Ökumene mit Atheisten und religiös Indifferenten
„Weltmission und Ökumene gehörten ... von Anfang an wie zwei siamesische Zwillinge zusammen“ (Kasper 2007, 1), so Kardinal Walter Kasper 2007 bei einer Tagung der Katholischen Akademie Bayern mit Verweis auf die Weltmissionskonferenz von 1910, die den eigentlichen Startpunkt der ökumenischen Bewegung darstellt. Das liegt nun mehr als ein Jahrhundert zurück. Und seit fast zweitausend Jahren steht im Neuen Testament die vielzitierte Aufforderung im hohepriesterlichen Gebet Jesu: „Alle sollen eins sein ..., damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21), wobei der Nebensatz im ökumenischen Alltag des Ringens um eine versöhnte Verschiedenheit zuweilen unterzugehen droht: Das Einheitsgebot wird vom Sendungsauftrag regiert; die siamesischen Zwillinge sind von daher nicht gleichrangig. In einem Beitrag des Sammelbandes „Die so genannten Konfessionslosen und die Mission der Kirche“ verweist der damalige evangelische Bischof von Magdeburg, Axel Noack, auf die mit diesem Doppelauftrag verbundene Herausforderung: „Mission ist nicht mehr ohne Ökumene zu denken ... [M]an muss sich immer klar machen, die konfessionelle Unterschiedenheit im Protestantismus oder auch im Verhältnis zur katholischen Kirche ist für die, die drin stecken, also für die Insider, wunderbar, farbenprächtig und bunt. Man kann sich entscheiden, man hat verschiedene Möglichkeiten. Für die, die das von außen sehen, ist das nicht bunt, sondern verwirrend. Ökumene und Mission zusammenzudenken, meint: Wenn ich nicht sagen kann, es ist mir hundertmal lieber, dass ein Kind im Religionsunterricht katholisch wird, als dass es ‚Heide‘ bleibt, dann soll ich nicht mehr von Ökumene reden. Natürlich gilt die Umkehrung auch! Allerdings, wo ist die Grenze? Gilt das auch für die Zeugen Jehovas? Gibt es nicht auch Gruppen, wo man lieber sagen sollte, dann bleib mal lieber ein freier ‚Heide‘? Solche Fragen müssen unter uns thematisiert werden“ (Noack 2007, 137f.).
Also könnte der missionarische Blick auf den nichtchristlichen Raum (das meint in Deutschland vor allem: auf die Atheisten und religiös Indifferenten) eine durch ihre Binnendiskurse zunehmend ermüdete Ökumene beleben, indem sie ihr eigentliches Motiv zurückgewinnt.
„Etwasismus“ – eine Art „Minimalreligion“?
In seiner in epischer Breite angelegten Untersuchung „Ein säkulares Zeitalter“ geht Charles Taylor auch auf das Phänomen eines spontanen, unreflektierten Ökumenismus ein (vgl. Taylor 2009, 873ff.). Es zeige sich in der „Minimalreligion“, wie sie der Religionswissenschaftler Mikhail Epstein für die postatheistischen Positionierungen in seinem russischen Umfeld beobachtet: In einer unscharf-tastenden Distanzierung von der bisherigen marxistisch-leninistischen Sozialisation entwickle sich eine vorwiegend im familiären Umfeld oder Freundeskreis angesiedelte Spiritualität, welche als Erbe des Projekts „Weltkommunismus“ eine eigene Art von überkonfessionellem Universalismus ausbildet. Ihn behielten auch diejenigen bei, welche sich später einer konkreten Kirche anschließen. Taylor nimmt an, dass auch in Westeuropa eine „Spiritualität ohne Religion“ (bzw. „ohne Konfession“) um sich greifen könnte, welche mit dem Gefühl für die Wichtigkeit des eigenen Weges einerseits, mit einem diffusen ökumenischen Gefühl andererseits verbunden ist – dies allerdings etwas anders akzentuiert als in Russland: nämlich in kritischer Distanz gegenüber religiösen Absolutheitsansprüchen und mit Argwohn gegenüber konfessionellen Autoritäten ausgestattet.
Für Taylors Vermutung spricht die zitierte Beobachtung Axel Noacks zur irritierenden Außendarstellung der konfessionellen Differenzen. Eine weitere Bestätigung stellt das vor längerer Zeit in niederländischen Feuilletons unter dem Label „Ietsism“ („Etwasismus“) diskutierte Phänomen dar: „Etwas [iets] ist besser als nichts [niets]“. Diese Hoffnung auf ein „Mehr“ jenseits der naturwissenschaftlichen Lebensvisionen („da gibt es noch etwas“) dürfte eine Reaktion auf das Unbehagen an der Immanenz darstellen, welches durch Rationalität und säkularisierte Utopien provoziert wurde, aber auch gegen den Nihilismus der postsäkularen Gesellschaft gerichtet sein.
Ob diese Art von „Minimalreligion“ den letzten Schritt aus jeder Art von Religion heraus oder den ersten wieder hinein bildet, ist im Allgemeinen schwer zu prognostizieren. Falls aber Letzteres in einer kirchlichen Option münden sollte, wird wohl auch hier der unbestimmt-überkonfessionelle Atem weiter wehen, durch den der Ausgangspunkt gekennzeichnet war. Im Zuge wachsender wechselseitiger Attraktion verschiedener Lebens- und Weltanschauungsoptionen in einer pluralistischen Gesellschaft dürfte das „diffuse ökumenische Gefühl“ dann auch diejenigen erfassen, die relativ stabil in einer der christlichen Kirchen sozialisiert worden sind.
Bevor man solche und ähnliche Erscheinungen kurzerhand mit Individualismus- und Relativismusvorwürfen oder dem Verweis auf mangelhafte Katechese abtut, wäre es sicher weise, den Impuls konstruktiv aufzunehmen: Die „Zachäus-Menschen“ (Tomáš Halík), die „vorsichtig Neugierigen“, kommen weniger aus der Gruppe der dem Christentum „Entfremdeten“, sondern inzwischen eher aus der von ihm und jeder Art von Religion „Unberührten“ (eine hilfreiche Unterscheidung des tschechischen Pastoraltheologen Michal Kaplánek). Relevant sind für sie die christlichen Kernfragen und -kompetenzen – die Frage nach Gott, nach persönlichem Heil, nach einer Lebensgestaltung aus dem Glauben etc. –, nicht aber kirchliche Interna. Zu denen zählen eben auch typisch ökumenische Themen wie beispielsweise die Abendmahls- oder Amtsfrage. Vielleicht erweisen sich im Kontext einer „Ökumene der Profile“ die implizit-kritischen Anfragen aus dem religionslosen Umfeld als befreiende Aufforderung zu einer gemeinsamen Standpunkt-Profilierung in Richtung auf das Wesentliche.
Statt „Mission“ im traditionellen Verständnis: „Ökumene der dritten Art“
Ökumene im Sinne ihres Edinburgher Startereignisses ist Voraussetzung für eine effektive christliche Mission im außerchristlichen Umfeld. Das jedoch dürfte angesichts eines gewandelten Missionsverständnisses (damals noch stark im Bann kolonialistischer Paradigmen stehend) sowie angesichts einer Vielfalt individueller Lebensoptionen und zumeist relativ stabiler Zivilisationen zu wenig sein: Mission ist kaum noch als Christianisierung, sondern eher als Ökumene zu denken.
Es muss hier sicherheitshalber eigens betont werden, dass sich das Folgende nicht als Konterkarierung des bleibenden Missionsauftrags der Kirche versteht. Aber angesichts der nach menschlichem Ermessen nicht allzu großen Erfolgsaussichten in einem westeuropäisch geprägten, religiös indifferenten Umfeld ist es wohl berechtigt zu fragen, ob die missionarischen Strategien und Zielvorstellungen nicht stärker dem angenähert werden müssen, was sich zunächst in der Ökumene zwischen den christlichen Konfessionen („Ökumene der ersten Art“), dann aber auch im Verhältnis zwischen den Religionen („Ökumene der zweiten Art“) bewährt hat.
Bei aller Verschiedenheit der jeweiligen Ausgangsbasis, der Inhalte und der institutionellen Ausprägungen bestehen Analogien: Der Austausch mit „den Anderen“ geschieht respektvoll und auf Augenhöhe, und sein erstes Ziel ist nicht, die jeweils andere Seite zur eigenen herüberzuziehen, sondern gemeinsam einen Weg in eine Konstellation zu finden, die unter eschatologischem Vorbehalt steht (was heißt, dass „die letzten Antworten“ nicht bei den Kontrahenten liegen), wobei man wechselseitig als Impulsgeber fungiert. „Proposer la foi“ – „Den Glauben anbieten“, lautet eine entsprechende Maxime. Sie wurde von den französischen Bischöfen in einem inspirierenden Schreiben von 1996 an die Katholiken in ihrem Land verbreitet.
Zu dieser Vorgehensweise gibt es so gut wie keine Alternative, wie die Irritationen bewusst machen können, welche von einer „Ökumene der zweiten Art“ ausgelöst werden: Piusbrüder kritisierten, dass Benedikt XVI. die Synagoge in Rom nicht mit dem ausdrücklichen Ziel betreten habe, die anwesenden Juden zum Christentum zu bekehren. Was jedoch gegenüber anderen Religionen, besonders der jüdischen, und gegenüber christlichen Konfessionen gilt, betrifft analog auch Atheisten und religiös Indifferente, die als gleichwertig akzeptiert und nicht im klassischen Verständnis „christianisiert“ werden wollen. Mit all dem liegt eine schwierige, aber auch interessante Herausforderung vor uns – zumindest für diesen unseren geographischen Raum und für dieses Jahrhundert.
Die Konturen einer solchen „Ökumene der dritten Art“ sind erst vage zu erkennen, was nicht verwundert: Befindet sich doch das Christentum hier in einer historisch einmaligen Konstellation, die besonders in den neuen Bundesländern und Teilen Böhmens als Ergebnis einer Kombination von sozialer Säkularisierung in westeuropäischer Version einerseits und politischer Entkirchlichung unter diktatorischem Druck andererseits eigene Formen angenommen hat. Stadt und Land umfassend ist bei einem großen Teil der Bevölkerung kein genuin religiöses Interesse erkennbar; es sei denn, man zieht den Begriffsumfang der Religiosität definitorisch so in die Breite, dass er unspezifisch jede Art von individueller Selbsttranszendenz umfasst. Noch nie begegnete die christliche Botschaft einem stabil „volksatheistischen“, d. h. religiös indifferenten Umfeld solchen Ausmaßes.
Verhältnismäßig unkompliziert: Ökumene als Diakonie
Von den Grundvollzügen des Glaubens – diakonia, martyria, leiturgia, koinonia – ist erstere wohl am leichtesten zu realisieren: Die Zusammenarbeit im karitativen Bereich zwischen Christen und Religionslosen ist relativ unkompliziert möglich. Gerade die Tatsache, dass Letztere sich gern selbst als „humanistisch“ deklarieren, vereinfacht die Einigung in den Zielstellungen und das praktische Zusammengehen.
Schwieriger wird es schon im Bereich der kulturellen Diakonie, was die Diskussion um Gerhard Richters Kölner Domfenster paradigmatisch zeigt, oder wenn Atheisten sogar ganze Kirchbauten realisieren (vgl. die „Wotruba-Kirche“ in Wien-Mauer). Aktionen wie „Die Kirche bleibt im Dorf“ können aber zeigen, dass ein gemeinsames kulturelles Interesse (der Erhalt des zentralen Gebäudes im Ort) auch Menschen mobilisiert, denen an einem Raum speziell für Gottesdienste eigentlich wenig gelegen ist.
Noch problematischer ist der Bereich der gesellschaftspolitischen Diakonie: Hier spielen Machtfragen und Verlustängste hinein und konterkarieren so manche romantische Vorstellung einer Dialog- und Konsenskultur. Wer sich im Bereich der innerchristlichen Ökumene bewegt, wird die diesbezüglichen Fallstricke kennen, die im binnentheologischen Diskurs überspielt werden können, solange er auf der Ebene der Theorie bleibt; sie finden sich verstärkt im Verhältnis zu anderen Religionen, beispielsweise im Konflikt um Moscheebauten wie jüngst wieder im Leipziger Norden.
Ähnliches gilt im Mit- und Gegeneinander zwischen Christen und Nichtreligiösen: Das Wiedererwachen eines militanten Atheismus in den USA (man denke an Richard Dawkins „Gotteswahn“) ist unter anderem auch eine Angstreaktion auf das politische Erstarken christlich-fundamentalistischer Kräfte und des Islamismus. Aber ebenso besteht hier die Chance, im politischen Engagement neue Geistesverwandtschaften zu erkennen, z. B. traditionelle Kirche-Partei-Konstellationen aufzubrechen.
Herausforderung: Glaubenszeugnis
Christliches Glaubenszeugnis in der Perspektive einer „Ökumene der dritten Art“ wird deutlich dialogischer, d. h. hörender und zur Anerkennung der „Alterität“ (Emmanuel Lévinas) bereiter sein als in manchen religionswissenschaftlichen und missionstheologischen Konzeptionen angenommen, die dazu neigen, vermittels der eigenen Kategoriensysteme das Gegenüber zu „begreifen“ und so zu kolonialisieren. Der „fromme Atheismus“ eines Herbert Schnädelbach oder André Comte-Sponvilles „atheistische Spiritualität“ unterlaufen simple Klassifizierungen.
Die sich vielfältig im diskursiven Raum berührenden und auch ausschließenden Lebensoptionen bieten genügend Gelegenheit für wechselseitige Polemik und Diffamierung. Die leidvollen Erfahrungen innerchristlicher Ökumene zeigen, dass auf diese Weise wenig zu gewinnen ist. Erforderlich ist stattdessen ein hohes Maß an eigener Veränderungsbereitschaft. „Extra ecclesiam nulla salus“ (außerhalb der Kirche kein Heil) und „Solus Christus“ (Christus allein) – solche Formeln müssen ständig neu buchstabiert und transformiert werden.
Wie der interreligiöse Dialog lehrt, impliziert das die Notwendigkeit, im Sinne eines Vorschlags Alasdair MacIntyres eine Art kultureller Zweisprachigkeit („second first language“) zu entwickeln, also die Sprache der „Anderen“ so zu verinnerlichen, dass man sich in ihr wie in der eigenen „natürlich“ bewegen und verständlich machen kann. Damit geht allerdings die Fähigkeit einher, auch das Nicht-verstehen-Können auszuhalten.
Die provokante „martyria“ der Nichtreligiösen besteht nun darin, dass sich offensichtlich auch ohne Gott gut leben lässt und dass sie „Religion nicht brauchen“. Das kann Christen als Warnung vor einer Funktionalisierung von Religion (zum Beispiel als Werte-Lieferantin) und besonders vor einer Instrumentalisierung Gottes dienen. Hier treffen sich die Einwürfe der Nichtreligiösen (vgl. Karl Marx: „Religion als Opium des Volkes“) mit der Kritik Meister Eckharts an der Milch-und-Käse-Frömmigkeit (d. h. Gott wie eine Kuh zu lieben, nämlich aus Eigennutz) oder mit der Forderung von Bartholomäus del Monte (1726–1778), wir sollten nicht die Tröstungen Gottes, sondern den Gott des Trostes suchen. Ermahnungen dieser Art lassen sich über Dietrich Bonhoeffers Forderung nach einem „religionslosen“ Christentum und Simone Weils Hinweis auf den läuternden Gebrauch des Unglaubens bis in die Gegenwart finden: Atheisten und vor allem religiös Indifferente machen auf die Unerfahrbarkeit, Unbegreiflichkeit und Nichtinstrumentalisierbarkeit Gottes aufmerksam und problematisieren damit die oft unvorsichtige Rede der Gläubigen von „religiösen Bedürfnissen“ und „Gotteserfahrungen“.
Liturgie als Raum der Begegnung?
Wer die Diskussionen um die Lima-Liturgie („Ökumene der ersten Art“) und die bischöflichen „Leitlinien für das Gebet bei Treffen von Christen, Juden und Muslimen“ („Ökumene der zweiten Art“) kennt, wird um die Problematik gemeinsamer Liturgien wissen. Analog verhält es sich mit den Möglichkeiten zu einer „Ökumene der dritten Art“ im liturgischen Bereich. Hier haben sich die „Thomas-Messen für Zweifler“ etabliert, die allerdings vor allem christliche Gottesdienste für Andere und weniger mit Anderen sind. Erfahrungen wie die Friedensgebete im Herbst 1989, an denen vorwiegend Menschen ohne Kirchenerfahrung teilnahmen, oder die „Feiern zur Lebenswende“ mit ungetauften Jugendlichen im Erfurter Dom haben nämlich gezeigt, dass eine Liturgie, welche von den Beteiligten gemeinsam vorbereitet und gestaltet wird, ein größeres kreatives Potential entwickeln kann.
Das Rostocker Beispiel einer Trauerfeier von christlichen und nichtchristlichen Medizinstudierenden für die ebenfalls sowohl christlichen als auch nichtchristlichen Angehörigen derjenigen, die ihren Körper der Anatomie zur Verfügung gestellt hatten, ging deutschlandweit durch die Presse („Wie sagt man einer Leiche Dankeschön?“ – Spiegel Online 27.1.2010). Im Mai 2015 widmete das Theologische Forschungskolleg der Universität Erfurt den Trauerfeiern nach Großkatastrophen (wie dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium vom April 2002 oder den liturgischen Feiern anlässlich des Germanwings-Flugzeugabsturzes vom März 2015) eine viel beachtete Tagung.
Zu verschiedenen Gelegenheiten finden also Christen mit Nichtreligiösen liturgisch zusammen – ein jeweils schwieriges, aber wechselseitig anregendes Geschehen. Christen können hierbei eigentlich nur gewinnen: „Da wird man ja fast neidisch, wenn man die ‚Feier zur Lebenswende‘ mit einigen unserer Firmungen vergleicht“, kommentierte spontan eine Liturgiewissenschaftlerin ein Video der Erfurter Initiative. Und mit der rückblickenden Feststellung: „Ich habe bei meinem ersten Gottesdienstbesuch jedes Wort verstanden – aber nicht einen Satz“, verwies einmal eine Konvertitin auf die permanente Aufgabe, eine nachvollziehbare Sprache auch in diesem Bereich zu finden. Die „Ökumene der dritten Art“ könnte dazu eine unverzichtbare Hilfe sein.
„Plan B“: Stellvertretende Religion
Eine global vernetzte Weltgesellschaft lässt sich als ein Organismus ansehen, auf welchen das paulinische Bild der Gemeinde als des einen Leibes Christi mit vielen, aufeinander bezogenen Gliedern (1 Kor 12,12ff.) ausgeweitet werden muss, um zu einer Ökumene im umfassenden Sinne des Wortes („oikouméne“ = „bewohnte Welt“) zu finden. In diese Richtung weisen die kosmologisch-christologischen Visionen eines Pierre Teilhard de Chardin. Der Zeiten und Räume umgreifende globale „Leib“ stellt sich heute mehr denn je als in sich hochdifferenziert und hochspezialisiert dar, was aber heißt, partielle Defizite akzeptieren zu müssen.
Nicht jede und jeder kann alles. Offenbar gibt es Glaubende, die für die anderen mitglauben (und mitbeten), während die „religiös Unmusikalischen“ andere Fähigkeiten und auch andere Aufgaben im großen Ganzen haben. Die Religionswissenschaft kennt das Phänomen der „vicarious religion“ (Grace Davie): „Ich bin zwar nicht religiös, finde es aber gut, dass es Religion gibt.“
Das Problem, dass die „Weitergabe des Glaubens“ nicht den erhofften Effekt bringt, ist nicht neu, bedeutet aber noch nicht das Ende aller missionarischen Möglichkeiten. Paulus würde auf dem Hintergrund des Koinonia-Gedankens daran erinnern, dass der ungetaufte Ehepartner jeweils mitgeheiligt ist (1 Kor 7,14). Die Frage nach dem Heil der Anderen, welche das entscheidende Movens der Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910 und damit der ökumenischen Bewegung bildete, stellt sich damit in neuer Perspektive: Sehen wir Erlösung möglicherweise zu individualistisch? Christof Gestrich spricht in einer umfänglichen Studie zum Stellvertretungsbegriff sogar von einer „interzessorischen Existenz“. Intercessio ist eines der vielen lateinischen Worte für das deutsche „Stellvertretung“ und heute der Begriff für „Fürbitte“, meint aber mehr. An den Begriff des allgemeinen Priestertums der Gläubigen anknüpfend, verdeutlicht Gestrich: Damit sei nicht wie zumeist üblich nur an Mitbestimmungsverhältnisse zu denken, sondern es gehe vor allem um das gemeinsame „Priester“-Sein und -Tun. Folgt man diesem Gedanken, dann haben Christen die Aufgabe, für die anderen vor Gott einzutreten, wie weiland Mose am Sinai für das Volk vor Gott stand (Ex 32,10–14) oder auf dem Hügel die Hände zum Himmel erhoben hielt, während sein Volk kämpfte – nur solange er betete, siegten sie (Ex 17,8–13). Die so vertreten werden, müssen nicht unbedingt zustimmen (Eltern vertreten ihre Kinder auch ohne deren ausdrückliche Zustimmung), aber so wird ihr Platz freigehalten, den sie jederzeit selbst einnehmen können.
Ökumene, so zeigt das provokante paulinische Beispiel einer Mitheiligung, beginnt dabei im Haus („oikos“). Wie es zunehmend konfessions- und religionsübergreifende Ehen und Familien gibt, so auch solche mit nichtreligiösen Anteilen (was inzwischen auch die neuen Rituale für die kirchliche Trauung deutlicher wahrnehmen). Die daraus resultierenden konfessionellen Patchwork-Familien haben bei aller Vielfalt möglicher Konstellationen vergleichbare Probleme: Wie werden welche Feste gefeiert, welche biographischen Übergangsriten werden gewählt, was wird mit dem Kind gebetet und was nicht, und wie vermitteln wir das alles der jeweiligen Verwandtschaft? Ähnlich betroffen sind „gemischte“ Schulklassen, Caritas-Einrichtungen, Parlamente ... Das lässt auf praxisrelevante Antworten drängen, die von den Zuständigen bisher viel zu zögerlich kommen; die aufgeführten Beispiele sind erste, oft zaghafte Schritte. Vielleicht könnte der häusliche Mikrokosmos den Makrokosmos Welt(‑kirche) hier zu größeren ökumenischen Anstrengungen motivieren.
Dieser Artikel ist eine aktualisierte Fassung des Artikels „Anerkennung der Alterität. Ökumene mit den Religionslosen“ in: Herder Korrespondenz. Spezial (2010) Nr. 1, 39–43.