Christliche Missionsverständnisse im Gespräch
Ein Thementag
Ein Protestant, dem nicht das evangelische, sondern das katholische Statement zu Mission aus dem Herzen spricht? Eine bezeichnende Wortmeldung eines Teilnehmers am Thementag „‚Macht alle Völker zu meinen Jüngern!‘ (Mt 28,19). Christliche Missionsverständnisse im Gespräch“! Denn die Positionen zum Missionsbegriff verlaufen heute quer zu den Konfessionen, wie die Veranstaltung am 9. Dezember 2017 im Haus am Dom in Frankfurt zeigte: je nachdem, wie man den Missionsbegriff füllt, welche Aspekte man hervorhebt und von welchen Erfahrungen und Perspektiven man geprägt ist.
Es ging den Veranstaltern – der Limburger Bistumsakademie, dem Institut für Weltkirche und Mission (IWM) und der KAMP – nicht darum, Differenzen aufzulösen. Vielmehr erwies sich das Gespräch zwischen und mit den Referenten aus dem katholischen, evangelisch-landeskirchlichen und evangelikalen Bereich bis zuletzt als kontrovers – und gerade dadurch als anregend.
Dr. Markus-Liborius Hermann, Referent für Evangelisierung und missionarische Pastoral in der KAMP, eröffnete den Reigen mit einer katholischen Positionierung. Die Liebe Gottes verlange zwar nach einer Antwort, sei aber nicht davon abhängig, ob jemand zum Glauben komme; nach katholischer Ansicht könnten deshalb auch Nichtchristen zum Heil gelangen. Damit öffnete er den Raum für eine weite Perspektive auf Mission, die dann nicht nur in Verkündigung besteht, sondern alle Felder kirchlichen Lebens und Handelns umfasst. Mission als kontextgebundene Größe – so Hermann – bedeutet in Deutschland v. a., mit der Situation von Säkularität und Pluralismus umzugehen: Christsein als Option führt heute zunehmend zu einem Wahlchristentum. Die Kirche kann den Glauben nur bezeugen, erzählen und anbieten – und in der Begegnung mit den Menschen neu entwickeln. Der Erfolg von Mission sollte daher nicht (nur) nach Mitgliedergewinnung bemessen werden, sondern nach „Reich-Gottes-Kriterien“: Wo erweisen sich Christen und Kirche als Salz, als Sauerteig in der Welt? Wo zeigt sich an ihnen und ihrem Tun die Menschenfreundlichkeit Gottes?
Schwung in die Diskussion brachte das Statement aus einer evangelisch-landeskirchlichen Verortung heraus von Dr. Uta Andrée, geschäftsführende Studienleiterin der Missionsakademie an der Universität Hamburg. Sie stellte zwei Sichtweisen von Mission nebeneinander: das nicht nur im 19. Jahrhundert verbreitete, sondern bis heute lebendige Bild von Mission als (von Europa und Nordamerika ausgehender) zahlenmäßiger Ausbreitung des Christentums aus einem heilsexklusivistischen Verständnis heraus – und ein modernes, weites Verständnis, das Mission als jede Wesensäußerung der Kirchen (auf gleicher Augenhöhe der im Norden und im Süden) versteht. Den Begriff „Mission“ im letzteren Sinne zu verwenden, lehnte sie persönlich aber ab, da diese moderne Interpretation im Kirchenvolk nicht angekommen und somit missverständlich sei – so wie sie sich auch gegen jede gezielte Missionierungsaktivität aussprach: Die Aufgabe der Kirche sei heute der Dialog, Konversionen allenfalls ein Nebenprodukt.
Einblicke in evangelikales Denken bot Prof. Thomas Schirrmacher, u. a. Vorsitzender der Theologischen Kommission und Stellvertretender Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA). Auch innerhalb des Evangelikalismus gebe es heute verschiedene Positionierungen zu Mission; und die Stile von Mission und von Missionspredigten seien stark kulturell geprägt – so Schirrmacher, der damit auch auf die ganz unterschiedliche Sicht auf Mission in verschiedenen Weltteilen aufmerksam machte. Wichtig ist Evangelikalen gerade, weil Mission für sie eine so wichtige Rolle spiele, der Einsatz für Religionsfreiheit, also auch die Freiheit, zu einem neuen Glauben zu konvertieren; aber ebenso sind die Themen Christenverfolgung und Leidenstheologie für sie bedeutsam, weil viele Menschen in vielen Ländern ihren Glauben eben nicht frei ausüben können. Das Interesse an einem starken, gemeinsamen christlichen Zeugnis ist mit einem großen Wandel in der evangelikalen Bewegung verbunden: einer Weitung des Missionsverständnisses in ökumenischer Perspektive. Evangelikale – namentlich auch Schirrmacher – erarbeiteten in den letzten Jahren zusammen mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und der katholischen Kirche wichtige Dokumente: „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ (auch bekannt als „Missionsverhaltenskodex“; vgl. Hochholzer 2011) sowie die missionstheologische Grundsatzerklärung „Gemeinsam für das Leben“ (vgl. Hochholzer 2016). Darin wird deutlich: Dialog wird auch von Evangelikalen nicht mehr als Gegensatz zu Mission wahrgenommen; und auch wenn Schirrmacher hier lieber von einer „Ethik der Mission“ spricht statt direkt von „Mission“, so ist der Blick der ÖRK-Missionserklärung auf Mission vornehmlich als gesellschaftliche Transformation auch für Evangelikale anschlussfähig geworden.
Mit diesen Statements war ein weites und kontroverses Feld geöffnet, das an diesem intensiven Thementag im Gespräch weiterbearbeitet wurde. Mission geht letztlich von Gott aus (missio Dei), Glaube ist ein Angebot, und Christinnen und Christen freuen sich, wenn es angenommen wird – über diesen (vermutlich) gemeinsamen Nenner hinaus entwickelten die Referenten doch ganz unterschiedliche Akzentsetzungen und Fragestellungen: Wie offensiv darf man als Verkündiger auftreten? In welchem Verhältnis stehen Dialog und Mission? Welche missionarische Wirkung hat hierzulande allein die immer noch starke Präsenz der Kirchen im öffentlichen Raum? Und was heißt überhaupt Glaube: Gerade, aber nicht nur aus evangelikaler Perspektive bedeutet das auch eine bewusste Entscheidung für eine persönliche Beziehung zu Gott. Beziehungen sind aber nicht statisch, sondern wandeln sich; so lohnt es sich auch, Gläubigwerden und Glauben stärker in ihrer Prozesshaftigkeit wahrzunehmen. Und schließlich bewegt sich der Begriff „Mission“ auch noch zwischen historischer Altlast und Wiederentdeckung als kirchlicher Grundkategorie.
Vielleicht sollte man gar nicht so viel Angst haben davor, dass „Mission“ nur als verbrannter Begriff oder im Sinne von traditionellen Missionsaktivitäten in Übersee wahrgenommen wird. Das legen zumindest Zahlen nahe, die Klara Csiszar vom Institut für Weltkirche und Mission (IWM) präsentierte. Sie stellte erste Ergebnisse aus einer – freilich nicht repräsentativen – internationalen Onlinebefragung zum Missionsbegriff vor. Darin zeigte sich: Nur Studienteilnehmer aus Europa sehen den Begriff als Altlast. Und während v. a. „amtskirchlich“ noch ein stärkerer Blick auf Mission als Verkündigung des Glaubens liegt, dominiert insgesamt doch ein „integraler Missionsbegriff“ überall das Feld: Mission wird von TheologInnen wie von LaiInnen heute weit verstanden – nicht nur als Verkündigung, sondern auch als dialogisches und karitatives Tun der Kirche.
Und dennoch: Wie eine Schwester aus Nigeria berichtete, ist es für Deutsche offenbar befremdlich, dass Ordensleute aus Übersee, die in Deutschland tätig sind, hier als Missionarinnen und Missionare wirken. Also doch noch ein Bild von Mission als Einbahnstraße von Nord nach Süd? Oder wenn in der Studie zwar drei Viertel der Befragten angaben, missionarisch tätig zu sein, aber trotzdem gerade hierzulande viele Christinnen und Christen Hemmungen haben, etwa in der Begegnung mit Muslimen auch explizit über ihrem Glauben ins Gespräch zu kommen: Wie weit ist es dann mit einem missionarischen Bewusstsein?
Fazit: Mission ist auch in Deutschland ein Thema – das zeigen nicht nur die (manchmal problematischen) Missionierungskampagnen, die zusammen mit dem starken Flüchtlingsstrom der letzten Jahre in den Fokus der Öffentlichkeit gerieten, sondern auch die lebhaften Diskussionen beim Thementag. Dieser machte deutlich: Es lohnt sich, über das Thema Mission zu sprechen, und das über Konfessionsgrenzen hinweg, denn das christliche Zeugnis ist eine gemeinsame Herausforderung und man kann einiges voneinander lernen. Und selbst, wenn man dem Begriff „Mission“ reserviert gegenübersteht, ist es nötig, die verschiedenen mit Mission verbundenen Aspekte zu reflektieren, denn es geht dabei letztlich um Kernfragen des Glaubens: Warum gibt es die Kirche? Warum und wozu sind wir überhaupt Christen?