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Schöne neue Reise-Sinn-Welten

Eine Tagung zu aktuellen Trends im Tourismus

Die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Freizeit und Tourismus (KAFT), deren Geschäftsführung in den Händen der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) liegt, veranstaltete vom 16. bis 17. September 2018 in Bensberg eine Fachtagung „Schöne neue Reise-Sinn-Welten. Ihre Angebote und Versprechungen. Perspektiven für die Kirchen“. Kooperationspartner waren die Thomas-Morus-Aka­demie (Bensberg) und die Akademie der Versicherer im Raum der Kir­chen (Kassel). Die ökumenische Zusammenarbeit zu Themen der Tou­rismuspastoral hat bereits eine längere Tradition.

Für die Kirchen sind Freizeit und Tourismus allein schon deswegen von Relevanz, weil die allermeisten Menschen in ihrer Freizeit kirchliche Angebote wahrnehmen oder sich im kirchlichen Rahmen engagieren. Veränderungen in Freizeit und Tourismus haben daher auch Auswir­kungen auf die Kirchen. Tourismus und Kirchen sind jedoch nicht als Konkurrenten zu verstehen, sondern können Partner sein in der Ver­folgung gemeinsamer Ziele und sich gegenseitig den Horizont erwei­tern. Entwicklungen in Freizeit und Tourismus können für die Kirchen auch eine seismographische Funktion haben und auf gesellschaftliche Trends hinweisen, die im pastoralen Kontext von Bedeutung sind (z. B. dass die Trennung von Arbeit und Freizeit nicht mehr wie gewohnt funktioniert, sondern es zu einem „Work-Life-Blending“ kommt, bei dem die Grenzen zwischen beidem verschwimmen).

Zwar scheinen sich der Auftrag der Kirchen – die Verkündigung des Evangeliums – und die marktförmige Funktionslogik des Tourismus auf den ersten Blick zu widersprechen. Doch sind Fragen nach Sinn und Spi­ritualität, zu denen den Kirchen eine hohe Kompetenz zugeschrieben wird, zentral auch im Tourismus, wenn z. B. Reiseveranstalter nach Erwartungen und Motiven von Reisenden fragen, um ihre Angebote danach auszurichten. Jede Reise hat letztlich auch eine spirituelle Dimension. Jedoch steckt die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Kirchen und Tourismus​(‑wissenschaft) noch in den Kinderschuhen.

Aus den Erkenntnissen der touristischen Marktforschung wird deutlich, dass massive gesellschaftliche Veränderungen bisherige Zielgruppen verändern und zu gravierenden Veränderungen auch in der touristi­schen Landschaft bereits geführt haben und noch weiter führen werden. So etwa sind Angehörige der Generation X („Generation Golf“, geboren ca. zwischen 1965 und 1980) weniger interessiert an klassischen Pau­schalangeboten, sondern wollen individuell reisen. Sie buchen z. B. oft nur einen Flug, um dann das Programm in der Zieldestination gemein­sam mit Bekannten oder Einheimischen zu gestalten. Reisen wird wie­der zu einem Statusphänomen, das anzeigt, dass man als Kosmopolit in der globalisierten Welt zuhause ist.

In der Generation Y, den zwischen 1980 und 2000 geborenen „Millen­nials“, verstärkt sich dieser Trend noch; das Leben dieser digital natives ist in sehr viel stärkerem Maße durch die virtuelle Welt des Internets geprägt, was sich auch auf das Reiseverhalten auswirkt. In Zukunft wird dann z. B. fraglich sein, wie viel Reisen überhaupt noch als physische Ortsveränderung stattfindet. Wenn es etwa bei einer Kreuzfahrt v. a. auf das Erlebnisprogramm auf dem Schiff ankommt, entfällt die Notwen­digkeit, dass sich das Schiff überhaupt zu verschiedenen Häfen hinbe­wegt. Der Tourismuswissenschaftler Harald Pechlaner (Eichstätt) ver­mutet für die Zukunft einen Trend hin zu einer neuen Innerlichkeit, weil Reisen immer weniger funktioniere als Flucht in die Äußerlichkeit, in die Abwechslung und die Wahrnehmung äußerer Reize.

Welche Bedeutung haben die Trends im Tourismus für die Kirchen? Auf der Tagung wurde deutlich, dass bei den differenzierten Motiven von Reisenden Kirchen durchaus Antworten, Angebote oder Rituale zur Ver­fügung stellen können, dass der kirchliche Bereich für viele Menschen aber eine verschlossene Welt ist, in die sie nicht leicht hineinkommen. Dadurch verpassen die Kirchen Zeitfenster (windows of opportunity), die sich schneller schließen, als man kirchlicherseits denkt.

Als gesamtgesellschaftliches und damit auch für die Kirchen bedeut­sames Problem muss auf das Phänomen des overtourism hingewiesen werden, auf überbordende Besucherzahlen, die eine Destination lang­fristig zu zerstören drohen, verbunden mit einem mangelnden Be­wusstsein für die gravierenden ökologischen Folgen eines überhand­nehmenden Tourismus. Schließlich sollte ein touristisches Segment nicht in Vergessenheit geraten: Reisen für Hochbetagte, chronisch Kran­ke oder Menschen mit Behinderungen, die meist mit hohen logistischen und finanziellen Schwierigkeiten verbunden sind und deshalb oft aus der Aufmerksamkeit herausfallen. Kirchen und soziale Einrichtungen sollten sich zum Anwalt dieser Gruppen machen.