Die Kirchen und der Populismus
Interdisziplinäre Recherchen in Gesellschaft, Religion, Medien und Politik
Die Schader Stiftung in Darmstadt hat sich seit 30 Jahren den interdisziplinären Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis auf die Fahnen geschrieben. Sie ist daher ein gut geeigneter Kooperationspartner für die (katholische) Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen und Pastoraltheologinnen und die (evangelische) Fachgruppe Praktische Theologie der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, um eine Tagung zum hochaktuellen und brisanten Themenfeld „Kirchen und Populismus“ durchzuführen. Diese Veranstaltung fand in fachlicher Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, für Religionssoziologie, für Soziale Arbeit und für Politikwissenschaft vom 10. bis 12. September 2018 in den Räumen der Schader Stiftung in Darmstadt statt.
Entsprechend der interdisziplinären Anlage der Tagung wurden zahlreiche konzeptionelle Zugänge, empirische Einsichten und praktische Erfahrungen mit dem Phänomen des Populismus vorgestellt und über Herausforderungen an Kirche und Theologie, aber auch andere zivilgesellschaftliche Träger diskutiert. Trotz vieler hilfreicher Einsichten und Sensibilisierungen blieb es aber ein durchgängiges Manko der Veranstaltung, dass man bloß über Phänomene des Populismus sprach, aber nicht mit Vertretern populistischer Positionen. Insofern blieb die Veranstaltung im Rahmen der eigenen Blase, innerhalb derer die Verteilung von Gut und Böse klar ist und man selbst sich selbstverständlich zur guten Seite zählt. Diese Beobachtung steht im Kontrast zu der – zu Recht – eingeforderten Konfliktkultur: Demokratie ist keine Konsensveranstaltung, sondern erfordert Konfliktfreudigkeit. Der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller (Princeton) etwa argumentierte gegen den Ausschluss populistischer Positionen aus der Debatte, nicht nur aus strategischen, sondern auch aus normativen Gründen. Es gebe also keine Alternative zur offenen Auseinandersetzung, was aber nicht gleichzeitig bedeute, dass man „alles sagen“ dürfe. Wichtig sei es dabei, politische Fragen in Fragen des dahinterliegenden Kulturkampfs zu übersetzen; in den USA z. B. bietet sich der Konflikt zwischen Stadt und Land als Kategorie zum Verständnis vieler anderer politischer Konflikte an.
Die Risse, die die diversen populistischen Phänomene erkennen lassen, gehen jedenfalls nicht nur quer durch die Gesellschaft, sondern auch durch die Kirchen. Zwar lässt sich anhand des empirischen Datenmaterials nicht immer ganz klar sagen, ob Religion als „Brandbeschleuniger“ für oder „Schutzwall“ gegen Populismus gelten kann; es gibt aber innerhalb der Kirchen eine hohe Polarisierung hinsichtlich fremdenfeindlicher und islamkritischer Einstellungen (vgl. dazu auch die Studie des Pew Forum zu „Christ sein in Westeuropa“). Die Kirchen spielen im öffentlichen Diskus eine wichtige Rolle als Mediatoren des Islambildes. Insofern ist es wichtig, dass auch in den Kirchen die eigene Anfälligkeit für populistische Narrative (auch hinsichtlich Fragen von Gender, Diversity und Gleichstellung) kritisch reflektiert wird. Kirchen sind also Teil des Problems, können aber auch Teil der Lösung sein.
Was ist also zu tun aus kirchlicher Perspektive? Kirchen sind dazu aufgefordert, sich auf die Seite der Opfer von populistischen Angriffen zu stellen und zugleich Tatprophylaxe zu betreiben, etwa durch die Förderung von demokratieorientierter Gemeinwesenarbeit und zivilgesellschaftlichem Brückenbauen. Gegen apokalyptische Untergangsszenarien ist die Hoffnungsimprägnierung kirchlichen Handelns stark zu machen, so der Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl (Berlin). Ebenso ist Solidaritätsarbeit mit „rechtspopulistisch Versuchten“ nötig – wobei Verstehen nicht gleichbedeutend mit Verständnis ist.
Aus theologischer Sicht ist es aber auch nötig, sich die eigene privilegierte Position als akademische Wissenschaft einzugestehen und die damit verbundenen blinden Flecken aufzudecken. In diesem Sinn plädiert der Pastoraltheologe Christan Bauer (Innsbruck) für eine „Leutetheologie“ als christliche Alternative zum Rechtspopulismus, die sich alteritär statt identitär, explorativ statt paternalistisch und popular statt populistisch versteht. Sie ist sich der eigenen Bedürftigkeit bewusst und versucht daher, von elitärer Distanz zu direktem Kontakt, vom „Reden für“ zum „Hören auf“ zu kommen.
Abschließend riet der Publizistikwissenschaftler Oliver Quiring (Mainz) der Theologie und den Kirchen, populistischen Botschaften mit klaren (was nicht immer gleichbedeutend ist mit: einfachen) Botschaften entgegenzutreten, auch wenn einem die Komplexität und Differenziertheit der akademischen Diskussion natürlich bewusst ist. Die immer wieder nötige Erinnerung an zentrale Glaubenssätze wie z. B. das Liebesgebot sei zwar anstrengend, aber lohnend.