Weltbeziehung und Himmelsbezug
Über Resonanz und Kirchenentwicklung
Vorworte
Es ist eine „ganz schöne Herausforderung“, über Resonanz und Kirchenentwicklung zu schreiben. Die Thesen Hartmut Rosas im Zusammenhang mit seinen Beobachtungen über die Beschleunigung unserer Gesellschaft und in Bezug auf eine Soziologie der Weltbeziehung erfahren zum einen selbst im hohem Maße in vielen Disziplinen das, was er als Überschrift seiner aktuellen Arbeiten wählt: Resonanz. Themenfelder im Bereich der Kirchenentwicklung sind zum anderen in den Agenden leitender Verantwortlicher kirchlicher Organisationen und Institutionen in ökumenischer Breite mit Priorität verzeichnet und sortieren sich bis in die einzelnen Kontexte und Ebenen hinein. Mittlerweile bilden die angestoßenen Diskurse dabei auch einen beträchtlichen Anteil der Fragen praktischer Theologie. Diese Momente gemeinsam zu bedenken, ist „ganz schön“ – und „ganz Herausforderung“ zugleich.
Dabei können die vergangenen Wochen und Monate und ihre Schlagzeilen aus Politik, Gesellschaft und Kirche an einem Text wie diesem nicht spurlos vorbeigehen. Und auch nicht an seiner Autorin. Gebrülltes und Geflüstertes, Statistisches und Hintergründiges, Bezweifeltes und Verurteiltes, Verheimlichtes und Verdrängtes findet sich im Weißraum des Nachdenkens und bleibt dabei doch ungeschrieben.
Ist es nicht genau diese Zusammenschau von gesellschaftlicher Relevanz und kirchlicher (Fehl‑)Entwicklung, die sehr grundlegend den Blick auf Ungleichzeitigkeit und Destabilisierung freigibt und mit Hilfe von Hartmut Rosas Thesen einen Bezug zu einer Zukunft der Kirche(n) setzt? Sind gesellschaftliche Transformationsprozesse und ihre destruktiven Effekte zum einen und das grundlegende und systematische Versagen kirchlicher Strukturen in Bezug auf sexualisierte Gewalt, Klerikalismus und Machtmissbrauch zum anderen nicht gerade Resonanzraum, den Kirchenentwicklung im Wissen um ein Nachdenken über das, was der Soziologe Rosa „Entfremdung“ nennt, spätestens jetzt ohne Wenn und Aber berücksichtigen muss? Wie sehr sind Verantwortliche in der Kirche schon „entfremdet“, wenn sie die eigenen Entwicklungsfragen ohne das diskutieren, was sich einerseits gerade in der Gesellschaft ereignet und was andererseits in Bezug auf den Umgang der Kirche mit Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt die eigene Integrität grundlegend, absolut und nachhaltig in Frage stellt?
Beide Facetten kann ein Artikel wie dieser nicht einmal in Ansätzen auffangen. Sie seien jedoch hiermit vorangestellt und mit einem Ausrufezeichen als Vorworte versehen: Sie bilden in einem Fall von außen nach innen, im anderen von innen nach außen Schärfentiefe und Vorzeichen des Nachdenkens über Resonanz und Kirchenentwicklung. Auch an ihnen wird sich entscheiden, wie sich Kirche in der und für die Zukunft entwickelt. Vielleicht sind beide Momente überhaupt die einzigen weltlichen Maßstäbe einer „resonanten Kirchenentwicklung“, die wir für den Moment gesichert haben können.
Lösung oder Problem?
Wenn Resonanz die Lösung sein soll, dann haben wir vielleicht noch nicht richtig verstanden, wie grundlegend die Probleme und Herausforderungen der Kirche(n) sind.
Hartmut Rosa trifft mit seiner Rede von der Resonanz sicherlich einen Nerv der Zeit. Er bietet mit seiner Soziologie der Weltbeziehung ein Framework zur Reflexion an, das hilfreich ist, und zwar nicht nur für die Theologie, sondern auch für ein Vor- und Nachdenken in Bezug auf kirchenentwicklerische (Entscheidungs‑)Prozesse. Diese beiden Ebenen gilt es jedoch bewusst zu unterscheiden, da sie sich in Modus und Funktion der Kommunikation unterscheiden (über das theologische Vor- und Nachdenken in Bezug auf Rosas Thesen: Kläden/Schüßler 2017a). Resonanz jedoch sowohl hier als auch dort absolut zu setzen und sie als „Lösung“ für unterschiedliche Problemfelder zu proklamieren, überliest Rosas bewusst gesetztes „Vielleicht“ im ersten Satz seines Buches zur Resonanz. Die Rede von der Lösung widerspricht dazu selbst seinen Thesen und Beobachtungen, welche ja selbst Unverfügbares beinhalten und auf Offenheit hin formuliert und angelegt sind.
Schließlich muss im Angesicht komplexer Problemstellungen grundsätzlich bezweifelt werden, dass es so etwas wie „die (eine) Lösung“ geben kann – egal, wie klug und fein, klar und sinnhaltig sie formuliert und begründet ist. Zu diesen Problemstellungen gehören sicherlich die Fragen der Kirchenentwicklung genauso wie die nach einem konstruktiven Umgang mit aktuellen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen und die nach der Aufklärung der Gewaltverbrechen und ihrer Vertuschung in der Kirche in den letzten Jahrzehnten. Wer Gegenteiliges proklamiert und dabei von einfachen Lösungen in der eigenen Tasche spricht, muss sich nach den eigenen populistischen, ideologischen und narzisstischen Tendenzen befragen lassen. Damit stellt sich aber die Frage, ob es nicht generell problematisch ist, nach der einen Lösung zu suchen. Und auch, ob die Suche nach der einen Lösung nicht schon Problem ist.
Die Herausforderungen kirchlicher Organisationen und Institutionen in Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz sind und werden in den nächsten Jahrzehnten enorm. Während also – neben der Frage nach der Resonanz als Instrument von Kirchenentwicklung – für die einen die digitale Transformation den Weg weist, ist es für andere der Begriff der Mission. Wieder andere diskutieren auf den unterschiedlichen Ebenen neu zu strukturierende strategische Prozesse und den notwendigen systemischen Kulturwandel. Auch von geistlichen Prozessen, die Diözesen, Landeskirchen, Ordensgemeinschaften und andere kirchliche Organisationen durchleben müssen, und von pastoralen (missionarischen?) Visionen ist die Rede. Kirche wird all das nötig haben. Mindestens und noch viel mehr. Dass die einzelnen Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Wege unabhängig, ohne Bezug aufeinander und in Konkurrenz agieren, ist dabei Symptom, nicht Ursache der Problematik. Nicht anders ist es mit dem Instrument der Resonanz. Oder um es mit Rosa zu sagen: Wenn die Reichweitenvergrößerung einzelner Instrumente bei der Suche nach kirchenentwicklerischen Perspektiven im Vordergrund steht und diese damit selbst unterkomplex zum Einsatz kommen, ist die Gefahr der Entfremdung groß – zum einen in Bezug auf das System Kirche, die innerhalb einer Gesellschaft steht, zum anderen mit Blick auf die enorme Dimension kirchlicher Herausforderung.
„Lösendes“ kann sich in all diesen Zusammenhängen und bezogen auf das, was sich Zukunft der Kirche(n) nennt, nur in einem gemeinsamen (und „resonanten“, das heißt anverwandelbaren) Zusammenspiel unterschiedlicher Perspektiven, Ansätze und bewusst auch offener Frage-Stellungen (sic!) ereignen. Dass das so ist, hat auch damit etwas zu tun, dass sowohl die gesellschaftlichen wie ekklesiologischen Herausforderungen komplex sind: Dies besagt – zunächst einmal etwas salopp formuliert –, dass es auch mit Lösungsansätzen nicht einfach ist oder werden wird. Die Rede von der komplexen Problemsituation (nicht nur) der Kirche(n) beinhaltet, dass es gerade keine Frameworks gibt, die in diesen Bezügen Lösung per se sein können, oder nur welche, von denen erst im Nachhinein klar ist, dass sie Lösung sind (ein Wissensmanagement-Modell, das mit diesem Ansatz der Komplexität arbeitet, ist das sogenannte Cynefin-Framework). Mit Blick auf die immer kleiner werdende Taktung, in der Kirchen und kirchliche Organisation steuergelderfinanziert ohne nennenswerten Effekt Reformatierungsprozesse anstoßen, vielfach ohne Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen und auf das strukturelle und gewaltige Phänomen des Machtmissbrauchs in kirchlichen Institutionen, drängen sich die Beobachtungen Rosas zur Beschleunigung als Phänomen der Stabilisierung förmlich auf und bestätigen das Komplexitätsphänomen.
Vielleicht hilft hier gerade ein umgekehrter Blick, der sich im Sinne einer Kirchenentwicklung mit der Soziologie der Weltbeziehung und einem Himmelsbezug an ihrer Seite formulieren lässt: Kann Kirche ein Ort werden, an dem für und in Gesellschaft gelernt werden kann, konstruktiv und transparent mit Komplexität umzugehen? Wie kann das gelingen und: In welcher Form könnten dabei die Thesen Rosas unterstützend wirken?
Kirchenentwicklung und Weltbeziehung
Im Kern von Hartmut Rosas Thesen zur Resonanz steht die Frage nach dem guten Leben. Diese Frage tut den Diskursen der Kirchenentwicklung und ihren Wortführerinnen und Wortführern gut, denn sie dekonstruiert mindestens zweifach: Zum einen macht sie auf den Unterschied aufmerksam, den es ausmacht, nach dem guten Leben zu fragen – oder nach den guten „Kirchen“. Es ist ein Fragen nach Relevanz, nach einem konkreten Bezug zum Leben von Menschen und danach, inwieweit Kirche als Selbstzweck betrachtet wird. Es ist aber auch ein Fragen danach, wie die zu reflektierende Kirchlichkeit ihre Theologie eines guten Lebens im Angesicht des Lebens, Sterbens und der Auferstehung Jesu Christi spürbar werden lässt. Kann Kirche damit ein Ort sein, an dem Menschen mit dem guten Leben in Berührung kommen und sowohl in Weltbeziehung wie Himmelsbezug treten können?
Es gibt (mindestens drei) weitere Aspekte in der Theorie der Resonanz und der Soziologie der Weltbeziehung, die sich von der Frage nach dem guten Leben ableiten und die Fragen der Kirchenentwicklung anregen.
Beschleunigung, Wachstum und Akteure
Eine These Rosas ist die Beobachtung von Beschleunigung, Steigerung und Dynamisierung zur Stabilisierung von Prozessen und Systemen der Gesellschaft: das „Hamsterrad eines rasenden Stillstands“ (Kläden/ Schüßler 2017b, 10 mit Verweis auf Virilio) und die damit verbundene Schwierigkeit, das bereits erwähnte gute Leben im Sinne einer Resonanz, einer „Anverwandlung“ in den Blick zu nehmen. Rosa formuliert die Problematik dabei mit folgenden Worten: „Erst wenn die Steigerung zu einem unhinterfragten Zwang wird, wird sie problematisch. Das gilt vor allem dann, wenn sie es uns nicht mehr erlaubt, uns etwas anzuverwandeln“ (Rosa 2017, 17).
Als Organisation und Institution scheint Kirche in Sachen Beschleunigung üblicherweise erst einmal unverdächtig. Dennoch ist in den Diözesen, Landeskirchen und anderen kirchlichen Organisationen eine Ambivalenz sichtbar: Denn während sich beispielsweise sogenannte Projektzeiträume und terminliche Anforderungen innerhalb des Kirchenjahrs, aber auch die Notwendigkeit strategisch neu ausgerichteter Grundsatzentscheidungen verdichten, ziehen sich andere Entscheidungszeiträume kirchlicher Strukturen ungewöhnlich in die Länge. Dies mag im Sinne von Rosas Theorie erst einmal positiv wirken, wird jedoch dadurch selbst ad absurdum geführt, dass Entscheidungsnotwendigkeiten zum Überholvorgang ansetzen. Doch nicht nur das: Selbst die Entschleunigung wirkt im System Kirche in diesem Zusammenhang eher erzwungen und damit als unangebrachter Versuch der Stabilisierung, der Kontrolle und des Machtvollzuges. Das subjektive Empfinden changiert zwischen den beiden Polen: zu viel und zu schnell auf der einen Seite und zu langsam und zu wenig auf der anderen.
Die Beschleunigungsthesen Rosas lassen die Wahrnehmung von Ungleichzeitigkeiten in den Vordergrund treten: Ihre allgegenwärtige Litanei in kirchlichen Strukturen ist ein Hinweis darauf, dass es sich lohnt, den Beobachtungen des Soziologen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Er fährt fort: „Ich muss mit Dingen und mit Menschen so in Kontakt kommen können, dass ich mich durch die Begegnung verändern kann“ (ebd.). Das Kontrollieren der Zeit, durch immer schneller (da vermeintlich notwendige) oder zu langsam getroffene Entscheidungen, seien sie im Bereich der Organisation z. B. der parochialen Struktur oder auch im Bereich des Personaleinsatzes, legt nahe, dass damit die Stabilisierung des Systems beabsichtigt werden will, wenngleich immer klarer wird, dass damit eine „Anverwandlung“ im Allgemeinen wie im Konkreten immer unwahrscheinlicher wird.
Am deutlichsten wird dieses Phänomen im Bereich des Personalwesens der Kirchen: Mit jeder in Komma-Prozent formulierten Stellenausschreibung einer kirchlichen Einrichtung manifestiert sich die Beschleunigung des pastoralen Alltags, der sich damit um eine Stabilisierung bemüht. Mit jeder missionarischen Projektstelle erhöht das System die Taktung, ohne ein Anverwandeln der Erfahrungen zuzulassen. Dazu zeigt der substantielle Nachwuchsmangel des gesamten pastoralen Personals, wie offensichtlich systemrelevant die Frage nach dem guten Leben in einem angemessenen Tempo in Bezug auf die Dynamik eines (beruflichen) Alltags ist. Um es in einem Bild Rosas zu sagen: Will der potentielle pastorale Nachwuchs lieber als missmutige Hannah am Frühstückstisch sitzen oder als lebensfrohe Anna?
So bilden Rosas Thesen das gute Leben und die Beschleunigung als Stabilisierungsfaktor betreffend einen Diskursrahmen der Kirchenentwicklung. Sie werfen dabei aber auch deutlich Fragen auf, die hier weiterführend dekonstruieren: Denn was stabilisiert hier eigentlich und welches Kirchenbild liegt der Beobachtung von Beschleunigung des Systems Kirche zu Grunde?
Reichweite, Weltbeziehung und Mission
Liest man die Thesen Rosas theologisch, können die Begriffe der Weltreichweite und des Wachstums Ambivalenzen erzeugen: Auf den ersten Blick wachsen im kirchlichen Bereich kaum positive Zahlen (mehr) und die Perspektive auf Steigerung der Weltreichweite lässt (zumindest im mittel- wie westeuropäischen Kontext) skeptisch nachfragen. Gleichzeitig ist wahrnehmbar, dass zu der bereits angesprochenen Beschleunigung im System Kirche auch vermehrt die Rede ist von missionarischen Dimensionen kirchlichen Handelns. Der Verdacht liegt nahe, dass sich dabei die Intention verbirgt, (wieder) eine erhöhte Weltreichweite zur Stabilisierung zu erlangen.
Die theologische Ambivalenz wird in der Reflexion des theologischen Begriffs einer bestimmten Form der „Weltreichweitenerzeugung“ deutlich: Der sogenannte Missionsauftrag lässt sich im Sinne Rosas als Versuch der Vergrößerung der Reichweite (lies: des Machtbereichs) der hierarchischen Institution Kirche zu ihrer Stabilisierung deuten. Doch wird man dabei dem Missionsbegriff gerecht, und wie lässt sich beides zusammendenken und in einen Bezug zur Kirchenentwicklung setzen?
Die dynamische Stabilisierung und das bloße Erzeugen von immer mehr „Weltreichweite“ der Kirche beschleunigt ihre Entfremdung, welche sicherlich nicht das Ziel einer missionarischen Dimension der Kirche sein kann. Entfremdung entsteht, wenn eine Bezogenheit, wenn Beziehung nicht (mehr) möglich ist. Rosa beschreibt: „Es gibt zwei Formen entfremdeter Weltbeziehung. Bei der einen habe ich das Gefühl, nichts berühre mich, aber ich erreiche auch niemanden – andere sind für mich gar nicht da. Gerade diese erste Form ist in der Politik derzeit zu beobachten. Menschen haben das Gefühl, dass sie nicht gesehen werden. Bei der anderen fühle ich mich total bedroht oder angegriffen und wehre mich dagegen. Gewalt ist dann der Versuch der Kontaktaufnahme“ (ebd. 19). Beide Formen der Entfremdung lassen sich in geschichtlichen Erfahrungen von Mission als Weltreichweitenvergrößerung finden.
Blickt man allerdings auf die Kernfrage Rosas, ergibt sich eine Perspektive, die den Auftrag der Kirche und die kritischen Anfragen des Soziologen gemeinsam bedenken kann: Geht es selbst bei der Weltbezogenheit und der Aufnahme der Beziehung um ein gutes Leben – oder ein gutes „Kirchesein“? Rosa fügt dazu bei: „Ein gutes Leben ist ein Leben, das in Bezogenheit auf etwas da draußen geführt wird. Das können Menschen sein, das kann die Natur oder ein Moment von ihr sein, das kann auch Gott sein“ (ebd. 17). Diese Bezogenheit sowohl zu den Menschen, zur Natur und sicherlich auch zu Gott lässt sich theologisch nur unterstreichen. Konkrete Erfahrungen von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, denen es möglich ist, sich in Bezogenheit auf ein äußeres Moment anverwandeln lassen, bestätigen dies und lassen ahnen, warum dies eher die Sorge einer Destabilisierung erhöht. Noch einmal Rosa: „In resonanten Beziehungen [die eine Bezogenheit beinhalten; M. H.] verändere ich mich dadurch, dass ich in diesem offenen Prozess andere erreiche“ (ebd. 19).
Wie lässt sich der christliche Auftrag der Weltbeziehung als Missionsauftrag reflektieren, wenn er in Bezug auf diese Thesen Rosas formuliert wäre? Wodurch zeichnet sich dann die Aufnahme von Beziehung im Sinne eines missionarischen Auftrags aus? Wie lässt sich Mission wechselseitig und resonant, das heißt als offener Prozess und auf Veränderung beider (!) Seiten hin deuten? Und inwiefern hinterfragt dies alles Kirchenbilder, wenn Mission gerade nicht als Stabilisierung gedacht werden muss?
Resonanzen
Schließlich lohnt noch ein für diesen Rahmen letzter kurzer Blick auf den Begriff der Resonanz. Die darin liegende Qualität beschreibt der Soziologe Rosa so: „In resonanten Beziehungen verändere ich mich dadurch, dass ich in diesem offenen Prozess andere erreiche“ (ebd.). Hierin steckt nicht nur der schon erwähnte Hinweis auf ein erneuertes Verständnis der Sendung der Kirche im Sinne einer Transformation, sondern generell eine Aufforderung zum Überdenken kirchlicher Kommunikation, ihrer Formen und darin sichtbaren Haltungen – seien sie bewusst die Grenzen einer kirchlichen Organisation überschreitend oder auch anlässlich systemischer Notwendigkeiten binnenorientiert.
Rosa stellt die Problematik von Gewalterfahrungen in einen sehr herausfordernden Zusammenhang mit nicht resonanten Kommunikationsformen: „Meine These lautet, dass man es bei Gewaltbeziehung immer mit einem Moment der Schließung zu tun hat, die gerade nicht resonant ist. Ich will den anderen dann nicht hören und ich will mich auch nicht erreichen und berühren lassen. Ich will dem anderen meinen Willen aufzwingen. Das ist eine andere Haltung, als hören und antworten zu wollen“ (ebd. 19).
Gerade im Zusammenhang mit den bereits mehrfach angedeuteten komplexen Fragestellungen – der Kirchenentwicklung, der gesellschaftlichen Entwicklung, aber auch der Aufarbeitung der Erkenntnisse um sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch und Klerikalismus – sind diese Hinweise bemerkenswert. Sie ersetzen kein anderes Instrument, keine Aufklärung (auch keine Rechtsprechung), keine Transformationsprozesse, deuten aber den Zusammenhang auf zwischen dem Fehlen von Resonanz, von Gewaltphänomenen und der entschlossenen Verweigerung zur Veränderung.
Ein gestimmtes Instrument und eine Frage
Resonanz als Instrument einer Kirchenentwicklung kann – zusammenfassend formuliert – dann nachhaltig Klang entfalten und in Vielstimmigkeit mitspielen, sofern sie selbst nicht absolut, sondern in Bezug gesetzt wird zu anderen Instrumenten. Die Thesen Hartmut Rosas können dann für kirchliche Entwicklungsprozesse Orientierung sein, wenn sie gleichermaßen den Blick auf eine Weltbeziehung und den Himmelsbezug von Christinnen und Christen dekonstruieren, und zwar sowohl theologisch wie auch sichtbar, hörbar und spürbar in ihrer konkreten Ekklesiopraxis. Wenn Resonanz also einerseits dabei unterstützt, Kirche und ihre unterschiedlichen Formen als einen Teil einer Gesellschaft zu sehen, der Weltbeziehung ermöglicht. Und wenn sie andererseits Kirche als ein Schon-jetzt und Noch-nicht einer anderen Form von Gesellschaft in Aussicht stellt, die das gute Leben aller im Blick hat und an einem Himmelsbezug orientiert zu konstruktiven sowie prophetischen Transformationsprozessen bei sich selbst und der Gesellschaft herausfordert.
So ist es also möglicherweise eine der Fragen Rosas, die Kirchenentwicklung leiten könnte: Vielleicht ist es die Frage nach dem guten Leben, nach einem Leben in Fülle. Eigentlich eine ganz und gar jesuanische Frage.