Die Kirche im Heim lassen?
Perspektiven der Altenheimseelsorge
Wenn es um den kirchlichen Strukturwandel geht, ist häufig zuerst die Zukunft der Pfarrgemeinden im Blick. Auch bei der Umgestaltung kirchlicher Einrichtungen zu Kirchorten wird zunächst an Kindergärten, vielleicht noch Schulen und Krankenhäuser, gedacht. Altenheime bleiben dagegen in dieser Betrachtung oft außen vor. Für deren Bewohner_innen nimmt man an, dass sie zumindest größtenteils noch fest im Glauben verankert sind. Zumindest herrscht der Eindruck, als sei ihnen mit der herkömmlichen Form des Kircheseins Recht und Genüge getan. Neue Formen des Glaubenslebens scheinen hier nicht erforderlich. Aus dieser Sicht kommt die Frage nicht von ungefähr, ob es sich Kirche erlauben könne, sich angesichts mangelnder Ressourcen aus diesem Bereich ein wenig zurückzuziehen, um sich auf andere Bereiche zu fokussieren, in denen eine Intensivierung der Bemühungen notwendiger erscheint.
Hiermit ist der Hintergrund der Tagung „Die Kirche im Heim lassen? – Perspektiven der Altenheimseelsorge“ benannt, die am 5. Oktober 2017 im Haus am Dom in Frankfurt a. M. stattfand. Geladen waren sowohl Praktiker_innen der Altenheimseelsorge als auch Vertreter_innen der Einrichtungen, der Trägerverbände und der Bistümer; Schirmherr und Gastgeber war als Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz der Osnabrücker Bischof Dr. Franz-Josef Bode, als Veranstalter fungierte das Bundesforum Katholische Seniorenarbeit (BfKS). In der fünfstündigen Veranstaltung erwartete die Teilnehmer_innen ein dicht gefülltes Programm, in dem allein schon wegen der engen Taktung, aber auch wegen der sehr engagierten Referentinnen und Referenten keine Langeweile aufkam.
Wenngleich im Tagungstitel als Frage formuliert, wurde ein möglicher Rückzug katholischer Seelsorge aus den Altenheimen von allen Referierenden klar verneint. Altenheime seien nicht Orte des Todes, sondern des Lebens und Kirche habe die Aufgabe, das Leben der Menschen ganzheitlich zu begleiten, so der Gastgeber, Bischof Bode, zur Begründung. Ferner machte Bode in seinem Begrüßungsstatement auf den Wandel des Verhältnisses zwischen kategorialer und territorialer Pastoral aufmerksam, der auch die Altenheime betrifft, die traditionell zu den Orten kategorialer Seelsorge gehören. In einer Zeit, in der die Lebensräume der Menschen immer vielfältiger werden und in der Fläche immer mehr spezielle und personenbezogene Kirchorte entstehen, erscheint diese Einteilung immer weniger trennscharf und hilfreich. Hinzu kommt, dass den Bistümern immer weniger Personal zur Verfügung steht, um es speziell für einen kategorialen Kirchort abzustellen. Angesichts dessen gehe es, so Bode, hinsichtlich der personellen Zuständigkeiten in der Altenheimseelsorge um die „Balance von Professionalität und seelsorglich qualifizierter Lebenskompetenz“.
Nach der Begrüßung wurden in der Auftaktrunde in den Perspektiven von neun Beteiligten aus unterschiedlichen Bereichen die Spannbreite der Akteur_innen und Verantwortlichen und das Spannungsfeld kirchlicher Altenheimseelsorge deutlich. Zu Wort kamen ein Einrichtungsleiter, eine Pflegemitarbeiterin, eine Ehrenamtliche, eine Bewohnerin, je eine Altenheimseelsorgerin in einer kirchlichen und in einer privaten Einrichtung, eine Mitarbeiterseelsorgerin, der Geschäftsführer eines Trägerverbandes und ein Mitarbeiter der Heimaufsicht. Auch wenn es aus kirchlicher Perspektive möglicherweise zunächst begrüßenswert erscheint, fiel auf, dass als Seelsorger ausschließlich Frauen ein Kurzstatement abgaben, die leitende oder beaufsichtigende Perspektive in der Auftaktrunde dagegen ausschließlich von Männern übernommen wurde. Insgesamt wurde von allen Beteiligten die Wichtigkeit und die Bedeutung der Altenheimseelsorge betont und dafür plädiert, die Altenheime in dieser Hinsicht vonseiten der Kirche nicht im Stich zu lassen. Auch wenn Pflegemitarbeiter_innen in einzelnen Bereichen Beistand leisten können, könne dies die professionelle Seelsorge nicht ersetzen, hieß es exemplarisch in einem Statement.
Einen wichtigen Ausgangspunkt der Veranstaltung bildete die Studie „Katholische Altenheimseelsorge. Ist-Stand und Zukunftsszenarien“ des Lehrstuhls für Pastoraltheologie und Diakonische Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, deren Kernpunkte die Lehrstuhlinhaberin Dr. Dr. Doris Nauer in zwei Kurzreferaten vorstellte und zuspitzte. Nauer machte deutlich, dass es sich sowohl bei dem herkömmlichen Modell der Kategorialseelsorge, also der Abstellung kirchlich angestellter Mitarbeiter in Vollzeit für eine Altenheimeinrichtung, als auch bei der Betreuung durch Ordensangehörige und pensionierte Priester aufgrund des knapper werdenden Personals um Auslaufmodelle handele. Gleichzeitig zeichnete sie andere, alternative Modelle als nicht ausreichend profiliert, um die Altenheimseelsorge zu gewährleisten. In vielen Altenheimen, auch in kirchlichen, finde daher überhaupt keine Altenheimseelsorge statt. Gleichwohl, so hob sie hervor, sei die Seelsorge als Element kirchlicher Einrichtungen für deren christliche Identität unverzichtbar. Darüber hinaus sei es Aufgabe der Seelsorge, für alle Menschen in umfassender Weise für ihre seelischen Belange da zu sein. Altenheimseelsorge könne sich daher nicht allein wie die Altenseelsorge vor dem II. Vatikanum auf Sakramentenspendung für alte Menschen beschränken, sondern habe neben einer spirituellen auch eine heilsame und eine diakonische Dimension, die sich auch auf Pflegende und Angehörige beziehe. Sie warnte davor, sich aus den Altenheimen zurückzuziehen und der Pflege das Feld zu überlassen, wenn es darum geht, für die spirituellen Bedürfnisse der Heimbewohner_innen aufzukommen. Ihre zentrale Forderung lag daher in einer stärkeren Berücksichtigung kirchlicher Altenheimseelsorge innerhalb pastoraler Konzeptualisierung und einer stärkeren Kooperation zwischen Bistümern und Trägern. Ihre entsprechende Vision gliederte sie in fünf Punkte:
- Schaffung struktureller Rahmenbedingungen für eine enge Zusammenarbeit
- Gemeinsame Erarbeitung moderner, leicht verständlicher Altenheimseelsorgekonzepte
- Gemeinsame Bereitstellung und Zusatzqualifizierung von Seelsorgenden
- Gemeinsame Entwicklung kreativ-innovativer Finanzierungsmodelle
- Gemeinsames Bekenntnis zur Notwendigkeit christlicher Seelsorge und Klärung der Verhältnisbestimmung zu Spiritual Care (Versorgung spiritueller Bedürfnisse durch Pflegemitarbeiter)
Eingeschoben waren die Beiträge von Dr. Maria Kotulek, Fachreferentin für Demenz im Erzbistum München und Freising, und Maria Adams, Mitarbeiterseelsorgerin der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria in Köln. Kotulek wies die Grenzen des pflegerischen Ansatzes von Spiritual Care auf und machte deutlich, dass dieser Seelsorge nicht ersetzen könne. Während Spiritual Care weltanschaulicher Neutralität verpflichtet sei, wertschätze Seelsorge die Verwiesenheit des Menschen auf ein Geheimnis nicht nur, sondern deute sie auch. Maria Adams wies dagegen den Wert der in vielen Alteneinrichtungen häufig vernachlässigten Mitarbeiter_innenseelsorge auf. Für ihre Dienstleistung, die bei den Cellitinnen unabhängig von ihrem Glauben allen zur Verfügung steht, erfahre sie viel Wertschätzung und sie biete so ein Stück Kirche zum Anfassen.
Nach einem kurzen Mittagsimbiss boten Tischgruppen die Möglichkeit, über Professorin Nauers Vision und die Bedeutung von Spiritual Care zu diskutieren. Unter anderem wurde genannt, dass Spiritual Care auch als Anzeichen verstanden werden könne, dass kirchliche Seelsorge für Menschen, die nicht in einer christlichen Tradition aufgewachsen sind, nur wenig ansprechfähig ist.
Anschließend warf nicht ein Theologe, sondern der Gerontologe Prof. Dr. Dr. h. c. Andreas Kruse, unter anderem verantwortlicher Autor der Altenberichte der deutschen Bundesregierung, unter dem Vortragstitel „Was hat die Kirche von Altenheimseelsorge, welche Chancen bieten sich ihr?“ einen geistlichen Blick auf den Wert der Altenheimseelsorge. Kruse stellte das Alter als eine Lebensphase dar, die eine besondere Verletzlichkeit besitze, die über eventuelle Alterserkrankungen hinausginge. Gerade am Lebensende werden Fragen – nach dem Sinn des Lebens, nach dem Wert und dem Bleibenden vergangener Taten, nach Schuld, Vergebung und Wiedergutmachung, nach dem Leben nach dem Tod – noch einmal in neuer Tiefe bedeutsam und fordern zugleich den Glauben heraus. Es sei gerade diese Verletzlichkeit, diese „Vulnerabilität“, die die Möglichkeit zu seelisch-geistlichen Entwicklungsprozessen eröffne. Solche Reifeprozesse seien jedoch nur in Sorgebeziehungen möglich.
Im abschließenden Podium zeigte sich, dass es den Referent_innen gelungen war, dafür zu werben, die Altenheimseelsorge bei der Gestaltung des kirchlichen Wandels miteinzubeziehen. Bischof Bode bedankte sich insbesondere bei Prof. Kruse für die Erschließung der spirituellen Aspekte des Alterns, außerdem sei ihm der Wert der Mitarbeiterseelsorge durch Frau Adams neu bewusst geworden. Er wolle sich in der Bischofskonferenz um die Erarbeitung von Leitlinien für Rahmenkonzepte zur Altenheimseelsorge bemühen. In der Auseinandersetzung mit Spiritual Care warb er darum, auch die positiven Aspekte dieser Entwicklung wahrzunehmen. Caritas-Präsident Dr. Peter Neher betonte ebenfalls die Wichtigkeit von Leitlinien für Rahmenkonzepte.
Aufgrund der Anlage der Veranstaltung blieb die Betrachtung der Seniorenpastoral innerhalb der Fachtagung weitestgehend auf Altenheime beschränkt. Dabei ist es vielen alten Menschen wichtig, solange wie möglich zuhause oder im Haus der Kinder versorgt zu werden. Auch von staatlicher Seite wird aus Kostengründen die ambulante Pflege immer stärker favorisiert und nicht nur finanziell, sondern auch rechtlich zu unterstützen versucht. Gerade diese Entwicklung zur Dezentralität stellt Seelsorge vor eine große Herausforderung. Keineswegs ausschließlich, aber gerade hier wird es notwendig sein, Angehörige, Pflegende und auch Gepflegte nicht nur als Empfänger von Seelsorge zu betrachten, sondern zu sehen, welche Seelsorge von diesen Menschen bereits geleistet wird, und zu fragen, wie diese Menschen von der kirchlichen Gemeinschaft unterstützt und begleitet werden können. So erzählte eine Altenheimbewohnerin, freilich studierte Theologin, in der Auftaktrunde davon, dass sie mit ihren Mitbewohner_innen häufig Glaubensgespräche führe. Hiermit verbunden ist die Frage, wie eine zukünftige Aufgaben‑/Kompetenzverteilung zwischen Haupt-, Neben-, Ehrenamtlern in der Seniorenpastoral aussehen könnte und welche Wertschätzung und Unterstützung natürlichen Bezugspersonen in dieser Hinsicht zugemessen wird. Letztlich offen blieb auch die Bedeutung von Spiritual Care, welche Rolle dieser Ansatz in der Seniorenpastoral zukünftig spielen kann und welche Art von Seelsorge sinnvollerweise vom Pflegepersonal übernommen wird und werden sollte.