Inhalt

Betriebswirtschaftliches Denken bei der Gestaltung kirchlichen Handelns

Keine Ablenkung von der wirklichen Botschaft, sondern Chance zu wirksamer Nachfolge

Wie für die Naturwissenschaften, Literaturwissenschaften und Humanwis­sen­schaften, so liegt es auch für die Wirtschaftswissenschaften nahe, dass ihre Betrachtungsweisen und Forschungsergebnisse kirchlicherseits nicht per se irrelevant oder gar verdammungswürdig sind. Dies gilt gerade heut­zu­tage, da sich angesichts schwindender Ressourcen die Frage nach der Effi­zienz und Effektivität kirchlicher Tätigkeiten zunehmend auf­drängt. Thomas Suermann de Nocker und Winfried Hinzen eröffnen eine Perspektive darauf, inwiefern betriebswirtschaftliches Denken auch inner­halb der Kirche nütz­lich und notwendig ist, aber auch, wie sein Einsatz angesichts falscher oder fehlender Zieldefinitionen auf eine schiefe Ebene geraten kann.

Wenn von der Verwendung betriebswirtschaftlicher Instrumente in der Kirche die Rede ist, ist damit oftmals eine Kritik verbunden. Der oberste Laienvertreter der Katholiken in Bayern appellierte im März diesen Jah­res an die Bischöfe, sich an dem Tun der frühen Christen zu orientieren „und nicht daran, was Unternehmensberater zur Effizienzsteigerung eines Apparates empfehlen“ (Schmid 2017). Wenn solch ein Gegensatz von inhaltlichen Zielen und einem effizienten Verwaltungsapparat be­steht, dann sind die Berater wahrlich schlecht gewählt.

Effizienz ist an sich bestimmt nicht unchristlich

Effizienz an sich ist aber erst einmal nicht schlecht. Die Betriebswirt­schaftslehre ist ganz nüchtern betrachtet die Wissenschaft der Knapp­heit: Instrumente und Methoden sollen entwickelt werden, diese zu verringern und mit begrenzten Mitteln möglichst viel zu erreichen. Was genau erreicht werden soll, das wird an anderer Stelle bestimmt.

Ist das unchristlich? Anders gefragt: Wo liegt die theologische Rechtfer­ti­gung für die Verschwendung von Finanz- oder Personalressourcen? Ist es falsch, möglichst wirksam Bedürftigen zu helfen und so viele Men­schen wie möglich mit der frohen Botschaft zu erreichen? Würde eine Verneinung der Existenz klarer kirchlicher Ziele in der Welt nicht dem Anspruch zuwiderlaufen, die Lebenssituation der Menschen verbessern zu wollen?

Und dazu kommt: Sind kirchliche Ressourcen unbegrenzt, oder gilt nicht das Bonmot, nach dem die Kirche keine Kuh ist, die im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken wird?

Dabei ist klar: Die Kirche und kirchliche Organisationen sind nicht pri­mär Wirtschaftsunternehmen. Welche Ziele es zu verfolgen gilt, diese Orientierung gibt es normalerweise nicht beim Unternehmens­berater. Da müssen der Heilige Geist und das Evangelium die Richtung vorge­ben. Auf welche Weise dann z. B. der hl. Petrus von Jerusalem nach Rom reist, um seine Ziele zu erreichen, ist eine Frage der Effizienz und des Ge­­schicks der Seeleute – und auch der Kaufleute.

Die BWL sorgt für Transparenz auch dort, wo man sie vielleicht nicht will

Die Betriebswirtschaft schafft in einem ersten Schritt Transparenz über den Einsatz von knappen Ressourcen. Diese Transparenz mag manchem in dem Sinne unethisch und verwerflich erscheinen, als dass sie Zusam­menhänge aufzeigt, die man insgeheim manchmal gar nicht wissen möchte. Diese können als Versuchungen aufgenommen werden: Wenn berechnet wird, wie teuer ein Gottesdienst pro Kirchenbesucher ist, wenn Personalkosten im Detail verglichen werden, dann wird damit zuweilen der Vorwurf verbunden, solche Fragen überhaupt auf das Tapet gebracht zu haben, da sie unethische Entscheidungen provozieren würden.

Es gibt aber sehr gute Gründe, warum Kosteneinsparungen nicht per se für die Kirche sinnvoll sind: wenn nämlich aus einem missverstandenen ökonomischen Verständnis heraus theologisch festzulegende Ziele ver­schoben werden sollen. Wenn also die Wirtschaft nicht mehr den kirch­lichen Zielen dient, sondern Primat über sie gewinnt. Maß zu nehmen ist an der möglichst weitgehenden Erreichung der kirchlichen Ziele.

Die Betriebswirtschaft bietet dafür Handwerkszeug, zu hinterfragen, ob denn nicht bei gegebenen Ressourcen ein Mehr an Zielerreichung mög­lich ist. Betriebswirtschaft fragt also per se nicht nach den Zielen kirch­lichen Handelns, sondern sie wirft die Frage nach alternativen Wegen auf. Nach Wegen, die mehr Effizienz bieten. Und sie zeigt die Grenzen auf, wo durch unkluges Handeln die Nachhaltigkeit der Zielerreichung verlorenzugehen droht.

Es ist nicht immer einfach, gerade bei Einsparungsdiskussionen, Umset­zungsalternativen und mögliche Zielverschiebungen auseinanderzu­halten. Dies ist aber notwendig, um sachlich voranzukommen und der Betriebswirtschaft dabei den rechten Platz zuzuweisen. Ein fairer Um­gang mit allen beteiligten Partnern und eine starke Organisationskultur mit hoher Identifikationskraft sind für jede Organisation Grundvoraus­set­zungen nachhaltigen Erfolgs. Das Zerrbild von wirtschaftlichem Den­ken, welches nur an kurzzeitigen Profit auf Kosten anderer aus ist, ist gewiss kein guter strategischer Ratgeber für die Kirche. Hinter Vorschlä­gen in diese Richtung verbirgt sich dann eine Unkenntnis von Kirche genauso wie Unwissenheit von strategischem Management.

Ein Ignorieren betriebswirtschaftlicher Instrumente verkennt tatsächliche Herausforderungen

Gut reflektiert werden müssen aber auch Vorschläge, die sich Instru­men­ten der Betriebswirtschaft komplett verschließen:

Während sich das Bistum Essen mit der Kampagne „Kirche kann Karrie­re“ potentiellen Bewerberinnen und Bewerbern präsentiert, sehen an­dere den Lohn für den kirchlichen Dienst allein im Himmelreich; auch gute Arbeitsbedingungen sind entsprechend unnötig. Sie deuten die regelmäßigen Warnungen des Papstes vor falschem Karrie­redenken da­hin, sich bei der Personalakquise nur auf die geistliche Dimension zu beschränken. Aber ist das hilfreich, wenn ein kompetenter Buchhalter für die kirchliche Verwaltung oder eine gute Chefärztin im katholischen Krankenhaus benötigt wird? Einstellung und Gebet allein reichen dann schnell nicht mehr aus.

Die Vielzahl der kirchlichen Arbeitsfelder, wie sie sich in den letzten Jahr­­zehnten in Deutschland herausgebildet hat, lässt sich nach Mei­nung der bischöflichen Finanz- und Personaldirektoren zukünftig so nicht aufrechterhalten. Die Betriebswirtschaft böte Entscheidungsin­stru­mente, hier sinnvolle Abwägeprozesse zu starten. Mit dem Argu­ment, solch ein gegenseitiges Aufwiegen sei schlicht unmöglich, weil ja überall der Heilige Geist weht, sind solche Prozesse aber ausgebremst. Letztendlich muss man sich einen Heiligen Geist dieser Art aber auch schlichtweg leisten können …

Im Ausland wird die Situation in Deutschland mit Erstaunen wahrgenommen

Im März dieses Jahres fand in Rom die erste Konferenz überhaupt zum Thema Kirchenmanagement statt. Neben Referentinnen und Referen­ten aller Erdteile nahm auch einer der Autoren teil. Der Blick aus dem Ausland auf die Situation in Deutschland war von drei Momenten des Erstaunens geprägt: dass man sich in Deutschland anscheinend gar nicht um Fundraising kümmern müsse, da es ja die Kirchensteuer gäbe, wie viele kirchliche Institutionen in Deutschland bestehen und welch hohe Summen insgesamt im Spiel sind. Viele Punkte, die aus deutscher Perspektive selbstverständlich sind, werden dort als Besonderheit wahr­genommen. Vor dem Hintergrund und der damit verbundenen hohen Verantwortung für die Mittelverwendung wurde mit Erstaunen wahrge­nommen, dass Forschung zum Thema Kirchenmanagement in Deutsch­land noch in den Kinderschuhen steckt und institutionell nur wenig ausgeprägt ist.

Bei allen Vorträgen und Workshops gab es zwei Themenfelder, die im­mer wieder diskutiert und zu denen Ideen vorgestellt wurden: zum einen Instrumente der Personalentwicklung, zum anderen Methoden zur Qualitätsmessung von Seelsorge und damit verbundene Möglich­keiten zu Steuerung und Controlling. Anzuerkennen war immer die hohe Sensibilität, mit der die Fragen kirchenspezifisch angegangen wurden.

An vorausschauender und sparsamer Mittelverwendung geht kein Weg vorbei

Ob einem die Betriebswirtschaft sympathisch ist oder nicht, ist irrele­vant. Die Begrenztheit kirchlicher Ressourcen und die Verantwortung gegenüber den Mittelgebern (Spender, Kirchensteuerzahler, Staat etc.) fordern im Interesse einer möglichst guten und nachhaltigen Zielerrei­chung eine vorausschauende und sparsame Mittelverwendung. Damit verbunden sind dann angemessene Formen des Controllings und Repor­tings, strategische Entscheidungsinstrumente, Transparenz über Ausga­ben und Ziele sowie effiziente Strukturen.

Aufbruch mit Abschied bedeutet besondere Herausforderung für Veränderungsgestaltung

Die aktuellen Rekordhöhen bei den Kirchensteuereinnahmen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in ausnahmslos allen Bistümern und Landeskirchen Deutschlands mittelfristig die zur Verfügung ste­hen­den Finanzmittel deutlich zurückgehen.

Die überall angestoßenen pastoralen Aufbrüche sind Aufbrüche mit Abschied. Bei einem angestoßenen Veränderungsprozess wie einem pastoralen Aufbruch mit Zukunftsbild etc. geht es darum, möglichst viele Gläubige dafür zu motivieren und mitzunehmen. Für die Nach­haltigkeit der Veränderungen und die Kenntnis der spezifischen pasto­ralen Situationen und Gegebenheiten vor Ort ist ihre Mitwirkung von großer Bedeutung (vgl. Suermann de Nocker 2016, 3 f.). Auf ihre Impulse, Ideen und Vorstellungen muss entsprechend Rücksicht genommen werden.

Die anstehenden Abschiede sind aber für viele Gläubige Einschnitte und bergen Konfliktpotential in sich: Interessen und Vorstellungen von Gläu­bigen werden sich unweigerlich gegenüberstehen. Eine Bistums­lei­tung kann hier schlichtweg nicht auf alle Wünsche Rücksicht nehmen, wird auch Entscheidungen gegen Widerstände treffen müssen. Aller­dings muss sich die Bistumsverwaltung stets der kritischen Frage stel­len, ob die Entscheidungen der geistlichen Zukunft der Kirche im Sinne des Evangeliums oder vielmehr der weltlichen Sicherung des Kirchen­vermögens und der eingerichteten Institutionen dienen.

Während durch finanzielle und personelle Ressourcenverteilung Rich­tungsentscheidungen möglich und notwendig sind, kann innerhalb des Prozesses ihre Funktion nur eine impulsgebende, moderierende und subsidiär steuernde sein (vgl. Suermann de Nocker 2016, 4 f.). Es zeigt sich aus organisationsentwicklerischer Perspektive die doppelte Herausforde­rung, in ein und demselben Prozess auf unterschiedliche Steuerungslo­gi­ken Rücksicht zu nehmen: Nicht nur müssen inhaltliche Zukunfts­fra­gen an den einzelnen Orten angemessen unter wirklicher Beteiligung der Gläubigen beantwortet werden, es gilt diese auch mit den übergrei­fenden Entscheidungen zum Einsatz der begrenzten Ressourcen in Ein­klang zu bringen.

Orientierung am Geist des Evangeliums

Von zentraler Bedeutung ist, dass sich das kirchliche Wirken am Geist des Evangeliums ausrichtet. Wie dieser Geist weht und welche Anfor­derung dieses an die Kirche richtet, ist keine betriebswirtschaftliche Frage, sondern eine theologische.

Wie das Ziel dann aber erreicht wird, das Wirken wirksam am Evangeli­um auszurichten, ist eine Frage, zu der auch nicht-theologische Wissen­schaften einen Beitrag leisten können: Dabei kann sowohl eine Orientie­rung am historischen Tun der frühen Christen als auch die Effizienz­ana­lyse eines Beraters zielführend sein. Und was die Effektivität kirchlichen Handelns angeht, so haben die frühen Christen ganz offenbar hervorra­gend in die Zukunft der Kirche investiert und dabei alles unternommen, um das geistliche Ziel in die Welt zu tragen. Wirtschaft und Kirche sind kein Widerspruch; wirtschaftliches Denken und betriebswirtschaftliche Instrumente sollten kirchlicherseits in Anspruch genommen werden und ihre starke, zweckdienliche Rolle einnehmen.