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Ökumene und Mission

Wie das ursprüngliche Verständnis von Ökumene die Sendung von Christen und Kirche neu akzentuieren kann …

Ein ursprüngliches Verständnis von Ökumene kann möglicherweise dazu beitragen, die Sendung von Christen und Kirche neu zu akzentuieren und Kirche mit der Welt, in der Welt und für die Welt zu sein.

Ökumene wird weithin zunächst als das Miteinander von christlichen Kir­chen und Konfessionen, in Deutschland insbesondere als das Mit­ein­­an­der von römisch-katholischer Kirche und evangelischen Kirchen ver­standen. Es lässt sich in die Dimensionen von Dialog über den Glauben, gemein­samem Zeugnis und Gottesdienst sowie gemein­schaft­li­chem Engagement in der Gesellschaft aufteilen, die alle miteinander zusam­men­hängen. In den letzten Jahren hat der Ökumenebegriff eine Erwei­te­rung um die „Ökumene“ mit anderen Religionen erfahren und sogar zu einem Verständnis einer „Ökumene der dritten Art“, nämlich mit Atheisten, Agnostikern und religiös Indifferenten, geführt.

Verfolgt man diesen Begriff historisch zurück, so landet man in politi­scher Hinsicht bei einem Synonym für das Römische Weltreich oder für den ganzen Erdkreis (lat. orbis terrarum), also für die ganze damals be­kannte griechisch-römische antike Welt. Im Neuen Testament bezieht sich der Begriff daher einerseits auf die politische Realität des Römi­schen (Welt-)Reiches (Lk 2,1; Mt 24,14), in Hebr 2,5 ist die eschatolo­gisch kommende, zukünftige Welt gemeint.

Da die Eroberungen Alexanders oder die Ausbreitung des Römischen Imperiums auf den damals bekannten Erdteilen Europa, Afrika und Asien für die Akteure – nicht nur im Sinne der Staatsräson – immer auch den Aspekt der Ausbreitung der eigenen, exklusiv verstandenen Kultur und Ordnung beinhalteten, galt die Ökumene als „kulturell ge­staltete, geprägte und geordnete bekannte Welt“. In der Alten Kirche bezeichnete die Oikoumene dann erstmals die Gesamtheit der Christen der bewohnten Welt. Die Unterscheidung in die politische und die reli­gi­öse Dimension wurde seit Konstantin dem Großen hinfällig, da ab dort eine Deckungsgleichheit von christlicher und politischer Welt bis zum Ende des Mittelalters postuliert wurde.

Die Entdeckung neuer Erdteile mit Menschen anderer Religionen, der Kugelgestalt der Erde und die Entwicklung des heliozentrischen Welt­bildes ließ die Differenz zwischen dem christlichen Selbstverständnis und dem Eingebunden-Sein in einen größeren geo-politischen Kosmos mit dem Ausgang des Mittalters wieder neu aufleben. Ebenso bewirkten die weltanschaulichen Modernisierungsprozesse der Neuzeit, die eine zunehmende Differenzierung von Religionen und die Entwicklung nicht-religiöser und säkularer Lebensorientierungen brachten und bringen (vgl. Taylor 2009), eine solche neue Entflechtung im Verständ­nis von christlicher Kirche und der Welt als dem gemeinsam bewohnten Oikos – „Haus“.

Die erste Weltmissionskonferenz, die 1910 in Edinburgh stattfand, mar­kiert traditionell den Beginn der Ökumenischen Bewegung, die die Ein­heit der christlichen Kirchen als Grund und Ziel des christlichen Zeug­nisses verstand, indem sie sich auf das Wort Jesu im so genannten Hohe­priesterlichen Gebet des Johannesevangeliums beruft: „Sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). So entstand 1948 in Amster­dam der Ökumenische Rat der Kirchen als weltweite Gemeinschaft auf der Suche nach Einheit, gemeinsamem Zeugnis und Dienst, dem sich derzeit 345 Mitgliedskirchen weltweit angehörig fühlen. Die römisch-katholische Kirche hat – wohl wegen ihres Selbstverständnisses – bis­lang zwar keinen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt, unterhält aber enge Beziehungen; in einzelnen Kommissionen arbeiten auch Katholiken als stimmberechtigte Vollmitglieder mit.

Was könnte ein ursprüngliches Verständnis von Oikoumene im Sinne des griechischen ἡ οἰκουμένη „das Bewohnte“ (als Passivpartizip von οἰκέω/oikéō „wohnen“) für ein erneuertes Selbstverständnis von Chris­ten und ihrer Sendung in der Gegenwart eintragen? In der Gegenwart führen nicht zuletzt auch die zunehmenden Verflechtungen wirtschaft­licher, ökologischer und mentaler Art und die zunehmenden Migra­tions­ströme zu dem Bewusstsein, sich nicht nur im eigenen regionalen Nahraum, sondern national, kontinental und auch weltweit in einem gemeinsamen Lebenshaus zu befinden, aus dessen gemeinsamer Ge­stal­tung sich die Bewohner nicht zurückziehen oder dispensieren kön­nen. Die derzeitige Realität in der Ge­staltung des europäischen Eini­gungsprozesses und die Entwicklung von transnationalen Einrich­tun­gen (wie der Vereinten Nationen) und der Realität von Vereinbarungen mit all ihren Chancen und Grenzen gibt von diesem Bewusstsein und den Schwierigkeiten, die dies mit sich bringt, beredtes Zeugnis.

Verändert diese Sichtweise aber auch die Perspektive einer sich als mis­sionarisch verstehenden Kirche? Und dies nicht nur im Sinne von Spen­­den und Solidarität mit den Menschen in den Ländern des Südens, das klassische Ziel der „Mission“, sondern auch in unserem Nahraum in Deutschland und im je regionalen Umfeld, mit seinen immer vielfälti­ger werdenden Lebensstilen, Werten und religiös-weltanschaulichen Orientierungen und Praktiken?

Zunächst ist theologisch auf den universalen Horizont der Erlösungs- und Heilsbotschaft des Evangeliums hinzuweisen. Es ist der universale Heilswille Gottes, der in Schöpfung, Inkarnation des göttlichen Wortes und im Paschamysterium Jesu Christi seine heilende, rettende und mit Gott in Verbindung bringende Kraft allen Menschen eröffnet. Im Sym­bo­lum von Nizäa und Konstantinopel, dem „Großen Glaubensbe­kennt­nis“, formuliert die frühe Kirche das „für uns Menschen und zu unse­rem Heil“ (propter nos homines et propter nostram salutem).

Im theologischen Denken Karl Rahners, dessen hundertster Geburtstag in diesen Tagen begangen wird, wird diese vorgängige Erlösung als an­ge­botene und gewirkte Selbstmitteilung Gottes für „alles Fleisch“ so verdichtet, dass „Heil“ und „Erlösung“ nicht als etwas Aufgesetztes, als von außen her Hinzukommendes, sondern als Raum der Erschließung dessen gedeutet wird, was bereits an Gottesnähe innerweltlich, viel­leicht unthematisch und implizit da ist. Rahner spricht in diesem Sinne vom „übernatürlichen Existenzial“ als einem Geschaffen-Sein in Chris­tus, einem Hineingenommen-Sein des Menschen in eine göttliche Be­ziehung, das natürlich erst im Rückblick in der bejahenden Antwort des Glaubens als solches erkannt werden kann (vgl. Rahner 1959, Sp. 1301). In Erweiterung dieser theologischen Denktradition ist Gottes Reich nicht ein abgrenzbares, definierbares Gebiet, sondern ereignet sich in vielen Kulturen und Völkern (vgl. das Pfingstereignis, bei dem die Menschen unterschiedlicher Sprachen und Kulturen die Botschaft der Apostel verstehen, Apg 2). Damit verbietet sich einerseits ein immer noch weit verbreitetes Denken in zwei getrennten Stockwerken, die zudem noch hierarchisch, indem sie hypotaktisch, also in Über- bzw. Unterordnung gedacht werden: Gnade und Natur, religiöser und profaner Bereich, Himmel und Erde. Demgegenüber fordert das Rahner’sche Denken pastoral dazu heraus, nicht (nur) den definiert binnenkirchlichen Bereich als Handlungsfeld und Zielorientierung zu sehen, sondern vielmehr wahrzunehmen und zu entdecken, wo und auf welche Weise sich das Reich Gottes (oft in vermittelter Weise) er-eignet und zeigt. Das Zeugnis von diesem vorgängigen Handeln Gottes („dafür sind wir Zeugen“ vgl. Apg 3,15b) geschieht durch Tat und Wort auch und vielleicht gerade in Bereichen, wo Christen mit „Menschen guten Willens“, also Menschen anderer religiöser oder weltanschaulicher Orientierungen und Werthaltungen zum Wohl der Menschen eines bestimmten Raumes zusammenwirken. Gerade in solchen Dialogen und in solchem Zusammenwirken kann sich das Evangelium realisie­ren, es kann von dorther neu gelesen und in den Fokus der Wahrneh­mung gehoben werden. Der in Belgien geborene Theologe und Dominikaner Edward Schillebeeckx formulierte diesen Zusammenhang zwischen Weltwahrnehmung und Zeugnis so: „Eine verschleierte Hoffnung scheint diese Welt zu tragen und zu treiben, trotz einiger Zeichen von Verzweiflung links und rechts und des Gefühls der Sinnlosigkeit in der Weltgeschichte“. „[Die Kirche müsste] diese verborgene Hoffnung aufnehmen und der Welt ihre eigene, mehr explizite Erwartung anbieten. ‚Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht‘ (Joh 4,10), wovon du, Welt, selbst unbewusst lebst! Mögest du doch die Gnade Gottes erkennen“ (Schillebeeckx 1964, 399).

Ein weiter Begriff von Ökumene im Sinne des gemeinsam zu gestalten­den Lebenshauses führt christliches und kirchliches Zeugnis über eine private Frömmigkeit, dogmatische Rechtgläubigkeit oder moralische Unangreifbarkeit, schlechter noch: über bürgerliche Wohlanständigkeit weiter hinaus auf die eigentliche Zieldimension kirchlicher Sendung hin: „Damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Dem Franziskus von Assisi wird das Wort an seine Minderbrüder in den Mund gelegt: „Verkündet das Evangelium! Und wenn es sein muss, auch mit Worten“.

Eine solche Sicht nimmt auch die Herausforderung an, die darin liegt, dass das christliche Bekenntnis vielerorts in Deutschland nicht (mehr) zu den mehrheitlichen und selbstverständlichen Sinnorientierungen gehört. Gerade die Erfahrungen christlicher Existenz in den entkirch­lichten Gebieten (nicht nur) Ostdeutschlands zeigen, dass ‚Diaspora‘ in einem positiv verstandenen Sinne (als Ausstreuung des Samens auf jeglichen Boden, vgl. griech. dia-spéro – ausstreuen im Gleichnis vom Sämann, Mk 4) zunehmend die Rahmenbedingung darstellt, in der sich christliches Zeugnis und die Mitarbeit am Gottesreich realisieren und entfalten werden. Dies gilt insbesondere für den Dialog über Sinnfragen und Lebensgestaltung sowie für das gemeinsame Handeln zum Wohl der menschlichen Gemeinschaft durch Glaubende, Anders-Glaubende und Nicht-Glaubende. In früheren Zeiten gab es (in Deutschland zwar eine konfessionell zweigeteilte, jedoch insgesamt offiziell mehrheitlich) christlich motivierte Selbstverständlichkeit eines solchen Engagements. In einer zunehmenden Differenzierung religiös-weltanschaulicher Stand­punkte gewinnt der gemeinsame Einsatz unterschiedlich Glau­ben­der und Nicht-Glaubender über die Grenzen der Weltanschauung hinweg eine neue Bedeutung. Christen handeln nicht nur an Christen, sondern ihr Zeugnis qualifiziert sich am gemeinsamen Tun für eine bes­sere Welt und Gesellschaft, gemeinsam mit anderen. Wenn dies be­wusst gestaltet wird, realisiert sich darin die kirchliche Sendung: Damit das Leben in Fülle, das Gott verheißen hat und heraufführt, sichtbar wer­den kann, nicht in innerweltlicher Vollendung, sondern exempla­risch. Und wo dieses Leben (Gottes) bedroht wird oder gefähr­det ist, ist es Aufgabe der Christen, dafür zu sorgen, dass Lebensmög­­lichkeiten verbessert werden und Menschen zu gutem Leben und sozia­ler Teilhabe ermächtigt werden. Dies erst recht, als ein oft erhobener Vorwurf der Atheisten ist, dass Christen nur beten und nicht handeln, weil sie eine bessere Welt erst im Jenseits – und nur für sich und ihres­gleichen – erhoffen. Vielmehr war es immer christlicher Impetus, diese neue Welt Gottes schon in dieser Welt ansichtig und erlebbar zu machen und gerade dies als Zeugnis für das angefangene Gottesreich zu verstehen.

Als das II. Vatikanische Konzil die Haltung der Kirche zum Atheismus formulierte, hatten die Konzilsväter in der Zeit des Kalten Krieges den Marxismus als theoretisch-philosophischen oder materialistischen Agnostizismus im Blick. Das Konzil unterschied diesen nicht von einem methodischen Atheismus, wie er bspw. in den positiven Wissenschaften eingenommen wird, oder von einem praktischen Atheismus, wie er heute als religiöse Indifferenz be­schrieben werden kann. Heute werden diese Formen noch einmal von einem aggressiv-kämpferischen, anti­kirchlich und szientistisch orien­tier­ten „neuen“ Atheismus im engeren Sinne, der in Deutschland durchaus ein Minderheitenphänomen dar­stellt,  unterschieden. So können die Aussagen des Konzils zum Atheis­mus tatsächlich auch auf solche Menschen guten Willens bezogen werden, die Max Weber in seinem berühmt gewordenen Diktum als „religiös unmusikalisch“ bezeichnet hat. Die Texte des Konzils stellen nicht den Atheismus als Gedankengebäude oder Weltanschauung, sondern mit dem „Athe­isten“ als Nicht-Glaubendem den je einzelnen Menschen in den Mittelpunkt der Wahrnehmung und der Argumenta­tion. Die Existenz des Nicht-Glaubenden und die Begegnung mit ihm stellt für die Kirche eine Her­ausforderung zur Erforschung der Ursachen und Beweggründe für Nicht-Glauben dar, die sie um ihrer Sendung willen erfassen und ver­stehen will: „Jedoch versucht sie (sc. die Kirche), die im Geist der Atheisten verborgenen Gründe für die Leugnung Gottes zu erfassen, und meint – im Bewusstsein des Gewichts der Fragen, die der Athei­s­mus aufwirft, sowie auch von der Liebe gegenüber allen Menschen ge­führt –, dass diese Gründe einer ernsten und tiefergehen­den Prüfung unterzogen werden müssen“ (Gaudium et spes 21). Im Folgenden wer­den klassische Argumentationsfiguren des Nicht-Glaubenden aufge­nom­men und aus einer christlichen Perspektive beantwortet: Die Aner­kennung Gottes ist der Würde des Menschen nicht entgegengesetzt. Der Mensch ist (auch) als Geschöpf vernunft­begabt und frei in die Gesell­schaft gestellt. Durch die eschatologische Hoffnung wird die Bedeutung der irdischen Aufgaben nicht gemindert. Diese Apologien gipfeln in der Aussage, dass jeder Mensch sich selbst eine ungelöste, ziemlich dunkel erfasste Frage bleibt. Die Reaktion auf die Existenz und die Argumenta­tionen der Nicht-Glaubenden besteht nach dem Konzil einerseits in einer „angemessenen Darlegung der Lehre“ (doctrina apte exposita), wobei zu interpretieren wäre, ob die Angemessenheit (aptus) auf die Inhalte der Lehre oder auf das Fassungs­vermögen der Adressaten hin auszulegen wäre. Weiterhin trägt dazu ein redliches Leben der Kirche und ihrer Glieder, das Zeugnis eines leben­digen und reifen Glaubens sowie die brüderliche Liebe der Gläubigen (sc. zu allen Menschen) bei: „Dieser Glaube muss seine Fruchtbarkeit kundtun, indem er das gesam­te Leben der Glaubenden, auch das profane, durchdringt und sie zur Ge­rechtigkeit und Liebe, insbesondere gegenüber den Bedürftigen bewegt. … Die Kirche bekennt, … dass alle Menschen, Glaubende und Nicht­glau­bende, zum richtigen Aufbau dieser Welt, in der sie gemeinsam le­ben, ihren Beitrag leisten müssen. … Die Atheisten aber lädt sie herzlich ein, das Evangelium Christi mit offenem Herzen zu betrachten“ (Gaudi­um et spes 21). Neben der Einladung an die Nicht-Glaubenden, sich dem Evangelium zu öffnen, begreift das Konzil also deren Existenz und „An­fra­ge“ als eine selbst­kritische Aufforderung an die Kirche und ihre Glie­der selbst zu tieferer Liebe und zu redlichem, authentischem Leben.

Gaudium et spes eröffnete also vor 50 Jahren einen Raum für eine weit verstandene Ökumene des Lebens, des Handelns und des Dialogs mit Menschen unterschiedlicher religiös-weltanschaulicher Orientierungen einschließlich Agnostiker und religiös Indifferenter. In jüngster Zeit hat Papst Franziskus diese Gedankenstränge unter der Perspektive der sozi­­a­len Dimension der Evangelisierung in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium von 2013 (Kap. 4) aufgegriffen. Er weist darauf hin, dass im Mittelpunkt des Evangeliums das Gemeinschaftsleben und die Verpflichtung gegenüber den anderen stehen (EG 177). Der Papst sorgt sich darum, dass ein ausschließlich kerygmatisch-dogmatisches Ver­ständnis der Evangelisierung eine Verkürzung der christlichen Botschaft nach sich zieht. Demgegenüber weist er auf die „enge Verbindung zwi­schen Evangelisierung und menschlicher Förderung“ hin, die für den Christen dazu führt, „dass er das Wohl der anderen wünscht und an­strebt als etwas, das ihm am Herzen liegt“ (EG 178). Das Angebot des Evangeliums besteht nicht nur in einer persönlichen Beziehung zu Gott, sondern beinhaltet die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen, die in einer religiösen und weltanschaulichen Vielfalt verständlicher­weise sehr unterschiedliche Gestalt und Bedeutung haben. Franziskus zitiert in seiner Argumentation seinen Vorgänger Benedikt XVI., um die Bedeutung, die der gemein­same Aufbau einer besseren Welt hat, her­vorzuheben: „Wir lieben diesen herrlichen Planeten, auf den Gott uns gesetzt hat, und wir lieben die Menschheit, die ihn bewohnt, mit all ihren Dramen und ihren Mühen, mit ihrem Streben und ihren Hoffnun­gen, mit ihren Werten und ihren Schwächen. Die Erde ist unser ge­meinsames Haus, und wir sind alle Brüder“ (EG 183 als Zitat aus der Enzyklika Benedikts XVI. Deus caritas est vom 25.12.2006, 28). Daher entfaltet der jetzt amtierende Pontifex im Folgenden diesen Grundge­danken von der Erde als dem gemein­samen Haus (Oikoumene) in der Befreiung und Eingliederung der Armen, dem Gemeinwohl und dem Dialog mit den Staaten, der Gesellschaft, als Dialog zwischen Glaube, Vernunft und Wissenschaft, als Dialog mit anderen Christen (Ökumene erster Art), anderen Religionen (Ökumene zweiter Art), mit denen, die als Nicht-Glaubende nach dem Wahren, Guten und Schönen suchen, als Beitrag zum Frieden (Ökumene dritter Art). Dieser Dialog muss nach Franziskus in einem von ihm eingeforderten Kontext religiöser Freiheit stattfinden: „Als Glaubende fühlen wir uns auch denen nahe, die sich nicht als Angehörige einer religiösen Tradition bekennen, aber aufrich­tig nach der Wahrheit, der Güte und der Schönheit suchen … Wir emp­fin­den sie als wertvolle Verbündete im Einsatz zur Verteidigung der Menschenwürde, im Aufbau eines friedlichen Zusammenlebens der Völker und in der Bewahrung der Schöpfung“ (EG 257).

Ein weites Verständnis von Ökumene eröffnet so ein neues Verständnis für ein Kirche-Sein und eine Pastoral, die im gemeinsamen Tun von den Gegebenheiten und Herausforderungen des konkreten Lebens vor Ort ausgeht und anschlussfähig ist für die sozialräumlichen und gesell­schaft­lichen Begegnungen und Realitäten, um gerade in ihnen das Evangelium wahrzunehmen und zum Leuchten zu bringen. Wenn so Christen mit anderen Menschen guten Willens in der Hospizbewegung oder in den Tafeln zusammenarbeiten, wenn im bayerischen Flossing oder anderswo in genossenschaftlicher Verantwortung ein Dorfladen gegründet und unterhalten wird, wenn in Brandenburg die Dorfkirche zum kulturellen Begegnungszentrum der Menschen wird, wenn Chris­ten mit anderen in der Stadtteilarbeit Verantwortung füreinander wahrnehmen, wenn Menschen verschiedener Orientierungen sich für eine Integration von Flüchtlingen in der deutschen Zivilgesellschaft einsetzen, so sind dies nicht einfach „nur“ profane Hilfsaktionen oder „Vorräume“, die zur kirchlichen Gemeinschaft hin „anlocken“ sollen. Vielmehr realisiert sich in solchen Begegnungen und in solch gemein­schaftlichem Engagement eine von der Sendung der Kirche her gefüllte Ökumene als ein Bemühen um gemeinschaftlich gestaltetes Leben und gegenseitiges Zeugnis.

Madeleine Delbrêl, die Mystikerin der Moderne, die in den 30er Jahren die Träger der „Mission de France“ inspirierte, lebte lange Jahre im kommunistischen Milieu der Arbeiterschaft der Kleinstadt Ivry vor den Toren von Paris. In den Schriften „Wir Nachbarn der Kommunisten“ (Einsiedeln 1975, französisch: Nous autres, gens de rues. Textes missionaires, Paris 1966) und „Christ in einer marxistischen Stadt“ (Frankfurt/M. 1974, französisch: Ville marxiste – terre de mission, Paris 1970) reflektiert sie über die Mission des Christen in einer nicht-christlichen Umgebung, die in Liebe und Zuwendung angenommen werden muss. Sie schreibt in einem anderen ihrer Werke: „Wenn wir dafür verantwortlich sind, dass Menschen Gott verloren haben, dann haben wir vielleicht daran zu leiden, vor allem aber müssen wir ihnen Gott zurückgeben. Zwar können wir ihnen nicht den Glauben geben, können aber uns selbst geben. Im Glauben haben wir Gott gefunden; wir können ihn weitergeben, wenn wir uns selbst geben, und zwar hier in unserer Stadt. Es geht also nicht darum, dass wir uns irgendwohin davon machen, das Herz beschwert von der Not der anderen, wir müssen vielmehr bei ihnen bleiben, mit Gott zwischen ihnen und uns“ (Delbrêl 2000, 183).