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Imperium sine fine? – Resilienz und Krise in der römischen Welt

Die präzedenzlose Erfolgsgeschichte Roms bietet einen eigenen Blick darauf, wie Veränderungen, Herausforderungen und Krisen bewältigt werden konnten. Anhand der „Krise des 3. Jahrhunderts“ analysiert der Historiker Michael Sommer sowohl Schwächen als auch Stärken Roms, die sich in der Krise bewährten, und arbeitet so zentrale Resilienzfaktoren heraus.

„Im Winter gibt es keinen Überfluss an Regen mehr für die Aussaat, im Sommer nicht mehr die übliche Wärme, damit sie reifen kann, und weder ist das Frühjahr heiter noch reich an Ernte der Herbst. Erlahmt ist in den erschöpften Minen die Förderung von Silber und Gold und versiegt der Nachschub an Marmor. Ausgebeutet liefern die Adern von Tag zu Tag weniger. Es fehlt der Bauer auf den Feldern, der Seemann auf den Meeren, der Soldat in den Kasernen, auf dem Forum die Ehr­lichkeit, vor Gericht die Gerechtigkeit, in der Freundschaft die Soli­darität, in den Künsten die Erfahrung, in der Kleidung die Disziplin.“
(Cyprian, Ad Demetrianum 3)

Der Text scheint ein unwiderlegbares Zeugnis für dystopische Zustände zu sein. Nicht nur weisen ökonomisch sämtliche Charts in den Keller, die Gesellschaft, von der hier die Rede ist, ist auch moralisch auf den Hund gekommen. Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität – Werte, ohne die kein Gemeinwesen Bestand haben kann – sind zur Mangelware geworden. Wer einst diese Zeilen schrieb, der muss Zeuge grundstür­zender Veränderungen geworden sein, die den Zeitgenossen das Leben buchstäblich zur Hölle machten. Der Text ist, daran kann kein Zweifel bestehen, das Dokument einer handfesten Krise.

Oder etwa nicht? Zitiert sind die Sätze aus einem Kunstbrief des Kirchenvaters Cyprian, der Mitte des 3. Jahrhunderts Bischof von Karthago war und unter Kaiser Valerian (253–260 n. Chr.) das Marty­rium erlitt. Wie alle Christen der Epoche erwartete Cyprian jeden Moment das Kommen des Heilands und damit das Ende der Geschichte, die Apokalypse. Gegen das Reich, das sich da ankündigte, nahm sich das Imperium von dieser Welt, das römische, wie ein matter Schatten aus. Die frühen Christen waren voller Aufbruchstimmung und nahmen die Welt, in der sie lebten, als bloßes Jammertal war, das es abzustreifen und zu überwinden galt.

Wenn wir den Brief Cyprians mit diesen Augen lesen, spricht daraus eine andere Botschaft. Was der Bischof sah, waren für ihn Vorzeichen, die Hoffnung auf das Kommen des Messias machten. Deshalb stellt sich die Frage: Wie viel von dem, was Cyprian hier schrieb, hatte er wirklich beobachtet? Und wie viel verdankt sich der Einbildungskraft eines Gläubigen?

Tatsächlich betrachten wir das Zeitalter, in dem der Text entstand, als Krisenepoche der römischen Geschichte. Die Forschung spricht von der Zeit der „Soldatenkaiser“, die, gestützt auf das Militär, meist nur weni­ge Jahre regierten, oder von der „Krise des 3. Jahrhunderts“. Viele An­zeichen deuten darauf hin, dass es eine Krise auf Sein oder Nichtsein war: Das römische Imperium stand um 250 n. Chr. buchstäblich am Abgrund.

 

Bis dahin war es eine präzedenzlose Erfolgsgeschichte gewesen, die aus einer kleinen Stadt in Mittelitalien die Herrin der Welt gemacht hatte. Rom war zu Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. aus kleinen Dörfern am unteren Tiber zusammengewachsen, dort, wo eine Furt den Fluss querte und wo unterschiedliche kulturelle Einflusssphären in Italien einander berührten. Kurz nach 400 v. Chr. hatten die Römer ihre Nach­barstadt Veji unterworfen, danach ging es Schlag auf Schlag: Im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. beherrschte die Stadt ganz Italien; 100 Jahre später hatte sie ihre Hauptrivalin im Westen des Mittelmeers, Karthago, in zwei großen Kriegen besiegt; wiederum 100 Jahre später, um 100 v. Chr., konnten die Römer das Mittelmeer mit Fug und Recht als „ihr“ Meer, das mare nostrum, bezeichnen.

Kurz vor der Zeitenwende hatte die aristokratische Republik, die Rom bis dahin gewesen war, im Chaos brutaler Bürgerkriege Bankrott angemeldet. Augustus hatte der römischen Welt den Frieden zurück­gebracht und auf den Trümmern der Republik den Prinzipat errichtet: eine Monarchie, die sich mehr schlecht als recht in die Rechtsordnung der Republik einfügte. Rund 500 Jahre herrschten seine Nachfolger über den Westen des Imperiums und damit auch über das heutige Westeuro­pa. Sogar fast 1500 Jahre hielt das Imperium im Osten, wo Konstanti­nopel zum zweiten Rom wurde.

Auf dem erst beschwerlichen, dann mit atemberaubender Geschwindig- keit zurückgelegten Weg zur Weltmacht hatten die Römer zuvor Quali­täten gelernt, die ihrer Herrschaft Stabilität und Dauer verliehen: Aus der vollständigen Vernichtung Vejis hatten sie den Schluss gezogen, dass es sich über Ruinen schlecht herrschen lässt. Den Fehler, eine Stadt vollständig zu zerstören und ihre Bevölkerung zu versklaven, begingen sie fortan nicht wieder. Stattdessen schlossen sie mit den Besiegten Verträge und boten ihnen eine strategische Partnerschaft an.

Wer von den Römern einmal unterworfen worden war, partizipierte künftig an der weiteren Expansion ihres Imperiums und fuhr, gemein­sam mit ihnen, die Dividende ein. Zugleich beließen die Römer ihren auf diese Weise gewonnenen Bundesgenossen innere Autonomie. Sie herrschten so über große Räume und Menschenmassen, ohne über­mäßig viel investieren zu müssen. Herrschaft war rentabel und kam, war sie einmal etabliert, ohne die Anwendung physischer Gewalt aus. Freilich begingen die Römer auf dem Weg dahin oft unsägliche Grau­samkeiten: Die Eroberung Spaniens im 2. und Galliens im 1. Jahrhun­dert v. Chr. kostete unzählige Menschen das Leben.

Leichen pflasterten also den Weg Roms zur Weltmacht, doch standen, war eine Provinz erst einmal unterworfen, viele Vorzüge auf der Habenseite. Mit den Römern kamen die Segnungen ihrer Zivilisation. Niemand hat das besser in Worte gefasst als die britische Comedy-Truppe Monty Python: „What have the Romans ever done for us?“, fragt Reg, der Anführer einer Guerillagruppe zur Befreiung Judäas. Kleinlaut muss er anerkennen, dass die Römer mit ihren Aquädukten, Abwasser­kanälen, der medizinischen Versorgung, der Infrastruktur mit Straßen und Brücken sowie der von ihnen garantierten Sicherheit das Leben erheblich lebenswerter gemacht haben.

 

Zivilisation sowie politische und ökonomische Teilhabe waren Angebote, die Rom seiner Peripherie unterbreitete und die bald die Hierarchie zwischen Zentrum und Peripherie nivellierten. Die kolossale Integrationsleistung, welche die Tiberstadt bewältigte, verschaffte ihrem Herrschaftsraum ein hohes Maß an Resilienz. Das zeigte sich bereits im 3. Jahrhundert v. Chr., als mit Pyrrhos und Hannibal zwei fremde Feldherren den Krieg nach Italien trugen und die Halbinsel verheerten. Doch anstatt von Rom abzufallen und dem Lockruf ver­meintlicher Freiheit zu erliegen, hielten die Bundesgenossen mit wenigen Ausnahmen treu zu der Kapitale, die es geschafft hatte, Italien zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenzuschweißen.

Das Kunststück gelang den Römern später auch in Übersee, selbst wenn hier die kulturelle Kluft, die es zu überwinden galt, größer war. Rom spielte gezielt die Trümpfe aus, mit denen es die Menschen von den Vorzügen eines Lebens im Reich überzeugen konnte: vor allem die Eliten, auf die es ankam. Alle profitierten von den technischen und zivilisatorischen Segnungen, für die das Imperium stand, vom großen Binnenmarkt, in den es das Mittelmeer und die angrenzenden Räume verwandelt hatte und der zumindest den Schönen und Reichen Zugang auch zu Waren verschaffte, die von sehr weit her kamen, entsprechend exotisch, wertvoll und begehrt waren: Seide, Gewürze, Elfenbein, Edelsteine.

Wer seine Loyalität bewies, tatkräftig dem Kaiser entgegenarbeitete und seinen Platz in der urbanen Gesellschaft des Imperiums fand, wurde mit dem Wertvollsten und Prestigereichsten belohnt, was Rom zu bieten hatte: dem Bürgerrecht. Solange dem Recht nach nur relativ wenige Bewohner einer Stadt Römer waren, zeichnete man sich durch seinen Besitz aus und konnte renommieren. Erst als das Bürgerrecht sich in­flationär verbreitet hatte, bedurfte es anderer Distinktionskriterien und neuer Reputationslogiken.

Praktischerweise hielten die Römer, den Griechen sei Dank, auch noch ein universelles, modular aufgebautes Weltdeutungs- und ‑erklärungs­system bereit, das aus prägnanten, oft unterhaltsamen, leicht zu erzäh­lenden und auszuschmückenden Geschichten bestand, mit denen jeder den Ort bestimmen konnte, den er selbst in der großen weiten Welt der Oikumene hatte, der griechisch-römischen Kultur- und Zivilisations­gemeinschaft. Die Geschichten von Odysseus, von Aeneas, Herakles oder Medea setzten unzählige Örtlichkeiten der antiken Welt in Beziehung zueinander, sagten etwas aus über Nähe und Ferne, über Zugehörigkeit und Gegnerschaft, kurz: über Identität.

 

Auf lange Sicht griffen so zwei scheinbar gegenläufige Prozesse Raum, die das Imperium zwar nicht in einen Nationalstaat moderner Prägung verwandelten, aber eben doch in eine Schicksals- und, ja, auch in eine Identitätsgemeinschaft. Rom selbst und Italien verloren allmählich die Deutungshoheit darüber, was als „römisch“ zu gelten hatte. Ein toga­tragender Senator, der sein Haus auf dem Palatin mitten in Rom hatte, verstand unter „römisch“ etwas anderes als ein Gallier, der Hosen anhatte, als ein Nomadenhäuptling aus Mauretanien oder ein Soldat, der am Hadrianswall im Norden Britanniens Wache schob. Dennoch war keiner von ihnen mehr oder weniger römisch als der andere, sie alle konnten das Römischsein mit Fug und Recht für sich reklamieren.

Zugleich, und das ist der zweite Prozess, gaben Rom und seine Zivilisation vielen Gruppen an der Peripherie überhaupt erst die Instrumente an die Hand, die es ihnen erlaubten, ihrem eigenen Lebensgefühl Ausdruck zu geben. Sie lernten, ihre Götter als Bilder darzustellen, Tempel zu bauen und Erinnerungen aufzuschreiben. Sie engagierten sich in Kultgemeinschaften und Stadträten. Sie bauten Grabdenkmäler für ihre Toten. All das schlug sich ebenfalls im Iden­titätshaushalt des Imperiums nieder: Das Reich schuf sozusagen Biotope, auf denen überall lokale Kulturen zur Blüte gelangten, die es ohne Rom überhaupt nicht gegeben hätte. Das Imperium war eine Schicksals- und Identitätsgemeinschaft, aber es war nicht uniform, sondern bot Raum für eine enorme Vielfalt, von der sich nur Weniges und das meiste buchstäblich unter der Oberfläche, in Form nur archäologisch freizulegender Überreste, erhalten hat.

Beide Prozesse erlangten ihre größte Dynamik in den 200 Jahren nach Augustus. Zufällig war dies eine Periode, in der das römische Imperium politisch konkurrenzlos und strategisch-militärisch unangefochten dastand. Der einzige Gegner, der ungefähr auf Augenhöhe operierte, war das Partherreich im Osten, und auch dieses mit Rom durchaus rivali­sierende Reich war eher eine lockere Föderation weitgehend autonomer Teilstaaten als ein echter Rivale um den Platz an der Sonne. Expansiv verhielt sich das Partherreich nur selten, und auch dann waren seine Vorstöße auf römisches Gebiet wenig ambitioniert.

In Europa und in Afrika bewohnten das imperiale Glacis lediglich Stäm­me, überwiegend sesshafte in Germanien, überwiegend noma­dische in Nordafrika. Die Stämme waren zu klein und zu schwach organisiert, um Rom ernsthaft gefährlich werden zu können, auch wenn die durch die Provinzen abgesteckte Wohlstandssphäre stets ein locken­des Ziel für Raub- und Plünderungszüge war. Um solchen Aktionen vorzubeugen, schufen die Kaiser ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. ein fast lückenloses Grenzmanagement- und Verteidigungssystem, das in Deutschland unter dem Namen „Limes“ bekannt ist. Mit Palisaden, Wachtürmen und in regelmäßigen Abständen platzierten Grenzkastellen ließ sich im Alarmfall die Vorwarnzeit verlängern, der durch gegnerische Inkursi­onen angerichtete Schaden begrenzen.

In beiden Räumen, im Osten wie im Westen, kündigten sich ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. dynamische Entwicklungen an, von denen die Römer zunächst kaum etwas mitbekamen. Im Osten wurde das Arsakidenreich immer schwächer und verzehrte sich zunehmend in Bürgerkriegen. 224/26 n. Chr. übernahm im Osten eine neue Dynastie aus der Persis die Macht, die bereits wenige Jahre später die Expansion Richtung Westen einleitete. Um 240 n. Chr. eroberten die Sasaniden, so nannten sich die neuen Herren, die wichtige Grenzfestung Hatra. In den folgenden 20 Jahren entfesselte Schapur I. drei große Feldzüge gegen Rom, in deren Verlauf die römischen Provinzen im Nahen Osten zum Kriegsschauplatz wurden.

Im Westen formierten sich die kleinen, sesshaften Stämme im über­wiegend germanischen Barbaricum zu großen, hochmobilen Konföde­rationen, die immer häufiger Vorstöße auf römisches Gebiet unter­nahmen. Einen Vorgeschmack boten den Römern die Marko­mannen- und Quadenkriege, die Kaiser Mark Aurel in den 170er Jahren führen musste. Zunächst um 230 und dann verstärkt ab 250 verwan­delten sich die Rhein- und die Donaugrenze in militärische Brenn­punkte, die fast dauerhaft große Heere banden. Im Zusammenwirken mit der Bedro­hung durch die Sasaniden im Osten erwuchs daraus die erst latente, dann manifeste Überforderung des römischen Sicherheits­apparats, der zu schwerfällig und zu klein war, um an so vielen Fronten gleichzeitig Brandherde zu löschen.

 

So geriet auch der Prinzipat, das von Augustus geschaffene politische System, ins Trudeln, weil die Kaiser immer weniger ihrem Anspruch gerecht wurden, den Reichsbewohnern das Gefühl von Sicherheit vermitteln zu können. Kaum besiegte ein lokaler Befehlshaber ein feindliches Heer, fühlte er sich selbst zur Herrschaft qualifiziert und forderte den Amtsinhaber heraus. Die Folge waren nicht endende Bürgerkriege und Kaiserwechsel im Durchschnitt alle zwei Jahre. Nicht weniger als 22 Kaiser herrschten in den rund 50 Jahren zwischen 235 und 284 n. Chr.

Die Kaiser versuchten gegenzusteuern, indem sie das Militär reformier­ten, vergrößerten und üppiger besoldeten, um seine Loyalität sicherzu­stellen. Mehr und besser bezahlte Soldaten kosten Geld: Geld, das in der Staatskasse zunehmend fehlte. Die Kaiser wussten sich nicht anders zu helfen, als Steuern und Abgaben rücksichtslos einzutreiben. 238 n. Chr. provozierte dieses Vorgehen eine Revolte in Afrika, die den Kaiser Maximinus Amt und Leben kostete. Ein vermeintlich weniger schmerz­hafter Lösungsweg bestand darin, den Edelmetallgehalt des wichtigsten Nominals, des Silberdenars, immer weiter zu reduzieren: von fast 100 Prozent im 1. Jahrhundert n. Chr. auf lediglich noch rund zwei Prozent ab Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr.

Das schien lange gutzugehen. Doch just, als Kaiser Aurelian 274 n. Chr. die Silberwährung wieder auf solidere Füße stellen wollte und Münzen mit einem höheren Feingehalt ausgab, brach das Vertrauen in das Geld des Kaisers vollständig zusammen. Die Folge waren Hyperinflation und die Rückkehr zur Naturalwirtschaft in weiten Teilen des Imperiums. Dessen Provinzen gingen zum Teil auch politisch eigene Wege: Nachdem Kaiser Valerian 260 n. Chr. bei Edessa in Mesopotamien eine katastro­phale Niederlage erlitten hatte und sich überall im Reich Auflösungsten­denzen zeigten, griffen regionale Befehlshaber zur Selbsthilfe und or­ganisierten die kritische Grenzverteidigung am Rhein und im Osten in eigener Zuständigkeit. Gallien und die Oasenstadt Palmyra drifteten für ein gutes Jahrzehnt von Rom fort, bis Aurelian ab 270 n. Chr. wieder die Reichseinheit herstellte und sich auf Münzen als „Wiederhersteller des Erdkreises“, restitutor orbis, feierte.

Tatsächlich lag in der zunächst von unten erfolgenden Regionalisierung der Schlüssel zur Überwindung der Krise. Wenn ein Kaiser mit der Si­tuation überfordert war und stets das Risiko einging, sich erfolgreiche Befehlshaber zu Feinden zu machen: Warum sollte man dann nicht die potentiellen Rivalen in die Herrschaft einbinden und zu Mitherrschern machen? Das dachte sich 284 n. Chr. Diokletian und bestimmte seinen Offizierskameraden Maximian erst zum Unterkaiser, dann zum gleich­berechtigten Augustus. Knapp zehn Jahre später ernannten die beiden Augusti noch je einen Caesar als Stellvertreter, für die sie 305 n. Chr. mit ihrem Rücktritt den Weg zur Nachfolge bahnten. Zu diesem Zeitpunkt war die „Krise des 3. Jahrhunderts“ längst überwunden. Rom hatte sich, dem Baron Münchhausen gleich, am eigenen Haarschopf aus dem Morast gezogen.

 

Die Krise, so gefährlich sie für Rom war, war ein Wendepunkt, an dem sich die Stärken des römischen Herrschaftssystems ebenso wie seine Schwächen erwiesen. Eine Schwäche war die Starrheit der militärischen Doktrin, das Gros der Legionen fest an den Grenzen zu dislozieren. Eine weitere das unzuverlässige Fließen von Steuereinnahmen. Eine dritte Schwäche schließlich war die mangelnde Legitimierung der Herrschaft des einzelnen Kaisers, die im Krisenfall zur schweren Hypothek werden konnten. So standen die militärische Doppelkrise an Roms Grenzen, die fiskalische Krise des Reiches und die politische Krise des Prinzipats alle in einem engen Wechselverhältnis zueinander.

In der Krise bewährten sich aber auch Roms Stärken, seine Resilienz, wenn man so will. Zwar hatten die Kaiser mangels entsprechender Instrumente kein auf wissenschaftlicher Basis gewonnenes Lagebild, sie waren aber aufgrund ihrer Expertise zu pragmatischen Reformen der militärischen Organisation befähigt. Wichtiger noch dürfte gewesen sein, dass sich das Imperium abermals als Schicksalsgemeinschaft bewährte. Für die überwiegende Mehrheit der Reichsbewohner war das Imperium kein teurer Luxus, den man bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zur Disposition stellte. Die Identifikation mit dem Impe­rium war so stark, dass die Menschen bereitwillig weiter in seine Aufrechterhaltung investierten. Schließlich gab der religiöse Wandel erst hin zu henotheistischen Kultgemeinschaften, dann zum Christen­tum als faktischer Staatsreligion den Kaisern ein mächtiges Instrument zur Legitimierung ihrer Herrschaft in die Hand. Dass es sich später als zweischneidiges Schwert erweisen sollte, war vorerst noch nicht abzu­sehen, aber dass eine Religion mit Universalitätsanspruch einmal zur Angelegenheit des Imperiums insgesamt werden würde, war dem Reich durch die Bewältigung des Integrationsproblems gleichsam schon in die Wiege gelegt. Als Diokletian 305 n. Chr. von der politischen Bühne ab­trat, war die Herrschaft abermals so gefestigt, dass sich die Römer der Illusion hingeben konnten, ihnen sei, wie Vergil in der Aeneis (1,279) formuliert, ein in Zeit und Raum grenzenloses Reich gegeben worden: his ego nec metas rerum nec tempora pono; / imperium sine fine dedi („Ihnen setze ich weder in Raum noch Zeit Grenzen; ich habe ihnen die Herrschaft ohne Ende gegeben“).