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Kongress „Taufbewusstsein und Leadership“

15. bis 17. Juni 2015 in Bochum

Mit den beiden Stichworten des Taufbewusstseins und der Führungs­kul­tur, so die Grundthese des Bochumer Kongresses, sind zwei Brenn­punkte eines elliptischen Kraftfeldes beschrieben, das Kirche heute aus­macht: partizipative Kirchenentwicklung. Menschen sind nicht mehr bereit, hinter heute selbstverständliche Ansprüche an Autonomie und Selbstleitung zurückzufallen, sie akzeptieren nicht mehr, nur eine Zu­schauerrolle in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen zugewiesen zu bekommen, sondern sie erwarten, Möglichkeiten zur Gestaltung und Artikulation, kurz: zur Partizipation zu erhalten. Theologisch korres­pon­­diert dem der Begriff der Taufe, durch die das Recht und die Beru­fung zur Teilhabe am Auftrag der Kirche, am gemeinsamen Priestertum vermittelt wird. Viele deutsche Diözesen entdecken derzeit das Po­ten­­zial der Begriffe ‚Taufwürde‘ und ‚Taufgnade‘ neu, inspiriert durch Entwicklungen im weltkirchlichen Kontext, und nutzen sie zur Förde­rung einer partizipativen Kirchenentwicklung. Ein zweiter Spannungs­pol in diesem Feld ist das Führungsverhalten, dessen entscheidende Bedeutung für Entwicklungsprozesse mehr und mehr deutlich wird. Aktuellste Aufgabe von Führung im kirchlichen Bereich ist es, die der­zeitigen Umbruchsprozesse zu moderieren. Die intelligente Organisa­tion, Motivation und Inspiration der Taufpartizipation spielt dabei eine entscheidende Rolle, wenn denn kirchliche Führung gerade Partizipa­tion ermöglichen und fördern soll.

Diese Grundidee lockte über 300 Teilnehmende zu der von der Katho­lisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, Crossing Over, dem Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP), missio und der KAMP gemeinsam getragenen Veranstaltung, die damit aus­gebucht war. Die Teilnehmenden stammten überwiegend aus der mitt­leren und unteren Leitungsebene der verschiedenen kirchlichen Organi­sa­tionen, aber auch aus der pastoralen Praxis vor Ort. Die Perspektive blieb dabei nicht auf den deutschsprachigen Kontext beschränkt, viel­mehr schuf der Kongress eine eindrucksvolle internationale Lernplatt­form durch Stimmen aus den Philippinen, Südafrika, Brasilien, USA, Frankreich, England und dem Kongo, die in Plenumsvorträgen, Work­shops und Kongressbeobachtungen eine inspirierende Vielfalt von Erfahrungen und Reflexionsebenen zusammentrugen (die Plenumsbei­träge des Kongresses sind als youtube-Videos auf der Kongress-Homepage abzurufen).

Den bzw. seinen Lernertrag des Kongresses formulierte Christian Hennecke in einem abschließenden Beitrag, von dem hier nur einiges thesenartig zusammengefasst werden kann:

  • Deutlich wurde, dass die Taufe als Ursprung und nicht nur als Anfang des christlichen Lebens zu verstehen ist, der jeden Tag neu aktuali­siert werden muss; die diesem Gedanken innewohnende Dynamik ist in Deutschland insgesamt noch wenig verstanden.
  • Eine missionarische Kirche ist nicht als abgeschlossene societas zu ver­stehen, sondern als eine Kirche im Werden. Missi­on ist keine Auf­gabe oder Veranstaltung der Kirche, sondern Kirche ist von der Missi­on her zu denken; diese Sendung bringt die Gemeinde zusammen.
  • Texte des Zweiten Vatikanums liefern auch 50 Jahre später kraftvolle Impulse für die Entwicklung der Kirche: so das Stichwort der tätigen Teilhabe (participatio actuosa) aus der Liturgiekonstitution (SC 14), das auch darauf hinweist, wie wichtig die Art und Weise des Feierns für das Verständnis von Kirche ist; die Volk-Gottes-Theologie, die ein zukünftig geändertes Verhältnis von Haupt- und Ehrenamtlichen na­helegt, überhaupt eine Kirche mit vermutlich nur wenigen Haupt­amt­lichen und sinnvollerweise ganz ohne den Begriff „Ehrenamt“; das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen (LG 10), durch das Chris­tus die Kirche leitet und dem das Priestertum des Dienstes ge­genübersteht (der wesenhafte Unterschied zwischen beiden Formen des Priestertums besteht im Dienen).
  • Problematisch ist es, wenn Leitung kirchlicherseits mit Herrschaft identifiziert wird statt mit Führung im Sinne von Leadership. Füh­rung soll demütig sein, Partizipation ermöglichen und helfen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Führung lässt sich folgendermaßen von Management abgrenzen: „Management ist, wenn man die Dinge richtig macht; Führung ist, wenn man die richtigen Dinge macht“ (Warren Bennis).
  • Neben der Transparenz und der Überschaubarkeit von Projekten ist der Faktor Zeit wichtig für partizipative, nachhaltige und kreative Prozesse: Entscheidungsoffene Prozesse größtmöglicher Partizipation erfordern viel Zeit und sind selbst schon ein Ereignis von Kirche. („You in Europe have the watch, we in Africa have the time.“) Effizienz steht dabei nicht im Vordergrund, was nicht bedeutet, dass Veränderungen nicht schnell sichtbar werden können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Erzählen von Geschichten, von kleinen Beispielen und Erfahrungen – „Räume des Palavers“ sind zu eröffnen!

Die hier knapp zusammengefassten Gedanken sind als solche weder neu noch grundsätzlich umstritten; sie wurden unter den Kongressteilneh­menden auch nur wenig kontrovers diskutiert. Die Umsetzung in die Pra­xis bleibt jedoch eine große Frage, so dass der Kirche hier ein veritab­ler Lernweg aufgegeben ist. Umso wichtiger ist es daher, auch auf Gren­zen und Versuchungen hinzuweisen: a) So ist angesichts der Fokussie­rung auf Kirchenentwicklung die Warnung vor Selbstreferenzialität nö­tig; b) die Betonung der Taufberufung darf nicht zu Exklusion führen; c) die Akzentuierung von Führungsverantwortung muss sich vor Ent­mün­digung in Acht nehmen. Problematisch ist es nämlich, wenn die Kongressteilnehmenden sich einig sind, wie Führung aussehen sollte (partizipativ, ermöglichend ...), aber davon ausgehen, dass andere sich ändern müssen, nicht sie selbst. Dahinter stünde das herkömmliche Füh­rungsverständnis, das von der (charismatischen) Führung durch einen Einzelnen ausgeht, der vielleicht Partizipation ermöglicht und Freiheitsgrade einräumt, aber im Konfliktfall Hierarchie doch wichtiger als Partizipation nimmt. Es bräuchte einen echten Wandel in der Füh­­rungskultur, wenn Freiheitsgrade maximiert und Optionen wirklich offengehalten werden sollen. Ein solcher Wandel muss bei einem selbst anfangen, was vielen, die das „Machen“ gewohnt sind, am ehesten schwerfällt.

Dies im Hinterkopf, ist der zuversichtliche Gesamtduktus des Kongres­ses Ermutigung für zukünftige Schritte der Kirchenentwicklung. Die erforderlichen Umbauprozesse mögen langwierig und mühsam, auch irritierend sein, doch hinter ihnen steht die Überzeugung, dass die Zu­kunft von Kirche nicht bedrohlich, sondern anders sein wird und dass Gott bereits da ist.