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Im Anfang war das Wort …

Partizipation vieler Akteure im Stadtteilnetzwerk

Auch und gerade in der Pfar­rei kann das Be­wusst­sein wach­sen, als Chris­ten Sauer­teig für das kon­kre­te Le­bens­umfeld zu sein und mit an­de­ren Men­schen zum Wohl des Ge­mein­we­sens zu koope­rie­ren. Pfar­rer Matthias Eg­gers be­­schreibt den per­sön­lichen Weg und den ge­mein­schaft­li­chen Pro­zess, der in der Pfar­rei St. Pe­trus in Wol­fen­büt­tel zu ei­nem ver­tief­ten Ver­ständ­nis der Ver­­ant­wor­tung und Par­ti­zi­pa­tion und zu ei­nem neu­en Han­deln vie­ler Part­ner in ei­nem Stadt­teil­netz­werk ge­führt hat, das sie dort als mis­si­o­na­risch er­­­le­ben.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich 16 Jahre alt war und zum ersten Mal bei einem „Bibel-Teilen“ – einem gemeinsamen Schrift­ge­spräch – dabei gewesen bin. Es fand in der Sakristei meiner Heimatge­meinde St. Martinus in Hildesheim-Himmelsthür statt. Die Erfahrung, dass das gemeinschaftlich geteilte Wort Gottes das eigene Herz tief be­rühren kann, war damals für mich grundlegend. Für mich war klar, so muss Kirche sein: im gemeinschaftlichen Teilen von Glau­ben und Leben von Gottes Geist berührt zu werden, um eine hoff­nungs­volle Perspektive für das eigene Leben zu finden.

Weltkirchliches Lernen als Inspiration

Als junger Pfarrer lag hier mein erstes Interesse: spirituelle Erfah­rungs­­räume zu schaf­fen, die die per­sön­li­che Gottes­bezieh­ung stär­ken, um aus der Begeg­nung mit Gott zum Dienst in der Welt die ei­ge­ne Be­ru­fung zu fin­den. So hat­te es auch die Diö­ze­san­syno­de des Bis­tums Hil­des­heim im Jahr 1989 fest­ge­hal­ten: „Gemein­schaft mit Gott – mit­ein­an­der für die Welt“. Auch mein ein­jähri­ger Auf­ent­halt bei der öku­me­ni­schen Bru­der­­schaft von Taizé hat die­sen Wunsch bei mir ver­tieft. Bemer­kens­wer­ter­­wei­se war ich als jun­ger Pries­ter ein we­nig er­nüch­tert darü­ber, dass ich in der Pas­to­ral kaum ein tie­fer­gehen­des und re­flek­tier­tes Su­chen und Rin­­gen nach sol­chen neu­en spi­ri­tu­el­len So­zi­al­for­men fin­den kon­nte. Umso dank­ba­rer war ich, als ich im Jah­re 2009 an ei­nem be­mer­kens­wer­­ten Sym­po­si­um un­ter dem Ti­tel „Klei­ne Christ­­li­che Ge­mein­schaf­ten ver­steh­en“ teil­neh­men konn­te, das un­ter der Pers­pek­ti­ve des welt­kirch­­li­chen Ler­nens stand. Schon hier wurde mir deut­lich, wie lang­wie­rig offen­sicht­lich kirch­li­che Ent­wick­lungs­pro­zes­se sind und dass es nicht so sehr da­rum geht, Pas­to­ral­kon­zep­te für das Hier und Jetzt zu ent­wick­eln, son­dern viel­mehr grund­le­gen­de Pers­pek­ti­ven und Prin­zi­pi­en zu fin­den, in de­nen nach­hal­ti­ge pas­to­ra­le Wachs­­tums­­pro­­zes­­se er­mög­­licht wer­­den. Moti­viert von die­sem Sym­posi­um nahm ich 2011 an ei­ner Ex­po­sure-Rei­se nach Süd­afri­ka teil. Ziel die­ser Rei­se war es, Er­fah­run­gen zu sammeln, die wir für un­se­re ei­ge­ne loka­le Kir­chen­ent­wick­lung frucht­bar ma­chen kön­nen. Bei ei­nem der ers­ten Tref­fen be­geg­ne­ten wir An­selm Pirior, ei­­nem er­fah­re­nen Theo­lo­gen im Hin­blick auf die The­ma­tik der „Klei­nen Christ­li­chen Ge­mein­schaf­ten“. Ich ha­be sehr er­staunt zur Kennt­nis ge­­nom­­men, dass er uns die pas­tora­len Pro­zes­se – aus­geh­end von den 60er Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts – in ei­nem Schau­bild dar­stel­len und er­läu­tern konn­te. Das pas­to­ra­le Han­deln war weit­gehend ein­ge­bun­­den in um­fas­sen­de Re­flexions- und Par­ti­zi­pati­ons­pro­zes­se zwi­schen den Bi­schö­fen, den Ver­ant­wort­li­chen für die Pas­to­ral und den Ge­mein­den vor Ort. Sehr be­ein­druckt hat­te mich auch die Pfar­rei „Christ the new man“. In je­dem Wohn­be­zirk des Stadt­teils gab es eine klei­ne christ­li­che Ge­mein­schaft, die sich regel­mäßig zum Schrift­ge­spräch traf und fort­­wäh­rend ver­such­te, die so­zi­a­len Heraus­for­de­run­gen im ei­ge­nen klei­nen Stadt­be­zirk in den Blick zu neh­men. Die Ver­tie­fung im Glau­ben und sozi­­a­les En­ga­ge­ment im nach­bar­schaft­li­chen Be­reich wa­ren hier aufs Engste mit­ein­an­der ver­bun­den.

Zu dieser Zeit ging ich noch eher davon aus, „from­me Gruppen“ an mög­­lichst vie­len Or­ten in unse­rer Pfar­rei grün­den zu müs­sen, die sich dann auch so­zial irgend­wie en­ga­gie­ren. Gleich­wohl merk­te ich sehr deut­lich, dass Süd­afrika nicht West­euro­pa ist und dass auch mein Han­deln als lei­­ten­der Pfar­rer ein­ge­bun­den sein muss in die ei­ne ge­mein­sa­me Ziel­pers­­pek­­tive mit dem Pfarr­gemein­de­rat und den ver­schie­de­nen Kirch­orts­­rä­ten. Hier gab es bis­her gro­ße Vor­be­hal­te ge­gen­über ei­ner sys­te­ma­ti­­schen Imple­men­tie­rung von Klei­nen Christ­li­chen Ge­mein­schaf­ten. So frag­te nicht nur ich mich: Was be­deu­tet die Ent­wick­lung der Klei­nen Christ­li­chen Ge­mein­schaf­ten welt­weit für un­se­re Brei­ten und für un­ser kirch­li­ches Han­deln?

Lokalräumliches Handeln in Kirche und Staat

Bemerkenswerterweise bekamen wir in dieser Zeit eine Anfrage der Stadt Wolfenbüttel, ob unsere katholische Kindertagesstätte mit ihren 100 Kindern ein Familienzentrum werden könnte. Mir war schon vor längerer Zeit die Kongruenz zwischen kirchlichen Wachs­tums­pro­zes­sen in welt­kirch­li­chen Kon­texten und den gesell­schaft­lichen Ent­wick­lun­gen auf­ge­fallen. In einer immer unübersichtlicheren und mobi­le­ren Welt, in der die Indi­vi­duali­sie­rungs­schü­be immer stärker werden, wird der Sozial­raum für die Lö­sung vie­ler Pro­bleme im­mer wich­tiger. Zwei Jahre zuvor hatten wir die An­fra­ge einer Woh­nungs­bau­gesell­schaft be­­kom­men, die uns da­rauf auf­merk­sam mach­te, dass es in un­se­rem Stadt­teil im Nord­osten Wolfen­büttels kaum Begeg­nungs­mög­lich­kei­ten, kei­ne Ver­eine und so gut wie kein Stadt­teil­leben gebe. Es wurde die Er­war­tung an uns heran­ge­tragen, doch etwas dazu bei­zu­tra­gen, dass es ein besse­res Mit­einan­der im Stadt­teil geben kann. Zum Glück hatten wir bei der Fu­sio­nie­rung unse­rer Pfar­rei vor neun Jah­ren nicht alle loka­len Verant­wor­tungs­strukturen zentralisiert. Wir haben vielmehr in Absprache mit un­serer Bis­tums­lei­tung neue Formen der kirchlichen Mitverantwortung vor Ort entwickelt und sogenannte Kirch­orts­räte instal­liert bzw. wäh­len las­sen, die auch ohne An­wesen­heit ei­nes Pries­ters bzw. Haupt­amt­li­chen vor Ort arbei­ten kön­nen. Auch die­ser Pro­zess ist übri­gens in um­fang­rei­­chen Par­ti­zi­pa­tions- und Be­ra­tungs­pro­zes­sen voll­zogen worden. Das war zwar sehr zeit­rau­bend und in­ten­siv, zahlt sich jetzt aber aus. Wäh­rend vie­le Pfar­rei­en kla­gen, nicht genü­gend Kan­di­da­ten für ihre Gre­mien fin­­den zu kön­nen, sind wir dank­bar dafür, in un­se­rer Pfar­rei mehr als 70 Per­­so­nen zu ha­ben, die be­reit sind, sich vor Ort zu en­ga­gie­ren.

Im welt­kirch­li­chen Ler­nen, in der An­fra­ge der Stadt und der vor­sich­­ti­­gen An­fra­ge der Woh­nungs­bau­gesell­schaft an bei­de Kir­chen­gemein­den im Stadt­teil zeig­te sich eine durch­gehen­de Pers­pek­ti­ve: die Be­deu­tung des sozial­räum­li­chen Han­delns. Schnell wur­den dem Kirch­orts­rat St. Ans­­gar und mir deut­lich, dass ein sol­ches Enga­gement nur öku­me­nisch sinn­voll ist. Die gu­te Tra­di­ti­on der öku­me­ni­schen Zu­sam­men­arbeit der bei­den christ­li­chen Ge­mein­den in die­sem Stadt­teil, in dem im Übri­gen nur ca. 10 % der Be­woh­ner katho­lisch sind, war ein gu­tes Fun­da­ment, auf dem wir jetzt auf­bau­en konn­ten.

Katholisch mal grundlegend ökumenisch: Die Menschen guten Willens zusammenbringen!

Sehr schnell kam es zwischen unserer katholischen Sankt-Ansgar-Ge­mein­de und der evangelischen Sankt-Thomas-Gemeinde zu dem Kon­sens, ein ökumenisches und Generationen übergreifendes Familien­zen­trum unter Beteiligung der katholischen Kindertagesstätte und des evangelischen Kindergartens zu entwickeln. Von Anfang an war uns dabei wichtig, auch die anderen gesellschaftlichen Einrichtungen und Ver­ant­wor­tungs­träger im Stadtteil zusammenzubringen, um die Ent­wicklung des Stadtteils vorantreiben zu können. Zu diesem Zweck grün­deten wir gleichzeitig neben dem ökumenischen und Gene­ra­tionen über­­grei­fen­den Fa­milien­zen­trum ein Stadtteilnetzwerk, das bewusst keine rein kirch­li­che Initi­ative sein will, auch wenn es öku­me­nisch initi­iert wurde. So ist auch auf der Ebene der Insti­tu­tionen ein gemein­sames Arbei­ten auf Augen­höhe möglich. Hier der Grün­dungstext aus dem Jah­re 2012:

„Das Wolfenbütteler Stadtteilnetzwerk Nord-Ost möchte:

  • Räume schaffen und Raum bieten, um Men­schen ver­schie­dener Ge­ne­ra­tionen, Kultu­ren und sozialer Schich­ten zusam­men­zubringen,
  • Begegnungsinitiativen fördern und Begegnungen initiieren,
  • Engagement initiieren und das Gemeinwohl fördern,
  • ein Forum bieten, Initiativen verschiedener Institu­ti­onen auf­­­einander ab­zu­stim­men und gege­be­nen­falls zu vernetzen,
  • und damit auf gesellschaftliche Herausforderungen antworten:
      • Wegbrechen familiärer bzw. sozialer Netze (Mobilität),
      • Älterwerden,
      • Isolation,
      • Individualisierung.
  • eigene Beratungs- und Unterstützungsangebote vorhalten.

Dieses Stadtteil-Netz­werk soll also den sozia­len Zu­sam­men­hang zwi­schen den Be­woh­ner/in­nen unse­res Stadt­vier­tels – das ja bis­lang auch noch kei­nen Na­men hat – stär­ken und da­durch die Freu­de ver­grö­ßern, hier zu le­ben.“

Die einzelnen Netzwerkpartner waren zu diesem Zeitpunkt: Die Kin­der­ta­ges­stät­te St. Ans­gar und der Kin­der­gar­ten St. Tho­mas, der Ca­ri­tas­ver­band Wol­fen­büt­tel und die Dia­ko­nie-Kreis­stel­le Wol­fen­büt­tel, die Grund­schu­le am Gei­tel­platz, die Fach­hoch­schu­le Ost­falia, die WoBau-Genos­sen­schaft, eben­so Stadt und Land­kreis Wol­fen­büt­tel. Als sehr för­der­lich für den Start bei­der Pro­jek­te, sowohl des öku­me­ni­schen Fa­mi­­­li­en­zen­trums als auch des Stadt­teil­netz­werkes, er­wies sich die Ge­wäh­rung ei­ner auf drei Jah­re be­fris­te­ten Pro­jekt­stel­le des Bis­tums Hil­des­heim. Im Rah­men der „Loka­len Kir­chen­ent­wick­lung“ hat­te das Bis­tum an­ge­bo­ten, sol­che Stel­len be­fris­tet ein­zu­rich­ten. Ei­ne ers­te Auf­gabe unse­rer dama­li­gen Koordi­na­to­rin war die Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung ei­ner Zu­kunfts­kon­fe­renz im Herbst 2012. Un­ter dem Ti­tel „Ein Stadt­teil bricht auf – Mach mit!“ hat­ten die katho­li­sche Pfar­rei St. Petrus mit dem Kirch­ort St. Ans­gar und die Ev.-luth. Kir­chen­gemein­de St. Tho­mas in den Thea­ter­saal des Wol­fen­büt­te­ler Schlos­ses ein­ge­la­den – Mit­arbei­ter und Mit­arbei­terin­nen bei­der Kir­chen, der Kin­der­gär­ten, der Gei­tel­schu­le, Stadt­teil­bewoh­ner und -bewoh­nerin­nen der jün­ge­ren und der älte­ren Gene­ra­ti­on, Trä­ger der So­zi­al­arbeit der Kir­chen und im Land­kreis, Vertreterinnen und Vertreter der WoBau-Genos­sen­schaft, der Stadt­ver­wal­tung und des Stadt­rates sowie der Fach­hoch­schu­le Ost­falia. Ins­­ge­samt ha­ben etwa 70 Per­so­­nen teil­­ge­­nom­men. In sechs Schrit­­ten mach­t­en sich die Grup­­pen auf den Weg, um Ideen für un­se­ren Stadt­teil mit sei­nen ca. 10.000 Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­nern zu ent­wick­eln. Mo­de­riert wur­de die Zu­kunfts­kon­fe­renz von zwei Mit­arbei­tern des Bis­tums Hil­des­heim. Mit viel Fan­ta­sie wur­de über­legt, wie der Stadt­teil, in dem wir le­ben, in fünf Jah­ren aus­schau­en könn­te, wel­che Ver­än­de­run­gen bis da­hin zu mehr Le­ben im Stadt­teil bei­tra­gen könn­ten. Ein­rich­tun­gen wur­den an­ge­dacht, vom „Café Birken­weg“ über den „Bür­ger­gar­ten Wol­fen­büt­tel“ bis zum „Re­gen­bo­gen­haus“. Wird es dann neu­arti­ge ver­netz­te e-Pinn­wän­de in allen Ge­schäf­ten und Ein­rich­tun­gen ge­ben? Ein zu­kunfts­wei­sen­des Mo­bi­li­täts­kon­zept für den Stadt­teil? Oder eine Viel­zahl ver­kehrs­beruhig­ter, kin­der- und fahr­rad­freund­li­cher Zo­nen? Wo­chen­märk­te, Stadt­teil­parks, Ener­gie­häu­ser, gar ein flo­rie­ren­des Nacht­le­ben oder eine stu­den­ti­sche Sze­ne im Vier­tel? Aus den vie­len Ideen der Fan­ta­sie-Pha­se wur­den fol­gen­de Zie­le ein­ver­nehm­lich heraus­des­til­liert:  

  • Schaffung von mehr Grünflächen
  • Stadtteilbüro/Koordinierungsstelle
  • Kommunikationsplattform
  • Wochenmarkt
  • Stadtteilidentität (Stadtteilfeste, Internet)
  • Treffpunkte für alle Generationen / lebens­wer­te Or­te der Be­geg­nung (Stadt­teil­café)
  • Bürgergarten
  • Zentraler Begegnungsort
  • Sportangebote/-projekte
  • Spiel- und Sportflächen
  • Inanspruchnahme und Angebote von ehren­amt­li­chen Dienst­leis­tun­gen
  • Medien und Informationssysteme
  • Mobilität (Car-Sharing, E-Bikes etc.)
  • Kooperation mit der Fachhochschule Ostfalia
  • Angebote für Kinder und Jugendliche
  • Generationsübergreifende Angebote

Im Herbst dieses Jahres wird die Zukunfts­konfe­renz, zu der die bei­den Kirchen­gemein­den ein­ge­la­den hat­ten, drei Jah­re hin­ter uns lie­gen. In die­ser Zeit ist sehr viel passiert. Eine Fül­le von neu­en Be­geg­nungs­mög­lich­kei­ten, ein Bür­ger­gar­ten, Näh­kur­se, verschiedene Initiativen, ge­mein­sa­me Feste, ein lebendiger Adventskalender, Film­nach­mit­ta­ge, Um­bau­arbei­ten und vie­le ande­re Pro­jekte sind in die­ser Zeit ent­stan­den. In regel­mäßi­gen Netz­werk­tref­fen werden die ver­schie­de­nen Pro­jek­te und Akti­vi­tä­ten ab­ge­stimmt und be­spro­chen. Re­gel­mäßi­ge Pres­se­be­rich­te, ei­ne Home­page, ein Mail­news­let­ter und ein halb­jähr­lich erschei­nen­des Info­blatt be­rich­ten von den ver­schie­de­nen Ent­wick­lun­gen und Ver­an­stal­tun­gen. Ich ha­be zu­sam­men mit mei­nem evan­ge­li­schen Mit­bruder, dem Pfar­rer von St. Tho­mas, und den bei­den Koor­di­na­torin­nen alle zwei Wo­chen eine re­gel­mäßi­ge Dienst­be­spre­chung. Erfreu­li­cher­wei­se konn­te die Fi­nan­zie­rung der bei­den Pro­jek­te mit­tel­fris­tig (für die nächs­ten fünf Jah­re) ge­sich­ert wer­den und wir sind ge­ra­de da­bei, die Grün­dung ei­nes Trä­ger­ver­eins ab­zu­schließen.

Heute staune ich selbst ein wenig, wohin uns das Su­chen nach spiri­tuel­len Er­fah­rungs­räu­men geführt hat: in den öku­me­ni­schen Dienst an die­ser Welt näm­lich, zu­sam­men mit vie­len ande­ren Akteu­ren. Auch wenn vie­les wie „klas­si­sche Sozial­arbeit“ aus­sieht, ist die grund­legen­de Pers­pekti­ve für mich eine spiri­tuel­le: Wir sind unter­wegs zum himm­li­schen Jeru­sa­lem, der Stadt Got­tes mit­ten un­ter den Men­schen, ei­nem Ort, zu dem alle Völ­ker pil­gern. Die Stadt, in der alle Woh­nung fin­den kön­nen und sich das Le­ben ent­fal­ten kann, darf – so ge­seh­en – nicht nur from­mer Wunsch sein, son­dern ist die Vi­si­on des an­brechen­den Reiches Got­tes, der un­ser pas­to­ra­les Han­deln zu die­nen hat. Ich ver­ste­he Mis­sion zu­neh­mend als die­sen ganz­heit­li­chen An­spruch, als grund­sätz­liche Hin­wen­dung zum Heils­dienst an den Men­schen. Schon immer ha­ben Mis­sio­na­re nicht nur Kir­chen ge­baut, son­dern auch Kran­ken­häu­ser und Schu­len. Zu­dem erfah­re ich, wie in den Heraus­for­de­run­gen, Proble­men, Ent­täu­schun­gen und Kon­flik­ten, die sich im Zu­sam­men­hang mit dem Auf­bau des Stadt­teil­netz­werkes und des öku­me­ni­schen Fa­milien­zen­trums erge­ben, die Litur­gie und das Ge­bet für mich die ent­schei­den­de Kraft­quelle ge­wor­den sind und sie mich in der Grund­pers­pek­ti­ve des En­gage­ments für die Welt sehr bestär­ken. Die großen bibli­schen Visio­nen, die uns lei­ten: der Dienst am Nächs­ten, der Auf­bau von Ver­bun­den­heit, das Über­schrei­ten von Gren­zen, das Zu­geh­en auf die Frem­den und das Ver­trau­en, dass wir trotz Unter­schie­de eine ein­zi­ge Mensch­heits­fa­mi­lie sind, wird darin deut­lich, dass Kir­che nicht nur sich selbst dient, son­dern ganz kon­kret im Dienst an allen tä­tig wird. Vie­le kön­nen auf ein­mal sehr kon­kret erfah­ren, was es heißt, dass Kir­che Werk­zeug und Sauer­teig sein soll. Sehr er­mu­ti­gend erle­be ich in die­sem Zusam­men­hang auch den Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus, der die Kir­che zu den Ar­men an die Rän­der der Ge­sell­schaft sen­det. Der Be­griff der Ar­mut muss dabei in unse­ren Brei­ten diffe­ren­ziert be­trach­tet wer­den. Die exis­ten­ziel­le Armut ist häu­fig nicht die mate­ri­­el­le Armut, son­dern die Be­ziehungs­armut. Wie oft muss ich auch als Seel­sor­ger er­fah­ren, dass Men­schen, die neben­ein­an­der woh­nen, nichts von­ein­an­der wis­sen und es ei­ne Fül­le von un­sicht­ba­ren Mau­ern des Miss­trau­ens und der Gleich­gül­tig­keit gibt? Ins­be­son­de­re bei unse­rer Zu­kunfts­kon­fe­renz wur­de deut­lich, dass die ge­sell­schaft­li­chen He­raus­for­de­run­gen so um­fas­send und groß sind, dass es ei­ne wirk­lich ge­mein­sa­me Anstren­gung aller be­tei­lig­ten Kräf­te braucht. Sich an einen Tisch zu setz­en und gemein­sam um Lö­sun­gen zu rin­gen, ist dabei die lei­ten­de Grund­pers­pek­ti­ve. Nicht nur das Han­deln des Ein­zel­nen ist der Ver­su­chung aus­ge­setzt, dass man ein­fach nur „sein Ding macht“ und im Wesent­li­chen nur seine eige­nen Inte­r­es­­sen im Blick hat. Auch das Han­deln von Insti­tutio­nen steht unter der­selben Ver­su­chung, vor­nehm­lich die ei­ge­nen Inte­r­es­sen im Blick zu ha­ben, statt gemein­sam das Wohl der Men­schen in den Blick zu neh­men. Es braucht aber eine katholische Perspektive im Sinne des Wortes: eine allumfassende Pers­pektive.

Ein solcher Weg ist nicht einfach und braucht viel Ge­duld, lan­gen Atem und ei­ne leiten­de und kraft­volle Vi­sion, die durch um­fassen­de Parti­zi­pa­tion bei mög­lichst vielen Men­schen ver­ankert ist. Für unser Han­deln war die Zu­kunfts­konfe­renz grund­legend. Aber wir machen auch zu­neh­mend die Er­fah­rung, wie frucht­brin­gend, nach­haltig und not­wen­dig die­ser Weg ist. Das zeigt sich be­son­ders bei den jetzt auf­brechen­den Heraus­forde­rungen ange­sichts der vie­len Flücht­linge, die in die­sen Stadt­teil kom­men. Bei ei­nem Info-Abend un­ter dem The­ma: „Flücht­linge in unse­rem Stadt­teil, wie kann ich hel­fen?“ ka­men mehr als 80 Per­so­nen zu­sam­men. Ver­tre­ter von allen Wohl­fahrts­ver­bän­den, die sich im Be­reich Migra­tions­arbeit en­ga­gie­ren, konn­ten ihre Ini­ti­ati­ven vor­stellen. Mein evange­li­scher Mit­bruder und ich ha­ben die­sen Abend mo­de­riert und wa­ren selbst von dem Zu­spruch sehr po­si­tiv über­rascht. Alle Ge­ne­ra­tio­nen wa­ren ver­tre­ten und es kamen offen­sicht­lich Mit­bür­ger aus den ver­schie­de­nen Milieus: Stu­den­ten der Fach­hoch­schu­le, Ver­tre­ter von Sport­ver­einen, un­se­re from­men Marien­ver­ehre­rin­nen, Ge­schäfts­leu­te aus dem Stadt­teil, Mit­bürger, die selbst ein­mal als Flücht­lin­ge vor mehre­ren Jah­ren zu uns ge­kom­men sind, und vie­le ande­re.

Natürlich ist diese starke soziale und öku­me­ni­sche Aus­rich­tung an un­se­rem Kirch­ort St. Ans­gar nicht die ein­zi­ge bzw. wich­tigs­te Zu­kunfts­pers­pek­ti­ve für un­se­re Pfar­rei St. Petrus. Ich bin froh und dank­bar, dass auch die an­de­ren wich­ti­gen Grund­linien der loka­len Kir­chen­ent­wick­lung, wie sie bei den Klei­nen Christ­li­chen Ge­mein­schaf­ten zu fin­den sind, bei uns wei­ter The­ma sind. Sie sor­gen dafür, dass Mys­tik und Poli­tik, Got­tes- und Nächs­ten­lie­be um­fas­send auf­ein­an­der be­zo­gen blei­ben. Hier wäre zum einen unser Leit­bild­pro­zess zu nen­nen, in dem wir uns ver­ge­wis­sert haben, dass wir kein neu­es Leit­bild su­chen müs­sen, son­dern viel­mehr Jesus Chris­tus selbst das Leit­bild un­se­res Han­delns ist. Zum an­de­ren wird im­mer mehr Ver­ant­wortungs­trä­gern deut­lich, dass leben­di­ger Glau­be nur dort ent­ste­hen kann, wo er auch durch Spra­che zum Aus­druck kommt, wo Glau­be und Le­ben im Ge­spräch mit­ein­an­der ge­teilt werden. Hier sind wir aber wei­ter­hin noch ganz am An­fang un­se­rer Su­che ...