Fresh X – der Guide. Neue Gemeindeformen entdecken
Obwohl das deutsche Fresh‑X-Netzwerk für neue Ausdruckformen des Kircheseins („fresh expressions of church“) im Jahr 2011 vom katholischen Bistum Hildesheim mitinitiiert wurde und in diesem Jahr erfolgreich in einen Verein überführt werden konnte, haben im katholischen Raum Fresh X zumindest unter diesem Label bisher wenig Fuß fassen können. Wählt man auf der Website des deutschen Fresh‑X-Vereins die Zugehörigkeit „Römisch-katholische Kirche“ aus, so bleiben von 34 dort verzeichneten Fresh X lediglich 2 übrig: die Kleine Christliche Gemeinschaft des Bistums Hildesheim in Braunschweig und die Aachener Gemeindegründung Zeitfenster für moderne Erwachsene. Vorbehalte und Hindernisse gegenüber Fresh X, die insbesondere die Gestalt der katholischen Kirche in Deutschland betreffen, liegen einerseits in der ungewöhnlichen Sozialform, mehr aber noch in der Organisationsform und in ihrem ausdrücklichen Missionsaspekt: Kirchliches Handeln war hierzulande lange darauf ausgerichtet, der vorausgesetzten christlichen Grundüberzeugung eine wohldefinierte Ausdrucksform zu bieten, es zu strukturieren und zu organisieren. Trotz einiger neuer partizipativer Elemente blieb diese grundlegende Vorstellung von Kirchesein auch in der Rezeption der Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils als Communio-Ekklesiologie erhalten. Demgegenüber bilden Fresh X eine neue, fremde Ausdrucksweise christlichen Lebens, die sich auch langfristig nicht in die bisherige Systemstruktur eingliedert. Fresh‑X-Missionare wenden sich an Menschen, die bisher keinen Anknüpfungspunkt an Kirche haben. Sie tun dies aber nicht, „weil es bei uns ja so schön ist“ und um die Menschen in ihre bestehende Organisations- und Sozialform des Christseins integrieren. Vielmehr entdecken sie, inwiefern diese Menschen von außen mit ihnen dieselben Sorgen und Sehnsüchte teilen, und gründen mit ihnen eine eigene Form des Christseins, die ihnen entspricht und die weitgehend autonom bleibt.
Trotz der mangelnden Verbreitung in Deutschland gilt die Fresh‑X-Bewegung nicht nur der anglikanischen Kirche in ihrem Stammland England als Erfolgsgeschichte (vgl. die Übersetzung der Studie der anglikanischen Kirche „Faktencheck: Mehr als nur Geschichten“). Auch für den deutschen Raum wird sie von vielen Pastoraltheolog*innen als Zukunftsperspektive angesehen. Unter der dementsprechend mittlerweile relativ zahlreichen Literatur fällt der Titel „Fresh X – der Guide. Neue Gemeindeformen entdecken“ von Reinhold Krebs und Daniel Rempe zunächst durch seine erfrischend bunte, mit vielen Bildern versehene Aufmachung auf. Die Gestaltung ist an das Format eines Reiseführers angelehnt: Während sich das Inhaltsverzeichnis in der Innenseite der Klappbroschur versteckt, wird jedes Kapitel zu Beginn klar erkennbar auf einer Landkarte verortet.
Auf elf Stationen bewegt sich die Leserin/der Leser so durch das Gelände und begibt sich auf Entdeckungsreise. Die Route beginnt bei den Merkmalen einer Fresh X und den biblischen Grundlagen von Mission und Aufbruch. Der Leser/die Leserin erfährt so, dass die Fresh X in ihrer Grundausrichtung einem „inkarnatorischen Ansatz“ folgt: Wie das Wort Gottes in Jesus Christus in die Welt kam, um unter den Menschen zu leben (mit Verweis auf Joh 1,14a), so zeichnet sich auch das Missionsverständnis der Fresh X dadurch aus, zu den Menschen zu gehen, um bei ihnen zu bleiben (11). Hieraus ergeben sich die vier grundlegenden Merkmale einer Fresh X, die anschließend erläutert werden: missional, kontextuell, lebensverändernd und gemeindebildend. Im darauffolgenden Kapitel werden neben dem Wandel von der Komm-Struktur zur Geh- und Bleiben-Struktur (33 f.) auch weitere Haltungen, die das Missionsverständnis der Fresh X kennzeichnen, in der „Missionsstrategie Jesu“ (26) verortet, bevor dann noch einmal grundsätzlich nach der Motivation für missionarischen Aufbruch gefragt wird. Aus diesen Grundlagen ergeben sich schließlich fünf konkrete Schritte der Gründung einer Fresh X: 1. Genau hinhören, 2. Gutes tun, 3. Gemeinschaft leben, 4. Glauben entdecken und leben und 5. Gemeinde entsteht. In diesen Schritten zeigt sich, dass christliche Mission nach dem Verständnis der Fresh‑X-Bewegung letztlich in der Missio Dei gründet: „Mission ist, herauszufinden, was Gott bereits tut, und dabei mitzumachen“ (74). In Kürze erfährt die Leserin/der Leser so nicht nur Grundzüge des modernen Missionsverständnisses, das die Fresh X prägt, sondern auch von dessen praktischer Umsetzung.
Die weiteren Kapitel behandeln die Geschichte der Fresh-X-Bewegung in England und die Entstehung des Fresh‑X-Netzwerks in Deutschland, bevor es in den letzten beiden Kapiteln um die Integration der Fresh X in die kirchliche Landschaft und weitere kritische Rückfragen geht. Zwischen die Kapitel einschoben sind drei Blöcke mit „Ausflugstipps“, geographisch unterteilt in „in den Norden“, „in die Mitte“ und „in den Süden“. Aus den jeweiligen Regionen werden hier exemplarisch einzelne Fresh X vorgestellt. Der Anhang bietet mit Hinweisen auf Fresh‑X-Präsentationen und ‑Kurse, DVDs, Internetlinks und einem Verzeichnis der Partner des Fresh‑X-Netzwerks „Proviant für den weiteren Weg mit Fresh X“; hinzu kommen Dank, Anmerkungen und weiterführende Literatur. Ganz hinten finden sich abschließend in der Klappbroschur noch einmal in Kurzform erläutert die vier Merkmale einer Fresh X, die fünf Schritte zur Gründung einer Fresh X werden auf der Umschlagsinnenseite noch einmal auf einer Landkarte grafisch veranschaulicht.
Auf knappen 160 Seiten stellt das Buch so einen kompakten Streifzug durch die Fresh‑X-Landschaft dar. Es eignet sich sowohl für Menschen, die von Fresh X nur eine grobe Vorstellung haben und mehr über die Hintergründe dieser Bewegung erfahren wollen, als auch für jene, die sich konkret um neue Ausdrucksformen von Kirche bemühen. Wer sich trotz oder gerade aufgrund ihrer Fremdheit in knapper Form mit dem Potential der Fresh‑X-Bewegung vertraut machen möchte, dem sei das Buch von Reinhold Krebs und Daniel Rempe sehr empfohlen. Die Grundlagen, Geschichte und Merkmale der Fresh‑X-Bewegung bieten eine hervorragende Inspirationsquelle, Anleitung und Ermutigung für eine Kirche der Zukunft. Wenn aus Perspektive einer herkömmlichen katholischen Ekklesiologie Vorbehalte gegenüber Fresh X bestehen mögen, so gibt diese Vision Anlass, das bisherige Kirchenbild zu überdenken.
Jörg Termathe