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Kirchliche Organisationen führen

Aufgaben und Werkzeuge

Benedikt Jürgens schlägt ein Modell der Führung kirchlicher Organisa­tionen vor, das dieser drei Kernaufgaben zuweist: die Bearbeitung des Verhält­nis­ses der kirchli­chen Organisation zu ihrer Sendung (Deuten), zu ihrer Umwelt (Positionieren) und zu ihrer Organisationsform (Steuern). Ursprünglich säku­lare „Management-Tools“, die heute auch im kirch­lichen Bereich ge­bräuchlich sind, werden diesen drei Aufgaben zuge­ordnet.

Die katholische Kirche im deutschsprachigen Raum ist seit dem 19. Jahr­­hundert von einem umfassenden Organisierungsprozess ge­prägt, der sich nach dem 2. Weltkrieg noch einmal verstärkt hat. Dachte man beim Stichwort „katholische Organisationen“ lange Zeit an die Vereine, Verbände und Kongregationen des katholischen Milieus, muss man heute auch die verfasste Kirche in diese Betrachtung mit einbezie­hen. Nicht nur das ZdK, der BDKJ, die kfd, Caritasverbände und Kran­ken­­­­haus­trägergesellschaften, sondern auch die Deutsche Bischofskonfe­renz, die Generalvikariate, Pfarreien und Gemeindeverbände haben Satzungen, Organigramme und Geschäftsordnungen, in denen die Entscheidungsprozesse, Kommunikationswege und der Personaleinsatz des Alltagsbetriebes geregelt werden. Auch die kirchlichen Beratungs- und Entscheidungsprozesse haben eine starke organisatorische Basis. Das gilt sowohl für die kirchenrechtlich normierten und regulierten Beratungsprozesse wie Bischofs- und Diözesansynoden als auch für die freieren Formate wie Gesprächs-, Dialog- und Zukunftsbildprozesse auf nationaler und diözesaner und Prozesse zur Entwicklung von Pastoral­konzepten auf parochialer Ebene. Alle diese Prozesse sind extrem vor­aus­setzungsreich und sind ohne sorgfältige Planung und professionelle Organisation undenkbar.

Sozialwissenschaftliche und ekklesiologische Deutungen von Organisation

Nun kann man das Phänomen der organisatorischen Ausdifferenzierung der Kirche natürlich unter einer säkularen Perspektive betrachten. Das gesellschaftliche Teilsystem Religion mit seiner für das Christentum typi­schen Sozialform „Kirche“ hat dabei wie alle anderen Teilsysteme auch Organisationen ausdifferenziert, die die flüchtigen und zufälligen Interaktionen zwischen Einzelpersonen in dauerhafte Kommuni­ka­tions­formen überführen (Niklas Luhmann) und zwischen den Einzelnen und der Gesellschaft vermitteln (Karl Gabriel). Darüber hinaus hat die organisatorische Ausdifferenzierung der katholischen Kirche aber auch durchaus eine ekklesiologische Dimension. In der Lehre des Zweiten Vati­kanischen Konzils ist die Kirche eine realitas complexa, in der imma­nente und transzendente Dimensionen in einer in sich differenzierten Einheit miteinander verbunden sind. In diesem Zusammenhang hat das Konzil den Begriff der compago visibilis oder compago socialis eingeführt, in der sich die imma­nente Dimension der realitas complexa als konkrete organisatorische Gestalt manifestiert, sodass diese auch ekklesiologisch relevant ist.

„Führen und Leiten“

In der im kirchlichen Bereich verbreiteten Rede von „Führen und Lei­ten“ wird diese organisatorische Dimension unter dem Begriff „Leiten“ subsumiert. In diesem Verständnis bedeutet „Leiten“, Systeme funktio­nal zu organisieren, Rollen und Positionen in einem System zu definie­ren und Aufgaben und Befugnisse zu beschreiben. Im Fokus von „Lei­ten“ stehen Strukturen, formale Abläufe und Befugnisse. Leiten bezieht sich auf die „Organisationssteuerung“. „Führen“ hingegen bedeutet, die Organisation nach innen auszurichten und nach außen zu positionie­ren. Es geht um Kommunikation, Werteorientierung, Mitarbeiterfüh­rung und Teamentwicklung. Im Fokus von „Führen“ steht die Prozess­gestaltung (vgl. Dessoy 2010).

Dieses Führungsmodell wird jedoch den Anforderungen an die Führung von kirchlichen Organisationen nicht gerecht. Zum einen wird in der rea­len kirchlichen Führungspraxis der wichtige Aspekt der Positionie­rung der Organisation nach außen kaum mit „Führung“ verbunden. „Führung“ wird in der Regel auf Mitarbeiterführung reduziert. Und die Ausblendung dieser gesellschaftlichen Dimension von Führung führt nicht nur dazu, dass die Positionierung kirchlicher Organisationen in der Gesellschaft nicht systematisch in den Blick kommt, sondern darü­ber hinaus auch übersehen wird, dass die Gesellschaft über die Mitar­bei­terinnen und Mitarbeiter sowie die Mitglieder in die kirchlichen Organisationen inkludiert ist, und dieser Aspekt bei der Personal­füh­rung übersehen oder mindestens unterschätzt wird. Und das ist nicht nur in sozialwissenschaftlicher Perspektive ein Defizit. Vielmehr wird die vom Zweiten Vatikanischen Konzil grundgelegte und theologisch begründete Öffnung der katholischen Kirche zur Welt (Gaudium et spes), zu den anderen christlichen Konfessionen (Unitatis redintegratio) und zu den anderen Religionen (Nostra aetate) im verkürzten, aber verbreiteten Verständnis des Begriffspaars „Führen und Leiten“ nicht berücksichtigt.

Darüber hinaus ist „Führen und Leiten“ blind für den genuin theologi­schen Aspekt von Führung: In welcher Beziehung steht die jeweilige kirchliche Organisation zur Sendung und zum Auftrag der Kirche? Oft verbindet man diesen As­pekt mit dem Begriff des „Leitens“, der dann als „geistliche Leitung“ interpretiert wird. Aber ähnlich wie die Positio­nierungsdimension bei „Führen“ kommt der geistlich-theologische Aspekt bei „Leiten“ nicht systematisch in den Blick.

Aus diesem Grund schlage ich ein Modell vor, in dem die Führung kirch­licher Organisationen drei Kernaufgaben hat:

  1. Deuten: Bearbeitung des Verhältnisses der kirchlichen Organisa­tion zu ihrer Sendung
  2. Positionieren: Bearbeitung des Verhältnisses der kirchlichen Orga­nisation zu ihrer Umwelt
  3. Steuern: Bearbeitung des Verhältnisses der kirchlichen Organisa­tion zu ihrer Organisationsform

Diese Kernaufgaben werden im Folgenden erläutert. Dabei werden ihnen auch im kirchlichen Kontext gebräuchliche Führungswerkzeuge zugeordnet, so dass deutlich wird, in welchem Zusammenhang diese ursprünglich säkularen „Management-Tools“ sinnvoll eingesetzt wer­den können.

Deuten

Führung hat die Aufgabe, das Verhältnis der jeweiligen kirchlichen Organi­sation zur kirchlichen Sendung zu bearbeiten. Dabei ist die Fähigkeit grundlegend, sowohl die kirchlichen Ursprünge als auch die Herausforderungen der Gegenwart zu verstehen und beides in eine produktive Beziehung zu bringen. Diese Kompetenz schließt die Fähig­keit ein, den Transzendenzbezug der kirchlichen Organisation deutlich zu machen und die kirchliche Organisation als Ort der Gotteserfahrung zu profilieren: Welchen Beitrag leisten das Generalvikariat, die Pfarrei, das Krankenhaus, der Verband, die Trägergesellschaft, die Stiftung oder der Verein, um die kirchliche Sendung, die Begegnung zwischen Gott und den Menschen und der Menschen untereinander (vgl. LG 1) zu verwirklichen? In welchem Verhältnis stehen Schrift, Tradition und Lehramt zur konkreten pastoralen Situation?

Das im kirchlichen Bereich aktuell wohl verbreitetste Instrument zur Deutung kirchlicher Sendung sind die Leitbildprozesse. In der Kirche werden dazu die bereits erwähnten Bischofs- und Diözesansynoden sowie die Gesprächs-, Dialog- und Zukunftsbildprozesse auf nationaler und diözesaner und Prozesse zur Entwicklung von Pastoralkonzepten auf parochialer Ebene genutzt. Insbesondere bei der Gestaltung der nicht kirchenrechtlich normierten, freieren Formate stehen in der Regel säkulare Modelle zur Entwicklung von Leitbildern Pate (vgl. z. B. Bleicher 1999, 99–152; Dillerop/‌Stoi 2013, 59–160).

Leitbilder haben die Aufgabe, die Arbeit in einer Organisation auf eine gemeinsame Vision hin auszurichten, die im Unterschied zur informel­len Organisationskultur schriftlich in wenigen, prägnant formulierten Sätzen fixiert wird. Sie dienen dazu, die in einer Organisation gelebten Werte, Normen und Einstellungen transparent zu machen und dadurch eine größere Verbindlichkeit herzustellen. Ein Leitbild hat in der Regel einen Zukunftsbezug; es bringt zum Ausdruck, in welche Richtung sich eine Organisation in einem bestimmten Zeitraum entwickeln soll.

Wesentlich für die Funktionsfähigkeit eines Leitbilds ist die Art und Weise, wie es eingeführt wird. Dazu gibt es drei Möglichkeiten. Wenig empfehlenswert sind der Top-down-Ansatz, bei dem die Organisations­leitung das Leitbild vorgibt, und der Bottom-up-Ansatz, bei dem das Leitbild von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelt wird. Der Top-down-Ansatz hat partizipative Defizite, die nicht nur Probleme bei der Akzeptanz, sondern auch bei der Qualität verursachen. Hier ist das Risiko sehr hoch, dass Leitbilder ihre Funktionen (Orientierung, Motivation, Integration und Identifikation, Positionierung, Legitima­tion) nicht erfüllen können, sondern zu Hochglanzbroschüren verkom­men, die ungelesen in den Schubladen landen. Beim Bottom-up-Ansatz hingegen besteht die Gefahr, dass das Leitbild nur bedingt anschlussfä­hig an wichtige strategische Vorgaben ist. Im Unternehmenskontext sind das in der Regel Erwartungen der Eigentümer, im kirchlichen Kon­text können es Vorgaben der nächsthöheren Hierarchieebene (Bistum oder Weltkirche) sein. Deshalb ist ein mittlerer Ansatz empfehlenswert, bei dem zunächst möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Mit­glieder, Gremienvertreter und Vertreter weiterer Anspruchsgruppen eingebunden und nach ihren Ideen und Erwartungen befragt werden. Diese Ideensammlung kann dann in Arbeitsgruppen und Projektteams strukturiert und zu Handlungsempfehlungen verarbeitet werden. Diese können anschließend noch einmal der ganzen Organisation mit der Bit­te um Rückmeldungen vorgelegt werden, bevor sie dann der Organisa­tions­leitung oder den zuständigen Gremien zur endgültigen Entschei­dung übergeben werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass so­wohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingebunden werden als auch die Leitungsebene eine strategische Ausrichtung sicherstellen kann. Im kirchlichen Kontext gibt es darüber hinaus die Besonderheit, dass die Sendung der Kirche zu berücksichtigen ist. Diese Dimension wird in kirchlichen Leitbildprozesse in der Regel durch spirituelle Im­pulse und theologische Reflexionen berücksichtigt.

Positionieren

Die in einem Leitbild zum Ausdruck gebrachte Vision einer Organisa­tion steht nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einem konkreten gesellschaftlichen Kontext. Deshalb hat Führung die Aufgabe, das Ver­hältnis der jeweiligen Organisation zur kirchlichen und gesellschaft­lichen Umgebung, zu den Institutionen, Organisationen und Netzwer­ken im Umfeld zu bearbeiten und die Kirche als gesellschaftlich rele­vante Akteurin zu profilieren. Welchen Beitrag leistet die jeweilige kirchliche Einrichtung zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung? Mit wem arbeitet sie warum und mit welchem Ziel zusammen? Welche Positionen vertritt sie in den für sie relevanten gesellschaftlichen Dis­kursen? Welche Diskurse sind relevant? Dazu gehört die Fähigkeit, einerseits ein starkes kirchliches Profil zu entwickeln und andererseits deutlich zu machen, welche spezifischen Beiträge die kirchliche Organi­sation zur Lösung zentraler gesellschaftlicher Aufgaben leistet.

Eines der verbreitetsten Instrumente, um Organisationen in ihrem ge­sellschaftlichen Umfeld zu positionieren, ist die SWOT-Analyse (vgl. Mintzberg 1995; Kotler/‌Lane 2015). Das Akronym SWOT steht für Strengths und Weaknesses, Opportunities und Threats, also Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken. Die beiden letzten Kategorien beziehen sich auf die Umwelt und ermöglichen eine externe Analyse. Welche Chancen bieten sich im Umfeld einer Organ­i­sation? Aufgrund welcher gesellschaftlichen Entwicklungen könnten potenzielle Mitar­bei­terinnen und Mitarbeiter besonders gut angesprochen werden (z. B. Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wunsch nach sinnvollen Berufsfeldern)? Wo ergeben sich anderseits besondere Risiken, die einen Erfolg bedrohen könnten (z. B. verstärkter Wettbewerb im sozialen und medizinischen Bereich, Entwicklung der Kirchensteuer als Einnahmebasis)? Die interne Analyse setzt bei den Stärken und Schwächen einer Organisation an. Was kann eine Organisa­tion besonders gut? Auf welche Ressourcen und Kompetenzen kann sie zurückgreifen (z. B. gute Weiterbildungsangebote, angenehmes Arbeits­klima)? Aber auch Schwächen kommen in den Blick: Wo ist eine Organi­sa­tion nicht gut? Welche Fehler macht sie und welche Defizite hat sie (z. B. fehlende Rückmeldekultur, unklare Prozesse, fehlende Karriere­perspektiven)? Wird eine solche SWOT-Analyse systematisch durchge­führt, ergeben sich konkrete Ansätze zur strategischen Positionierung einer Organisation in ihrem Umfeld. Die Chancen und Stärken einer Organisation verdeutlichen, in welche Richtung das Profil geschärft und welches Potenzial in Zukunft genutzt werden sollte. Die Risiken und Schwächen geben Hinweise dafür, von welchen Aktivitäten man sich möglicherweise verabschieden sollte und welche Kompetenzen weiter­entwickelt werden sollten.

Die sich aus einer solchen Analyse ergebenden strategischen Optionen können durch Ansätze aus der Netzwerkanalyse ergänzt werden, um Kooperationspartner und weitere Unterstützer außerhalb der eigenen Organisation gezielt zu identifizieren (vgl. Ebers/‌Maurer 2014; Zimmer 2015; Zimmer u. a. 2017). Diese Fähigkeit wird auch deshalb immer wichtiger, weil durch die knapper werdenden Ressourcen nicht mehr alle Aufgaben von der eigenen Organisa­tion wahrgenommen werden können. Die Netzwerkanalyse ermöglicht es Akteuren, ihre eigene Posi­tion innerhalb eines Netzwerks besser zu verstehen und zu erkennen, mit welchen anderen Akteuren sie auf welche Weise im Netzwerk ver­bunden sind. Dabei ist zunächst zwischen der strukturellen und der relationalen Einbettung von Akteuren zu unterscheiden. Unter struk­turellem Aspekt wird gefragt, nach welchem Muster die Netzwerk­verbindungen zwischen den Akteuren „gestrickt“ sind oder wie die strukturelle Posi­tion eines Akteurs innerhalb eines Netzwerks beschrie­ben werden kann. Unter relationalem Aspekt hingegen wird gefragt, welche Inhalte zwischen Akteuren ausgetauscht werden und wie die Beziehung zwischen Akteuren aussieht.

Klug genutzte Netzwerke können Zugänge zu Ressour­cen ermöglichen. Ein zentraler Akteur mit vielen Netzwerkkontakten, aber wenig Res­sourcen (Wissen, aber auch Finanzen) kann für einen ressourcenstarken externen Partner interessant sein, weil er viele Netzwerkkontakte und damit möglicherweise interessante Informationen zur Verfügung stel­len kann. Der aufgrund seiner zahlreichen Netzwerkkontakte zentrale Akteur bekommt im Austausch Zugang zu den Ressourcen des externen Akteurs. Interessant sind auch Akteure, die Kontakte zu zwei oder meh­re­ren Netzwerkakteuren haben, die jeweils mit anderen Akteuren, aber nicht untereinander verbunden sind. Bei den nicht miteinander ver­bundenen Netzwerkakteuren spricht man von „strukturellen Löchern“. Akteure, die Verbindungen zu ihrerseits nicht verbundenen Akteuren aufweisen, können auf diese Weise eine Brückenposition wahrnehmen, Informationen weitergeben, die Reichweite von Kontakten erhöhen und dadurch in eine strategisch bedeutsame Position kommen. Netzwerke mit strukturellen Löchern ermöglichen einen schnellen Zugang zu hete­ro­gener Information, während geschlossene Netzwerke mit Kontakten zwischen allen Netzwerkakteuren durch Kooperation, Gegenseitigkeit und Verlässlichkeit gekennzeichnet sind.

Mit der Netzwerktheorie kann auch erklärt werden, wie und warum sich Akteure in einem Netzwerk verändern. So „konvergieren“ Akteure in ihren charakteristischen Eigenschaften, wenn sie einer gleichen Netz­werk­­­umgebung ausgesetzt sind, also in der gleichen Position und unter gleichen Bedingungen handeln. Strukturell äquivalente Positionen glei­chen sich in Netzwerken tendenziell an. Entstehen Ähnlichkeiten nicht aufgrund struktureller Netzwerkpositionen, sondern aufgrund von di­rekten Interaktionen zwischen Akteuren, spricht man von „Anste­ckung“.

Steuern

Schließlich hat kirchliche Führung die Aufgabe, das Verhältnis „ihrer“ Einrichtung zur jeweiligen Organisationsform zu bearbeiten. „Kirche“ gibt es nicht abstrakt, sondern immer in konkreten Organisationsfor­men. In Deutschland sind es Körperschaften des öffentlichen Rechts, Verbände und Vereine, Stiftungen, GmbHs u. Ä. Für jede Organisations­form ergibt sich eine eigene, spezifische Logik, die es zu beachten gilt, um verlässliche und verbindliche strukturelle Rahmenbedingungen für die Arbeit der Organisation zu entwickeln und zu pflegen. Es gilt, eine zielorientierte, zweckmäßige und an den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext anschlussfähige und zur spezifischen kirchlichen Sendung pas­sende Organisationsform aufzubauen, zu pflegen und kontinuierlich weiterzuentwickeln (vgl. Kieser/‌Walgenbach 2010).

Die Entwicklung einer solchen Organisationsform kann wirkungsvoll durch eine Balanced Scorecard (BSC) unterstützt werden. Dieses In­strument will die entscheidenden Steuerungsgrößen wie in einem Cockpit zusammenfassen und die Organisationssteuerung dadurch vereinfachen und erleichtern. Gleichzeitig soll die BSC auch in ihrer betriebswirtschaftlichen Ursprungsversion (vgl. Kaplan/‌Norton 2001) eine Fixierung auf Finanzkennzahlen vermeiden und eine ganzheitliche und ausbalancierte Sicht auf Organisationen ermöglichen. Leitend bei der Entwicklung einer BSC sind vier Prinzipien: (1) Organisationen wer­den durch Ziele gesteuert. (2) Die Ziele werden messbar formuliert. (3) Die einzelnen Ziele einer BSC dürfen sich nicht widersprechen, son­dern müssen miteinander ausbalanciert werden. (4) In einer BSC wer­den die Analyseperspektiven so miteinander verknüpft, dass sie sich gegenseitig unterstützen und verstärken. Dazu wird die in einem Leit­bild entwickelte Vision einer Organisation (s. o.) systematisch unter vier verschiedenen Perspektiven konkretisiert:

  • Kunden: In welchen Kundensegmenten können Vision und Strategie umgesetzt werden? Welches Angebotsportfolio ist zielführend?
  • Finanzen: Wie kann der finanzielle Erfolg erreicht werden?
  • Prozesse: Wie müssen die Geschäftsprozesse gestaltet sein, damit Kunden und weitere Anspruchsgruppen zufrieden sind?
  • Potenzial: Wie sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefördert werden?

Für jede der einzelnen Perspektiven werden jeweils strategische Ziele, Schlüsselaktivitäten und Kennzahlen formuliert. Die Einführung einer BSC ist ähnlich wie die Einführung eines Leitbildes mit einem struktu­rier­ten Prozess verbunden. Ausgangspunkt ist wiederum (1) eine detail­lierte Ist-Analyse, in der strategische Geschäftsfelder identifiziert, Ziele festgelegt und Kennziffern definiert werden. Darauf werden dann (2) spezifische Vorschläge zur Gestaltung einer BSC unter Beteiligung mög­lichst aller relevanten Schlüsselpersonen und Experten erarbeitet, die anschließend (3) von der Organisationsleitung auf die Anschlussfähig­keit zur strategischen Gesamtausrichtung überprüft, überarbeitet und beschlossen werden. (4) Schließlich muss die BSC in die Organisations­prozesse eingeführt und ihre Umsetzung sichergestellt werden.

Eine Adaption der BSC an den kirchlichen Kontext haben Bernd Halfar und Andrea Borger mit einer Balanced Church Card (BCC) vorgeschla­gen (Halfar/‌Borger 2007). Vision und Strategie stehen auch im Zentrum der BCC. Die einzelnen Karten der BCC erfassen folgende Perspektiven einer kirchlichen Organisation:

  • Auftrag und Angebot: Was wollen wir? Welche Angebote wollen wir? In welcher Intensität und Qualität? Für welche Zielgruppen? Was ist unverzichtbar? Worauf kann verzichtet werden?
  • Ressourcen: Was haben wir? Welche finanziellen, personellen und räumlichen Ressourcen werden benötigt? Wie können die zur Verfügung stehenden Ressourcen verteilt werden?
  • Organisation und Prozesse: Wie machen wir was? Wie können interne Prozesse optimiert werden?
  • Wissen und Entwicklung: Welche Menschen sind beteiligt? Welche Kompetenzen werden benötigt? Wie können diese Kompetenzen entwickelt werden?

Organisationsstrategien, die z. B. von einer BSC vorgegeben werden, wer­­den von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgesetzt und verwirk­licht. Dabei können Ziele Orientierung geben. Das Führen durch Ziele (Management by objectives, MbO; vgl. Drucker 2001; Malik 2006) ist wohl die verbreitetste Management-Methode, um Organisationen zu steu­ern. Dieser Führungsansatz geht davon aus, dass Organisationen nicht durch Anordnungen, Anweisungen oder gar Befehle gesteuert werden können, sondern sich durch Ziele letztlich selbst steuern. Auf der Grund­lage der aus der Vision und der Strategie abgeleiteten Organisa­tionsziele werden Bereichs-, Abteilungs- und individuelle Ziele ent­wickelt, an denen deutlich wird, welchen Beitrag die jeweilige Organisa­tionseinheit zum Erreichen der Gesamtziele leistet. Wichtig ist bei die­sem Ansatz, dass die Ziele nicht vorgegeben, sondern von den jeweils Verantwortlichen selbst ent­wickelt werden. Auf diese Weise ist die ganze Organisation von der Organisationsleitung bis hin zur einzelnen Mitarbeiterin bzw. zum einzelnen Mitarbeiter in den Zielentwicklungs­prozess eingebunden. Die einzelnen Ziele werden in Zielvereinbarungs­gesprächen smart (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und termi­niert) formuliert und verbindlich vereinbart. Denkbar sind sowohl „har­te“ Ziele, die präzise in Zahlen ausgedrückt werden können, als auch „weiche“ Ziele wie die Qualität von Leistungen oder Kundenzufrieden­heit, die zwar nicht in Zahlen ausgedrückt, wohl aber mit Indikatoren hinterlegt werden können. MbO erhöht die Identifikation der Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter mit der Organisation und die Eigenverant­wort­lichkeit aller Beteiligten.

Das Führen durch Ziele kann wirkungsvoll durch Stellen-, Rollen- und Anforderungsprofile unterstützt werden. Sie beschreiben die funk­tiona­len Positionen der Organisation und machen deutlich, welchen Beitrag sie zum Erreichen der Gesamtziele leisten (vgl. Jürgens 2013; Reiß 2014). In solchen Positionsbeschreibungen werden die organisa­to­rische Einordnung der jeweiligen Stelle (Vorgesetzte bzw. Vorgesetzter und zugeordnete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Vertretungsregeln, Be­fugnisse), die Funktion und die damit zusammenhängenden Ziele der Stelle, die Aufgaben und die Anforderungen beschrieben. Bei den Anfor­derungen kann differenziert werden zwischen den für die Stelle erfor­derlichen formalen Qualifikationen (Ausbildungs- und Studienab­schlüsse, Fort- und Weiterbildungen, Zusatzqualifikationen) und den Kompetenzen, die benötigt werden, um die mit der jeweiligen Stelle verbundenen spezifischen Probleme zu lösen. Stellen-, Rollen- und Anforderungsprofile haben die wichtige Funktion, die Differenz zwi­schen der Position innerhalb einer Organisation und der Person als Stelleninhaberin zu moderieren und in eine produktive Balance zu bringen. Sie machen die Erwartungshaltung der Organisation transpa­rent und dienen als Grundlage bei der Gestaltung von Auswahl- und Mitarbeitergesprächen. Letztlich unterstützen sie Führungskräfte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei, sich gegenseitig Feedback zu geben und sich Abweichungen zwischen Fremd- und Selbstbild bewusst zu machen. Werden Feedbackprozesse sorgfältig gestaltet und in eine systematische Personal- und Führungskräfteentwicklung integriert, können sie produktive Lernerfahrungen auslösen und damit einen wich­tigen Beitrag zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung leisten (vgl. Jürgens 2016).

Werkzeuge und Führungskräfteentwicklung

Werkzeuge sind extrem nützlich. Sie reduzieren Komplexität, erleich­tern die Arbeit und können eine große Wirkung erzielen. Allerdings sollte man wissen, wann man welche Werkzeuge zu welchem Zweck einsetzt, und den Umgang mit Werkzeugen üben. Das ist im säkularen Bereich, aus dem die vorgestellten Tools stammen, selbstverständlich. Wer sich die einschlägigen Angebote säkularer Anbieter von Führungs­kräfteentwicklungsprogrammen von Business Schools wie der Berliner Executive School of Management and Technology, der Universität St. Gallen oder der EBS in Wiesbaden, der Deutschen Universität für Ver­wal­tungswissenschaften in Speyer oder der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster ansieht, wird ein hochdifferenziertes Angebot von ca. vierwöchigen Basisqualifizierungen bis hin zu zweijährigen Masterstu­diengängen registrieren. Hier werden neben vielem anderen mehr unter anderem auch die oben beschriebenen Tools gelehrt, aller­dings einge­bet­tet in einen größeren konzeptionellen Zusammenhang und mit aus­reichend Zeit zur Reflexion und praktischen Einübung. Hier gibt es noch erheblichen Nachholbedarf in der katholischen Kirche.