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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

der Jenaer (und seit 2013 zusätzlich Erfurter) Soziologe Hartmut Rosa ist weit über den soziologischen Fachdiskurs hinaus kein Unbekannter. Schon sein Buch „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstruktur in der Moderne“ von 2005 wurde in vielen populären Medien aufgegriffen. Auch sein zweites großes Werk, „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbe­ziehung“ (2016), hat viel von dem erfahren, was es analysiert: Resonanz. Beide Bücher sind durch den ersten Satz des Resonanzbuchs emblema­tisch miteinander verklammert: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.“

Auch im theologischen und kirchlichen Kontext haben sich bereits viele mit Rosas Thesen zu Beschleunigung und Resonanz auseinandergesetzt – die Rezeption scheint hier fast größer zu sein als in der Soziologie selbst. Woran liegt es, dass Rosa auch vielen pastoralen Mitarbeiterin­nen und Mitarbeitern aus der Seele spricht? Wird Rosa ein „neuer Habermas“, der der Theologie eine grundlegende Orientierung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive bietet?

In der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) haben wir intensiv mit Hartmut Rosa diskutiert und eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit seinem Ansatz vorgelegt (Zu schnell für Gott? Theologische Kontroversen zu Beschleunigung und Resonanz). In der vorliegenden Ausgabe von euangel wollen wir diese Diskussion einem noch breiteren Publikum zugänglich machen. (Das im gleichen Monat erscheinende Heft der Zeitschrift „Pastoraltheologie“ befasst sich übrigens in seinem Schwerpunkt ebenfalls mit dem Thema Resonanz.)

Den Auftakt des Schwerpunkts macht Hartmut Rosa, der in einem hier wiederabgedruckten Interview sein Resonanzkonzept knapp zusam­menfasst. Martin Rohner greift die theologischen Affinitäten von Rosas Ansatz auf und spricht sich für eine Förderung von Resonanzsensibilität aus, wobei auch Religion und Theologie eine wichtige Rolle spielen. Kri­tischer – bei aller Sympathie – gehen die beiden folgenden Beiträge mit Rosa um: Michael Schüßler benennt Differenzpunkte zu Rosa aus prak­tisch-theologischer Perspektive und verweist darauf, dass in der Tradi­tion der negativen Theologie die Fremdheit Gottes bei aller gefühlten Resonanz immer größer bleibt. Frank Vogelsang wiederum kritisiert, dass Rosa die herkömmliche Subjekt-Objekt-Spaltung nicht konsequent genug überwindet und die mit der radikalen Verbundenheit von Mensch und Welt gegebenen Konflikte und Gefährdungen zu wenig im Blick sind.

Die nächsten vier Artikel gehen der Frage nach, was Rosas Ansatz kon­kret für die Pastoral bedeutet. Martin Spaeth greift auf Rosas Beschleuni­gungsthesen zurück und analysiert von ihnen her Beschleunigungs­er­fahrungen von Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Maria Herrmann fragt nach Konsequenzen für die Kirchenentwicklung aus Rosas Thesen zu Beschleunigung, Weltbeziehung und Resonanz. Christiane Bundschuh-Schramm betont die Aspekte der Wechselseitigkeit und der Transforma­tion im Resonanzkonzept und stellt davon ausgehend Zeugenschaft und Partizipation als pastorale Konsequenzen heraus. Hubertus Schönemann schließlich fragt danach, inwiefern Rosas Überlegungen anschlussfähig sein können für ein alternatives Verständnis von „Nachfolge“ oder „Glauben“ in christlicher Perspektive.

Abschließend blickt Heiner Aldebert auf Hartmut Rosas Versuch einer „Resonanzpädagogik“. Sowohl das Bibliodrama als auch die Religions­pädagogik können von ihr lernen, offene Prozesse nicht vorschnell zu funktionalisieren.

Bei allen Konvergenzen und Differenzen zwischen Rosas Ansatz und theologischen Positionen ist er ohne Zweifel ein sehr anregender Ge­sprächspartner für die Theologie. Auf die weitere Diskussion mit Hartmut Rosa darf man daher gespannt sein.

Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen

Ihr