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Lebensentwürfe jenseits der Normen. Emanzipierte Christinnen

Regina Heyder wirft einen Blick in die Historie und zeigt anhand von Beispie­len von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert, wie Frauen, denen heute „emanzipierte“ Lebensentwürfe zugeschrieben werden können, nach seriöser Quellenlage selbstwirksam die eigene Frauenrolle gestaltet haben.

Gleichberechtigung und Emanzipation von Frauen – in der katholischen Welt waren diese Ideen lange verpönt, standen gar unter Sozialismus­verdacht. Die entscheidende lehramtliche Wende sollte erst in den 1960er Jahren erfolgen: Die Menschenrechts- und Friedensenzyklika Pacem in terris (1963) von Papst Johannes XXIII. hielt einerseits gegen die bisherige katholische Überzeugung von der sogenannten „Ehehier­archie“ fest, dass Mann und Frau in Ehe und Familie „gleiche Rechte und Pflichten“ haben, und bestätigte andererseits das Menschenrecht auf eine „freie Wahl des Lebensstandes“. Darüber hinaus würdigte die Enzyklika die Frauenemanzipation in Privatleben und Öffentlichkeit als ein „Zeichen der Zeit“, wobei sie dem Christentum selbst ein emanzipa­torisches Potential bescheinigte: Die zunehmende Teilnahme von Frau­en am öffentlichen Leben geschehe „vielleicht rascher“ bei den christ­lichen Völkern als bei anderen. Während lehramtliche Texte heute gerne die „gleiche Würde“ von Frauen unterstreichen, ohne daraus konkrete Rechte abzuleiten, entfaltete die Enzyklika eine umgekehrte Argumen­tationslinie: Menschen haben nicht nur Rechte, sondern „zugleich auch die Pflicht, diese Rechte als Zeichen ihrer Würde einzufordern“ (Pacem in terris, Nr. 9.22.24).

Mit diesem kursorischen Blick auf Pacem in terris sind wichtige Stich­worte des folgenden Beitrags genannt: Die Emanzipation von Frauen war im Christentum über Jahrhunderte hinweg eine Frage des Lebens­standes. Auch wenn für Eheschließung und Ehe bereits im Frühmittel­alter „ein Gesetz für Männer und Frauen“ galt, so war doch der Mann in religiöser Perspektive das „Haupt der Frau“. Meist waren es deshalb ehe­los lebende Frauen, also Witwen und Jungfrauen, Nonnen und Or­dens­frauen, die emanzipatorische – und bis heute in Quellen greif­bare – Lebensentwürfe realisierten. Der folgende Beitrag blickt deshalb auf Christinnen von der Spätantike bis zum 20. Jahrhundert, denen wir heute „emanzipierte“ Lebensentwürfe zuschreiben – also Lebensent­würfe, die von den Frauen jenseits klassischer Geschlechterordnungen und role models selbstwirksam konzipiert und verwirklicht wurden und zu einer größeren Autonomie führten. Entscheidende Faktoren für Lebensentwürfe jenseits der Normen sind dabei durchgängig der soziale Status, die ökonomischen Ressourcen und die Bildung dieser Frauen.

Das Geschlecht überwinden – Christinnen in Antike und Spätantike

Zum Credo und zur Praxis der frühen Gemeinden gehörte es, ethni­schen, sozialen und auch geschlechtsbezogenen Differenzen keine oder nur eine geringe Relevanz zuzusprechen. Dies bezeugen die „Tauffor­meln“ in Gal 3,26–28, 1 Kor 12,13 und Kol 3,9b–11. Diese egalitäre Zu­gehörigkeit zu den Gemeinden bezeugt beispielsweise auch der kaiser­liche Beamte Plinius der Jüngere zu Beginn des 2. Jahrhunderts in seinem Brief an Kaiser Trajan: Anhänger*innen dieses „Aberglaubens“ (also des Christentums) in der Provinz Bithynien und Pontus seien Men­­schen jeglichen Alters und Standes, beiderlei Geschlechts, sowohl in den Städten wie auf dem Land. Zwei Sklavinnen seien „ministrae“, was wohl mit Diakoninnen zu übersetzen ist. Ganz offenkundig hob der dem Christentum keineswegs wohlgesonnene Plinius diese Praxis der Ge­mein­den hervor, weil sie den üblichen gesellschaftlichen Erwartungen an eine soziale Differenzierung widersprach (Plinius der Jüngere, Briefe 10.96; vgl. Grieser 2020).

Zum Credo und zur Praxis der frühen Gemeinden gehörte es jedoch ebenso, Frauen eine inferiore Stellung zuzuweisen. Und auch dafür finden sich neutestamentliche Belege, etwa die klassischen Bibelstellen 1 Kor 11,2–16, 1 Kor 14,33b–35 oder 1 Tim 2,12, die für Frauen die Un­terordnung in Ehe und Gemeinde empfehlen.

Die neutestamentlichen Normierungen bleiben damit ambivalent. Neu­testamentliche Zeugnisse über die Praxis in den ersten christlichen Ge­meinden bestätigen eine weitgehende Partizipation von Frauen, die diakonisch (Phoebe, Röm 16,1), missionarisch (Prisca gemeinsam mit ihrem Ehemann Aquila, Röm 16,3f und Junia, Röm 16,7) oder als Ge­meindeleiterinnen (Nympha, Kol 4,15) wirken. Es entspricht gleich­zeitig der Natur historischer Überlieferungen, dass wir kaum über jene Christinnen informiert sind, die den antiken Normierungen entspra­­chen. Die in diesem Beitrag gewürdigten Biografien von Frauen blieben die Ausnahme, nicht die Regel.

Das Geschlecht „überwinden“

Auch wenn nach der Taufformel in Gal 3,28 „nicht mehr männlich und weiblich“ gelten sollte, blieb Geschlecht im (spät-)antiken Christentum eine wichtige Kategorie – besonders dann, wenn es sich um Frauen han­delte. Einzelne Christinnen wurden dafür gepriesen, das Geschlecht – also ihr Geschlecht als Frauen – zu überwinden. So galt das Verhalten von Christinnen, die in den ersten Jahrhunderten das Martyrium erlit­ten, als „manngleich“ (Grieser 2020, 32).

Nach dem Kirchenlehrer Hieronymus (347–420) überwanden Frauen ihr Geschlecht durch das Bibelstudium: „Wenn Männer Fragen zur Schrift stellen würden, dann würde ich nicht zu Frauen sprechen. Wenn Barak bereit gewesen wäre, zur Schlacht zu gehen, dann hätte nicht Debora über die besiegten Feinde triumphiert.“ Mit diesem Beispiel verteidigte sich Hieronymus gegen den Vorwurf, Geschlechterordnungen nicht zu respektieren. Konkreter Anlass war die exegetische Kooperation des Theologen mit verschiedenen römischen Aristokratinnen, die als Wit­wen oder Jungfrauen ein asketisches Leben in Rom begonnen hatten. Unter ihnen nahm die Witwe Marcella (325–410) eine besondere Stel­lung ein, da sie Hieronymus gegenüber stets eine eigenständige Intel­lektuelle blieb. Hieronymus warf ihr vor, in ihren Briefen nur das zu schreiben, „was mich quält und mich zwingt, die Schriften [d. h. die Bibel] zu lesen“. Ihre Fragen waren durchaus subversiv – „während du fragst, lehrst du“, klagt Hieronymus. Im Prolog seines Galaterbrief­kommentars stilisiert Hieronymus die römische Aristokratin Marcella zum exemplum des Schriftstudiums: Sie habe ihn in Rom stets über die Schriften befragt, sich jedoch weder seiner noch anderen Autoritäten unterworfen und alle Antworten scharfsinnig überprüft, so dass Hiero­nymus „empfand, nicht so sehr eine Schülerin zu haben, als vielmehr eine Richterin“. Damit sprengte Marcella definitiv Rollenzuschreibun­gen: „Ihre Leidenschaft, ihr Glaube […] überwindet das Geschlecht“, schreibt Hieronymus an derselben Stelle.

Die Fragen und Urteile Marcellas haben mit Sicherheit die Exegese des Kirchenvaters geprägt. Zwei Jahre nach ihrem Tod verfasste Hierony­mus einen Nekrolog, in dem er nochmals ihre theologischen Verdienste würdigte. In ihm sind die Akzente deutlich anders gesetzt: Erst nach der gemeinsamen römischen Zeit wurde sie zur „Richterin“, und zwar nicht für Hieronymus selbst, sondern für andere, die über die Auslegung von Bibeltexten stritten. Diesem Nekrolog zufolge überwand Marcella nicht das Geschlecht, sondern fügte sich exakt in die ihr durch das weibliche Geschlecht auferlegten Grenzen: Wurde sie um ihr Urteil gebeten, dann bezeichnete sie ihre Antworten „nicht als ihre eigenen, sondern als mei­ne oder die eines anderen, so dass sie sich in dem, was sie sie lehrte, als Schülerin [!] bekannte. Sie kannte nämlich die Aussage des Apostels – ‚einer Frau erlaube ich nicht zu lehren‘ – damit nicht dem männlichen Geschlecht und bisweilen sogar den Priestern, die über Dunkles und Strittiges nachforschten, ein Unrecht zu geschehen schiene“ (vgl. Letsch-Brunner 1998, 16–22; 175–180; Heyder 2010, 93–163). Die Wider­sprüche zu bisherigen Charakterisierungen Marcellas sind ekla­tant. Nun soll sie sich als Exegetin Geschlechterordnungen so unter­worfen haben, dass aus der Richterin eine Schülerin wird; dass aus jener, die alle Autoritäten prüft, eine wird, die ihre Theologie anderen Autoritäten zuschreibt, um Männer bzw. Kleriker nicht zu düpieren. Vermutlich war dieser Verzicht auf ein Sprechen im eigenen Namen und eigener Autorität tatsächlich der Preis, den Marcella zahlen musste, um überhaupt ihre Stimme erheben zu können und gehört zu werden. Immerhin erfahren wir, dass sie unhinterfragt als „Hieronymus“ lehren konnte (vgl. Heyder 2020).

Allein von den Briefen des Hieronymus an Marcella, mit der er in seiner römischen Zeit fast täglich korrespondierte, sind 16 erhalten. Die zahl­reichen Hieronymusbriefe an Frauen wurden in den Frauenklöstern des Mittelalters intensiv rezipiert. Eine ausgesprochen gründliche Hieronymusleserin war Heloise, die als Priorin und Äbtissin einer Gemeinschaft von Nonnen vorstand. Ihr Ideal des Ordenslebens wäre ohne das Vorbild von Marcella und von weiteren Frauen aus dem Kreis um Hieronymus nicht denkbar.

Schriftstudium als Arbeit – die Adaption der Benediktsregel für das Kloster Paraklet

„Emanzipation“ stand nicht in allen Lebensphasen als Prädikat über dem Leben von Heloise (vor 1100–1164), deren Name untrennbar mit dem ihres Lehrers und Geliebten Abaelard (1079–1142) verbunden ist. Aus dem einstigen Liebespaar wurden nach dem Skandal um die Schwangerschaft von Heloise und die Kastration Abaelards nicht ganz freiwillig ein Mönch und Abt respektive eine Nonne, Klostergründerin und Äbtissin. Als Heloise, nun bereits Priorin, Ende der 1120er Jahre mit ihrer Gemeinschaft aus dem Kloster Argenteuil vertrieben wurde, weil die Mönche von St. Denis Besitzansprüche erhoben, nutzte sie die Chan­ce der Neugründung im Kloster Paraklet: Im Briefdiskurs mit Abaelard formte sie ein monastisches Leben, das die Benediktsregel für Nonnen adaptierte. Abaelards für den Paraklet ausgearbeitete Regel nahm wunschgemäß „auf die besonderen Erfordernisse der Frauen Rück­sicht“. Dass die Nonnen unter Heloise diese Abaelardsche Regel nicht befolgten, galt lange als Indiz gegen die Echtheit des Briefwechsels, kann jedoch ebenso als Beleg für die emanzipierte Haltung einer Äbtis­sin gelesen werden, für die nicht Autorität, sondern Intellekt und die Bibel Maßstab des Ordenslebens waren. Dieses Programm einer „ver­stehenden Schriftlesung“ hatte Abaelard selbst den Nonnen ans Herz gelegt und dafür auch Vorbilder (exempla) der Spätantike empfohlen:

Paula und ihre Tochter Eustochium, jene Schülerinnen des Kirchen­vaters Hieronymus, die von ihm keine Diskussionen, sondern Beleh­rungen erwarteten und ihm in den Orient folgten, um dort die Klos­tergründungen zu finanzieren und zu leiten. Auf deren Bitten hin habe der Kirchenlehrer die gesamte Kirche mit zahlreichen Bibelkommen­taren erleuchtet. Selbstverständlich begriff sich Abaelard im Austausch mit Heloise als „zweiter Hieronymus“; selbstverständlich implizierten Paula und Eustochium als Vorbilder für ihn eine eindeutige Geschlech­terhierarchie.

Heloise reagierte auf dieses role model anders als erwartet: Sie forderte von Abaelard tatsächlich die Exegese schwieriger Bibelstellen, berief sich dabei jedoch auf ein anderes exemplum aus dem Kreis um Hierony­mus, nämlich auf die römische Aristokratin Marcella. Und wir ahnen, weshalb: Marcella war, wie oben dargestellt, Hieronymus gegenüber immer eigenständig und kritisch geblieben. So sah es wohl auch Abaelard, der die wichtigste Hieronymusschülerin in seinem œuvre auffällig lange verschwieg.

Weshalb nun bezog sich Heloise in legitimierender Absicht auf Marcella? Als Äbtissin hatte sie das wissenschaftliche Bibelstudium im Paraklet zu einem zentralen Bestandteil des Klosteralltags gemacht; zumindest eine Gruppe von Nonnen übte es anstelle der traditionellen Handarbeit als „Arbeit“ im Sinne der Benediktsregel aus. Heloise konnte sich dabei sogar auf eigene Griechisch- und Hebräischkenntnisse stüt­zen, über deren Umfang wir allerdings nichts wissen. Als Äbtissin wollte sie das Studium dieser Sprachen auch in der Gemeinschaft des Paraklet forcieren. Dies alles konnte sie mit dem exemplum einer Marcella be­gründen. Die intellektuell durchdrungene Schrift sollte nicht nur das Ethos des klösterlichen Lebenswandels bestimmen, sondern auch eine authentische Feier der Liturgie ermöglichen. Abaelard unterstützte Heloise bei diesem Programm mit einem letzten, traktatähnlichen Brief an die Nonnen über die Bedeutung der biblischen Sprachen. Darin be­kräftigte er einerseits die Autorität der Äbtissin Heloise und verabschie­dete sich andererseits von seiner Rolle als Lehrer der Nonnen: Das Spra­chenstudium sei vor allem deshalb notwendig, „damit es niemals nötig wird, für das Lernen Männer heranzuziehen“ (Abaelard, Brief 9; vgl. Heyder 2010, 146).

Die Emanzipationsgeschichte von Heloise begann mit einer stupenden Bildung, die sie schon als junge Frau erworben hatte und die es ihr spä­ter erlauben sollte, so berühmten Zeitgenossen wie Bernhard von Clair­vaux (1090–1153) und Petrus Venerabilis (1092/94–1156) auf Augen­höhe zu begegnen. In der Ausgestaltung des Klosteralltags im neu­ge­gründeten Paraklet zeigte sie mehrfach ihre intellektuelle Auto­no­mie – gegenüber der nach ihrem Urteil für Frauen ungeeigneten Benedikts­regel ebenso wie gegenüber der eigens für den Paraklet kon­zipierten Abaelardschen Regel. Immer mehr konzentrierte sie sich auf die Schrift als Maßstab eines gelingenden Klosterlebens, wozu auch ein „wissen­schaftliches“ Studium des Bibeltextes gehörte. Der Rekurs auf weibliche Vorbilder wie Marcella oder Paula und Eustochium diente der Ermuti­gung und Legitimation zugleich (vgl. Heyder 2019). Mit ihrem emanzi­pa­torischen Interesse an der Bibel gehört Heloise zu unzähligen Frauen, die über die Jahrhunderte hinweg die Bibel eigenständig lasen, medi­tier­ten oder visionär deuteten, sich um eine philologische Text­kritik bemühten und die Bibeltexte für sich selbst und andere auslegten (vgl. die von Irmtraud Fischer u. a. verantwortete exegetisch-kultur­ge­schicht­liche Enzyklopädie „Die Bibel und die Frauen“ 2010ff.).

Unter den Kloster- und Ordensgründerinnen nimmt Heloise einen eher marginalen Platz ein: Das Kloster Paraklet und seine fünf Tochtergrün­dungen bestanden bis zur französischen Revolution. Während Heloise, ausgehend von der Regel Benedikts, eine andere, erfüllbare Regel für Frauen forderte, suchten andere Protagonistinnen die gleichen, neu entstehenden Formen des Ordens- und Gemeinschaftslebens von Männern zu übernehmen. Meist mussten die Protagonistinnen um kirchliche Anerkennung kämpfen; selten konnten sie das Ordensleben frei von Restriktionen und persönlichen Diskriminierungen ausgestal­ten. Klara von Assisi (1193/1194–1253) erhielt die Anerkennung ihrer Regel wegen des radikalen franziskanischen Armutsideals erst auf ihrem Sterbebett. Für Mary Ward (1585–1645), die nach dem Vorbild der Je­suiten im belgischen Saint-Omer eine Frauengemeinschaft mit dem Ziel der Mädchenbildung und Seelsorge gegründet hatte, gehörte die Ab­wehr von misogynen Geschlechterkonzepten und klerikalen Dis­kri­mi­nie­rungen zur Tagesordnung. Konkreter Anlass für Mary Wards berühm­te Frauenrede von 1617 waren abfällige Bemerkungen eines Jesuiten über die junge und erfolgreiche Gemeinschaft, deren Feuer bald vergehen werde, da sie „schließlich nur Frauen“ seien. Mary Wards Antwort: „Es gibt keinen solchen Unterschied zwischen Männern und Frauen, dass Frauen nichts Großes vollbringen können, wie wir am Beispiel von vielen Heiligen gesehen haben.“

Mary Ward wurde wegen Häresieverdachts für einige Wochen von der Inquisition inhaftiert, ihre Gemeinschaft aufgehoben. Nicht zufällig waren die Streitpunkte, dass Mary Ward für ihre Gründung keine Klau­sur, sondern ein öffentliches Wirken vorgesehen hatte und sich die Mit­glieder des Instituts den traditionellen Geschlechterkonzepten, wie sie auch für Ordensfrauen galten, nicht unterordneten. Papst Urban VIII. (1568–1644) fasste dies 1631 in seiner Aufhebungsbulle der Ge­mein­schaft so zusammen: „Den Gesetzen der Klausur nicht unterworfen, streunen sie unter dem Anschein der Förderung des Seelenheils nach Belieben herum, und sie haben die Gewohnheit, auch sehr viele andere Tätigkeiten auszuprobieren und auszuüben, die dem schwachen Ge­schlecht und Naturell und der weiblichen Bescheidenheit und beson­ders der jungfräulichen Schamhaftigkeit sehr wenig geziemen.“ (Übersetzung: Jung 2009, 169).

Die wechselvolle Geschichte um die Anerkennung der Gemeinschaft Mary Wards, die sich heute Congregatio Jesu nennt, wirkte sich schließ­lich sogar auf die historische Überlieferung aus: Noch 1868 ließ der Pas­sauer Bischof in der Altöttinger Niederlassung der Schwestern Origi­nal­briefe und -dokumente Mary Wards in erheblichem Umfang verbren­nen. Mit dieser Aufgabe wurde bewusst eine des Englischen kundige Novizin betraut: Sie sollte wissen, was sie im Gehorsam tat (vgl. Dirmeier 2007, 2). Erst 1909 erlaubte Pius X. der Gemeinschaft, Mary Ward als ihre Gründerin zu bezeichnen!

Vom Frauenkongregationsfrühling bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil

Marcella, Heloise und Mary Ward waren zweifellos exzeptionelle Frau­en der Christentumsgeschichte. Sie verbindet nicht zuletzt eine privile­gierte Herkunft, eine stupende Bildung und ein zölibatärer Lebensent­wurf jenseits gesellschaftlicher und kirchlicher Normen: Marcella ver­sagte sich einer erwarteten zweiten Ehe nach dem frühen Tod ihres Mannes, Heloise lehnte trotz ihrer Schwangerschaft eine Eheschließung mit Abaelard ab, und auch Mary Ward versagte sich der Heirat mit einem führenden Katholiken Englands. Bildung gehörte bei allen drei Frauen zur conditio sine qua non für ihre außergewöhnlichen Lebensleis­tungen und sie selbst setzten sich in ihren jeweiligen Kontexten dezi­diert für Mädchen- und Frauenbildung ein: Marcella in der Klosterge­meinschaft des Aventin; Heloise, indem sie dem Studium der biblischen Sprachen und der Schrift in ihrem Kloster eine so wichtige Stellung ein­räumte; Mary Ward, die sich mit ihren Gefährtinnen der Mädchenbil­dung verschrieb. Diese Bildungschancen, die lange nur einer kleinen Gruppe von Mädchen und Frauen zuteilwurden, erhielten im 19. Jahr­hundert im sogenannten Frauenkongregationsfrühling eine breitere Basis. Zahlreiche neu gegründete katholische Kongregationen und pro­testantische Diakonissenanstalten widmeten sich nun der Erziehung und dem Unterricht, der sozialen Arbeit und der Krankenpflege. Die zunehmende Professionalisierung dieser Tätigkeitsfelder wurde von den Ordensschwestern selbst gefördert oder zumindest verlangt. Die Ge­schichtsschreibung hat diese neue Sichtbarkeit der Ordensfrauen und Diakonissen im öffentlichen Raum als „Feminisierung“ der Religion, des Protestantismus wie des Katholizismus, interpretiert. Nicht mehr allein Männer repräsentierten die Konfessionen. Insbesondere im Katholizis­mus konnten die berufstätigen Ordensfrauen als Vorbilder für andere Frauen dienen. So war etwa in katholischen Gebieten Deutschlands die Lehrerinnenquote signifikant höher als in protestantischen Gegenden. In einer Zeit des verpflichtenden Beamtinnenzölibats hing dies eng mit der größeren Wertschätzung der Katholikinnen für zölibatäre Lebens­formen zusammen, während für die Protestantinnen der „holy house­hold“ (Lyndal Roper) weiterhin das Ideal darstellte.

Katholikinnen und Protestantinnen ergriffen im 19. und 20. Jahrhun­dert die je neuen Chancen, die sich durch gesellschaftliche Entwicklun­gen boten. Sie gründeten konfessionelle Frauenverbände als Pendant zu den Vereinen der Allgemeinen Frauenbewegung; sie nutzten unmittel­bar nach der Erlangung des aktiven und des passiven Wahlrechts 1918/1919 die Möglichkeiten politischer Partizipation. Erst zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils engagierten sie sich auch verstärkt kir­chenpolitisch – durch Konzilseingaben, durch die ihre Arbeit als Laien­auditorinnen, durch networking im Umfeld des Konzils oder Öffent­lichkeitsarbeit (vgl. Heyder/‌Muschiol 2018). Die oben erwähnte Enzy­klika Pacem in terris schien ihnen der Ausgangspunkt für eine „Gleich­berechtigung mit dem Mann im Laienstand“, wie es die Theologin Elisabeth Gössmann formulierte (Gössmann/Pelke 1968, 20). Auch die Konzilstexte selbst berech­tigten zu Hoffnungen, indem sie die Relevanz gesellschaftlicher Ent­wicklungen für die Partizipation von Frauen in der Kirche betonten: „Da heute die Frauen eine immer aktivere Funktion im ganzen Leben der Gesellschaft ausüben, ist es von großer Wichtigkeit, dass sie auch an den verschiedenen Bereichen des Apostolates der Kirche wachsenden Anteil nehmen“, formuliert das Dekret Apostolicam actuositatem über das Laienapostolat (Nr. 9). Von den gesellschaftlichen Emanzipationspro­zessen, die in der Konzilszeit noch als „Zeichen der Zeit“ charakterisiert wurden, hat sich die kirchliche Entwicklung in­zwi­schen weitgehend abgekoppelt. Die Diskussion darüber, wie der ge­sell­schaftliche Status von Frauen auch ihre Partizipation in der Kirche bedingt, wird deshalb so schnell nicht verstummen.