Replik auf dem Beitrag von Josef Bordat
„Differenz zu dem, was ‚man‘ halt denkt und tut, ist nicht das Schlechteste.“ Der letzte Satz Ihrer Gedanken zu katholischer Identität, zur „Frage, was es heißt, Katholik zu sein“, scheint als Conclusio gesetzt. Er zeigt die Zielperspektive des Kreisens um die von Ihnen in den „Sakramenten, insbesondere der Eucharistie, im Ehe-, Weihe- und Amtsverständnis, in der angemessenen Marienfrömmigkeit und auch in der Heiligenverehrung“ ausgemachten „Kerninhalte des christlichen Glaubens katholischer Prägung“. Identität beschreiben Sie „als Selbstbestimmung, als Definition durch Abgrenzung“. „Das kantige katholische Profil stärkt die Identität einer Institution in der Krise.“ Identität der katholischen Kirche ist in Ihren Augen offensichtlich gegeben, ständig gefährdet und gestärkt zugleich – durch das Außen von Mensch und Welt. Das Innen der katholischen Kirche bildet ein Kanon moralischer Werte, „die nur die Kirche in der ihr eigenen, in zwei Jahrtausenden erprobten und bewährten Radikalität vertreten kann: eine Haltung gegen Abtreibung und für Flüchtlinge, gegen die Ehe für alle und für Respekt gegenüber allen“. Die Identität des Katholiken – Ihren Ausführungen nach eines Christen mit „ultramontaner Grundorientierung“ und allein ihm möglicher „biophiler Grundhaltung“ – zeigt sich, wenn ich Sie recht verstehe, in der Identifikation mit einem katholischen Wertekanon, der sich in einem spezifisch katholisch geprägten Einsatz „für Frieden, die Bewahrung der Schöpfung, angemessene Arbeitsbedingungen, gerechte Verfahren in Justiz und Verwaltung sowie eine lebensförderliche Forschung“ und „gegen Abtreibung, Sterbehilfe, Folter, Todesstrafe, Krieg und Umweltzerstörung“ niederschlägt.
„Kirche muss aber begründen, wie sie darauf kommt. Das Argument ersetzt heute den Gehorsam.“ Was Sie von der Kirche trotz Ihres „strahlenden Sakramentsverständnisses“ und ihres in sich geschlossenen und aus sich heraus bestehenden „kantigen Profils“ verlangen, dafür wäre ich Ihnen dankbar – für Argumente. Wie kommen Sie zu diesen Aussagen über katholische Identität? Was sind Ihre Kriterien für katholisch gerechte Verfahren in Justiz und Verwaltung? Wie sieht der katholische Kampf gegen Umweltzerstörung aus? Irgendwo scheint für Sie eine geheime Agenda zu existieren, die Sie urteilen lässt, was katholisch, was Kirche, was Glaube ist und was nicht. Wo ist dieser (Ausschluss‑)Kriterienkatalog zu finden? In der frohen Botschaft Jesu, die vom Zugehen und Mitgehen geprägt ist? In den Predigten und Dokumenten von Papst Franziskus, der in der ersten Ansprache nach seiner Wahl den Beginn eines „gemeinsamen Weges der Brüderlichkeit, Liebe und des Vertrauens miteinander“ ankündigte?
U. a. in Evangelii gaudium konkretisiert Papst Franziskus diesen Weg der Evangelisierung: „Die Kirche ist berufen, immer das offene Haus des Vaters zu sein. Eines der konkreten Zeichen dieser Öffnung ist es, überall Kirchen mit offenen Türen zu haben. So stößt einer, wenn er einer Eingebung des Geistes folgen will und näherkommt, weil er Gott sucht, nicht auf die Kälte einer verschlossenen Tür. Doch es gibt noch andere Türen, die ebenfalls nicht geschlossen werden dürfen. Alle können in irgendeiner Weise am kirchlichen Leben teilnehmen, alle können zur Gemeinschaft gehören, und auch die Türen der Sakramente dürften nicht aus irgendeinem beliebigen Grund geschlossen werden. Das gilt vor allem, wenn es sich um jenes Sakrament handelt, das ‚die Tür‘ ist: die Taufe. Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“ (Evangelii gaudium 51).
Sie schreiben: „[W]er Gleiches nicht als gleich erkennt und Ungleiches nicht als ungleich, kann nicht zu wahren Aussagen über die Welt kommen. Ordnung basiert auf Zuordnung. Menschen brauchen Identität und suchen sie entsprechend, als Angehörige eines Geschlechts, eines Volkes, eines Kulturraums und nicht zuletzt auch als Anhänger einer Religion.“ Und es klingt, als ob die Angehörigen eines Geschlechts, eines Volkes sich dadurch auszeichnen, gleich zu sein, als ob Zuordnung, Zugehörigkeit auf Gleichheit baut. Gleichheit worin? Gleichheit wozu? Fördert die Einordnung von gleich und ungleich, die Beschäftigung mit Identität und Nicht-Identität Frieden, Gerechtigkeit, Liebe, Leben? Wo ist die Gleichheit, die Übereinstimmung zwischen Ihren Sätzen und denen des Papstes? Wo die von Ihnen als Charakteristikum eines Katholiken herausgestellte Treue zum Heiligen Vater?
Was ist heute noch katholisch? Bernd-Jochen Hilberath schreibt im Aufsatzband mit diesem Titel aus dem Jahr 2001: „Im Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es in Nr. 11: ‚Beim Vergleich der Lehren miteinander soll man nicht vergessen, daß es eine Rangordnung oder ‚Hierarchie‘ der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens.‘ Die (heilige) Rangordnung hat die Christenheit der ersten Jahrhunderte in ihrem Taufbekenntnis festgelegt: Die Kirche bezeugt das menschenfreundliche Handeln Gottes, der seine Schöpfung bejaht […], der sie mit sich versöhnt […], der sie heiligt und vollendet, indem er ihr einen neuen Geist verleiht […] Christen glauben an Gott den Vater, an Gott den Sohn, an Gott den Heiligen Geist; trotz anders lautender Formulierung glauben sie im eigentlichen Sinn nicht an die Kirche. […] Glauben ist eine personale Beziehung und nicht in erster Linie ein Fürwahrhalten“ (Hilberath 2001, 36).
Die Wahrheiten einer Kirche in der Nachfolge Jesu Christi sind in der Tat eindeutig festgeschrieben – inklusive des Auftrags zur Tradition, zum Übergeben und zum – immer wieder in den Sprachen, Räumen und Zeiten der Menschen – Neu-Sagen und Neu-Tun. Es ist eine Aufgabe des Aufschließens und Öffnens.