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Personalentwicklung und Resilienz

Welche Bedeutung Resilienz für Menschen hat, die derzeit hauptberuflich im pastoralen Dienst der Kirche arbeiten, erfahren die Personalentwicklerinnen in den Bistümern Dresden-Meißen und Köln in ihrer beruflichen Praxis jeden Tag. Sie zeigen, worauf es angesichts der institutionellen und mentalen Transformationsprozesse in der Kirche ankommt, damit Seelsorger:innen in ihrem kirchlich-pastoralen Berufsalltag nicht nur überleben, sondern gestalten und dabei gesund, zufrieden und wirksam bleiben.

Berufung versus Rahmenbedingungen – eine Einführung

Wie belastbar ist eigentlich die Behauptung, dass die Zahl derer, die zu einem pastoralen Dienst in der Kirche berufen sind, zurückgeht? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die derzeit erlebbare kirchliche Wirklich­keit immer weniger als ein geeigneter Rahmen erscheint, in dem Men­schen ihre Berufung leben wollen, können bzw. dürfen?

Angesichts aktueller soziokultureller und kirchlich-institutioneller Transformationsprozesse bleiben die einen fern, während andere, die ihr Leben dem Dienst in dieser Kirche geweiht haben, sich nicht selten wie auf einem Schleudersitz fühlen. Der Verlust an mentalen Sicher­heiten trifft pastorale Mitarbeiter:innen existentiell. Denn mit der permanenten Infragestellung gewohnter kirchlicher Bahnen und Denkwege geht ein massiver Wandel im Selbst- und Fremdverständnis einher. Überkommene Rollenbilder haben längst ihre Faszination, ihre Relevanz und damit ihre Wirkkraft verloren. Es bleibt ein seltsames Vakuum, in dem sich manche höchst ungeschützt erleben. Was bisher als Geländer taugte, ist brüchig geworden und erfordert eine oft müh­same Neubestimmung – ein Balanceakt aus Versuch und Irrtum. „Ich muss mich im laufenden Geschäft selbst völlig neu erfinden“, so be­schreibt ein Priester nüchtern und treffend seine derzeitige Heraus­­forderung. „Muss“ oder „darf“ wäre hier provokant zu fragen, zumin­dest, wenn man es wagt, diese Realität einmal (versuchsweise) nicht nur als Zumutung, sondern als Chance zu deuten – als eine ZuMUTung, die unseren Mut, unsere Kreativität und unseren Gestaltungswillen hervor­locken will (und wird, wenn wir uns denn dafür entscheiden). Dass ein Sich-Einlassen auf einen solchen Prozess über weite Strecken wie ein Wandern im Nebel erlebt wird, liegt auf der Hand. Ob es dennoch at­traktiv sein kann, hängt auch davon ab, in welcher Haltung und mit welchen Begleit- und Unterstützungsformaten das jeweilige System einer Diözese solche notwendigen Prozesse begleitet. Hierbei kommt auch der Personalentwicklung (PE) eine Gestaltungsaufgabe zu. Es gilt zu fragen, welches Webmuster von Resilienz pastorale Dienste brau­chen, um in den konkreten Rahmenbedingungen ihres Dienstes nicht nur zu überleben, sondern gesund, zufrieden und wirksam zu bleiben.

Resilienz in einem dynamischen Verständnis erweist sich ja gerade nicht als eine konstant gegebene Eigenschaft (die man einmalig im Rahmen des Recruiting anhand von bestimmten Kriterien erheben könnte), sondern als Ergebnis einer jeweils konkreten Interaktion von Person und Situation. Dabei interagieren Personenmerkmale mit Um­weltbedingungen derart, dass effektive Bewältigungsmechanismen ausgebildet werden. Resilienz ergibt sich dann als Folge einer effektiven Interaktion der spezifischen Verhaltensmuster einer Person mit den jeweils vorliegenden Bedingungen einer besonderen Belastungs­situation (vgl. Pietsch/​Schumacher 2000). Worin liegen hierbei die Möglichkeiten und Grenzen, aber auch die Verantwortung der PE? Welchen Beitrag können Personalentwickler:innen leisten, damit pas­torale Mitarbeiter:innen angesichts aktueller Belastungssituationen eine Resilienz entwickeln, die sowohl ihnen dient als auch den Menschen, zu denen sie gesandt sind?

Spezifische Herausforderungen im pastoralen Dienst

Pastorale Mitarbeiter:innen sind prägende Wegbegleiter:innen und fungieren als Projektionsfläche vielfältiger Erwartungen: Sie sind „die Leute vor Ort“, welche die Turbulenzen aktueller Veränderungsprozesse sehr konkret, alltäglich und selten spannungsfrei erleben und zu gestal­ten haben. In der damit verbundenen Gemengelage kristallisieren sich einige Herausforderungen besonders heraus:

  • Arbeitsverdichtung angesichts großer pastoraler Räume, einer tradierten additiven Arbeitsweise und dem Rückgang personeller Ressourcen. Das kann bisweilen zu zeitlicher Überforderung (Burnout) bei gleichzeitiger inhaltlicher Unterforderung (Boreout) führen.
  • Umgang mit widersprüchlichen Erwartungen vor- sowie nachge­lagerter Hierarchieebenen („Sandwich-Position“), woraus sich zum einen Rollenunklarheit („Was soll ich tun?“) und zum anderen per­manente Unzufriedenheit („Einen Tod stirbt man immer!“) ergeben.
  • Erfahrungen von Vergeblichkeit, weil sich pastorale Erfolge nur in bestimmten Bereichen messen lassen und die derzeitige Iden­ti­tätskrise der Kirche eher hilflose und teilweise halbherzige pasto­rale Versuche als eine mehr oder weniger innovative „Trial-and-Error-Strategie“ (Versuch und Irrtum; d. Hg.) hervorbringt.

Diese Herausforderungen sind eingebettet in spezifische organisationale Rahmenbedingungen, die über die Jahre einer (Berufs-)Biographie einen Druck erzeugen können, den man sich bei der Berufswahl zunächst kaum hat vorstellen können, auch wenn die Rahmenbedingungen von Anfang an klar formuliert waren und man dazu sein „Ja“ gesagt hat:

  • Eine Vermischung von Privatem und Beruflichem ergibt sich fast zwangsläufig aufgrund der jeweilig nötigen Zeitfenster (z. B. Sonn­tags­gottesdienst und Familie), der Anforderungen des beruflichen Auftrages (z. B. professionelle Glaubensverkündigung und per­sön­liche Spiritu­ali­tät) und der eigenen Lebensführung (z. B. Abwei­chung von kirchlichen Regeln und daraus resultierende berufliche Sanktionierungen).
  • Es besteht dienstgeberseitig eine hohe Flexibilitätserwartung an die Einsetzbarkeit ohne Einfluss auf die Einsatzbedingungen (z. B. auf Teamzusammensetzung oder die Leitung vor Ort).
  • Für die Besetzung vieler wirkmächtiger Leitungspositionen ist die Weihe bedeutsamer als fachliche Kompetenz und menschliche Eignung. Daher sind berufliche Aufstiegschancen für führungs­starke pastorale Dienste ohne Weihe, insbesondere im Hinblick auf eine rechtsrelevante, „echte“ Leitungskompetenz gering bis un­erreichbar. Die Auslegung des diesbezüglichen Rechtsrahmens (z. B. Pfarreileitung zwischen klassi­schem kanonischen Pfarrer und der Leitung durch nicht zum Priester geweihte Personen gemäß c. 517,2 CIC) liegt im Ermessen eines jeden Bischofs und ist daher personenabhängig.

Gesund, zufrieden und wirksam?!

Gesellschaftlicher Transformationsdruck und innerkirchliche, bisweilen disruptive Veränderungsdynamiken prägen das aktuelle Erleben: Ist es überhaupt möglich, darin gesund, zufrieden und wirksam zu arbeiten?

Einige Denkspuren, die relevant für das Gelingen sind, seien im Folgen­den skizziert:

1. Akzeptanz gegenüber nicht Veränderbarem praktizieren
Durch die faktische Dominanz des Kirchenrechts ist in der Kirche vieles absehbar nicht veränderbar, wohl aber gestaltbar. So ist jenseits von Sonntagspredigten und pastoralen Papieren die klare Kommunikation dessen, was im jeweiligen Bistum unter der aktuellen Bistumsleitung faktisch als unveränderbar vorgegeben ist, eine Frage der Redlichkeit und Transparenz. Das ist zwar ggf. schmerzhaft, beugt allerdings per­manenten Ent‑Täuschungen vor und die Energie kann in das fließen, was gestaltbar ist. Es ist dann in die individuelle Entscheidung gelegt, an welcher Stelle man wie intensiv und mit welchem gesundheitlichen bzw. beruflichen Risiko in einen Konflikt gehen will und kann.

2. Glaubenssätze erkennen und verändern können
Die wirksamsten Glaubenssätze einer Organisation finden sich häufig nicht in ihren offiziellen Dokumenten, so auch in der Kirche. Verschie­denste z. T. konträre oder einander ausschließende Gottes‑, Kirchen- und Menschenbilder liegen unausgesprochen nebeneinander. Manche (In‑)Frage(‑stellung) ist ein Tabu. Dabei ist es bisweilen entscheidend, neben den ausgesprochenen auch die mächtigen unausgesprochenen Spielregeln einer Organisation zu kennen. Nur wer das Spiel und seine Regeln kennt, wird nicht so schnell selbst zum Spielball. Denn erst dann kann man sich in größtmöglicher Freiheit entscheiden, wie der eigene Beitrag in diesem Spiel aussehen soll. Klug gespielt, kann ein System ggf. „überlistet“ werden und es können sich auf diese Weise Spielregeln auch verändern – selbst wenn in der Spielanleitung etwas anderes steht. Das (Er‑)Kennen der Spielregeln ist die zwingende Voraussetzung für diese konstruktive Version von Widerstand.

3. Veränderungsprozesse und Ambiguität: verstehen, um zu bestehen
Pastorale Dienste stehen derzeit unter einem hohen Veränderungs­druck. Die klassische Rollenarchitektur trägt nicht mehr, neue Ansätze sind bislang kaum in der Praxis gelandet. Das verunsichert und macht Angst. Um Veränderungen aktiv zu betreiben statt sie lediglich zu er­leiden, sind Kenntnisse von Veränderungsprozessen unabdingbar. Nur wer versteht, wie Veränderung funktioniert, kann in ihr bestehen. Das gilt für innerkirchliche Prozesse ebenso wie für die gesamtgesellschaft­lichen lokalen und globalen Transformationsprozesse und muss sich im Kanon der Qualifizierungsmaßnahmen abbilden.

Darüber hinaus ergibt sich in einer zunehmend segmentierten Welt („Leben in Blasen“) die Herausforderung, widersprüchliche Erwar­tungen, Aussagen und Glaubenssätze nebeneinander stehen zu lassen und nicht in die Eindeutigkeitsfalle zu tappen. Klarheit bedeutet nicht zwangsläufig Eindeutigkeit. Nicht umsonst ist die katholische Kirche eine, die Einheit gerade in der Vielfalt lebt und die ihre Wahrheit, um mit Hans Urs von Balthasar zu sprechen, symphonisch konzertiert. Hin­sichtlich eines resilienten Umgangs mit der mehrdeutigen, ambigen Wirklichkeit des Lebens sind Ambiguitätstoleranz und entsprechende Gestaltungskompetenz eine notwendige Voraussetzung.

4. Verantwortung klären und kommunizieren
Pastorale Dienste sind nicht selten getrieben vom Eifer, daran mitzu­wirken, „die Welt zu retten“. Die besondere Verbindung von Beruf und Berufung kann dazu führen, dass jemand Verantwortung für alles Mög­liche übernimmt und sich damit restlos überfordert. Manchmal kommt es aber auch zu einer genau entgegengesetzten Reaktion, nämlich: Ver­antwortung immer an andere zu delegieren (an die Kolleg:innen, den Pfarrer, den Bischof …).

In der Begleitung pastoraler Dienste ist es daher hilfreich, Lern- und Experimentiersettings zu schaffen, in denen eine angemessene Über­nahme von Verantwortung eingeübt werden kann. Das beinhaltet das Ausloten der eigenen Belastungsgrenzen und die Fähigkeit sich abzu­grenzen ebenso wie die Notwendigkeit, die Konsequenzen des eigenen Handelns auch wirklich tragen zu müssen.

Allerdings: Um Verantwortung transparent zu gestalten, sind die je­wei­ligen Rollen, deren Verantwortlichkeiten und Zuständigkeits­­kompe­tenzen ebenso zu klären wie die entsprechenden Schnittstellen, Pro­zesse und Ressourcen. Dafür Sorge zu tragen, gehört zu den zentra­len Führungsaufgaben. An diesem Aspekt wird deutlich, dass es eine Ein­bindung der PE in strategische und organisationsentwicklerische Über­legungen geben muss. Es reicht nicht, mit Mitarbeitenden wie Füh­rungs­kräften angemessene Herangehensweisen einzuüben, wenn die Rahmenbedingungen für die Verantwortungsgestaltung nicht beschrie­ben und kommuniziert sind. Nur auf dieser Grundlage kann die PE ihren Teil dazu beitragen, dass die Rahmenbedingungen verstanden, akzep­tiert und vor Ort umgesetzt werden können.

5. Spiritualität und Lebenskultur
Laut der Seelsorgestudie (vgl. Baumann u. a. 2017) liegt die große Kraft­quelle pastoraler Dienste in einer erfahrungsgesättigten Spiri­tualität. Dies gilt quer durch alle Berufsgruppen, Lebensalter und Frömmig­keits­formen. Eine resilienzförderliche PE kann hier an­setzen, indem sie Lernräume anbietet, welche die eigene und auch die ge­mein­schaftliche Spiritualität vertiefen.

Neben der spirituellen Verortung ist eine Einbindung in verlässliche menschliche Beziehungen konstitutiv, um Herausforderungen und Krisen zu meistern. Dieser Bereich ist jenseits der klassischen gemein­samen Partnerschafts- oder Familienangebote für laienpastorale Diens­te und Diakone sicherlich noch ausbaufähig. Das gilt auch für die Erweiterung der Beziehungsnetzwerke, in denen pastorale Dienste leben. Häufig gibt es hier eine hohe Überschneidung zwischen den Menschen, mit denen man dienstlich zu tun hat, und den privaten Kreisen. Hier sollte schon in der Berufseinführungsphase für vielfältige Netzwerke geworben werden – frei nach dem Motto: „Verbringen Sie Zeit mit Menschen, die Sie irritieren!“ Das erweitert den Horizont, bringt auf andere Gedanken und macht Spaß – wichtig für das eigene Wohlbefinden und auch die Weitung des pastoralen Spürsinns.

6. Finanzielle Absicherung als Komfortzone
Die Coronakrise verstärkt es wie unter einem Brennglas: Eine Kehrseite der hohen Bindung pastoraler Dienste an den Dienstgeber ist dessen (noch) hohe Versorgungsverbindlichkeit. Diese Absicherung bewirkt bei den einen ein Sich-Einrichten in der Komfortzone, denn Quantität und Qualität des Output hat(te) keine direkte Auswirkung auf die eigenen Bezüge. Andere nehmen die finanzielle Absicherung als Ansporn, den Rahmen der Möglichkeiten so weit, kreativ und mutig wie möglich aus­zuschöpfen. Eine kontinuierliche Weiterbildungsverpflichtung bietet beiden Haltungen Entwicklungsperspektiven.

Strategische Handlungsfelder der Personalentwicklung

„Während Personalentwicklung ursprünglich und über Jahrzehnte hinweg vor allem mit fachlicher Fort- und Weiterbildung gleichgesetzt wurde, zielt sie heute auch auf die Förderung von Schlüsselqualifikatio­nen, die Förderung der Identifikation mit dem Unternehmen, die Ver­meidung der Abwanderung von Personal durch geeignete Formen der Mitarbeiter:innenbindung und die Schaffung von Potenzialen für ler­nende Organisationen“ (Beck/​Schwarz 2004).

Exemplarisch werden hier zwei relevante Handlungsfelder der PE in den Blick genommen:

1. Lernen als Wesensmerkmal von Entwicklung
Lernen befördert resilientes Verhalten. Personalentwicklerisches Han­deln kann Lernen sukzessive als eine Haltung etablieren, indem Lern­settings passgenau als Teil eines möglichst breit aufgestellten Unter­stützungshandelns diverser Akteure kreiert werden. So werden Mit­arbeitende, die idealerweise in die Entwicklung und Evaluation von Maßnahmen einbezogen werden, zur optimalen Erfüllung ihres Auftra­ges unterstützt. Organisch in Alltagsabläufe integriertes Lernen verän­dert die Haltung zu lebenslanger beruflicher Qualifizierung: PE-Maß­nahmen werden dann nicht mehr als nette, aber wirkungslose Unter­brechungen des Arbeitsalltags wahrgenommen, sondern als attraktive Möglichkeit, die eigene Wirksamkeit relevant zu verbessern. Auf diese Weise entwickelt sich die PE selbst von der Wissensorganisatorin zur Lernbegleiterin, bei der die Mitarbeitenden Subjekte ihrer eigenen Entwicklung bleiben.

Dazu dient eine auf Erwerb und Erweiterung von Kompetenzen aus­gerichtete berufliche Qualifizierung. Kompetenzbasiertes Lernen zielt auf die agile Verknüpfung von Wissen, Fertigkeiten, Persönlichkeit und Sozialkompetenz. Interdisziplinär verknüpft (z. B. Neurodidaktik, Er­wachsenenbildung oder Medienpädagogik) wird sie damit der ganzheit­lichen Wirklichkeit von Mitarbeitenden gerecht. Solche fokussierten situationsbezogenen Maßnahmen entfalten allerdings nur dann eine dauerhafte Wirkung, wenn sie sich mit einem passenden Einsatzfeld, einem angemessenen Lohngefüge, dem Gesundheitsmanagement u. Ä. verbinden (Rückbindung an organisationale Rahmenbedingungen).

Daneben gilt es, den Transfer zu beachten. Weniges ist auf Dauer frus­trierender als inspirierende Erkenntnisse aus Fortbildungen mit Top-Referent:innen und toller Performance, die auf dem Weg in die Umset­zung „verhungern“. Dann lieber weniger lernen, dies aber um­setzen! Die Gefahr eines Absturzes im gap zwischen Theorie und Um­setzung ist im pastoralen Bereich besonders hoch. Deshalb gehört zur Entwicklung einer neuen Lernarchitektur auch die Berücksichtigung der Wirkungs­kaskade, denn Kennen, Können und Machen brauchen einander.

Dies führt zu einem letzten Gesichtspunkt dieses Abschnitts: Vorge­setzte haben einen großen Einfluss darauf, ob Mitarbeitende wirksam und zufrieden arbeiten können oder nicht. Deshalb hat personal­ent­wicklerische Investition in eine kontinuierliche und gleichzeitig unter­stützende wie fordernde Lernbegleitung von Füh­rungskräften eine hohe und multiplikatorische Wirkung. Lernt und wächst eine Führungskraft, kann das ganze Team lernen und wachsen. Das erhöht neben dem Out­put die langfristig engagierte Bindung ins­besondere der „Besten“ an die Organisation. Darüber hinaus ist es klug, neben der Führungskräfte­förderung so früh und so viel wie möglich berufsgruppen- und bistums­übergreifend sowie cross-funktional (zwischen verschiedenen Spezia­listen und Generalisten; d. Hg.) zu lernen.

2. Recruiting
Im Rahmen des Recruitings (Personalbeschaffung; d. Hg.) geht es zu­nächst darum, die „Richtigen“ auszuwählen. Auf der Grundlage einer systemspezifischen Risikoanalyse lassen sich Bewerbungsverfahren kon­zipieren, in denen die Ausprägung individueller Resilienzfaktoren in eine Korrelation zu den systemspezifischen Herausforderungen ge­bracht werden kann. Dazu bedarf es einer Kultur des Hinsehen-Wollens, die nicht primär vom Wunsch nach Rekrutierung getrieben ist, sondern aus der Kenntnis des Systems und der realen Anforderungen an pasto­rale Dienste heraus nur jene Personen zulässt, die das Potenzial erken­nen lassen, auch innerhalb von spezifisch-kirchlichen Belastungs­situ­ationen flexibel, handlungsfähig und lernend zu bleiben.

Darin allein kann sich der Beitrag der PE allerdings nicht erschöpfen. Denn eine gute Akquise und Ausbildung lösen nur einen Teil des Re­silienzproblems. Sowohl die Erfahrung, dass „auch gute Leute im Sys­tem krank werden“, als auch die wissenschaftliche Forschung weisen darauf hin, dass Resilienz keine unveränderliche Konstante darstellt. Im kirchlichen Kontext sehen sich insbesondere junge Menschen, die mit einer hohen Kompetenz und einer beeindruckenden Motivation ausge­stattet an den Start gehen, mit einem ausgeprägten Normierungsdruck konfrontiert, dessen Relativierung oder Zuspitzung sehr stark vom Verhalten ihrer unmittelbaren Vorgesetzten und der Teamqualität ab­hängt. Die organisationalen Rahmenbedingungen im System Kirche sind stark ideologisch aufgeladen und häufig spirituell überhöht. Daraus ergibt sich ein Dilemma, das Personalverantwortliche sehr wachsam im Blick haben müssen: Wer sich dem Normierungsdruck widersetzt, gilt schnell als „Nestbeschmutzer:in“, nicht „tief genug verankert“ oder schlichtweg als „schwierig“. Wer sich dem Normierungsdruck jedoch (unreflektiert) anpasst, kappt damit u. U. auch den Zugang zu den ei­genen Ressourcen und vermag daher in der Krise keine wirksamen Problemlösestrategien zu entwickeln. Der Begleitungsaufwand für die PE ist in beiden Fällen gleich hoch. Daher gilt: Die Anpassungsfähigkeit ans System ist nicht per se ein Qualitätskriterium, sondern muss in einer Korrelation zu einem gesunden Maß an Selbstbezug stehen.

Bleibende Spannungsfelder der Personalentwicklung

Bei allen Bemühungen einer kompetenten und sowohl fordernden als auch fördernden PE bleiben bestimmte Spannungsfelder bestehen.

1. Strukturelle Versäulung: PE als Inseldisziplin
Der Fachbereich PE findet sich in den meisten (Erz-)Diözesen in einer strukturellen Versäulung neben der (oft nicht klar definierten und organisierten) Organisationsentwicklung (OE) und der Pastoralab­teilung vor. Zielperspektiven, Leitlinien und Strategien werden in den Bereichen unabhängig voneinander bearbeitet, finden im besten Fall nebeneinander und gelegentlich gegeneinander statt. Damit ist eine strategisch abgestimmte und strukturierte Umsetzung der relevanten Linien der Organisation in der Qualifizierung der Mitarbeitenden nicht gegeben. Dadurch bekommt die OE „die PS nicht auf die Straße“ und die Pastoralabteilung „fährt mit angezogener Handbremse“. Ideal wäre eine Vernetzung der pastoralen Strategien mit OE und PE. So könnte die PE als Umspannwerk der Pastoral fungieren und wäre zugleich ein wich­tiger Resonanzraum bezüglich der Machbarkeit und der Grenzen ange­strebter Veränderungsprozesse.

2. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Wein predigen, Wasser ausschenken
Ein weiteres, tiefgehendes Spannungsfeld liegt häufig in den Diskre­panzen zwischen (pastoral-)theologischen, personalentwicklerischen und anderen Fachstandards und deren (Nicht‑)Rezeption in den jewei­ligen pastoralen Bistumslinien und den spezifischen diözesanen Rea­litäten. Egal auf welcher Hierarchieebene: Wenn der schlichte Füh­rungs­grundsatz „Sage, was du tust, und tue, was du sagst!“ nicht als gelebt erfahren wird, sind fachlich noch so versierte Entwicklungs­maßnahmen zu Veränderung, Teamkultur, Ermöglichung, Charis­menorientierung zum „Verhungern“ in der Theorieecke verdammt.     Das ist auf Dauer nicht gesundheitsfördernd.

3. Das Dilemma von Personalentwickler:innen
Daraus ergibt sich ein für jede PE auszutarierendes Spannungsfeld, das jedoch aufgrund der hohen existenziellen Bindung pastoraler Dienste an den Dienstgeber eine besondere Brisanz hat: Wie ist damit umzu­gehen, wenn Mitarbeitende sich mit Hilfe der PE auf Grundlage der diözesanen pastoralen Leitlinien fachlich und persönlich für ihren Auftrag wirksam qualifizieren, dadurch aber zunehmend Konflikte zwischen idealem Anspruch und den faktisch gelebten konträren Strukturen und Kulturelementen der Organisation deutlich werden?

Was tun, wenn sich die Spannung zwischen dem, was aus fachlicher Sicht für Einzelne oder auch ganze Gruppen von Mitarbeitenden un­bedingt notwendig wäre, um nicht dauerhaft krank zu werden, und dem, was das System fordert, zu einem echten Zielkonflikt auswächst?

Darf und kann dieses gap identifiziert, kommuniziert und bearbeitet werden? Oder bleibt es eine unausgesprochene Herausforderung der Ambiguitätsgestaltungskompetenz aller Beteiligten?

An dieser Stelle spitzt sich die Frage nach Resilienz auf Personal­ver­antwortliche selbst zu: Was brauchen eigentlich Personalentwick­ler:innen, um in diesem Dilemma gesund, zufrieden und wirksam zu bleiben?

Die Lösungsansätze für solche Herausforderungen sind zu vielgestaltig, um sie in einer einfachen Antwort zu vereinen. Darüber ins Gespräch zu kommen, wäre ein wirksamer Anfang. Fest steht allerdings: Ohne Ge­stal­­tungsfreiräume wird es für wachstumsorientierte Personaler:innen auf Dauer nicht gehen. Daher muss es zu ihrem Kompetenzprofil ge­hö­ren, solche Räume freizulegen und mutig zu gestalten. Im besten Fall entstehen daraus Biotope (Orte des Lebens) für alle Beteiligten.

Diese und andere hier aufgezeigte Ansätze für eine resilienzförderliche Haltung bündeln sich im Gebet der Gelassenheit, das auch im Sinne einer geistlichen Unterscheidung eine heilsame Perspektive aufzeigt:

 

Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann!

Gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann!

Und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden!

(Reinhold Niebuhr)