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„Mit meinem Gott überspringe ich Mauern!“ (Ps 18,30) – Resilienz und Salutogenese aus pastoralpsychologischer Perspektive

Die Autoren beschreiben Resilienz zunächst als ein säkulares Konzept der postmodernen Stressgesellschaft für Stärke und Widerstandskraft in der Krise mit Anleihen bei den Heilsversprechen der Religionen. Sie zeigen, worauf es ankommt, um Stärken zu entwickeln und so mit Widrigkeiten und Krisen umgehen zu können. Das Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky ist der Rahmen, in dem Resilienz als Ressource des Glaubens bzw. der Religion neu entdeckt und für ein heilvolles und gesundes Leben fruchtbar gemacht werden kann.

Resilienz: ein Trendkonzept auf dem Boden der Religion

Jede Epoche bekommt die Begriffe, die sie braucht und die sie verdient. So ist es auch mit dem Begriff der Resilienz. Das Leben des Menschen ist krisenanfällig und vor allem endlich. Dies gehört zu den konstitutiven Erfahrungen der Menschheit, die es zu bewältigen gilt. Allerdings: Der stark beschleunigte gesellschaftliche Wandel produziert viele zusätz­­­­­­liche, bisher kaum gekannte Krisenphänomene. Der Bedarf nach Kon­zepten zum Umgang mit diesen Krisenphänomenen steigt, weil die bisherigen, über Jahrhunderte ausgebildeten Kulturtechniken der Be­lastungsbewältigung nicht mehr auszureichen scheinen. Hier bietet sich das Resilienzkonzept geradezu als „Wunderwaffe“ an. Sein Potential zur Anschlussfähigkeit an unterschiedliche Wissenschaften wie Soziologie, Pädagogik, Wirtschaftswissenschaften, Ökologie und Risikoforschung ist sehr hoch. Dies gilt auch für die Theologie. Denn sie verheißt dem Menschen das Heil angesichts der Bedrohung durch Endlichkeit und Leid.

Das Konzept der Resilienz ist schnell ein Alltagskonzept der Gesellschaft geworden. Es hat seit seiner Einführung in den Wissenschaften so viel Aufmerksamkeit und Forschung erfahren, dass sich längst ein eigener Wirtschaftszweig rund um den Aufbau und die Vermarktung von Resi­lienz gebildet hat. Wer sich aus Interesse oder aus wirklicher Not auf die Suche nach einem psychologischen Resilienztraining begibt, sieht sich mit unzähligen Kursen, Ratgebern und Coachings verschiedenster Cou­leur konfrontiert. Viele sind mehr von zweifelhafter als von hilfreicher Natur, vor allem dann, wenn sie Untertitel tragen wie z. B.: „Hürden überwinden“, „Gute Laune trotz schlechter Zeit“, „Für mehr innere Stärke und Gelassenheit“. Die Psychologie als Wissenschaft zeigt sich hier eher skeptisch. Denn einem Großteil der Angebote mangelt es an wissenschaftlicher Fundierung. Der zugrundeliegende Resilienzbegriff ist vielfach so diffus oder allgemein gehalten, dass er „alles und nichts“ erklärt.

Aus Sicht der Pastoralpsychologie bietet sich bereits zu Beginn die These an: Resilienz ist ein säkulares Konzept der postmodernen Stressgesell­schaft mit Anleihen bei den ursprünglichen Heilsversprechen der Reli­gionen. Aus christlicher Perspektive lässt sich festhalten: Die Bibel offenbart einen Gott, der das Heil des Menschen in seinem ganzen Leben und vor allem in Zeiten der Krise will. Die Heilige Schrift weiß um die vielen Begebenheiten und Gebete, in denen der gläubige Mensch in seinem Glauben jene Erfahrungen macht, die heute als Resilienz be­zeichnet werden. Schon der Blick in die Psalmen (z. B. Ps 18 und 118) lehrt, dass die Verankerung in Gott aus theologisch-spiritueller Perspek­tive die Basis dessen sein könnte, was heute als Resilienz bezeichnet wird: Gott ist Stärke, er ist Rettung, er ist Fels. Er umgürtet mit Kraft, ist Stütze, kommt zu Hilfe. Mit ihm überspringt der Mensch die Mauern und findet seinen Weg.

Der hier vorliegende Beitrag aus Sicht der Pastoralpsychologie verfolgt drei Anliegen, die beim Blick auf das Resilienzkonzept für Glauben und die Kirche hilfreich sein können:

  1. die Darstellung des aktuellen Forschungsstands zu Resilienz aus psychologischer Perspektive
  2. die Einordnung in das übergeordnete und tragfähige Salutogenese-Modell
  3. die Verknüpfung mit der Theologie von Heilung und Heil und Konkretionen für das pastorale Handeln der Kirche

Resilienz: Stärke in der Krise

Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Werkstoffkunde und kennzeichnet die Eigenschaft von Stoffen, nach Belastung oder Druck von außen wieder in ihre ursprüngliche Form überzugehen. In der Resilienzforschung hat sich das Konzept von seinem ingenieurwissen­schaftlichen Ursprung gelöst und zu einem Leitbegriff der Gesellschafts­wissenschaften und sogar Geisteswissenschaften entwickelt. Besondere Förderung und Aufmerksamkeit erfährt das Resilienzkonzept zu Beginn in der Entwicklungspsychologie durch die Forschungen zu Risiko und Widerstandsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen (Emmy Werner). Von dort her gewinnt es Eingang in die Klinische Psychologie und die Gesundheitspsychologie, in die Pädagogische Psychologie, schließlich in die Arbeits- und Organisationspsychologie. Dort trifft es auf bereits eta­blierte Konzepte, die vom Resilienzkonzept aufgenommen und adap­tiert werden. Die Beschäftigung mit der positiven Seite menschlicher Entwicklung wurde dadurch gefördert, dass sich die Defizitperspektive zunehmend als unzureichend erwies, wenn positive Entwicklungen vorhergesagt und gefördert werden sollten.

Der Resilienzbegriff wird heute sehr heterogen gebraucht. Seine Wort­bedeutung, die sich aus dem Lateinischen herleitet, ist klar: Es geht darum, dass etwas – hier die menschliche Person oder andere Systeme – in den Ausgangszustand zurückspringen, wenn sie belastet worden sind, oder wenn ein Stressor von diesem Menschen oder System abprallt oder abgleitet und nicht verletzt.

Im psychologischen Sinn wird Resilienz meist pragmatisch als Eigen­schaft oder Kompetenz verstanden, unter Belastungen die eigene bio­psycho-soziale Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder wiederher­zustellen. Resilienz ist besonders dann gefordert, wenn ein Mensch mit extremen Stressbedingungen, potentiell traumatischen Ereignissen oder sich chronisch summierenden Widrigkeiten im Alltag konfrontiert wird. Diese Fähigkeit wird in systemischer Perspektive zunehmend auch auf Kollektive, also auf Gruppen von Menschen (z. B. Teams) oder ganze Organisationen übertragen.

Resilienz als Eigenschaft oder Prozess

Die Resilienzforschung konzentriert sich gegenwärtig darauf, die Pro­zes­se der Resilienzbildung zu beschreiben und vor allem vor­herzusagen. Damit stellen sich vor allem zwei Fragen:

  1. Welche Faktoren sind daran beteiligt, wenn ein Mensch sich als resilient erweist?
  2. Wie wird Resilienz vorhersagbar bzw. trainierbar?

Damit beginnen allerdings viele weitere offene Fragestellungen. Während das allgemeine Verständnis von Resilienz vergleichsweise wenig diskutiert wird, herrscht bei der inhaltlichen Bestimmung und Messung der gemeinten Inhalte, Komponenten und Facetten von Re­silienz große Diversität. Folgende vier Schwerpunkte von Resilienz können herausgearbeitet werden:

  1. Kontrolle über das Leben haben: Gelassenheit und Selbst­steuerung behalten und ausüben in stressvollen und widrigen Lebenssituationen
  2. Ressourcenstärke entwickeln: die Kompetenz, mit Hilfe der vorhandenen Ressourcen angemessene Lösungen für die Belastungsbewältigung zu finden
  3. sich im Wachstum trotz Schwierigkeiten durchsetzen: die Kompetenz, angesichts oder mit Hilfe von Stressoren weiter zu wachsen und Stärke zu entwickeln
  4. Engagement zeigen: sich aktiv in die Auseinandersetzung mit den Widrigkeiten hineinbegeben

Als in den vier Dimensionen gemeinsame Eigenschaften und Kompe­tenzen wird im Resilienzkonzept wieder auf die bekannten Konzepte der Persönlichkeitspsychologie und der Gesundheitspsychologie zu­rückgegriffen: Selbstwirksamkeit, Selbstkontrolle, Sozial- und Kom­munikationskompetenz, Initiative, Kooperationskompetenz, Offenheit für Herausforderungen und Wandel, Einsatzbereitschaft und Enga­gement. So werden unter Resilienz verschiedene andere Persönlich­keitseigenschaften subsummiert, die als eigene Konstrukte bereits bekannt und vergleichsweise gut untersucht sind.

In der Fachdiskussion wird Resilienz in drei Ansätzen bzw. Dimen­sionen konzipiert: als Persönlichkeitseigenschaft (trait), als Prozess (process) und als Endzustand bzw. Resultat (outcome).

Der Eigenschaftsansatz geht davon aus, dass manche Menschen Resilienz „haben“ und daher auch aus Krisenzeiten unbeschadet hervorgehen. In dieser Perspektive ist Resilienz jedoch eher weniger veränderbar oder trainierbar. Denn es handelt sich eben um eine Eigenschaft, die als solche mehr stabil als veränderbar ist.

Der Prozessansatz bzw. die Resultatsperspektive konzipieren Resilienz vor allem als kontinuierliches Zusammenspiel aus äußeren Belastungen und personalen Bewältigungskompetenzen. Resilienz ist eine Kompe­tenz, die in Interaktion mit der Umwelt im Laufe des Lebens in vielen einzelnen Situationen erworben wird, wenn sie gelingend gemeistert werden. Ist ein Individuum dann kritischen Lebensereignissen ausge­setzt und verfügt dabei über ausreichend Bewältigungskompetenzen oder Resilienz-assoziierte Faktoren, kann es die belastenden Lebens­ereignisse unbeschadet überstehen. So ist es also in dem Sinne am Ende des Bewältigungsprozesses resilient. Resilienz als Prozess kann hier durch Training der Ressourcen und Beherrschung der Faktoren be­einflusst werden, die zur Bewältigung von Krisen und schwierigen Lebenssituationen beitragen.

Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass Resilienz vermutlich nicht als generelle (quasi angeborene) Persönlichkeitseigenschaft oder Prozesskompetenz im Sinne eines „Passepartouts“ verstanden werden sollte. Resilienz wird eher bereichsspezifisch erworben und erleichtert in diesem speziellen Bereich die Funktionsfähigkeit angesichts von Stressoren. So wird z. B. von emotionaler und sozialer Resilienz ge­sprochen.

Einblicke in die Resilienzforschung

Die Resilienzforschung im engeren Sinn ist bisher im Ertrag recht überschaubar. Als gesichert gelten können zwei bedeutsame und interessante Ergebnisse:

  1. Angesichts von potenziell traumatischen Ereignissen existieren vier typische Prozessverläufe der Auseinandersetzung mit Stressoren: a) das Profil der „Ungestört-Lebenstüchtigen“, b) das Profil der „Belastet-Erholten“, c) das Profil der „Chronisch-Belasteten“, d) das Profil der „Verzögert-Belasteten“.
  2. Die resilienten Subgruppen der „Ungestört-Lebenstüchtigen“ und der „Belastet-Erholten“ machen den größeren Anteil der Bevölkerung aus (50–70 %). Dies widerspricht der Annahme, dass die Einwirkung potentiell schädigender Traumafaktoren einen unabwendbaren und bleibenden Prozess der Traumati­sierung einleitet. In der Regel ist – glücklicherweise – die Re­silienz gegenüber der fortbestehenden Belastung das häufigere Ergebnis.

Ob Persönlichkeitseigenschaft oder Prozess: Entscheidend wird sein, wie Resilienz gefördert werden kann. Dazu muss herausgefunden werden, wie Resilienz vorauszusagen ist, wenn man bestimmte Stressoren kennt. Bisher liegen nur für massive Stressoren (schwere Traumata wie Unfälle, Terror und Verluste nahestehender Personen) entsprechende Ergebnisse vor. Hier zeigen sich nur wenige konsistent resilienzfördernde Faktoren. Diese sind wiederum bereits aus der Stressforschung durchaus bekannt. Stabilität und Widerstandskraft verleihen folgende Faktoren: soziale Unterstützung, hohe psychische Stabilität als Eigenschaft (≈ geringer Neurotizismus), Optimismus und Intelligenz, die Abwesenheit von früher Traumatisierung, körperliche und psychische Fitness.

Ein zusätzlicher Zugang scheint in neurobiologischen Resilienzme­chanismen zu liegen, die zunehmend mit komplexen Verfahren untersucht werden. Dabei zeigt sich eine besondere Rolle der Akti­vierungs- bzw. Deaktivierungsprozesse des Stresssystems bzw. der Systeme, welche die Relevanz von Reizen abwägen und in Beziehung zum autobiographischen System bringen. Wenn dies so ist, spielen für die Resilienz wahrscheinlich genetisch und epigenetisch (im Laufe des Lebens aufgrund von Lebensereignissen) programmierte biopsycho­logische Prozesse eine Rolle. Einfach gesagt: Die Widerstandskraft angesichts von Stressoren und die Erholung nach Stressoren haben körperliche Komponenten, die mitgegeben oder erworben sein kön­­nen. Zusammengefasst lässt sich sagen:

  1. Resiliente Personen sind in der Gesellschaft in der großen Mehrheit.
  2. Resilienz ist immer ein Wechselspiel zwischen Anforderungen und Belastungen.
  3. Die Resilienz bei universalen schweren Belastungen ist vorher­sagbar durch die bekannten universalen Stärken bzw. durch die Abwesenheit der bekannten großen Schwächen.
  4. Resilienz ist je nach Lebensbereich unterschiedlich hoch aus­geprägt (z. B. ist die Resilienz gegenüber Infektionskrank­heiten ein anderer Bereich als die Resilienz gegenüber Kränkung).
  5. Resilienz ist abhängig von bedeutsamen gesundheitsrelevanten Stärken, die im übergeordneten Gesundheitsmodell besser beschrieben und trainiert werden können.

Salutogenese: ein tragfähiges Schirmkonzept für Resilienz

Das gegenwärtige Resilienzkonzept steht aus Sicht der Gesundheits­forschung nicht nur in einer selbständigen Entwicklungstradition. Letztlich ist es ein Kon­zept, das zusammen mit vielen anderen Konzepten ein Unterkonzept des so genannten Salutogenesemodells darstellt. Das Konzept der Salutogenese ist mit dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky verbunden, der in den 1970er Jahren eine grund­legende Erneuerung der damals vorherrschenden Krankheitstheorie möglich machte. Damit konzipierte er ein Gegenmodell des patho­ge­netisch geprägten Ansatzes des biomedizinischen Stressmodells und auch des Risikofaktorenmodells, die gemäß der oben genannten Defi­nition hermeneutisch auch im Hintergrund des Resilienzmodells eingewoben sind.

Als sich weiterentwickelnder Stressforscher postulierte Antonovsky, dass angesichts der universellen Präsenz von Stressoren die zu stel­lenden Fragen nicht lauten sollten: „Was macht Menschen krank?“ bzw. „Was bewahrt sie vor Krankheit?“ Der Grund: Menschen sind perma­nent von morgens bis abends Stressoren verschiedenster Art und Stärke ausgesetzt. Stressoren lässt sich letztlich nicht ständig ausweichen. Wer Gesundheit untersuchen und fördern möchte, sollte nur wenig Energie darauf verwenden, pathogenetisch zu denken, also Auslöser und Ursa­chen für Erkrankungen zu untersuchen und anschließend möglichst zu vermeiden.

In einem konsequent gedachten Gesundheitsmodell lauten die eigent­lichen Fragen: Was baut die Gesundheit von Menschen auf? Was trägt und stabilisiert die Gesundheit von Menschen? Das von Antonovsky für diesen Paradigmenwechsel kreierte Kunst-Wort „Salutogenese“ setzt sich zusammen aus dem lateinischen salus, also „Heil“, „Gesundheit“ oder „Glück“, und aus dem griechischen genesis, was sich als „Ent­ste­hung“ oder „Entwicklung“ übersetzen lässt.

Gesundheit und Krankheit sind in diesem Modell keine dichotom von­einander abgegrenzten Kategorien (Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit), sondern beschreiben ein Kontinuum, auf dem Gesundheit und Krankheit in unterschiedlichen Mischungen stets gleichzeitig vor­handen sind. Menschen sind auf diesem Kontinuum stets in Bewegung. Gesundheit und Krankheit markieren die jeweiligen imaginären End­punkte, mal näher an der Utopie der absoluten Gesundheit, mal näher an der absoluten Krankheit. Es ist immer eine Mischung: im besten Fall eine Mischung aus viel Gesundheit und wenig Krankheit.

Ein gelingendes Leben entsteht in diesem Konzept nicht aus der Ver­meidung von Stressoren, sondern aus der gezielten Aktivierung von Ressourcen, die eine Bewegung in Richtung Gesundheit ermöglichen. Im Sinne des Salutogenesemodells profitieren Menschen von einem möglichst breiten Spektrum von Ressourcen. Dies gilt sowohl für den stetigen Aufbau von Gesundheit wie für die Abwehr von Traumata und die Erholung nach Krisen. Letztlich geht es also um die Suche nach „Gesundheitserregern“ und ihrem konsequenten und nachhaltigen Aufbau.

Dabei sind die Verfügbarkeit und die Aktivierbarkeit der zur Bewäl­ti­gung notwendigen Ressourcen dafür entscheidend, ob aus einer Anfor­derung Stress und Belastung entstehen oder sogar mehr Ge­sundheit. Bei genügend Ressourcen werden Anforderungen zu posi­tiven Herausfor­derungen, die unter Umständen sogar Freude, Stolz oder Sinnerleben beinhalten und damit zum Wohlbefinden beitragen. Ressourcen können verschiedener Natur sein: Es gibt etwa soziale Ressourcen (z. B. Freund­schaften, Familie), materielle Ressourcen (z. B. Wohnraum, Ersparnisse, Einkommen), staatlich-kulturelle Ressourcen (z. B. demokratische Strukturen, Bildungsangebote und Sozialver­sicherungssysteme) oder – für diesen Beitrag besonders relevante – persönliche Ressourcen wie Intelligenz, Selbstvertrauen, Optimismus und Spiritualität.

Salutogenetische Ressourcen: Quelle und Früchte der Resilienz

Wenn man das Resilienzkonzept als salutogenetisches Konzept modelliert, dann ist Resilienz das Potential für eine Gesundheits­entwicklung angesichts von Stressoren mit Hilfe von Ressourcen. Die Salutogeneseforschung ist in diesem Bereich grundsätzlich breiter aufgestellt und ertragreicher als die bisherige Resilienzforschung. Sie trägt die Eigenschaften und Kompetenzen zusammen, die für Resilienz verantwortlich und empirisch überprüfbar wirksam sind:

  • Optimismus und Hoffnung
  • Ausprägung und Aufbau positiver Emotionen
  • Selbstwirksamkeitserwartung („Ich werde es schaffen!“)
  • positives Selbstwertgefühl
  • soziale Unterstützung
  • Widerstandsfähigkeit
  • innengesteuerte Kontrolle über die Lebensumstände
  • Kohärenzgefühl (Verankerung in einer grundsätzlichen Lebensgewissheit)
  • Religiosität und Spiritualität (Verankerung in der Transzendenz)

In seinem Salutogenesemodell spielt bei Aaron Antonovsky das Ko­hä­renzgefühl die Rolle des „Dirigenten der Ressourcen“ für die Gestal­tung des Alltags hin zu einem gelingenden Leben wie auch für die Be­wälti­gung kritischer Lebensereignisse. Daher wird es mit Recht als „Herz­stück der Salutogenese“ bezeichnet. Seine drei Grunddimen­sionen der Verstehbarkeit, Gestaltbarkeit und Sinnhaftigkeit sind die zentralen Ansatzpunkte beim Resilienzaufbau. In Richtung eines gelingenden und gesunden Lebens – auch und gerade in Krisen – bewegt sich, wer von sich sagen kann:

  1. „Ich verstehe, was um mich herum und mit mir passiert und warum es geschieht.“
  2. „Ich finde immer wieder Möglichkeiten, mein Leben in die eigene Hand zu nehmen und meine Situation wenigstens an einigen ausgewählten Stellen zu verändern und zum Besseren zu gestalten.“
  3. „Ich kann dem, was in meinem Leben geschieht, einen Sinn verleihen oder abringen und mich in meinem Leben engagieren.“

Resilienz aus der Kraft des Glaubens

Für die bereits angesprochene theologisch-spirituelle Perspektive der Resilienz ist es bedeutsam, dass auch gelebter Glaube und praktizierte Spiritualität in der empirischen Forschung zur Resilienz eine nicht zu unterschätzende Rolle einnehmen. Die Verankerung in der Transzen­denz bzw. Glaubensgewissheit darf damit als Äquivalent gelten zum Kohärenzgefühl als Verankerung in einer Lebensgewissheit. Aus theo­logischer und seelsorglicher Perspektive ist das durchaus plausibel und ermutigend.

Als früheste Verwirklichung von Salutogenese (also „Heil-Werden“) geht es in der Heiligen Schrift um das ganzheitliche Gelingen des Lebens: Der Mensch soll sich mit allem, was zu ihm gehört – Körperliches und Geis­ti­ges, Leibliches und Seelisches, Individuelles und Soziales, Gesundes und Krankes, Starkes und Schwaches – annehmen als einen, den Gott angenommen hat. Heilung hat mit Heil zu tun. In der Person Jesu Chris­ti wird das Heil konkret erfahrbar in der direkten Umgebung und Wirk­lichkeit. Mit Blick auf die Jünger wird die Heilung der Menschen zu einem der wesentlichen Aufträge, die Jesus Christus ihnen mit auf den Weg gibt: „Und er sandte sie aus mit dem Auftrag, das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen“ (Lk 9,2).

Auch wenn der Einfluss von Religiosität und Spiritualität auf die Le­bensqualität empirisch sehr komplex ist und im Extremfall von psy­chischer Deformation sogar negativ werden kann, so hat sich doch immer wieder gezeigt, dass vor allem intrinsisch motivierte Religiosi­tät in positiver Beziehung zur Bewältigung kritischer Lebenssituationen steht. Dies gilt besonders dann, wenn Menschen hochreligiös sind und die Stressoren stark und dauerhaft. Zusätzlich scheint ein Zusammen­hang in der Resilienzförderung zu anderen der oben genannten protek­tiven Ressourcen zu bestehen.

Versteht man in diesem komplexen Geschehen Glaube und Spiritualität als multidimensionale Ressource, können folgende Ressourcen­dimen­sionen zur Resilienz beitragen:

  1. Die Verhaltensdimension: Das Leben in einer Glaubens­ge­meinschaft hat eine resilienzfördernde Funktion, indem es gesundheitsförderliches Verhalten (z. B. Fasten) unterstützt.
  2. Die Dimension der sozialen Unterstützung oder des sozialen Netzes (Kohäsionshypothese): Die Interaktion mit der Glaubens­gemeinschaft nutzt die direkten positiven sozialen Effekte und die Puffer-Effekte sozialer Beziehungen.
  3. Die Kohärenz-Dimension: Der Glaube bietet kognitive Prozesse an, die eine kognitiv-emotionale Stimmigkeit der Lebenswelt ermöglichen.
  4. Die Belastungs-Bewältigungs-Dimension: Im Alltag und insbe­sondere bei kritischen Lebensereignissen haben religiöse Menschen einen Bewältigungsvorteil, indem ihnen bewährte und handlungsoptimierte Coping-Strategien zur Verfügung gestellt werden.
  5. Die Selbstwert-Dimension: Glaube und Glaubenspraxis versetzen den Menschen in eine intensive Beziehung zum psychischen Korrelat der Gegenwart Gottes. Dies verstärkt alle psychischen Prozesse, welche den Selbstwert aufbauen und regulieren.

Das Fazit lautet: Mit Sicherheit besteht unter all diesen und sicher noch weiteren Prozessen eine komplexe In­­teraktion. Letztlich stellt der Glau­be das Individuum in ein religiös gefärbtes Wechselspiel aus sozialer Interaktion mit der Glaubensgemeinschaft und intrapsychischer Emo­tions- und Verhaltensregulation auf der Basis religiöser Kognitionen.

Resilienz in der Praxis der Kirche

Angesichts der über Jahrtausende bewährten Praxis der Religionen ergibt sich aus pastoralpsychologischer Perspektive an dieser Stelle das Postulat: Die Pastoral hat gute Gründe, Salutogenese und Resilienz aus der Kraft der spirituellen Praxis der Religionen in die gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskussion einzubringen. Die Lebenskraft und Widerstandskraft des Christentums über die vielen Jahrhunderte ist durchaus ein Gütesiegel für die umfassende resilienzstiftende Kraft im Leben des Individuums wie auch seiner Gemeinschaften und der Gesamtorganisation.

Heil und Heilung sind Kernbotschaften des christlichen Glaubens. Heil, Heilung und Gesundheit sind Kristallisationspunkte für das Interesse der Menschen von heute an Glauben und Kirche. Und es gilt: Der Mensch in der Krise ist Gottes Anliegen! Entsprechend muss auch die Richtungsfrage für das pastorale Handeln der Kirche lauten: Wie ver­wirklicht die Kirche heute den Heilungsauftrag Christi? Also hat die Heilsverkündigung der Kirche dort in Tatsprache und Wortsprache zu handeln, wo Menschen in der Krise Sehnsucht nach Resilienz besitzen. Wo durch das pastorale Handeln Heil erfahren wird, liegt die Chance der Erfahrung des lebensrelevanten Evangeliums. Dabei muss es der Kirche immer um die Gesamtheit der Menschen gehen: Die Kirche ist nicht nur für die „Kirchgänger:innen“ da, sondern für alle Menschen.

Die Pastoral sollte sich darum bemühen, die Praxis der Resilienz im Leben der Menschen und der Kirche zu fördern. Dazu bieten die Ver­kündigung und die vielen Unterstützungssysteme der Kirche vor Ort in den Gemeinden und an den besonderen Lebens- und Dienstorten wie z. B. an Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, geistlichen Zentren nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Gemeinden jeglicher Art sollten sich als Orte der Salutogenese und Resilienz für die Menschen verstehen und dementsprechend wirksam werden.

Angesichts der gravierenden Umbrüche innerhalb der Kirche und der damit einhergehenden Verunsicherungen und Veränderungserforder­nisse wäre es darüber hinaus wünschenswert, wenn auch in die För­derung der Bewältigungsressourcen der Seelsorgenden investiert würde. Es geht dabei um ihr seelsorgliches Wirken, mit dem sie die Kirche vor Ort erfahrbar machen und ihr ein Gesicht verleihen, aber vor allem auch um ihre eigene Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Die Seelsorgestudie weist darauf hin, dass zwar immerhin ein gutes Drittel über ein starkes Ressourcenprofil verfügt, jedoch auch fast 40 % der Seelsorgenden an die Grenze ihrer Bewältigungskompetenzen kommen dürften oder bereits darüber hinaus sind. Aus diesem Befund lassen sich zwei Forderungen ableiten, die nur im Zusammenspiel heilsam werden könnten:

  1. Die Seelsorgenden brauchen stärkere Ressourcen. Ohne Stärkung der Selbstwirksamkeit und Gestaltungsfähigkeit sowie eine tragfähige spirituelle Fundierung durch Aus- und Fortbildung und selbstverständlich auch eigenes Einüben wird ein langfristi­ger, gesunder Dienst in der Pastoral kaum möglich sein.
  2. Die Verantwortungstragenden müssen daran arbeiten, die durch die Reformen induzierten Belastungen auf das Nötigste zu redu­zieren. Zurzeit wälzt die Organisation viele Belastungen auf die Seelsorgenden ab. Sie nimmt nicht wahr, dass sie dadurch selbst zur Belastung wird.

Resilienz muss immer in einer salutogenetischen Grundhaltung gedacht werden, die ganzheitlich Menschen in ihrer sozialen Umwelt in den Blick nimmt. Die Forderung nach resilienten Menschen darf nicht dazu führen, organisationale Missstände und schädliche systemische Struk­turen unverändert bestehen zu lassen. Das Bestehen von Menschen in Struk­turen darf nicht in die alleinige Verantwortung der Individuen innerhalb dieser Strukturen abgeschoben werden, sondern bleibt Auf­gabe der Verantwortlichen, die in ihrem Amt den Menschen (auch den Seelsorgenden) als vielfältige und uneingeschränkte Ressource zu Diensten sein sollen.

Die Verweigerung der Veränderung der belastenden und ungerechten Verhältnisse und die Verlängerung des krankmachenden Status quo ist übrigens aus Sicht der philosophischen und soziologischen Kritik des Resilienzkonzeptes ein großer Schwachpunkt, der das Konzept grund­sätzlich in Frage zu stellen droht: Resilienz ist damit nahezu gleichbe­deutend mit Verzicht auf verändernde Initiative, sie schlägt jegliche vorausschauende und fantasievolle Bemühung um Gestaltung der Verhältnisse, jeden substantiellen Sinn für Solidarität und die meisten Aspirationen auf kollektives Handeln in den Wind. Der Begriff der Re­silienz depolitisiert und entmündigt, er propagiert ein Sich-Abfinden mit pathologischen Verhält­nissen anstelle der Bestrebung, die Ver­hältnisse aktiv umzugestalten.

Gott sei Dank – und dieser Formulierung sei an dieser Stelle ausdrück­lich Gewicht gegeben – wird dieser Vorwurf nicht der biblisch-christ­lichen Heilsperspektive gelten können. Im Gegenteil: Der kraftvolle und unermüdliche Widerstand aus dem Glauben gegen ungerechte und ent­menschlichende Verhältnisse gehört in das Zentrum der christlichen Heilsverkündigung. Wer in Gott verankert ist, hat nichts zu verlieren, sondern wird unermüdlich gegen das Leiden und das Böse kämpfen wollen. Zeugen und Zeuginnen dieser Art von Widerstand aus der Kraft des Glaubens an den Gott des Heils und der Gerechtigkeit gibt es viele. Der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer und die Frauenrechtlerin Edith Stein mögen dafür hier exemplarisch stehen.

Das Geheimnis seelischer Kraft aus dem Glauben

Abschließend für diesen Beitrag zur Kraft der Resilienz eignet sich zur Inspiration aus dem Glauben der berühmte König David. Er sieht bei seinem Gott die Kraft seines Widerstandes gegen die Widerfahrnisse und Stressoren des Lebens verankert (Ps 18):

„3 HERR, du mein Fels und meine Burg und mein Retter, / mein Gott, mein Fels, bei dem ich mich berge, / mein Schild und Horn meines Heils, meine Zuflucht.

4 Ich rufe: Der HERR sei hoch gelobt! / und ich werde vor meinen Feinden gerettet.

5 Mich umfingen die Fesseln des Todes / und die Fluten des Verderbens erschreckten mich.

6 Mich umstrickten die Fesseln der Unterwelt, / über mich fielen die Schlingen des Todes.

7 In meiner Not rief ich zum HERRN / und schrie zu meinem Gott, / er hörte aus seinem Tempel meine Stimme, / mein Hilfeschrei drang an seine Ohren. […]

32 Denn wer ist Gott außer dem HERRN, / wer ist ein Fels, wenn nicht unser Gott?

33 Gott hat mich mit Kraft umgürtet / und vollkommen machte er meinen Weg. […]

50 Darum will ich dir danken, HERR, inmitten der Nationen, / ich will deinem Namen singen und spielen.“