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Gemeinde, Mission und Transformation

Beiträge zur Gemeindeentwicklung

Die Beschäftigung mit Mission ist ein sehr ambivalentes Unterfangen. Wegen der Historie und so mancher zeitgenössischen Missionie­rungs­strategie hat es Mission schwer, weil mit vielen Bürden behaftet. Seit einiger Zeit wieder innerkirchlich salonfähig, stellt sie teilweise sogar ein Zauberwort ekklesialer Rettung oder Zukunftsorientierung dar an­ge­sichts der Abnahme an Mitgliedern, gesellschaftlicher Prägekraft und Relevanz kirchlicher Verkündigung und kirchlichen Lebens. Johannes Zimmermann verbindet in der Befassung mit Mission in diesem Bänd­chen in guter Weise seine Eindrücke und Forschungen am Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) in Greifswald, als württembergischer Pfarrer und als Dozent an einer pietistisch orientierten Hochschule.

Im ersten Teil entwickelt der Autor die Bedeutung von Gemeinde als Gemeinschaft, indem er zwar einerseits darauf abhebt, dass Kirche sich auf Umfeld und Herausforderungen der Gegenwart einstellen muss (21), gleichwohl beginnt er bei den reformatorischen und biblischen Grundlagen. Diese deduktive Grundorientierung kann zwar theologisch das Engagement Gottes, sein Wort, seine Mission, betonen, diese Ent­scheidung führt jedoch dazu, die umgebende Kultur als eher zweitran­gig zu sehen. Letztlich bleibt Gottes Wort, das Gemeinde konstituiert, seltsam form- und kontextlos.

Zimmermann konzediert zwar, dass die Milieugebundenheit einer be­stimmten Gemeindeform nicht das grundsätzliche Wesen von Gemein­de als Gemeinschaft der Sendung Gottes bestimmt. Insofern ist ihm in seinem Engagement für eine veränderte Sicht auf das dennoch grund­legende und unaufgebbare Prinzip von „Gemeinde“ zuzustimmen. Es bleibt aber in seinen Beschreibungen offen, wie sich die Versammlung der konkreten Gläubigen, in deren Berufungen und Begabungen und in deren Kontextgebundenheit (vgl. weiter hinten die Ausführungen zur Inkulturation) sich auch „irgendwie“ der Wille Gottes zeigt, zum ge­pre­digten Gotteswort verhält, das doch auf gewisse Weise immer wieder ab extra daherkommt. Man wünschte sich, dass die bekenntnisschriftlichen Formulierungen von der Predigt des Evangeliums und der Feier der Sa­kramente homogener mit der postmodernen Form von Gemeinschaft verknüpft würden.

Zimmermann beschreibt Gemeinde als Gemeinschaft (koinonia), als ein aktives Anteilgeben, Geben und Nehmen und bewahrt dennoch immer den Primat des Wirkens Gottes (missio Dei, koinonia als Gabe Gottes etc.). Der Gedanke der Gemeinde als Lebensort, als Haus (griech. oikos), als intermediäre Institution in der Vermittlung zwischen der (postmo­der­nen) Individualität und der (neu zu beschreibenden) Sozialität des Glaubens (29) ist interessant und lässt den Leser weiterdenken. Diese Communio sieht Zimmermann als Ort der Offenheit und Gastfreund­schaft, als Raum und Weg der Begleitung. Zu Recht hebt er angesichts der weithin verbreiteten traditionalen Gemeindeformen, die mehr­heit­lich Vereinsqualität mit einer bestimmten Art von Mitgliedschaft und Aktivitätspotenzial aufweisen, darauf ab, dass Gemeinschaft nicht als Geselligkeit, sondern in einem theologisch gefüllten Sinn erfahren werden muss.

Gleichzeitig handelt er sich aber mit dieser berechtigten Kritik an Ver­ein­nahmungsstrategien und der Erkenntnis, dass nicht alle (!) Men­schen diese Gemeinschaftsformen und deren Angebote suchen, es also Passungsprobleme gibt, das Problem einer christlichen Elitenbildung ein. „Das Evangelium ist (zwar) bedingungslos, bleibt aber nicht ohne Fol­gen bei denen, die ihm glauben“ (34). Woran kann man festmachen, was authentische „Früchte“ des Glaubens sind? Wer will das beurteilen? Es ist dem Autor zuzustimmen, dass es jenseits von Pfarrerinnen und Kon­sumenten einer Versorgungs- und Betreuungskirche zukünftig Men­schen braucht, die „in Christus verwurzelt sind, die ihre Kraft aus der Bibel, dem Gebet und erfahrener Gemeinschaft schöpfen und aus dieser Christusbeziehung heraus Frucht bringen“ (37). Es wäre aber hilfreich, weiter nachzudenken, mit welchen Prozessen und Mitteln man heute anfangen muss, um dahin zu kommen, solch „mündige, im Glauben wache und informierte Christenmenschen [… als …] die entscheidende Ressource der Zukunft“ (38) zu identifizieren und zu stärken.

Im Weiteren reflektiert Zimmermann über Gemeinde und Gemein­schaft in der Postmoderne mit ihrer Individuumszentrierung und der Sozialität als Netzwerk. Zwischen den Zeilen ist ein gewisser Kultur­pessimismus lesbar, wenn er meint, dass, „nachdem die Enttradi­tio­nalisierung noch weiter fortgeschritten ist, […] soziale Bindungen und Bezüge zur Mangelware“ (44) werden. Ist es in der Postmoderne wirk­lich das heimatlose Subjekt als Defekt, das unbedingt die Gemeinschaft benötigt? Nichtsdestoweniger entwirft der Autor in diesem Kontext Gemeinde, die als glaubensförderndes und lebensbegleitendes Umfeld für den Einzelnen gestaltet werden sollte. Immer wieder sucht er seinen Weg in der Balance zwischen berechtigtem Biotop einerseits und abge­grenztem Reservat, in das kein Außenstehender eingelassen wird, zwi­schen Ge­meinde als Agora (Marktplatz) und als Oikos (Haus), zwischen Kirche bei Gele­genheit und notwendiger Kirche in Stetigkeit, zwischen passagerer Berührung mit dem Evangelium und der für ihn entschei­denden Verlässlichkeit und Verbindlichkeit.

Ein großer Abschnitt widmet sich dem Thema „Missionarische Gemein­de“: Unterschiedliche Aspekte von Mission werden an sieben Bildern analog zu den sieben Gemeinden der Offenbarung verdeutlicht. Schön ist die Unterscheidung zwischen dem „allgemein Missionarischen“ (Salz der Erde, Licht der Welt; Mt 5), also der generellen Mission, und dem „be­sonders Missionarischen“ („Geht hin, macht zu Jüngern“; Mt 28), also der speziellen Mission. Dies führt dann auch zur Unterscheidung zwi­schen Mission als grundsätzlicher Zuwendung zur Welt und Evange­li­sation als Verkündigung des Evangeliums im Sinne eines Herzstücks der Mission. Seine berechtigte Kritik trifft Gemeindeformen, in denen Evan­gelisation ganz ausfällt und damit die auf Antwort des Glaubens zielende Kommunikation des Evangeliums als nachrangig betrachtet wird (66). Hier wäre es hilfreich, tiefer zu gehen oder praktischer zu wer­den. Wie sieht eine solche auf Antwort des Glaubens zielende Kommu­nikation des Evangeliums aus? Hier wird der Leser leider alleine ge­lassen.

Den Themenbereich der fresh expressions of church verbindet Zimmer­mann mit der Reflexion über Inkulturation („Die traditionelle Kirch­lichkeit ist nicht die Urform des Evangeliums. Wir müssen zwischen dem Evangelium und seiner kulturellen Form unterscheiden. Es gibt das Evangelium nicht ‚pur‘, sondern immer nur in kulturell geprägten For­men“; 79) und der Konterkulturation, die das Widerständige des Evan­geliums, seine Fremdartigkeit markiert. Ein wenig appendixhaft er­scheinen seine Ausführungen zu den Kursen zum Glauben, die er als Hilfs­mittel zu einer elementaren Glaubensbildung als künftiges Regel­angebot christlicher Gemeinden einschätzt.

In einem großen Abschnitt widmet sich Zimmermann noch dem Ver­hältnis von Gemeinde und Reich Gottes als Hoffnungsgröße. Beide Grö­ßen dürften nicht gleichgesetzt werden. Die Mission wird nicht von der Kirche abgeleitet oder kommt ihr primär zugute. „Gemeindepflanzung und Gemeindeaufbau sollten deshalb nicht ‚church centered‘ sein“ (119). Und dennoch ist Gemeinde ein Mittel zum Zweck. „Die Gottes­herrschaft gewinnt dort sichtbar Gestalt, wo Menschen sich der heil­vollen Herrschaft Christi stellen und ihm Glauben schenken – in glei­cher Weise wie dort, wo sein Volk gesammelt, seine Gemeinde erbaut wird“ (118). Damit ist dann auch der Gedanke der Transformation v. a. in seiner evangelikalen Rezeption verbunden. Transformation betont eher die Diskontinuität, Entwicklung eher die Kontinuität der Gemein­de­veränderung. Es bleibt unklar, ob Zimmermann von einer Verände­rungsmöglichkeit bestehender Strukturen oder von ganz neuen „Grün­dungen“ ausgeht, wie es ja der Kontext der mixed economy nahelegt.

Auch die Gedanken über internationale und interkulturelle Gemeinden als Teil einer Inkulturation und diversifizierten Profilschärfung kommen ein wenig angehängt daher und verbinden sich nicht organisch mit den anfänglich grundsätzlichen Ausführungen. Überlegungen zur koope­rativ-arbeitsteiligen Profilbildung von Gemeinden und zu Parochie und komplementär-alternativen Kirchorten ergänzen den Band. Der ein­schlägige evangelische praktisch-theolo­gi­sche Diskurs von Uta Pohl-Patalong bis Thies Gundlach wird kenntnis­reich angeordnet.

Zimmermann schafft es, den Sachstand gut darzustellen, sucht immer wieder eine vermittelnde Position, versucht, die Balance zu halten, zu ordnen, wertzuschätzen, die Prozesse zu beschreiben und die Themen­bereiche immer wieder ins missionarische Themenfeld einzuordnen. Gemeinde als möglicherweise neuartige Gemeinschaft ist für ihn eine conditio sine qua non, sie ist aber nur der Trailer zum Film des Reiches Gottes. Der Trailer ist ganz Film, aber nicht der ganze Film. Stellenweise lesen sich die Ausführungen ein wenig redundant. Insbesondere, wenn ein Thema in den unterschiedlichen Kapiteln in unterschiedlicher Weise aufgenommen wird, merkt man doch, dass das Büchlein nicht in einem Wurf als roter Faden entstanden ist, sondern ein Florilegium verschie­de­ner Beiträge und Vorträge darstellt. Was es nicht uncharmant macht und dem Erkenntnisgewinn keinen Abbruch tut.

Hubertus Schönemann