Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
bereits im Vorfeld des II. Vatikanischen Konzils nannte Papst Johannes XXIII. die „Frauenfrage“ als eines von drei „Zeichen der Zeit“. Gut fünfzig Jahre später hat sich die Situation von Frauen gesellschaftlich und kirchlich zwar weiterentwickelt, einiges hat sich getan, die Zeiten sind andere geworden. Die Frage nach der vollen Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche weist aber weiterhin eine drängende Brisanz auf. Nicht von ungefähr konnte der Synodale Weg der Kirche in Deutschland nicht an dieser Thematik vorbeigehen. Das nachträglich installierte Gesprächsforum „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ soll zu einer grundsätzlichen Erneuerung der Kirche in Deutschland beitragen. Manche bezeichnen den Synodalen Weg jedenfalls als die letzte Chance, hier Vertrauen zurückzugewinnen.
Es wurde unserer Redaktion recht schnell klar, dass diese Ausgabe von euangel nicht nur isoliert Frauen und ihre Chancengleichheit in der Kirche in den Blick nehmen kann. Diese Thematik – das hat die Genderforschung in den vergangenen Jahren herausgearbeitet – ist vielmehr Teil der jeweiligen Perspektiven (Selbst- und Fremdbilder) von Geschlechtlichkeit in all ihren Aspekten: wie sie Menschen beeinflusst und wie Menschen – bezogen auf ihre geschlechtliche Disposition und Kultur in ihrem Miteinander und Zueinander – ihre Personalität und Identität verstehen und sich selbst entwerfen, in den Dialog gehen und selbst zu handelnden Akteur*innen werden.
Dabei ist entscheidend, die gesellschaftlichen Diskurse immer wieder an Theologie und kirchliche Pastoral zurückzubinden und umgekehrt. Im sozialen Umgang der Menschen miteinander zeigt sich eine große Vielfalt lebendiger Vorstellungen und gelebter Praktiken von Geschlecht. Im innerkirchlichen Diskurs zeigt sich die Thematik zuweilen ambivalent, konflikthaft und emotional aufgeladen. Kirchliches Handeln jedoch – gerade in der Pastoral – muss heute mehr denn je geschlechtersensibel sein, um einseitige Rollenfixierungen zu vermeiden. Und um das positiv wertzuschätzen und für die Verkündigung der frohen Botschaft „einzusetzen“, was an Möglichkeiten und Fähigkeiten zum performativen Zeugnis des Lebens und des Wortes in den Menschen angelegt und schon entwickelt ist und bislang noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und eingebracht werden konnte. Jeder Mensch hat seine/ihre eigene unverwechselbare und unvertretbare Verbindung mit Christus. Der konkrete Mensch in seiner Geschlechtlichkeit ist Geschöpf und Adressat der Erlösung durch Gott, dadurch gerufen und gesendet, Adressat und Subjekt der Verkündigung des Evangeliums zu sein. „Der Weg der Kirche ist der Mensch“ (vgl. Johannes Paul II., Redemptor hominis 14).
Zunächst bietet Theresia Heimerl Denkanstöße zu einer Theologie des Körpers, die im Unterschied zu einer Theologie des Leibes tatsächlich die Körperlichkeit in ihren Aspekten Vergänglichkeit, Begehren und Geschlechtlichkeit als theologischen Ort ernst nimmt. Im Interview lässt Veronika Prüller-Jagenteufel an den Erfahrungen teilhaben, die sie als Frau in der Leitung des Pastoralamtes der Erzdiözese Wien gemacht hat. Ute Leimgruber reflektiert über einen theologischen Feminismus als Grundlage für eine geschlechtersensible Forschung im Kontext der Pastoraltheologie. Hannah A. Schulz denkt darüber nach, ob bei spirituellem Machtmissbrauch besonders Frauen betroffen sind, zum einen, dass sie möglicherweise besonders anfällig sind, Opfer von entsprechender Gewalt zu werden, aber auch, dass sie selbst zu Täterinnen werden können.
Die Tatsache, dass der Diskurs über die Teilhabe von Frauen an Diensten und (ordinierten) Ämtern der Kirche offenkundig nicht unterdrückt werden kann, zeigt Margit Eckholt am Beispiel der Entwicklungen und Bewegungen der letzten Jahre in Deutschland und stellt die These auf, dass es in dem entsprechenden Forum des Synodalen Weges um nichts weniger geht als um die Zukunft der Kirche des Konzils, insofern nicht eine einfache Öffnung des Amtes für Frauen, sondern eine grundlegende Neugestaltung der Dienste und Ämter im Sinne einer weitgehenden Teilhabe des Gottesvolks ansteht.
Regina Heyder zeigt an ausgewählten Beispielen aus dem Mittelalter, der Frühen Neuzeit und dem 20. Jahrhundert auf, wie sich Frauen in unterschiedlichen Kontexten entwerfen und sich so in Gesellschaft und Kirche profiliert einbringen. In einem Beitrag über geschlechtersensible Gottesrede und Christologie fragt Aurica Jax, warum es denn ausgerechnet das Mann-Sein Jesu als solches sein sollte, was als besonderes, theologisch bestimmendes Merkmal der göttlichen Selbstoffenbarung und damit normativ für die Identität der christlichen Gemeinschaft – performativ durch ihre Ämterwirklichkeit dargestellt – gelten sollte. Schließlich befasst sich Miriam Leidinger mit queerer Lebenswirklichkeit und versucht, sie theologisch fruchtbar zu machen.
Margarete Strauss (Maria 1.0) schreibt über bestehende und noch weiter ausbaufähige Arbeitsfelder für haupt- und ehrenamtliche Frauen in den Gemeinden, betont aber die lehramtliche Sicht, dass Frauen keinen Zugang zum Weiheamt haben können. Demgegenüber stellt Maria Mesrian die Frage nach der Macht, die ans Weiheamt gebunden ist, und fordert sowohl ein neues, an Gerechtigkeit orientiertes Amts- und Sakramentsverständnis als auch die Gleichstellung der Geschlechter ein. Sie schildert Maria 2.0 und die internationale Vernetzung Catholic Women’s Council als Bewegung, diese Forderungen zu vertreten.
Dass sich derzeit nicht nur euangel, sondern parallel auch die dritte Ausgabe der Zeitschrift Lebendige Seelsorge diesem Themenkomplex widmet, macht die Aktualität und Brisanz dieser Fragestellung deutlich. Wir sind dankbar, dass in der Planung dieser Ausgabe die Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz in Person ihrer Leiterin, Frau Dr. Aurica Jax, und die KAMP kooperieren konnten.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.
Ihr/e