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Katechese und Glaubensvalidierung zwischen religiösen Individuationsprozessen und Katechismuswissen

Identität im christlichen Glauben – in Zuspitzung ein „klares katholisches Profil“ – wird oft primär oder ausschließlich an der Weitergabe/​Übernah­me/​Wiedergabe der inhaltlich verstandenen Lehre oder einer bestimmten kirchlichen Praxis festgemacht. Angela Kaupp zeigt, dass Lebens- und auch Glaubensidentität in der Gegenwart eher in der Perspektive unterschiedli­cher ausbalancierter Erfahrungen des ganzen Lebens aufgegeben ist. Daher erfordern auch die katechetischen Prozesse zur Entwicklung und Vertiefung des Glaubens entsprechende Reflexion und Anpassung. In einer performati­ven Katechese – so Kaupp – wird der gezeigte Glaube reflektiert.

Unverkennbar sind im Christentum in Europa heute Verschiebungen vom Inhaltlichen zum Performativen, von traditionellen Formen zum Event oder vom Verbindlichen zum sinnvollen Accessoire zu beobach­ten. Private Religiosität und kirchlich vermittelte Gestalt von Religion treten immer deutlicher auseinander, wie es z. B. die Sinus-Milieustu­dien belegen. Für viele Getaufte ist es normal, aus dem kirchlichen Sinn- und Veranstaltungsangebot das auszuwählen, was zum eigenen Lebensentwurf oder zu aktuellen Bedürfnissen passt. Andererseits sind Menschen religiös auf der Suche und auch die Haltung der sogenannten „Kasualienfrommen“ ist meist religiös oder spirituell geprägt (vgl. Geb­hardt 2014). Dies stellt Glaubenskommunikation und katechetisches Handeln vor umfassende Herausforderungen. Die Reaktionen sind un­terschiedlich, aber zunehmend wird pro und kontra diskutiert, ob mehr Katechismuswissen und ‑unterricht die Lösung sei, um die zukünftige Glaubenstradierung zu sichern (vgl. z. B. die Diskussion in der Herder Korrespondenz 1/2017, 2/2017 und 4/2017).

Im Folgenden wird die Variation von Glaubensentwicklung anhand von drei Beispielen aufgezeigt. Daran anknüpfend werden zentrale Koordi­naten der Glaubensentwicklung und Überlegungen für die Katechese vorgestellt.

Was war wichtig für meine Glaubensentwicklung? – Drei Beispiele

Es waren in meiner Jugendzeit Wochenendveranstaltungen, bei denen wir mit den Leiterinnen und Leitern über Gott und die Welt diskutierten und ich Liturgie als etwas erlebte, wo ich mit meiner Sprache und meiner Musik vorkomme.

(Theologin, 56 Jahre)

 

Rückblickend in die eigene Kindheit denke ich an die Momente, die mich bezüglich meines Glaubens prägten und lenkten. Dies waren insbesondere einzelne Erlebnisse, Begegnungen mit anderen Menschen und Momente, die ich besonders konzentriert wahrgenommen habe oder die mich emotional ergriffen haben […] Transzendenz lässt sich letztlich nur spüren und aus­drücken, sodass jede Lehrkraft mit einer reinen Wissensvermittlung in diesem Fach schnell an Grenzen stößt.

(Studentin für Lehramt an der Grundschule am Studienende, 24 Jahre)

 

Ich bin durch das Mitsingen in Chören, durch die Kirchenmusik katholisch geworden. Das hat mich gefühlsmäßig ergriffen und mein Nachdenken über den Glauben angeregt.

(pensionierter Lehrer, 68 Jahre)

 

Drei Beispiele, die deutlich machen, wie unterschiedlich die Bezugs­punkte von Glaubenserfahrungen sind. Daher sind Glaubensentwick­lung und die Wege des Glaubenlernens differenziert zu betrachten.

Glaubensentwicklung – ein lebenslanger Individuationsprozess

Als „Identität“ wird die Einheit der Person in Hinblick auf Kontinuität und Kohärenz bezeichnet. Kontinuität fragt danach, wie man sich trotz aller Veränderungen als dieselbe Person sehen kann; Kohärenz, wie die vielfältigen Lebensbezüge, Rollen und Handlungsaufgaben und ihre je­weiligen Anforderungen in die eigene Person integriert werden können. Während man früher davon ausging, dass die Identitätsentwicklung – und damit auch die Glaubensentwicklung – im Idealfall am Ende der Jugendzeit einen relativ stabilen Zustand erreicht, versteht man Iden­tität heute im Sinne einer „balancierenden Iden­tität“ (Krappmann 1998, 81) als lebenslange Aufgabe. Menschen bringen individuell sehr unterschiedliche Formen hervor, um sich und das, was für sie Bedeu­tung hat, trotz aller Spannungen oder Widersprüche als zur eigenen Identität zugehörig zu behaupten. Auch in religiöser Hinsicht gilt es, solch eine balancierende Identität anzunehmen. Glaubensentwicklung führt selten zu einem stabilen Glaubenskanon. Sie ist eher ein dauern­der Suchprozess, der individuelle Glaubensformen ausprägt und sie im Laufe des Lebens immer wieder verändert. Dies führt zu einer breiten Pluralität.

Glaubensentwicklung benötigt Plausibilisierungskontexte

Diese Pluralität heutiger Glaubensformen fordert die/​den Einzelne/n wiederum heraus, eigene Entscheidungen in Auseinandersetzung mit sich selbst und in Interaktion mit der Umwelt als für sich richtig zu be­gründen. Häufig geschieht diese Plausibilisierung mithilfe biografischer Erzählungen, durch die sich der/​die Erzähler/in in Beziehung zu sich, zu anderen Menschen und zur Welt setzt. Daher sind Beziehung und Vergemeinschaftung auch für Prozesse der Glaubensindividuation un­verzichtbar: Ein Adressat ist nötig, um die eigene Weltsicht darzu­stellen.

Aufgrund der Pluralisierung und Individualisierung werden Vergemein­schaftungsformen heute jedoch nach Kriterien ausgewählt, die mit tra­dierten kirchlichen Formen kaum kompatibel sind: Menschen suchen Gemeinschaft auf kurze Dauer, lokal ungebunden und passend zum eigenen Lebensstil. Events als Vergemeinschaftung über wenige Tage wecken mehr Interesse als stetige Gruppen oder Verbände. Zudem wird soziale Identität immer unabhängiger von lokalen Beziehungen. Noch kaum erforscht sind die Möglichkeiten, aber auch die Folgen, der – auch religiösen – Vergemeinschaftung über die Angebote der Social Media.

Inhalt und Beziehung: zwei Seiten katechetischer Prozesse

Glaubenswissen ist zweifelsohne unverzichtbar, aber eben nur die eine Seite des Glaubenlernens, die andere ist Beziehung, wie nicht nur die obengenannten Beispiele, sondern auch aktuelle Untersuchungen bele­gen (vgl. Forschungsgruppe „Religion und Gesellschaft“ 2015; Köne­mann/​Sajak/​Lechner 2017; Altmeyer 2016). Es ist zu vermuten, dass der Weg eher von der Beziehung zum Inhalt führt als umgekehrt. Diese Reihenfolge formuliert Papst Paul VI. im Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi (1975): „Die Frohbotschaft, die durch das Zeugnis des Lebens verkündet wird, wird also früher oder später durch das Wort des Lebens verkündet werden müssen“ (EN 22). Erst die Begegnung mit Menschen, die ihre Position zum Glauben auch durch ihr Leben bezeu­gen, weckt das Interesse an den Inhalten. Erst dann entstehen inhalt­liche Fragen, die durch eine Deutung mit Worten beantwortet werden. Dies ließe sich schon an vielen Glaubens- und Konversionsgeschichten in der Kirchengeschichte veranschaulichen.

Auf der Basis humanwissenschaftlicher Erkenntnisse ist die Ablösung bisheriger erfahrungsorientierter Ansätze in der Katechese durch eine stärker inhaltsorientierte kognitive Schwerpunktsetzung infrage zu stellen.

a)      Menschen sind nur dann bereit, etwas zu lernen oder sich für eine Sache einzusetzen, wenn sie hierzu motiviert sind. Deci und Ryan (vgl. Deci/​Ryan 1993) postulieren drei psychische Grundbedürfnisse, welche die Motivation grundlegend bestimmen: das Bedürfnis nach Kompe­tenz (effectancy), das nach Autonomie/​Selbstbestimmung (autono­my) und jenes nach sozialer Eingebundenheit (affiliation). Wenn die Befriedigung dieser Bedürfnisse Lernprozesse fördert, werden auch katechetische Prozesse umso mehr gelingen, je eher die Lernumge­bung diese Bedürf­nisse ernst nimmt. Auch dies belegen die Beispiele: Ein Chor lebt auch vom emotionalen Miteinander. Für ein Wochenende melde ich mich nur an, wenn ich dort Menschen treffe, mit denen ich Zeit verbringen möchte, und dichte Begegnungen benötigen ein Gegen­über. Durch die inhaltliche Auseinandersetzung bekommt das Mitein­ander eine Zielrichtung.

b)      Glaubensinhalte sind keineswegs nachrangig, werden jedoch in frei gewählten Lernsettings weniger theologisch-systematisch als vielmehr biografisch orientiert zum Thema (vgl. Kaupp 2016a). Von einer syste­matischen inhaltlichen Glaubensunterweisung allein kann nicht auf biografische (Glaubens-)Aneignungs- oder religiöse Entwicklungspro­zesse geschlossen werden. Daher ist zu bezweifeln, dass ein „Mehr an Katechismus“ oder ein „Mehr von Wissensvermittlung“ zum Ziel führt. Ohne biografische Verarbeitung ist zwar ein kognitiver Zugewinn zu ver­zeichnen, aber nicht notwendig eine persönliche Glaubensvertie­fung. Außerdem entstehen Glaubenseinstellungen oder -entscheidun­gen nicht in erster Linie kognitiv. Die Philosophin Martha Nussbaum (vgl. Nussbaum 2004, 185) betont, dass Urteile über Wert und Wichtig­keit in erster Linie auf der Basis von Emotionen, nicht von Rationalität gefällt werden. Daher ist anzunehmen, dass der emotionalen Dimen­sion auch in Glaubensfragen zentrale Bedeutung zukommt und Glau­bens­wissen nicht notwendig zu einer Glaubensentscheidung oder -praxis führt.

Lernpsychologische Erkenntnisse gehen davon aus, dass eine Inhalts­orientierung weniger zum Ziel führt als die Verbindung von Inhalt und Kompetenzerwerb in einer möglichst praxisnahen Lernsituation. Damit Lernen gelingt, ist neben der inhaltlichen Dimension die motivationale, emotionale und handlungsorientierte zu berücksichtigen. Daher wäre zu prüfen, ob Katechismusorientierung in der Katechese diesen Quali­tätsstandards gerecht wird. Der Blick in die religionspädagogische Geschichte zeigt, dass Katecheten schon vor mehr als hundert Jahren beklagten, dass die damalige Katechismusdidaktik an ihre Grenzen kommt.

Performative Katechese: Glauben zeigen und das Erfahrene inhaltlich reflektieren

„Erzähl mir Deine Geschichte“ – dieses Motto war seit den 1970er Jah­ren zentral für eine Katechese, die den Menschen mit seinen Glaubens- und Lebensfragen in den Mittelpunkt stellt (vgl. Kaupp 2016b). Wenn jedoch für viele Getaufte heute der Glauben eher Neuland ist, dann ist es nicht mehr möglich, Glaubensgeschichten zu erzählen. Verstärkt durch eine sehr individuelle Sicht getrauen sich viele nicht mehr, ihre eigene Glaubensgeschichte zu erzählen und als Zeugnis zu werten. Darüber hinaus wird beklagt, dass Katechese heute mehr Glaubens­einführung als ‑vertiefung ist, weil der Glauben fremd geblieben ist.

Es ist also nach Formaten zu suchen, die Menschen wieder sprachfähig machen und dazu anleiten, das Fremde als Chance zu sehen. Im Folgen­den soll ausgelotet werden, ob der Ansatz einer „performativen Didak­tik“, der in der Religionspädagogik in den letzten zehn Jahren diskutiert wird (vgl. im Überblick Mendl 2016), in der Katechese dazu beitragen kann, die Korrelation zwischen Inhalt und Erfahrung zu stärken, da dieser Ansatz das Fremde als Chance begreift.

Das englische Wort to perform umfasst das Bedeutungsspektrum von „tun“, „ausführen“, „verrichten“, „durchführen“, „eine Zeremonie vollziehen“ oder „ein Theaterstück aufführen, spielen“. Der Ethnologe Victor Turner (vgl. Turner 2002) kam zu dem Ergebnis, dass eine ethno­logische Insze­nierung sozialer Zeremonien fremder Kulturen dazu führt, nicht nur die fremde, sondern auch die eigene Kultur besser zu verstehen. Meine Erfahrung als Psychodramatikerin belegt dies: In einem psychodramati­schen Spiel übernehmen die Mitspielerinnen und Mitspieler die Rolle einer anderen Person und erleben so für die Zeit des Spiels die Welt aus der Perspektive eines anderen. Durch diese Rollen­identifizierung lernen sie eine fremde Welt kennen und erweitern zugleich das eigene Rollen­repertoire. Es geschieht häufig, dass den Mitspielerinnen und Mitspie­lern Aspekte des eigenen Lebens bewusst werden, die ihnen über Ge­spräche nicht zugänglich sind. Ziel ist also eine Perspektivübernahme, die auch Personen möglich ist, denen diese Perspektive ungewohnt und fremd ist. Unverzichtbar ist jedoch die Gewissheit, dass diese Perspek­tive nicht notwendig zu ihrer eigenen gemacht werden muss.

Dieser Ansatz führt in der Katechese jedoch nur über Erlebnisorientie­rung hinaus, wenn im nächsten Schritt das Erleben vor dem Hinter­grund der eigenen Person und des Glaubensinhaltes reflektiert wird. Hier könnte ein Schlüssel zu einer notwendigen Veränderung liegen: Ohne jeden Zweifel werden in der Katechese vielfältige Möglichkeiten eröffnet, Religion zu erleben. Aber es ist zu fragen, ob sie die Dimensio­nen der Motivation berücksichtigen und ob das Erlebnis vor dem Hin­ter­grund des Glaubensinhaltes reflektiert wird. M. E. zeigt die Begeiste­rung von Taizé über Generationen hinweg, was zentrale Koordinaten eines solchen Angebotes sind: Die Brüder leben ihre Frömmigkeit und sind so als Zeugen für ihren Glauben erkennbar. Für die Gäste ist es recht unkompliziert möglich, Fremdes kennenzulernen, aber nicht nur Zuschauer zu sein, sondern z. B. durch Gesang aktiv mitzugestalten. Ju­gendliche erleben sich als wertgeschätzt und kompetent, wenn ihnen die Leitung der Gesprächsgruppen oder andere Aufgaben, wie z. B. sprach­liche Übersetzung, übertragen werden und mit ihnen auf Augenhöhe kommuniziert wird. Es ist ein großes Ausmaß an Selbst­bestimmung vorhanden und vor allem sichert die Gruppe der Gleich­altrigen das Dazugehören. Es ist zu überlegen, wo es solche Formen in Seelsorgeverbünden gibt, die es auch bei uns ermöglichen, als Gemein­schaft Glauben zu zeigen – auch denen, für die das fremdes Land ist – ohne dass sie sich dort fremd fühlen. Seitens der Katechet/innen ist eine Beziehungs- und eine Inhaltskompetenz unverzichtbar. „Glauben zeigen“ erfordert zum einen eine Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden. Zum anderen muss sich der/​die Lehrende als jemand „zei­gen“, der mit christlichen Inhalten und Ausdrucksformen vertraut ist, ohne davon auszugehen, dass die Lernenden den gleichen Standpunkt vertreten werden. Die Performance von Religion bedarf daher „Inszenie­rungs-kundiger“ Katechetinnen und Katecheten, die selbst von der Sa­che überzeugt sind. Mit dieser Aufgabe dürfen sie jedoch nicht allein­gelassen werden. Auch sie werden nur motiviert sein, die Aufgabe zu übernehmen, wenn sie mit ihren Bedürfnissen wertgeschätzt werden. Dazu zählt neben dem Dazugehören vor allem das Gefühl, die Aufgabe kompetent zu erfüllen, und dies erfordert eine qualifizierte Begleitung durch die Verantwortlichen.

Fazit

Der Ansatz einer performativen Katechese zeigt, wie Glaubensindivi­duation und Glaubenswissen miteinander verknüpft werden können. Dieser Weg könnte aus der Pro-und-Kontra-Diskussion herausführen. Ein solcher Ansatz zeigt Glauben nicht nur denen, für die er bereits bekanntes Terrain ist, das noch genauer erforscht werden soll. Perfor­mative Katechese wendet sich als personales Angebot auch an die, für die Glaube weitgehend „fremdes Land“ ist. Ziel ist es, die eigene Per­spektive zu zeigen und nachvollziehbar zu machen. Diese Perspektive für eine Zeit zu übernehmen und zu reflektieren dient der Ausein­ander­set­zung mit der Glaubensthematik auch dann, wenn die Perspektive nicht zur eigenen wird.