Mühen in der Ebene – Ökumene der dritten Art in Gemeinde und Erwachsenenbildung
Einleitung
Es ist etwa zehn Jahre her, da hörte ich das erste Mal über die Ökumene der dritten Art (Tiefensee 2006). Nach dem Aufsatz „Religiös unmusikalisch“, den Eberhard Tiefensee bereits einige Jahre vorher verfasst hatte (Tiefensee 1999), kam hier eine Weiterentwicklung, die zum einen schlüssig anmutete und das erste Mal richtig deutlich machte, wie eine ostdeutsche Theologie aussehen kann. Zum anderen platzte der Ansatz Tiefensees in eine Diskussion, die der Wiener Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner mit angestoßen hatte, in dem er Ostdeutschland als eine Gegend bezeichnete, in der Kirche nichts mehr zu verlieren hat, sondern durch innovative pastorale Ansätze nur gewinnen kann: „Die Lage der katholischen Kirche in Ostdeutschland ist – statistisch gesehen – so prekär, dass sie nichts verlieren, sondern durch Risiko nur gewinnen kann. Diese kleine, verschworene Kirche ist in der interessanten Lage, dass sie pionierartig eine sehr missionarische Kirche werden kann. Sie kann in der Begegnung mit den atheisierten Menschen, mit religiösen Analphabeten viel riskieren, indem sie ausprobiert, wie das Evangelium in die Biografie von Menschen hinein kommen kann, die – ohne eigenes Zutun, ohne Bosheit – mit dem Evangelium überhaupt noch nicht in Berührung gekommen sind. Ostdeutschland und ähnlich Tschechien sind sozusagen pastorale Biotope, in denen Dinge ausprobiert werden können, die für die Kirche in Europa überlebenswichtig werden können“ (Zulehner 2001).
Ähnlich skizzierte es der Münsteraner Pastoraltheologe Dieter Emeis, der von einer Vorbildfunktion für die westlichen Bundesländer sprach, für die die Situation im Osten Deutschlands sozusagen der Vorgeschmack auf eine ähnlich säkulare Situation in Zukunft sei: „Es gibt bestimmte Erfahrungen in den neuen Bundesländern, die für die alten wichtig werden ... Schon jetzt verfolgen die alten Bundesländer aufmerksam, wenn in Ostdeutschland etwa neue Liturgieformen zum Einsatz kommen ... oder auch spezielle Angebote für Nicht-Christen ..., die sich auf der Sinnsuche befinden und für ihr Leben Zuspruch erwarten“ (Emeis 2004). Für beide, Zulehner und Emeis, galt der Osten als Experimentierfeld für eine gesamtdeutsche, auch gesamteuropäische Pastoral der Zukunft. Es schien der richtige Zeitpunkt zu sein. Die Aussagen Tiefensees, Zulehners und Emeis’ wurden kaum bestritten, fanden eher Bestätigung, und dennoch ist es ernüchternd zu sehen, wie wenig aus diesem hoffungsvollen Ansatz bisher umgesetzt worden ist.
Der Beitrag wird sich also zum Ersten mit der Frage befassen, woran es liegt, dass trotz weitläufiger Zustimmung von einer Ökumene der dritten Art im Erlebensfall kaum die Rede ist. Und zum Zweiten versucht er nach den Kriterien Tiefensees am Beispiel der kirchlichen Erwachsenenbildung deutlich zu machen, wie ein Ökumene-3-taugliches Klima aussehen kann.
Vergewisserung
Für diesen Aufsatz darf der Ansatz der Ökumene 3 als bekannt vorausgesetzt werden. In den Blick kommen hier aber besonders nochmal die von Tiefensee geschilderten Risiken und Nebenwirkungen, die eine Ökumene der dritten Art deutlich von einer Missionspastoral unterscheiden. Hier liegt wohl auch der eigentliche Grund, warum aus der Ökumene 3 nicht längst ein flächendeckendes Phänomen geworden ist. Tiefensees Ansatz zur Ökumene der dritten Art richtet seinen Blick auf die „Untheisten“ (Erich Loest). Diese stellen keine religiösen Fragen und suchen ebenso wenig religiöse Antworten, ohne im Atheismus zu landen.
In diesem für Christen diffusen Feld verortet Tiefensee die Ökumene 3. Wer nichts erwartet und keine Antwort braucht, ist auf eine ganz bestimmte Weise unentschieden und offen. Und da sich so jemand im Osten Deutschlands selbstverständlich für normal hält und der Mensch auf Neugier und Interesse ausgelegt ist, kann hier Dialog auf eine ganz eigene Weise möglich sein.
Risiken und Nebenwirkungen – oder was Ökumene der dritten Art nicht ist
Für diesen Dialog gibt es für Tiefensee einige Voraussetzungen, die atypisch für Gruppen mit christlichem Missionshintergrund sind. Vor allem eine Frage, die typisch für heutige Kirche ist, verbietet sich in dieser Form der Pastoral: Was bringt es uns? – „Es geht hier nicht darum, den Anderen auf ‚unsere Seite‘ zu ziehen; sondern darum, möglichst viel gemeinsam zu machen. Es ist keine Pastoral ‚für‘ andere, sondern vor allem mit den Anderen. In dieser offenen Pastoral kann das eigene christliche Profil weit besser geschärft werden“ (Tiefensee 2006). Die konkreten Schritte einer solchen Pastoral sollen auf möglichst „neutralem“ Boden erfolgen. Dass sich jedwede nostalgische Erinnerung an vermeintlich bessere Zeiten in diesem Dialog verbietet, versteht sich von selbst. Denn diese Erinnerung wäre beim Gegenüber mindestens eine ganz andere und mit Sicherheit unverständlich.
Diese Vorbemerkungen beschreiben allerdings nüchtern den Ist-Zustand in ostdeutschen Gemeinden und Bistümern. Natürlich kommt aus Ordinariaten immer wieder die Frage „Was bringt es uns?“. Selbstverständlich gibt es ein missionarisches Ziel und die Hoffnung, dass unsere Gemeinden irgendetwas Gelingendes gegen die Schrumpfungsprozesse setzen. Allenthalben lebt Kirche im Osten Deutschlands in einer eigenartigen (N)Ostalgie, die das Aushalten des DDR-Drucks und die Überwindung des sozialistischen Systems nicht ohne Stolz ins Heute hinein gerettet hat. Das darf alles sein – nur hat es mit Ökumene 3 nichts zu tun und verhindert diese regelrecht.
Warum Ö 3 für die Gemeinden selten bis gar nicht funktioniert
Das beginnt schon mit dem neutralen Boden. Wo gibt es diesen neutralen Boden? Wenn Gemeinde nicht ins Pfarrhaus, in die Kirche oder ins Gemeindezentrum darf, weiß sie meistens nicht, wohin. Denn das hieße, sicheres Terrain zu verlassen. Trotzdem gibt es natürlich Möglichkeiten. Ökumene 3 setzt deutlich mehr als ihre beiden Geschwister auf das Engagement des einzelnen suchenden Christen. Der muss die Fragen, die er anderen stellen möchte, auch sich selbst zu stellen bereit sein. Und da finden sich natürlich unverdächtige Orte auf neutralem Boden. So kann das Gespräch auf individueller Ebene äußerst fruchtbar sein, hat aber wenig bis keine Relevanz für das Leben in den Gemeinden. Die wollen und sollen ja missionarisch sein, und da bringt Tiefensees Ansatz viel vermeintlich Selbstverständliches für die Gemeinden durcheinander und fordert diese in ungewohntem Maße heraus.
Noch schwieriger ist das Frageverbot „Was bringt es uns?“. Diese Frage nicht zu stellen, ist das wohl größte Hindernis für diese Form der Ökumene. Und es ist die Frage, die sich auch kirchliche Bildungseinrichtungen immer wieder gefallen lassen müssen, wenn sie in ihrem Angebot scheinbar beliebige Veranstaltungen haben, die so gar nicht zum katholischen Kerngeschäft passen. „Macht euch nicht mit dieser Welt gemein“ hat hier seine starke Wirkungsgeschichte entfalten können und entwickelt einen enormen innerkirchlichen Rechtfertigungsdruck, der eine gelingende Ökumene-3-Praxis eher behindert denn befördert. Denn Bistümer und Gemeinden haben ein Ziel und natürlich den Wunsch, dass sie größer und nicht immer kleiner werden. Und diesen Wunsch dann bei potentiellen Interessenten hintanzustellen, gelingt kaum. Es ist in der pastoralen Praxis schwer vermittelbar, dass es gravierende Unterschiede zwischen Mission und einer Ökumene der dritten Art gibt – weil insgeheim ja doch gehofft wird, dass das Ganze ein Prozess ist, der die Schrumpfung der Gemeinden zum Halten bringt.
Ein weiterer Punkt ist das Fehlen eines klaren Ansprechpartners. Im Gespräch der Ö 1 (zwischen Christen) und Ö 2 (zwischen Religionen) sind die Gesprächspartner klar, sie zeichnen sich durch einen entschiedenen Glauben in einer bestimmten Form/Konfession aus, und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind mit überschaubarem Aufwand herauszufinden. Daraus lassen sich auch leicht gemeinsame Veranstaltungen, Positionspapiere, Stellungnahmen, Aufgaben etc. entwickeln. Anders bei der Ö 3. Niemand ist direkt autorisiert, für Ö 3 zu sprechen, jeder neue Gesprächspartner steht für ein eigenes Glaubens-/Fragebild, das nicht den Anspruch hat, mit dem anderer Untheisten kompatibel zu sein. Krass gesagt: Wir müssten eigentlich mit jedem sprechen. Natürlich ergeben sich Gemeinsamkeiten, aber eine gemeinsame Position ist kaum zu erarbeiten. Es fällt schwer, diese – für Ö 1 und Ö 2 liebgewonnene – Konsens- oder Kompromisssuche hier komplett wegzulassen.
In der Frage der Ökumene der dritten Art hat Kirche auch ein Kommunikationsproblem. Meines Wissens gibt es in keinem Ordinariat ein Referat, das sich dieses Thema auf die Fahnen geschrieben hat. Aber wer Ökumene 3 will, muss sie auch entwickeln, muss Formate und Formen finden, wo diese einzigartige Form der Ökumene funktioniert, und dann in der Lage sein, eben dies auch für andere aufzubereiten. Die Zielorientierung pastoralen und missionarischen Arbeitens steht dieser Herausforderung schlicht im Wege.
Fazit: Das Modell wird gern benannt, um zu zeigen, dass wir wissen, wo wir leben, aber eigentlich sind wir noch nicht fähig, dieses Modell zu benutzen, weil uns die Sprache, die Mittel und der wirkliche Wille fehlen, in diesen Prozess mitgestaltend einzugreifen. Das, was passiert, sind eher Randerscheinungen einer im Großen und Ganzen mit sich selbst beschäftigten Kirche. Die Frage, die für Ö 1 und Ö 2 noch Relevanz hat, ist nicht Ö-3-tauglich. Folglich tun wir uns schwer, weil wir ökumenische Prozesse anders denken und an irgendeinem Fortschritt des Prozesses interessiert sind. Ungeklärte Fragen stören da: Wer sind denn unsere Gesprächspartner und was soll am Ende eines solchen Prozesses stehen?
Natürlich gibt es Ausnahmen von der Regel: in Leipzig der Club der Nachdenklichen mit Pater Knüfer und die Angebote der Kontaktstelle Orientierung, die Herangehensweise von Menschen wie Andreas Knapp und den Kleinen Brüdern und Schwestern – als unspektakuläre „Einmischung ins Alltagsleben“. Hier ist auch die Suchendenpastoral im Erzbistum Berlin zu nennen. Aber schon dieser Blick zeigt: Das gemeindliche Umfeld wird verlassen und wir gelangen in den Bereich, der erwachsenenbildungstypisch ist.
Ö 3-Ansätze in der Erwachsenenbildung
Wieso soll nun in der Erwachsenenbildung das gelingen, was in Gemeinden und Pastoralämtern in der Regel nicht funktioniert? Vor allem, weil es hier Erfahrungen gibt. Diese würden die Beteiligten zwar nicht unbedingt als Ökumene der dritten Art bezeichnen, mancher ist möglicherweise überrascht, aber ein Blick darauf zeigt, dass die Bedingungen, die Tiefensee formuliert, hier erfüllt werden können.
Zielgruppe
Die Herausforderungen für die Erwachsenenbildung, die sich nicht nur auf das eigene Kernklientel stützt, sind die gleichen wie für die Ö 3. Kirchliche Erwachsenenbildung passiert an vielen Orten, in Gemeinden, Akademien, Bildungshäusern, Volkshochschulen. Sie bedient sich unterschiedlichster Formate und Methoden und steht in dauernder Beziehung zu anderen Trägern der Erwachsenenbildung, kooperiert mit ihnen und hat selbstverständlich eine Sprache gefunden, in der das eigene Profil nicht verwässert, aber kommunikativ kompatibel bleibt. Schon allein dadurch, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bildungsangebote eine weitaus größere Zielgruppe im Blick hat als das katholisch-christliche Milieu.
Klima und Ort
Bildung ist hier in einem Klima möglich, das die Voraussetzungen einer Ökumene der dritten Art schafft: vorurteilsfrei, absichtslos, respektierend. Das Ziel der Bildung selbst ist in der Regel nicht die Ökumene der dritten Art. Aber durch den besonderen Ort (bspw. das Bildungshaus, die Volkshochschule, das Museum, das Theater, der Akademiegarten, der Vorlesungssaal …) wird ein kirchenuntypisches besonderes Umfeld geschaffen, das Fragen und Gespräche in ungezwungener Atmosphäre ermöglicht und bei dem es auch genügend Beteiligte mit nichtkirchlichem Hintergrund gibt.
Die Vorteile liegen auf der Hand. Zum einen bietet kirchliche Erwachsenenbildung den neutralen Boden, der es leicht macht, miteinander unverdächtig ins Gespräch zu kommen. Ganz einfach weil es typisch für viele Bildungsveranstaltungen ist, dass die Teilnehmenden sich über den Ort und das Thema zu einem Kurs entscheiden und davon ausgehen können, dass es nicht nur kirchliche Themen sind. Das Programm von kirchlichen Bildungsstätten und Trägern ist zumeist recht bunt und vielfältig. Hier kommt es eher darauf an, Bildung unter einem bestimmten Vorzeichen zu gestalten – so, dass es den Beteiligten schon merklich auffallen darf, dass die Träger der Bildung aus dem kirchlichen Bereich kommen, aber auch so, dass eben dies nicht dauernd thematisiert wird. Wahrnehmbar sollte dafür eine bestimmte Atmosphäre sein (christliche Krankenhäuser, Schulen oder Kindergärten stehen unter ähnlichen Anforderungen) – vergleichbar einem Vorzeichen in der Musik, das Freiheit in der Gestaltung lässt, aber schon bestimmt, welche Töne verwendbar sind und welche eher Disharmonie erzeugen.
Zeitliche Begrenzung
Durch die zumeist zeitlich begrenzten Bildungsveranstaltungen ist es einfach, ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz zuzulassen. Es erwartet schließlich keiner, dass jemand sich sofort wieder zur nächsten Veranstaltung sehen lässt. „Der Kurs ist aus und alle gehen nach Haus – basta.“ In diesem unverdächtigen Klima können auf einmal Fragen gestellt und gemeinsam Antworten gesucht werden, die von der vorausgesetzten Offenheit profitieren. Gerade in den Zeiten konstruktivistischer Pädagogik, die in Bildungsabläufen stark auf die Erfahrungen und Kompetenzen jedes Einzelnen in der Gruppe setzt und in der Bildungsziele sich oft erst im Prozess konkretisieren, gelingt es, ein Klima zu schaffen, das diese gemeinsame Wahrheitssuche ermöglicht.
Gruppensituation
Die Heterogenität der Gruppen ist ebenso ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die jeweils neue Gruppensituation ist für alle Beteiligten gleichermaßen eine Herausforderung. In immer wieder neuen Konstellationen ergeben sich Gesprächs- und Austauschmöglichkeiten. Und jeder kann selbst entscheiden, wie tief er sich in die Diskussion einbringt. Außerdem kommt niemand in eine bereits bestehende Gruppe mit festgelegten Ritualen und Hierarchien.
Natürlich spielt auch der Teilnehmendenkreis eine Rolle. Es sind vorwiegend bildungsaffine Menschen, die genügend Neugier mitbringen und durch die eigene Geschichte an das offene Fragen und Debattieren in Bildungszusammenhängen gewohnt sind.
Was sich verändert?
Pater Bernd Knüfer SJ aus Leipzig darf sicher zu den Protagonisten einer Ökumene der dritten Art gezählt werden. Zu seiner Verabschiedung als Leiter der Kontaktstelle Orientierung gab er der Kirchenzeitung „Tag des Herrn“ ein Interview. Dabei stellte er ernüchternd fest: „Wer so viel mit Nichtchristen zu tun hat wie ich, kann sich in den herkömmlichen christlichen Kreisen nicht mehr so leicht bewegen. ... Wir haben innerkirchlich zum Teil Probleme, die an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen. Ich meine damit dies: Im binnenkirchlichen Raum herrscht so ein bestimmtes Treibhausklima, das fast wie beim Hospitalismus zur Entwicklung typischer Binnenprobleme führt: zum Beispiel Konfliktunfähigkeit und Schwierigkeit mit kollegialem Zusammenarbeiten, Angst vor dem Thema Sexualität, Rivalitäten. Das ist vielleicht zu vergleichen mit Bakterienstämmen, die sich nur unter Krankenhaus-Bedingungen entwickeln können. Und der Außenstehende fragt sich: Was soll denn das? Die haben dann andere Probleme, aber über unsere wundern sie sich doch sehr“ (Knüfer 2007).
Erwartungsfreier Dialog
Wer ist dialogtauglich? Hier wird die Frage spannend – denn es sind nicht mehr in erster Linie die Theologen und das Lehramt, das diesen Dialog führt, sondern Ö 3 ist tauglich für jeden, der sich das Fragen offen hält und versucht, mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Das Ergebnis kann dann wirklich verändern. In dem Maße, wie Christen dialogfähig werden und gleichzeitig die Sprachfähigkeit für ihren eigenen Glauben dialogisch neu entdecken, wird sich ein Selbstbewusstsein entwickeln können, das sich nicht mit einfachen Antworten abspeisen lässt. Ö 3 ist daher auch als Chance zum Mündigwerden des Christen zu verstehen. Diese Bewegung birgt auch Gefahren. Aber letztlich ist sie die konsequente Weiterentwicklung des Gedankens des sich „vor der Vernunft verantworteten Glaubens“ oder, wie Pater Knüfer es zum Abschluss des zitierten Interviews auf die Frage, ob ihn die Begegnung mit nichtchristlichen Menschen verändert hat, formuliert: „Ich habe mich natürlich verändert, zumindest hoffe ich das. … Der Kontakt mit den Nichtchristen hat mich vor allem gelehrt, auf die wesentlichen Dinge unseres Glaubens zu achten und auch die Frage nicht aus den Augen zu verlieren: ‚Was hilft der Glauben, dieser Glaubenssatz, das Leben und den Tod zu bewältigen‘. Diese Konzentration ist sehr hilfreich, denn sie macht auch das eigene Glaubensleben viel substantieller“ (ebd.).
Das Interview mit Pater Knüfer wurde 2007 geführt. Die Antworten der Beteiligten sähen heute ähnlich aus – auch das ein Indiz, dass sich die Ökumene 3 äußerst langsam entwickelt.
Herausforderungen für heute: Herbergspastoral versus Hospizpastoral
Bringen wir dieses Klima der Offenheit mit den pastoralen Gestaltungskonzepten in Einklang, könnte man formulieren, dass es durchaus einen Unterschied macht, ob eine Pastoral zielorientiert oder voraussetzungsfrei einladend ist. Für beide Formen gibt es gute Gründe.
Das Kennzeichen einer Hospizpastoral ist ein zielorientiertes Vorgehen. Natürlich geht es auch um neue Mitglieder, die am besten ein Leben lang das Leben in einer Gemeinde mit teilen sollen, die sich taufen lassen und sich „bis dass der Tod uns scheidet“ zur Kirche zugehörig fühlen. Dagegen soll hier auch nichts gesagt werden, nur hat auch das mit Ökumene 3 recht wenig zu tun. Tiefensee beschreibt diesen Blick trotzdem als wichtig, vor allem für die eigene ökumenische Dialogfähigkeit: „Der missionarische Blick auf den nichtchristlichen Raum, hierzulande also auf Atheisten und religiös Indifferente, könnte eine durch Binnendiskurse zunehmend ermüdete Ökumene beleben. Sie würde ihr eigentliches Motiv zurückgewinnen und sich auf die wesentlichen Fragen besinnen“ (Tiefensee 2010, 40).
Dagegen sind die Kennzeichen einer Herbergspastoral, dass sie diese Zielorientierung schlicht ignoriert. Die Begegnung ist das Wichtigste, und diese ist offen für Fragen, Veränderung und das selbstverständliche ‚Wieder-Gehen‘. Sie ist in der Hinsicht voraussetzungslos, da sie nicht davon ausgeht, dass die Beteiligten auf lange Sicht am Dialog teilnehmen. Natürlich darf Letzteres als Option nicht ausgeschlossen werden, aber es ist nicht Ziel des ökumenischen Dialogs. Im Dialog sind die gemeinsamen Suchbewegungen das Spannende, der Raum, in dem um religiöses oder sinnsuchendes Fragen gerungen werden kann. Dieser Raum kann ohne Worte auskommen und einfach ein Klima des gegenseitigen Akzeptierens und Wohlwollens sein.
In einem Vortrag vor Supervisoren im Jahr 2013 suchte Eberhard Tiefensee nach Spuren der Transzendenz in Organisationen (vgl. Tiefensee 2014). Seine verblüffende und einfache Antwort war: Transzendenz ereignet sich in einem Klima der Dankbarkeit. Ein Klima, in dem der Mensch weiß, dass er sich selbst zu verdanken hat, anderen dankbar sein kann und selbst auch Dankbarkeit verdient. Es ist das Klima, in dem auch die Ökumene 3 gelingen kann – auch dann, wenn der Dialog darüber von und mit immer neuen Menschen geführt werden muss. Es ist die Aufgabe unserer Zeit, in einem Klima der Dankbarkeit eine Atmosphäre zu schaffen, die den Dialog einer Ökumene der dritten Art auch für Nichtchristen interessant macht. Und es ist eine Herausforderung für Kirche, anschlussfähig für die Welt von heute zu sein.