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Replik auf den Beitrag von Birgit Hoyer

In ihrem Beitrag widmet sich die Verfasserin dem Konzept Identität in individualpsychologischer („Eigenwert der Person“) und soziologischer („Kollektividentität“) Hinsicht, um daraus die Grammatik einer „katho­lischen Identität“ zu entwickeln bzw. auf die Problematik eines solchen Konzepts hinzuweisen. Dabei ist das „Katholische“ bei Ausbildung per­sonaler und kollektiver Identität für sie nachrangig, es hat nur dann Relevanz, wenn andere Systeme der Identitätsstiftung nicht weit genug ausgreifen: „Ziel von Identitätsfindungsprozessen ist politische, soziale, personale und, sollte sie nicht bereits in diesen Dimensionen aufgehen, religiöse Handlungsfähigkeit.“

Diese Sicht auf die Identität des Katholiken als Person oder der Kirche als Kollektiv überrascht, da es dem Glauben abspricht, Primärressource bei der Identitätsbildung zu sein. Das wiederum ist selbst Kerngedanke der katholischen Identität (dass sich das Handeln als Person in privaten und öffentlichen Beziehungen aus dem Glauben heraus ergibt bzw. er­geben sollte), mit der die Verfasserin – wenn ich sie richtig verstehe – Schwierigkeiten hat.

1. Zunächst macht es ihr Schwierigkeiten, dass sich der Begriff „Identi­tät“ nicht vollumfänglich positiv und eindeutig bestimmen lässt. Dieses Schicksal teilt er mit anderen Begriffen, etwa dem der Freiheit, der Ge­rech­tigkeit oder des Glücks. Dennoch wissen wir – zumeist schon intui­tiv – was gemeint ist, vor allem, was nicht gemeint ist. Also: Auch, wenn nicht im Letzten klar sein mag, was katholisch ist, so ist doch oft klar, was nicht katholisch ist.
Zwar räumt die Verfasserin ein, dass Identität ein für den Menschen be­deutendes Thema ist, sieht das Konzept jedoch als Platzhalter für ein undefinierbares, weithin flexibel gestaltbares, immer wieder neu – mit sich selbst – auszuhandelndes Phänomen. Das variable Eigene bilde sich, dem Soziologen Dirk Baecker zufolge, in der Beziehung zum Ande­ren heraus. Wenn die Verfasserin mit Baecker darauf verweist, dass die­ses Andere gewählt wird (und nicht gegeben ist) – „Beziehungen, zu denen man gerne Kontakt aufnehmen möchte“ –, dann übersieht sie, dass diese Bereitschaft zur Annahme identitätsbildender Dispositionen bereits durch die eigene Identität präjudiziert ist. Ein katholischer Christ wird mit einigen Menschen gar keinen Kontakt aufnehmen wollen – aus Gründen seiner katholischen Identität. Um diesem Zirkel zu entkommen, braucht es eine von der Beziehungsdynamik unabhän­gige, insoweit gerade „fixe, feste, stabile“ Ressource der Identitätsbil­dung. Diese lehnt die Verfasserin jedoch gerade ab (vgl. Punkt 3).

2. Ihre Skepsis gegenüber einem auf Nation und Ethnie festgelegten Identitätsbegriff teile ich. Wichtig ist ebenso ohne jeden Zweifel ihr Hinweis zum Konnex von Identität und Gewalt, ein Zusammenhang, der historisch überdeutlich aufzuweisen ist. Dabei ergibt sich die Frag­würdigkeit einer über nationale und ethnische Zugehörigkeit bestimm­ten Identität weniger aus dem Begriff der Identität als vielmehr aus den Konzepten „Nation“ und „Ethnie“. Zwar spielt der Kulturraum, in dem ein Mensch aufwächst, eine Rolle für die Persönlichkeitsentwicklung (so, wie die Sprache, die jemand spricht, sein Denken mitbestimmt), aber eben keine so große wie seine weltanschauliche Verortung. Ein Berliner Katholik hat mit einem Katholiken aus Südamerika mehr ge­mein als mit einem Atheisten aus Sachsen-Anhalt. Daher ist der Verfas­serin zuzustimmen, wenn sie feststellt: „Die Frage nach Identität win­det sich im christlichen Kontext aus nationalen Engführungen in die Weite einer konfessionell und religiös entgrenzten Katholizität“.

3. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass der katholische Iden­titätsbegriff bei der Verfasserin so substanziell ausgehöhlt erscheint. Denn ihre Depotenzierung des Identitätsbegriffs geht einher mit einer­seits einem ethischen Relativismus (Gebote werden zu „Angeboten“ und müssen „auch wieder losgelassen […] werden“) und andererseits einer fundamentalen Dogmenkritik („Die Identität als Glaubende lässt sich damit nicht im ‚einfach glauben‘ vorgegebener Sätze festmachen“).

3.1 Die Position der Verfasserin ist gekennzeichnet durch eine Dekon­struktion jenes statischen Verständnisses von Identität, das an tradier­ten Werten und Normen orientiert ist, zugunsten einer quasi ergebnis­offenen iterativen Selbstverständigung, des „Identitätsfindungs­pro­zes­ses“: „Identität lässt sich nicht als von jeher und ewig gültiger Werteka­non formulieren, sondern als gesellschaftliches, kulturell-religiöses Desiderat, an dem es sich ausrichten lässt, mit dem man allerdings jedem noch so engagierten Streben zum Trotz nie ganz identisch sein wird. Es ist eine Identität des Menschlichen, die hier als Angebot des Christentums und an das Christentum formuliert wird, eine Identität unter Vorbehalt des Tuns, der sich niemand, kein Mensch und keine Institution, sicher sein kann. Die Suche nach Identität ist eher eine Übung der Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber als eine Ausrichtung und ein Aneignen von kulturellen Werten.“ Die Auflösung des Junktims von fester Identität und klarer Werteüberzeugung gibt beide Begriffe der Beliebigkeit preis. Sie werden verhandelbar. Wir sollen also darüber reden können, was es heißt, katholisch zu sein. Das ist ein Bruch mit dem diesbezüglichen Verständnis der Kirche, die den katholischen Glauben dogmatisch bestimmt.

3.2 Ohne identitätsbildende Dogmatik kommt die Kirche nicht aus. Sie definiert dabei, um Hans Küng zu zitieren, „nicht aus Freude an Defini­tionen das mögliche Maximum, sondern, von außen gezwungen, das notwendige Minimum“ (Küng 1970, 118). Die Kirche gibt damit Hinwei­se darauf, was es heißt, katholisch zu sein. Denn etwas wird eben nicht schon dadurch zur katholischen Position, weil es von einem Katholiken – sei dieser Laie, Priester, Bischof oder Papst – geäußert wird, sondern weil es sich konsistent in das einfügt, was wir „Lehramt“ nennen. Und das ist entscheidend für die katholische Identität. Als gäb’s kein Lehr­amt, kulminiert die positive Bestimmung der katholischen Identität bei der Verfasserin in eine Formel zwischen Banalität („sie wächst“) und Bankrotterklärung („nie eindeutig und endgültig festzustellen“).

Zusammengefasst: Die Position der Verfasserin bedeutet die Schwä­chung der von Kirche und Theologie seit jeher vertretenen Einsicht, dass es möglich ist, klar zu sagen, was katholisch ist (und noch klarer, was es nicht ist), und dass es ferner möglich ist, daraus eine Ethik zu entwi­ckeln, die eindeutige moralische Annahmen und Grundsätze formu­liert, die ins Handeln des Menschen einwirken – und zwar immer und überall. Das mag heute nicht mehr mehrheitsfähig sein und philoso­phisch, spätestens seit Habermas und Apel, nicht mehr satisfaktions­fähig, doch bleibt es der Stand der Dinge in Sache „katholische Iden­tität“, wie die Kirche sie versteht.