürlich bin ich dabei immer ICH. Zur Bedeutung des Geschlechts für die Wahrnehmung der Rollen noch eine andere Situation: Nikolaus Krasa, der Generalvikar, und ich wurden zu­gleich neu ernannt. Wir kannten uns von früher und konnten einiges gemeinsam umsetzen. Wir wollten beide u. a. im Bischofsrat eine andere Sitzungskultur anregen. Einige Wochen lang habe ich dann die Sitzungen moderiert. Als der Generalvikar einmal in einem Gespräch zu einem anderen Thema die Mitglieder des Bischofsrats aufzählte, vergaß er mich. Da war mir klar: Ich muss die Moderation wieder abgeben, sonst werde ich als Sekretärin oder Dienstleisterin des Bischofsrates wahrgenommen und nicht als Mitglied. Wir haben dann die Moderation auf Wechsel gestellt. Auf solche Mechanismen muss man sehr aufpassen.

euangel:

Wie gelingt es, solche Wahrnehmungen als Lernerfahrung für alle irgendwie deutlich zu machen?

Prüller-Jagenteufel:

Also im ganzen Kreis der Mitglieder haben wir, glaube ich, nie ausführ­licher darüber reflektiert; mit Einzelnen war das möglich. Und ich habe immer wieder die Rückmeldung gehört, dass es wichtig ist, dass ich da bin – auch „als Frau“.

euangel:

Akzeptieren die Pfarrer im Bistum eine Frau als Pastoralamtsleiterin oder hatten Sie den Eindruck, dass sie Sie nicht ernst nehmen?

Prüller-Jagenteufel:

Ich habe beides erlebt: die Kollegen, die sehr aufgeschlossen waren und offen auf mich zugekommen sind. Und ich habe bei manch einem Vor­behalte und Ablehnung gespürt. Im Leitungsteam des Diözesanen Ent­wicklungsprozesses APG2.1 waren wir zu dritt: der Generalvikar, die Leiterin der Stabsstelle für den Prozess, Andrea Geiger, und ich. Bei wichtigen Besuchen in den Pfarren und Dekanaten waren wir bewusst oft zu dritt unterwegs. Wir wollten als Team modellhaft agieren und zeigen, wie das geht. Zugleich war es wichtig, den Generalvikar dabei­zuhaben, denn es war klar: Ohne ihn dringen wir zwei Laien-Frauen zu den Pfarrern nicht wirklich durch. Wenn er einmal nicht mitkommen konnte, haben wir festgestellt, dass unsere Aussagen einfach nicht das gleiche Gewicht haben.

euangel:

Sie haben sich nun fast acht Jahre lang in eine solche Aufgabe einge­bracht. Trägt es dazu bei, eine Bresche zu schlagen? Sind die Erfahrun­gen so, dass man es auch weiterhin als Benefit sieht, in diesen Positio­nen Vielfalt zuzulassen, anstatt nur Kleriker dort einzusetzen?

Prüller-Jagenteufel:

Ja, ich glaube schon. Es ist doch so, dass das an vielen Stellen in der Kirche gespürt wird, wie wichtig diese Vielfalt ist. Aber es dann kon­sequent umzusetzen, ist nicht so leicht. Als ich als Pastoralamtsleiterin aufgehört habe, gab es zur Nachbesetzung eine offene Ausschreibung. Es ist sehr zu begrüßen, dass eine solche Aufgabe nicht nur direkt vom Bischof vergeben wird. Es gab das Bemühen, Frauen anzusprechen, sich zu bewerben, und es gab ein Hearing, inklusive einer externen Kollegin in der Kommission. Durchgesetzt hat sich dabei ein Kleriker. Ich habe mich darüber ehrlich gefreut: Markus Beranek ist wirklich gut – und nebenbei als Kleriker gerade in der jetzigen Phase der Erzdiözese wohl auch eine wichtige Identifikationsfigur für die Pfarrer. Was mir jedoch fehlt, ist eine Gesamtstrategie, die z. B. darauf achtet, dass im Gesamt der Dienststellenleitungen ein gewisser Frauenanteil gehalten wird.

euangel:

Ist es eigentlich so, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen (z. B. durch Mentoring-Programme)? Oder gibt es auch die Erfahrung, dass Frauen anderen Frauen eine solche Aufgabe neiden?

Prüller-Jagenteufel:

Die Erfahrung der Unterstützung hat für mich überwogen. Aber es gab Situationen, in denen ich den Eindruck hatte, dass mich andere Frauen als Konkurrentin sehen, wohl vor allem, weil ich einen relativ direkten Zugang zum Kardinal hatte. Vielleicht ist das ein typischer Mechanis­mus der ersten Frauen, die in Männerdomänen vorstoßen. Das führt schon auch zu Konkurrenzen von Frauen, die um die Aufmerksamkeit des „Herrn“ buhlen. Mir hat wirklich viel geholfen, dass ich durch meine Beschäftigung mit feministischer Theorie Deutungsmuster im Kopf hatte für das, was ich erlebe.

euangel:

Stichwort Karriere: Für viele Männer bedeutet Karriere vermutlich hauptsächlich linearer Aufstieg in der betrieblichen Hierarchie. Sie selbst sind jetzt – „hierarchisch“ gesehen – wieder zwei Schritte zur Referentin zurückgegangen. Begreifen Frauen „Karriere“ anders als Männer?

Prüller-Jagenteufel:

Wahrscheinlich hat das mit der weiblichen Sozialisation zu tun. Frauen sagen vielleicht früher als Männer: „Was ist mir der Aufstieg wert und was ist er mir nicht wert?“ Womöglich erachten Frauen tendenziell andere Dinge im Leben für wichtiger, als unbedingt die nächste Stufe der Hierarchie zu erklimmen. Ich kenne aber im NGO-Bereich (NGO = Non-Governmental Organisation; die Red.) eine ganze Reihe Männer, die Spitzenpositionen in der Wirtschaft hatten und sich sagten: „Ich möchte etwas Sinnvolleres im Leben tun und das auch für durchaus wesentlich weniger Geld.“ Das gibt es also auch bei Männern. Vielleicht spüren das Frauen früher. Ich hatte nach einer gewissen Zeit das Gefühl, dass es einfach sehr anstrengend war, in dieser Managementfunktion für das innere Funktionieren der Institution mitzusorgen. Die Institu­tion ist schwerfällig und behäbig, und da kommt dann schon mal die Frage auf: Lohnt es sich, die Lebenszeit hier zu investieren? Ich habe meine Arbeit bewusst auch spirituell als Dienst gesehen. Irgendwann war dann die Klarheit da: Jetzt habe ich meinen Part geleistet, habe gegeben, was ich zu geben hatte.

euangel:

Sie sprechen Widerstände und Grenzen an. Wo sehen Sie die genau?

Prüller-Jagenteufel:

In dieser diözesanen Kurie gab es gute Allianzen, es gab aber auch gegenseitiges Belauern und Intrigen. Es gab verschiedene „Machtba­sen“, die miteinander in Konkurrenz standen. Zum Teil auch Wider­stände gegen den Diözesanen Entwicklungsprozess, der sich natürlich auch auf die ganze diözesane Kurie ausgewirkt hat. Da gab es dann Machtverschiebungen in der Diözese, mal hin, mal wieder zurück. Das war oft mühsam und ich hätte mir mehr offene Kommunikation ge­wünscht. In gewisser Hinsicht funktioniert ja so ein Bischofshof immer noch wie ein barocker Fürstenhof samt Gerangel um Einfluss, infor­melle Machtspiele etc. – vielleicht in Wien besonders? (schmunzelt)

euangel:

Hatten die Widerstände gegen die Veränderungsdynamik auch etwas mit den Frauen in der Prozessleitung zu tun?

Prüller-Jagenteufel:

Ich denke, dass sich das Gewicht auf der diözesanen Waage zu Anfang des Prozesses zu denen hin verschob, die den Prozess stark vorantrieben und auch beim Erzbischof Einfluss hatten – und zu dieser Gruppe ge­hörten eben auch ein paar Frauen. Als die ganz heißen Phasen der Ver­änderung vorbei waren, hat sich alles wieder ein Stück in die alten Bah­nen zurückbewegt. Insgesamt hatte ich als Frau bzw. Laiin im klerikalen System stellenweise den Eindruck: Das saugt eine ganz schön aus. Das hat auch mit der symbolischen Ordnung zu tun. Ich brauche nicht unbe­dingt eine Bestätigung meiner Bedeutsamkeit. Aber während bei jedem größeren diözesanen Ereignis alle anderen Mitglieder des Bischofsrats mit dem Kardinal am Altar standen, bin ich halt irgendwo in der Bank gesessen. Das klingt so, als sei ich unbescheiden oder unzufrieden – darum geht es aber gar nicht. Es geht um die Frage, wie sich auch auf der symbolischen Ebene Repräsentationen von Positionen, von Macht und Einfluss darstellen. Das ist ja auch etwas, was in Widerständen Halt gibt.

euangel:

Sehen Sie das als ein Spezifikum in der Kirche?

Prüller-Jagenteufel:

Nicht nur, aber da ist viel speziell Kirchliches dabei. Kleriker haben ein­fach andere Möglichkeiten. Der Generalvikar kommt in der Diözese her­um, allein, weil er firmt und hin und wieder im Gottesdienst aushilft. Er hat eben immer eine bestimmte Rolle, wenn er in eine Pfarre kommt. Wenn ich in eine Pfarre kam, dann hatte meine Rolle nie diese hohe symbolische Repräsentation, die der Priester in der Liturgie hat. Das ist, glaube ich, eine Grenze, die zu beachten ist. Und diese Grenze wird auch dann noch bestehen, wenn zukünftig mehr Frauen in Leitungsfunktio­nen kommen, für die es nicht unbedingt einen Kleriker braucht. Solange Frauen tatsächlich nicht auf der Ebene der symbolischen Repräsentanz von Einfluss sichtbar gemacht werden, werden ihre Rollen immer zweitrangig bleiben.

Solange das so ist, bleibt es für Frauen, die in einer Diözese Posten mit höherer Verantwortung übernehmen, entscheidend, den festen Rück­halt vom Bischof zu haben. Ein gutes menschliches und sachliches Ein­­vernehmen ist hier sehr wichtig. Frauen sind in diesem System sehr verletzlich; ohne den Schutz des Bischofs haben sie es schwer. Wie gesagt: Kirche und speziell eine diözesane Kurie tickt ja noch vielfach in einem feudalen Modus, in dem die Nähe zum „Feudalherrn“, sprich zum Bischof, die wichtigste „Währung“ ist – und da geht es vor allem um direkten Draht, häufigen Kontakt etc. und nicht bloß um formale Nähe durch Stellung oder Gremienzugehörigkeit. Frauen haben im kirchlich-höfischen Spiel oft keine anderen Machtbasen als diese Nähe zum „Chef“, sie sind nicht Teil der klerikalen Seilschaften und eben als Fremdkörper im System stärker ausgesetzt. Daher sind sie auf den bischöflichen Rückhalt besonders angewiesen.

euangel:

Ist die Leitung in der Pastoralfunktion als „weiche“ womöglich eine bevorzugte Domäne für Frauen zum „Ausprobieren“?

Prüller-Jagenteufel:

Dass mehr Frauen nun Leitung von Seelsorgeämtern haben (sollen), ist aber auch eine ambivalente Geschichte. Auf der einen Seite verstehe ich die Bischöfe. Diese Positionen können sie relativ „einfach“ mit Frauen besetzen und sie dann auch in die Beratungsgremien hereinholen. Die Pastoralamtsleitungen haben dort eigentlich in fast allen Diözesen einen Sitz und gehören damit zum engeren Beraterkreis des Bischofs. Es ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen, dass zurzeit – zumin­dest nach meiner Wahrnehmung – die Pastoral in ihrer Bedeutung in den Diözesen eher wieder sinkt. Das ist ja auch eine gesamtgesellschaft­liche Erfahrung, dass Frauen in solchen Bereichen mehr Einfluss erhal­ten, die ihre Reputation in der Gesellschaft verlieren. Der Lehrberuf ist ein klassisches Beispiel. Der Lehrer im Dorf war eine hochangesehene Person. Seit ein paar Jahrzehnten kommen immer mehr Frauen in den Lehrberuf und das gesellschaftliche Ansehen der Schule ist gesunken. Ob bei solchen Berufen das Ansehen deswegen sinkt, weil da mehr Frauen reinkommen, oder ob umgekehrt mehr Frauen dort Zugang erhalten, weil die Männer das nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, ist nicht ganz klar. Es ist sicher eine komplexe Wechselwirkung. Aber ich finde, wir müssen aufpassen, dass zurzeit mit den Pastoralämtern und mit der Pastoral in den Diözesen nicht etwas Ähnliches passiert.

Für mich spricht vieles für die These, dass in der zunehmend prekären Lage der Kirche die Kirchenleitungen davon ausgehen, dass die Pastoral, die ja fast überall inzwischen neu strukturiert ist, schon irgendwie wei­terläuft, und zugleich all diejenigen, die Ressourcenentscheidungen treffen können (Geld, Immobilien, Personal etc.), stärkere Macht in den Diözesen bekommen. In diesen Bereichen würde ich auch gerne mehr Frauen sehen. In Deutschland habe ich wahrgenommen, dass es tenden­ziell eher die kleineren, unbedeutenderen und finanzschwächeren Diö­zesen waren, die zuerst Frauen als Seelsorgeamtsleiterinnen installier­ten. So bleibt der „Vormarsch“ von Frauen in die Pastoralämter ambi­valent: ein Eingangstor und eine Gelegenheit für Frauen, sich zu bewäh­ren. Sie können zeigen, wie wichtig es ist, Verantwortung in Vielfalt wahrzunehmen, und sie können die Erfahrung vermitteln, dass die Vielfalt insgesamt befruchtend ist und guttut. Zugleich sind es die weniger gewichtigen Bereiche, die ihnen überlassen werden, bzw. ist der steigende Frauenanteil eben oft gekoppelt mit sinkendem Einfluss.

euangel:

Sie sagen, sie hätten gern mehr Frauen im Finanz- und Personalbereich: Können Sie sich vorstellen, dass eine Frau als Personalleiterin eines katholischen Bistums Priester versetzt?

Prüller-Jagenteufel:

Wenn sich die Kirche gut weiterentwickelt, dann wird das vielleicht ein­mal keine Frage mehr sein. Es gibt ja schon Bereiche, wo Frauen auch für Priester Dienstvorgesetzte sind, etwa in der Krankenhausseelsorge. Als ich in der Erzdiözese Wien vor zehn Jahren angefangen habe, wurde das gerade geklärt: Priester waren nicht mehr selbstverständlich die Leiter eines Teams; dass sie sich einer Leitung unterordnen, dass mit ihnen Mitarbeitergespräche geführt und Zielvereinbarungen getroffen werden etc., war durchaus gewöhnungsbedürftig. Dazu wurde dann ein Extrapassus ins Priesterdienstrecht aufgenommen. Auslöser waren, wenn ich mich recht erinnere, Konflikte in einem Team mit weiblicher Leitung.

euangel:

Das erklärte Ziel der deutschen Bischöfe ist es, 30 % Frauen in Füh­rungspositionen zu haben. Manche unterstellen den Bischöfen das Kalkül, dass der Druck in der Kirche, Frauen zu ordinieren, möglicher­weise nicht mehr so groß wäre, würden Frauen tatsächlich einen größeren Anteil an Einfluss durch Führungspositionen haben.

Prüller-Jagenteufel:

Unter Umständen ist das bei manchen ein bewusstes oder unbewusstes Motiv. Ich glaube allerdings, dass das nicht so funktionieren wird. Wenn tatsächlich mehr Frauen in Leitungspositionen wären – und 30 % ist schon was! –, dann, vermute ich, würde sich auch das Bewusstsein verändern und die Frage nach einem Anteil am kirchlichen Amt eher noch einmal deutlicher auftreten.

Wichtig scheint mir, nicht nur formal 30 % als Ziel zu formulieren, sondern zu schauen, wo wirklich die Entscheidungen in einer Diözese fallen. Wenn in bestimmten Gremien ein Drittel Frauen sitzt, die eigentlichen Entscheidungen aber woanders getroffen werden, dann verändert sich nicht viel. Wenn man Veränderung will, kann man durchaus kreativ sein, um Frauen zu beteiligen. Papst Franziskus hat sich neun Kardinäle gesucht. Er hätte auch zu ihnen sagen können: „Und jeder bringt eine Frau mit (und möglichst eine mit machtkriti­schem Bewusstsein)! Und dann diskutieren wir ein Stück anders.“

euangel:

Es ist eine Erfahrung, dass in Runden, in denen Frauen dabei sind, tatsächlich anders diskutiert und miteinander umgegangen wird. Meinen Sie, dass sich dadurch langfristig Mentalitäten verändern werden? Oder ist die Beteiligung von Frauen eher ein Alibi?

Prüller-Jagenteufel:

Im Kreis der Dienststellenleitungen waren es in der Erzdiözese Wien immer wieder die Frauen, die Transparenz und Rechtmäßigkeit einge­fordert haben: dass etwas nicht willkürlich passiert, sondern die Dinge nach Regeln gehen. Man sagt uns Frauen ja gerne nach, wir würden auf die Beziehungsebene und auf den Einzelfall gehen usw. Ich habe in der Diözese eher erlebt, dass wir leitenden Frauen dafür argumentiert ha­ben: „Es braucht Regeln und klare Strukturen, wir wollen die Dinge festgeschrieben haben.“ Da geht es um Rechtssicherheit. Wer nicht zur Dominanzkultur gehört – und die ist in der Kirche männlich-klerikal –, hat offenbar mehr Gespür dafür, wie wichtig verbriefte Rechte sind oder einklagbare Konsequenzen etc. Die feudalen Entscheidungsformen haben die Stärke, dass in ihnen viel Personalität enthalten ist, aber eben die Schwäche, dass man sich darauf nicht verlassen kann. Die Gunst der Oberen kann sich wieder verändern.

Im Zuge der Neuordnung der Pfarren in der Erzdiözese Wien gab es viel Vorsicht, nicht zu rigide und zu sehr nach Kennzahlen vorzugehen. Ich habe dennoch stark dafür plädiert, Pläne und klare Perspektiven zu ent­wickeln und sich daran zu halten. Es war wichtig, Sicherheit zu geben. Wenn in einem bestimmten Fall dennoch anders entschieden wurde, als in der Regel vorgesehen, musste klargemacht werden können, warum. So etwas sollte, soweit als möglich, plausibel sein und nachvollziehbar erklärt werden können. Denn ohne Transparenz wird Partizipation unmöglich.

euangel:

Ist das die große Stärke von Frauen, dies in Systemen einzubringen oder einzufordern?

Prüller-Jagenteufel:

Ob das immer so ist, weiß ich nicht. In meiner Erfahrung war das ein starkes Anliegen von Frauen – aber nur von einigen Männern. Mir war es jedenfalls immer ganz wichtig, dass die Vorgänge möglichst durch­sichtig sind. Ich hatte und habe die Vision: Dann wird es angstfreier, weil verlässlicher. Wo Nebel ist, weiß man erst spät, ob derjenige, der entgegenkommt, Freund oder Feind ist, und muss sich nach allen Richtungen absichern. Wo sich die Nebel lichten, können wir uns gemeinsam leichter bewegen.

euangel:

In Deutschland hat es erst 1919 das Wahlrecht für Frauen gegeben. In den Vorständen der DAX-Unternehmen gibt es wahrscheinlich keine 30 % Frauen. Am Equal-Pay-Day wird jedes Jahr rituell begangen, dass Frauen für dieselbe Leistung in der Regel immer noch weniger verdie­nen als Männer. Könnte man im Blick auf eine Gesellschaft, die in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit auch noch nicht ganz so weit ist, sagen, dass die katholische Kirche – so seltsam das klingen mag – in dieser Frage so etwas wie ein Trendsetter oder ein Katalysator sein kann?

Prüller-Jagenteufel:

Ich denke schon, dass es bemerkt würde, wenn Kirche da tatsächlich Fortschritte macht, wenn das mit den 30% tatsächlich so durchgesetzt und erreicht wird. Ich glaube nur, dass das wenig bewirken wird, auch in der öffentlichen Wahrnehmung von Kirche, wenn es immer noch den „Schönheitsfehler“ hat, dass die wirklich entscheidungskräftigen und symbolstarken Posten mit Klerikern zu besetzen sind und dafür daher nur Männer genommen werden. So lange Leitungsmacht im Sinne der Verantwortung für das Ganze einer Diözese per definitionem an Männer gebunden ist, können wir uns als Kirche nicht anmaßen, in Sachen Gleichstellung von Männern und Frauen gesellschaftliche Vorreiter sein zu wollen.

euangel:

Herzlichen Dank für dieses offene Gespräch.

Die Fragen stellte Hubertus Schönemann.