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Die Customer Touchpoint Management Matrix (CTMM)

Die Customer Touchpoint Management Matrix ist ein Instrument, das dabei hilft, klassische kirchliche Angebote von ihren Nutzerinnen und Nutzern her zu gestalten. Sie fokussiert auf die Kontaktpunkte, an denen Adressatinnen und Adressaten mit kirchlichen Angeboten in Berührung kommen. Sie blickt dabei auf den gesamten Prozess der angebotenen Dienstleistung und ver­sucht, diese durch eine verstärkte Nutzerorientierung zu verbessern.

Wer von außen auf eine unbekannte Stadt zufährt, sieht nicht selten einen Kirchturm. Das ist der erste Kontaktpunkt mit der örtlichen Ge­mein­de, dem weitere folgen können: beim Hineingehen in die Kirche, beim Gespräch über die Kita, beim Anruf im Pfarrbüro. Verschiedene Leute haben ganz unterschiedliche Berührungspunkte mit der Kirche vor Ort. Alle diese Eindrücke prägen das Bild von ihr – und zwar unab­hängig davon, ob der Kontakt von der Kirche oder ihrer lokalen Institu­tion jeweils gewollt ist oder nicht. Die damit einhergehende Marken­bildung ist also kein aktiver Akt, keine Initiative, sondern vollzieht sich automatisch.

Im kommerziellen Umfeld ist es deswegen üblich, die Kontaktpunkte einer Marke bewusst und achtsam zu gestalten. Dabei bedenkt man eben nicht nur die werblichen Maßnahmen – Prospekte, Plakate etc. –, sondern die Momente, bei denen das Produkt oder die Dienstleistung erlebt wird, wo Qualität wahrnehmbar wird, oder bedenkt, welchen Eindruck die Verpackung vermittelt. Natürlich und gerade sind dabei auch die Mitarbeitenden wichtig, z. B. ihr Auftreten, ihre Leistungs­bereitschaft und ihre Kompetenz. Jede Berührung des Kunden mit einem Kontaktpunkt wird als Chance und Risiko zugleich angesehen.

Die Customer Touchpoint Management Matrix (CTMM) nimmt diese Kontaktpunkte in den Blick. Sie ist ein leicht verständliches, plausibles und hocheffizientes Instrument für eine adressatenorientierte Analyse, Gestaltung und Optimierung von Angeboten, gerade auch in der Pasto­ral. Sie hilft, sich empathisch auf seine Adressatinnen und Adressaten einzustellen und das eigene Handeln entsprechend auf sie auszurichten.

Bei der Entwicklung von Angeboten sind verschiedene strategische Stoß­richtungen denkbar, die sich danach differenzieren, ob man bestehende oder neue Nutzer zu erreichen sucht und/​oder ob das Angebot neuartig ist:

Abb. 1: Produkt-Markt-Matrix nach Ansoff

Marktdurchdringung: Versuch, im bestehenden Markt mit gleichem Pro­dukt zu wachsen, etwa durch das Wiedergewinnen ehemaliger Nut­zer oder durch Erhöhung der Nutzungsfrequenz. Beispiel: Steigerung des Gottesdienstbesuches im Milieu „Bürgerliche Mitte“.

Marktentwicklung: Versuch, mit einem bestehenden Angebot neue Nutzer zu erreichen, z. B. Etablierung eines erfolgreichen Jugendkir­chenkonzeptes in einer anderen Stadt oder Adaption des Jugendgot­tesdienstes auf eine Zielgruppe Ü40.

Produktentwicklung: Versuch, mehr Menschen in der bestehenden Nut­zergruppe zu erreichen, etwa durch das Ersetzen des bestehenden Angebotes durch eines, das mehr Nutzen bietet, oder durch Ent­wick­lung neuer Varianten des bisherigen Produktes – z. B. Angebot einer Out­door-Erstkommunion(‑vorbereitung).

Diversifikation: Entwicklung eines neuen Angebots in Verbindung mit der Erschließung neuer Nutzergruppen, z. B. Verkündigung über eine Installation am Bahnhof.

Wird kirchlicherseits an Innovation gedacht, werden oft Bilder disrupti­ver Innovation bedient, die für derzeit nicht erreichte Adressaten ganz Neues, bisher nicht Gedachtes, zu entwickeln suchen (Diversifika­tion). Es wird in Zukunft aber auch nötig sein, klassische kirchliche An­gebote für derzeit schlecht erreichte Adressaten/​Milieus nutzerorien­tiert zu „redesignen“. Hierbei hilft die CTMM, weil sie aus Adressaten- wie Anbietersicht phasenbezogen alle Kontaktpunkte unter die Lupe nimmt und durch stärkere Nutzerorientierung zu verbessern sucht. 

Die CTMM ist letztlich für alle vier strategischen Ansätze einsetzbar, aber besonders interessant, wenn man versucht, ein bestehendes Angebot – z. B. einen Gottesdienst oder die Taufe – für Leute jenseits des Stammpublikums zu entwickeln.

Kontext: Adressatenorientierung

Wenn sich Kirche heute mit Themen wie Marketing oder Adressaten­orien­tierung beschäftigt, dann deshalb, weil die Menschen heute pri­mär in einer Marktlogik nutzenorientiert denken und handeln. Dies zu leugnen oder zu ignorieren wäre wahlweise naiv oder arrogant. Auch Kirche ist Organisation und muss sich der Perspektive stellen, in der die Menschen die Wirklichkeit wahrnehmen und sich darin bewegen, um ihre Kernbotschaft, den Unterschied, das Skandalon der unbedingten Liebe Gottes zu den Menschen, angemessen zum Ausdruck zu bringen.

Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.
(Apg 17,22; Lutherbibel 2017)

Adressatenorientierung ist also wirklich nichts Neues: Schon Paulus sprach täglich mit den Leuten auf dem Markt in Athen, bevor er sich auf den Aeropag führen ließ und dort – anknüpfend an das Weltbild und die offene Frage nach dem Unbekannten – verkündete. Aber genau das war und ist das Neue – nämlich eine Folge der Menschwerdung Gottes. Sich einlassen auf den Anderen, von ihm her zu denken, ist kein taktisches Tun, sondern Ausdruck jener Liebe, die dem Anderen zum Nächsten wird, seine Sprache spricht, seine Hoffnung und Wünsche wahrnimmt. Ähnlich wie bei Paulus gilt es also auch heute, die Lebenswelten, Wahr­nehmungen, (ästhetischen) Präferenzen, Wünsche und Bedürfnisse der eigenen Adressaten zu kennen, um in angemessener Bild- und Wort­sprache zu verkündigen. Nur so kann die Botschaft in relevanter Form erlebbar oder erzählt werden.

Kontext: Dienst

Das Besondere pastoraler Angebote aus Marketingsicht ist, dass sie auf konzeptioneller Ebene eher eine Verwandtschaft zu Dienstleistungen als zu Produkten aufweisen. Konstitutiv für Dienstleistungen ist, dass sie i. d. R. einen hohen immateriellen Anteil haben, also z. B. nicht im Vorfeld anfassbar oder visuell begutachtbar sind. Typisch für eine Dienstleistung ist auch, dass bei ihr Produktion und Konsum zeitlich zusammenfallen. Die Dienstleistung ist daher in der Regel nicht konser­vierbar, nicht lagerbar und erfordert ein mehr oder weniger aktives Mit­wirken des Kunden: Wenn der Patient den Mund nicht aufmacht, kann der Zahnarzt seine Leistung nicht erbringen.

Für die Nutzenden machen diese Besonderheiten der Dienstleistungen sie im Vorfeld schwer einschätzbar. Entscheiden sie sich, bei einem Anbieter erstmals ein Angebot zu wählen – z. B. den Haarschnitt zur Hochzeit oder die Taufe für das erste Kind –, dann entscheiden sie sich nicht für ein fertiges Produkt, sondern lediglich für das Versprechen, eine Leistung zu erbringen – mit allen Unwägbarkeiten und Risiken. Umso wichtiger, die Dienste so zu konzipieren, dass die Kontaktpunkte im Vorfeld, währenddessen und im Nachgang ein konsistentes, sicheres Bild vermitteln.

Entscheidet man sich als kirchliche Einrichtung, positive Erlebnisse be­wusst schaffen zu wollen, dann ist das die Grundsatzentscheidung, das Angebot vom Adressaten her gestalten zu wollen.

Grundidee: Kundenpfadanalyse

Die CTMM ist verwandt mit der Idee der Kundenpfadanalyse, die im Rah­men des Qualitätsmanagements entwickelt wurde. In einem Kun­denpfad wird dargestellt, welche Erwartungen, Bedürfnisse und Be­fürch­tungen unterschiedliche Kunden bzw. Anspruchsgruppen an die Dienstleistung und den Prozess der Dienstleistungserbringung stellen und wie diese optimal aufgegriffen werden können.

Die CTMM differenziert diesen Grundgedanken aus und bietet ein hilf­reiches Instrument für die adressatenorientierte Analyse und das (Re‑)Design von Angeboten, Produkten und Projekten. Schrittweise wird der Weg des Kunden zum Produkt vom ersten Kontakt über die Nutzung bis zum Nachgang untersucht. Die zentrale Frage ist, inwie­weit jeder Kontaktpunkt den Bedürfnissen und dem Handeln des Kun­den entspricht und was verbessert werden kann, um Anschlussfähigkeit und Zufriedenheit zu erhöhen.

Der Customer Touchpoint Management Prozess beginnt mit strategi­schen Vorüberlegungen:

Strategie:

  • Welche Zielgruppen sollen erreicht werden?
  • Welches Ziel verfolgt man mit bestimmten Kontaktpunkten? (Zum Beispiel: Welches Ziel verfolgt man mit dem Angebot, ein Pfarrbüro vorzuhalten?)

Breitenwirkung:

  • Welche Kontaktpunkte sind am besten geeignet, um die Zielgruppe zu erreichen?
  • Wie viele Kunden der relevanten Zielgruppe werden erreicht und wie häufig kommen Kunden mit dem Kontaktpunkt während eines defi­nier­ten Zeitraumes bzw. innerhalb einer bestimmten Phase der Ent­scheidung in Berührung?

Tiefenwirkung:

  • Welchen Einfluss hat der Berührungspunkt auf das Erleben des Nutzers?
  • Über welche Kontaktpunkte könnte die Bekanntheit, das Image oder die Zufriedenheit verbessert werden?

Erfolgswirkung:

  • Welchen Beitrag leisten die zentralen Touchpoints – also jene, die in besonderer Weise für die Zufriedenheit der Nutzer verantwortlich sind?
  • Wieviel Aufwand (personell/​finanziell) fließt in die einzelnen Kontaktpunkte?

Vorarbeit: Zielgruppe bzw. Persona

Je klarer und anschaulicher die Zielgruppen (Anspruchsgruppen) mit ihren Bedürfnissen und Befürchtungen beschrieben sind, desto präziser können mit der CTMM die Berührungspunkte analysiert und profiliert werden. Hierbei ist die Nutzung von Personas hilfreich.

Eine Persona ist ein archetypisches Nutzerprofil, also eine fiktive Per­son, die charakteristische Merkmale der Zielgruppe aufweist und damit einen typischen Adressaten repräsentiert. Während im planerischen Pro­zess eine Zielgruppe oft eine gesichtslose Masse bleibt, eröffnet das Denken in Personas einen Zugang, sich empathisch auf die Nutzer ein­zustellen und ihre Bedürfnisse, Herausforderungen und Verhaltenswei­sen zu verstehen. Je nach Zielgruppe können durchaus mehrere Perso­nas entwickelt werden.

Ihre Erstellung erfolgt ausgehend von Nutzergruppen mit vergleichba­ren Bedürfnissen, ästhetischen Präferenzen und Verhaltensweisen. Sie werden in einem Cluster zusammengefasst und dann wird ein typischer Repräsentant mit Hilfe eines Steckbriefs (Liste relevanter Merkmale) beschrieben, ggf. visualisiert (Grafiken, Fotos, Videos). Die Sinus-Mili­eus können als empirisch fundierter Ausgangspunkt für die Entwick­lung von Personas herangezogen werden. Sie werden häufig in Innova­tions- und Produktentwicklungsprozessen eingesetzt (vgl. Wipper­mann/Magalhaes 2006 sowie Folgestudien). Eine gute Persona bildet neben soziografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Bildung, Einkom­men) insbesondere lebensweltliche Informationen (z. B. Wohn- und Ar­beitsumfeld), ästhetische Orientierungen und Präferenzen ab. Deutlich werden können auch die Erwartungen, also genauer Bedürfnisse auf der einen und Befürchtungen auf der anderen Seite, die diese Persona gene­rell bezogen auf den Anbieter oder das jeweilige Produktsegment prä­gen (weitere Informationen online erhältlich).

Beispiel:
Alex Melzer, 36 Jahre alt, Akademiker in einem mittelständischen Betrieb, hat ein hohes Einkommen. Er lebt gemeinsam mit seiner Freundin und der 16-monatigen Tochter in einer 160 qm großen Loftwohnung in Musterstadt, im „Speckgürtel“ einer Großstadt. In seiner Freizeit treibt Alex gerne Sport (Fitness) und unternimmt etwas mit seiner kleinen Familie. Da sie erst vor kurzem hierher gezogen sind, möchte er die Freizeitmöglichkeiten vor Ort kennenlernen. Alex ist technisch affin und nutzt intensiv sein Smartphone.

Tool: Arbeiten mit der CTMM

Die CTMM ist ein eine Moderationswand füllendes Plakat, in das auf der linke Seite als Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen Zielgruppe, Mission und Angebot notiert werden. Die Persona wird mit Namen – wenn möglich mit einem Foto – auf der CTMM eingetragen. Damit fällt es leichter, sich in der weiteren Betrachtung empathisch an der fiktiven Person zu orientieren und sie zum Leben zu erwecken. Um mit der CTMM zu arbeiten, muss die Mission klar sein. Anders als kommerziell moti­vierte Unternehmungen folgt die Kirche einer Sendung. Diese ist eben­so in einer konkretisierten Form zu notieren wie das Angebot, das für die gewählte Persona untersucht werden soll.

Abb. 2: Customer Touchpoint Management Matrix (CTMM)

In der CTMM wird der Prozess aus Nutzersicht analysiert und visuell dar­gestellt. Es werden die (direkten und indirekten) Kontaktpunkte des Nutzers mit der Dienstleistung identifiziert und grafisch als Reise darge­stellt. Die Matrix eignet sich als (Darstellungs‑)Instrument, um die Kon­taktpunkte zu identifizieren und anhand der Kundenerwartungen zu be­werten, zu qualifizieren und auch zu variieren.

Phasen

Eine CTMM wird entlang einer Zeitleiste entwickelt. Es ist hilfreich, den Prozess in Phasen aufzuteilen:

  • Aufmerksamkeit & Orientierung: Die Persona erkennt, dass sie ein bestimmtes Bedürfnis oder ein Problem hat. Sie sucht nach Möglich­keiten, den Mangelzustand zu ändern, und nimmt entsprechende Angebote wahr.
  • Bewertung & Entscheidung: Die Persona bewertet die Eigenschaften des Angebots (ggf. alternativer Angebote), entwickelt Präferenzen und trifft eine Entscheidung.
  • Vorbereitung der Nutzung: Die Persona wartet auf die Nutzung oder bereitet sich aktiv vor.
  • Nutzung: alle Interaktionen im Prozess der Nutzung
  • Nachbereitung & Nachgang: Phase nach der Nutzung – z. B. Umgang mit einem Nachkaufkater, Unsicherheit oder Glücksgefühlen

Abb. 3: Customer Touchpoint Management Matrix (CTMM) mit Phasen­kenn­zeichnung

Die Phasenkarten werden oben auf das CTMM-Plakat aufgesteckt. Nur in der idealtypischen Darstellung der Grafik sind die Phasen gleich lang. In der Praxis hängt ihre Länge bzw. die Zahl der ihr zugehörigen Kon­takt­punkte von Angebot und Persona ab. Eine CTMM für ein Mittags­gebet umfasst einen kürzeren Zeitraum als eine für eine Erstkommuni­on­vorbereitung. Die Breite eines Plakats reicht meist nicht aus, um einen vollständigen Prozess abzubilden – es ist dann einfach zu verlän­gern. Bilden Unternehmen – z. B. aus der Versicherungsbranche – ihre Prozesse mit dieser etablierten Methode ab, füllen die Plakate oft ganze Wände großer Räume.

Anhand der Phasen werden sodann die Kontaktpunkte, die die betrach­te­te Persona mit dem Angebot bzw. dem Anbieter hat, systematisch un­tersucht. Die einzelnen Punkte werden auf Post-its notiert und aufge­klebt.

1. Anbieterziele:
Welches Ziel verfolgt der Anbieter an diesem Kontaktpunkt in dieser Phase?

2. Kundenbedürfnis & ‑handeln:
Welches Bedürfnis hat hingegen der Nutzer bzw. Interessent? Wie handelt er?

3. Kontaktpunkt:
Wie ist der Kontaktpunkt faktisch gestaltet? Wie sieht die Realität aus? Das Produkt oder die Werbung, die Website etc.? Wie verhält sich der Anbieter? Wie ist das Umfeld gestaltet (der Raum, die Sitzgelegenhei­ten, die Temperatur ...)?

4. Kundenbewertung:
Wie passen Kundenwunsch und erlebte Realität zusammen? Wie bewertet die Persona den Kontakt bzw. die Phase? Welche Emotionen erlebt sie?

Neben einer verbalen Umschreibung der Qualität der Emotion (z. B. Glückseligkeit, Verärgerung, Verblüffung) wird das emotionale Erleben auf einer Skala abgebildet. Die Punkte auf der Skala werden mitein­ander verbunden, so dass man nach Bearbeitung der CTMM ein Profil des emotionalen Erlebens des Prozesses hat.

In der Kundenbewertung wird auch die Relevanz des Kontaktpunktes erfasst: zum Beispiel „+++“ für hohe Relevanz und „---“ für geringe Rele­vanz. Hierbei ist die Relevanz aus Nutzersicht gemeint – die Wichtigkeit des Kontaktpunktes für die Zufriedenheit der Persona. Diese Informa­tion hilft dem Anbieter, die eigenen Ressourcen sinnvoll, effektiv und effizient einzusetzen. Ärgert sich beispielsweise ein Interessent über ungünstige Öffnungszeiten eines Büros, ist das für ihn aber letztlich nicht so tragisch, so zeigt das weniger Handlungsbedarf auf als für einen anderen Nutzer, den das so sehr beeinträchtigt, dass er wütend in den nächsten Schritt geht oder die Nutzung gar abbricht. Man nennt die Touchpoints mit hoher Relevanz auch „moments of truth“, also Mo­men­te der Wahrheit, weil sich hier für den Nutzer zeigt, wie kunden­orientiert, freundlich, empathisch oder höflich das Gegenüber ist: Nimmt mich die Kirche mit meinen Bedürfnissen wahr und ernst?

Die Beeinflussbarkeit ist auch von Bedeutung und zu markieren: Was faktisch nicht geändert werden kann, wird zur kommunikativen Auf­gabe. Durch Transparenz kann dann ggf. die Erwartungshaltung des Nutzers geändert werden und so eine stärkere Passung zwischen Erwar­tung und Wahrnehmung erreicht werden. Ist aber bei mäßiger oder schlechter Kundenbewertung eines relevanten Touchpoints eine Beein­flussbarkeit gegeben, wird nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht:

5. Verbesserungsmöglichkeiten:
Durch welche Maßnahmen ließe sich das Kundenerlebnis verbessern? Hier werden die Ideen notiert, die zur Steigerung der Zufriedenheit der Nutzer an diesem Kontaktpunkt führen. Und auch: Wie hoch ist der Auf­wand dafür? Der Aufwand für die Verbesserung muss in einem ver­nünf­­ti­gen Verhältnis zum Ergebnis stehen (Effizienz). Und schließlich ist auch zu betrachten, wie hoch der Wirkungsgrad der Maßnahme ist, also, in welchem Ausmaß die Maßnahme zu einer Verbesserung des Nutzererlebens beiträgt (Effektivität).

Ein angerissenes Beispiel

Alex und seine Freundin möchten die gemeinsame Tochter taufen lassen.

In der Phase Aufmerksamkeit & Orientierung: Alex sucht im Internet nach „Taufe Musterstadt“. An erster Stelle findet er einen Treffer der lokalen Zei­tung. Sie berichtet: „Musterstadt: Kirche verweigert Taufe“. Erst im weite­ren Lesen merkt er, dass es um eine andere Konfession geht, aber er fühlt sich in seiner Meinung, dass Kirche einfach nicht kundenorientiert und freund­lich ist, bestätigt. Systematisch betrachtet:

1. Anbieterziele: Kontaktaufnahme

2. Kundenbedürfnis & ‑handeln: Information: „Wie kann ich mein Kind taufen lassen?“ Suche dazu im Internet

3. Kontaktpunkt: Website der Zeitung, negativer Bericht

4. Kundenbewertung: Unwohlsein, Bestätigung der schlechten Meinung
Relevanz: relativ gering (-)
Beeinflussbarkeit: keine (---)

5. Verbesserungsmöglichkeiten: Bereich auf der eigenen Website, der sehr serviceorientiert, einladend und wertschätzend über die Taufe in­for­miert und die Voraussetzungen für die Taufe erwähnt
Aufwand: mittel (+)
Wirkungsgrad: gering (-), da es keine Garantie gibt, dass der Zeitungs­leser auch die Website der Gemeinde aufruft.

Alex findet die Website der Gemeinde – sie ist leider nicht responsiv, passt sich also nicht in der Darstellung an sein Smartphone an, was die Bedienung zu einem Geduldspiel macht. Alex findet auf der Website einen Aufruf zu Kuchenspenden für das nächste Pfarrfest. Er sucht intensiv – findet aber keine Infos zur Taufe.

1. Anbieterziele: Kontaktaufnahme

2. Kundenbedürfnis & ‑handeln: Information: „Wie kann ich mein Kind taufen lassen?“ Suche dazu im Internet

3. Kontaktpunkt: Website der Gemeinde

4. Kundenbewertung: Unmut, Unverständnis
Relevanz: groß (++)
Beeinflussbarkeit: sehr groß (+++)

5. Verbesserungsmöglichkeiten: 1) Bereich auf der eigenen Website, der sehr serviceorientiert, einladend und wertschätzend über die Taufe informiert, 2) Verbesserung der Technik
Aufwand: 1) mittel (+), 2) hoch (++)
Wirkungsgrad: 1) sehr groß (+++) , 2) sehr groß (+++)

Alex findet eine Mailadresse des Pfarrbüros. Er schreibt eine leicht frustrierte Mail ans Büro, in der er fragt, ob sie am 27. Mai Taufe feiern können. Er be­kommt eine formale Mail, der ein PDF angehängt ist – u. a. mit diesem In­halt: „Anmeldungen zur Taufe, mit Vorlage einer Geburtsurkunde, sind in unseren Pfarrbüros möglich. Dabei ist auch für den Paten bzw. für die Patin eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche not­wendig. Das Sakrament der Taufe wird in gemeinsamen Feiern in unseren drei Gemeindekirchen gespendet. Die freien Termine erfragen Sie bitte in den Pfarrbüros.“

1. Anbieterziele: Vereinbarung eines Termins

2. Kundenbedürfnis & ‑handeln: Information: Kann ich am 27. Mai Taufe feiern? Was ist dafür nötig? Hoffentlich ist es unkompliziert.

3. Kontaktpunkt: E-Mail; formale, pauschale Antwort

4. Kundenbewertung: Frust, es ist so umständlich. Man braucht Bescheinigungen schon bei der Anmeldung (wo bekommt man die überhaupt?). Einen Termin habe ich nicht erfahren, ich muss hingehen.
Relevanz: groß (++)
Beeinflussbarkeit: sehr groß (+++)

5. Verbesserungsmöglichkeiten: freundliche, individuelle Mails; flexible Handhabung: Es müssen nicht alle Bescheinigungen beim ersten Kontakt vorliegen.
Aufwand: mittel (+)
Wirkungsgrad:
groß (++)

Abb. 4: Detail einer ausgefüllten Customer Touchpoint Management Matrix (CTMM)

So wird Schritt für Schritt, Touchpoint für Touchpoint, die „Reise“ des Kunden untersucht. Wie man am ersten sehen kann, werden nicht nur die Kontaktpunkte untersucht, die der Anbieter selber steuern kann, sondern auch jene, die durch Dritte geprägt werden.

Hypothesen testen, Nutzer einbeziehen

Die CTMM liefert viele Ansatzpunkte für konkrete Verbesserungen. Allerdings muss man als Anbieter vor Augen haben, dass alles, was auf der CTMM geschrieben ist, eigene Hypothesen sind, die es zu testen gilt. Manche Hypothesen lassen sich ganz schnell überprüfen: Was erscheint eigentlich unter den ersten Treffern, wenn ich bei Google meinen Stadt­namen und Taufe eingebe?

Aber es wäre auch zu prüfen: Wie gehen Performer tatsächlich vor, wenn sie ihr Kind taufen lassen wollen? Stimmen meine jeweiligen Annahmen? Dazu kann man z. B. qualitative Interviews mit Menschen führen, die genau das kürzlich getan haben.

Gerade wenn man im Team an der CTMM arbeitet, ist es hilfreich, die zu testenden Hypothesen genau zu formulieren und sich ein entspre­chen­des Testverfahren zu überlegen. Ebenso ist festzulegen, wie bis zu welchem Zeitpunkt ein Test durchgeführt wird und bei welchem Ergeb­­nis die Hypothese abzulehnen ist.

Beispiele für Hypothesen könnten sein:

  • Performer informieren sich im Internet.
  •  Sie nutzen dabei (auch) ihr Smartphone.
  • Sie suchen vor allem organisatorische Informationen.
  • Sie wünschen einfache Zugänge zu Terminen.
  •  

Das Testverfahren könnte sein, dass das Entwicklungsteam sich vornimmt, 20 „ehemalige“ Taufelternteile aus dem Milieu in qualitativen Interviews zu befragen. Jedes der fünf Teammitglieder interviewt vier Leute. Eine These gilt als abgelehnt, wenn sie bei sieben Befragten nicht zutrifft.

Es gilt aber nicht nur, mehr über die Bedürfnisse und Probleme der Nutzer zu erfahren, sondern auch, ihre Lösungskompetenz zu nutzen. Wie würden sie einen Kontaktpunkt gestalten? Was würde aus ihrer Sicht sinnvoll und hilfreich sein? Das Nutzen des Lösungswissens der Adressaten eröffnet Zugang zu unkonventionellen Ansätzen, auf die man aus Binnensicht nicht gekommen wäre. Vielleicht erfährt man dabei, dass ein Windelhersteller zum ersten Geburtstag des Kindes gratuliert und dass das auch eine nette Geste der Kirche sein könnte.

Durch die Nutzerinteraktion und ‑inklusion nähert sich man so schrittweise einem am Nächsten orientierten, innovativen Angebot.

Anwendungsfelder

Die CTMM wird im Kontext von Angebotsentwicklung und Innovation eingesetzt. Sie kann überall dort verwendet werden, wo es um die Ana­ly­se und Optimierung bestehender Angebote geht. Dabei ist es we­sent­lich, verschiedene Nutzertypen zu identifizieren und die Prozes­se je­weils für diese Typen zu durchlaufen. Wichtig bei der Bearbeitung ist eine ehrliche Nutzerorientierung – es ist nicht hilfreich, sich in der Phantasie die Nutzerwünsche passend zum schon Bestehenden zu den­ken. Deswegen ist es auch essentiell, die getroffenen Annahmen zu über­prüfen und Adressaten einzubeziehen. Auch bei der dezidierten Ausgestaltung neuer, innovativer Angebotsideen ist die CTMM hilf­reich, weil sie das Angebot nicht als Bündel von Merkmalen betrachtet, sondern aus Nutzersicht seinen Prozess durchläuft und passend kon­struiert. Das haptische, fast spielerische der CTMM macht sie zu einem sehr geeigneten Instrument für die Bearbeitung der Aufgabe im Team.

Die im Beispiel verwendete CTMM kann über www.hahmann-dessoy.de bezogen werden.