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Universalethik und das Evangelium

Erik Händeler nimmt Stellung zur Response von Christian Spieß auf seinen Beitrag. Der vorliegende Disput, in dem offenkundig sehr gegensätzliche Auffassungen aufeinanderprallen, zeigt, wie schwierig es ist, wenn unterschiedliche „Kulturen“ von Erfahrungen, des Denkens und Sprechens miteinander in Kommunikation treten. Gerade deshalb soll der Diskurs hier in euangel versucht werden.

Wenig von dem, was der Rezensent schreibt, kommt in meinem Beitrag vor; an einigen Stellen unterstellt und projiziert er Hal­tungen und Aussagen, die ich so weder geschrieben habe noch vertrete.

Die zentrale Aussage meines Essays ist: Menschen müssen heute und zukünftig mehr als früher über ihren Nutzenhorizont, ihre Ethik reflektieren, wenn sie mit Wissen und anderen Menschen zusammen­arbeiten. In ihrem Tun zeigen sie ihre Werthaltung; in ihrem Verhalten im ganz normalen Berufsleben prallen ihre weltanschaulichen Vorstel­lungen aufeinander. Vor Gott ist dabei der konfessionelle Stempel als Etikett nicht entscheidend, sondern die Haltung, aus der das Tun er­wächst. Diese Strukturveränderung von Arbeit ergibt einerseits neue Chancen, das Evangelium zu thematisieren. Und sie wirkt andererseits auf die innerkirchliche Reform: Umgangskultur und Strukturen der Wissensarbeit könnten sich in die Gemeinden und in die Kirche hinein entwickeln; in eine Kirche, in der Wahrheit – etwa beim sexuellen Miss­brauch – nicht immer an erster Stelle steht und einige Strukturen – siehe die aktuellen Vatikan-Skandale – tief korrumpiert sind.

Ich meine, für die meisten Menschen könnte hier vor allem die theolo­gische Frage interessant sein, ob es letztlich das eigene Verhalten gegen­über anderen ist, die einem die Gemeinschaft mit Gott nach dem Tod ermöglicht. Ob dann gruppenethische Trump-Christen vielleicht gar keine „richtigen“ Christen sind? Oder polnische Nationalkatholiken? Oder Bischöfe, denen Gesichtswahrung beim sexuellen Missbrauch wichtiger zu sein scheint als Wahrheit? Und taugen Organisations­muster der Wissensarbeit überhaupt für eine neue Kirchenstruktur? Sind diese Zusammenhänge eine Chance, Glauben aus dem Privaten in die Mitte der gesellschaftlichen Debatte zu befördern? Und wenn es eine Wirtschaftskrise gibt: Was kann der Beitrag der Christen zu ihrer Lösung sein? Darüber könnte man diskutieren. Der Rezensent geht leider auf die Hauptthe­men meines Artikels nicht ein, schreibt dagegen über Pluralismus oder Staats-Kirchen-Ver­hältnis. Er hat seine eigene Sicht auf Begriffe wie „Wettbewerb“ und „Markt“, ohne auf den Kontext einzugehen, in dem sie bei mir stehen. Erhel­lend ist sein Beitrag dennoch, weil er den Zustand eines Teils der Theologie gut widerspiegelt.

Religion und Wirtschaft bedingen einander

Seine Behauptung, Religion weise weit über Wirtschaft und Politik hinaus, ist m. E. nicht stichhaltig: Die Menschen sind am Montag keine anderen als am Sonntag. Die Wirklichkeit ist etwas Ganzes. Es gibt keine Trennung von Wirtschaft, Politik und Religion: Denn das, was wir als wichtig und wertvoll erachten, bestimmt unser Handeln – also auch in der Wirt­schaft und in der Politik. Warum sind Wissenschaft und Wohl­stand in Europa entstanden? Die griechischen Philosophen und die fernöstlichen Religionen gingen davon aus, es gebe keine Wirklichkeit. Das Christen­tum dagegen schon. Wenn es aber Wirklichkeit gibt, kann man sie erkennen – das ist der Anstoß, der in Europa zur wissen­schaft­lichen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit führte. Religiöse Innovation veränderte den Zustand der materiellen Versorgung. Religion existiert nicht unabhängig neben Wirtschaft und Politik.

Zwar gab es auch in Indien vom Wind angetriebene Mühlen. Aber nur, um Gebetsmühlen anzutreiben, die Mantras drehen, damit der Geist des Menschen leer werde. In Europa hingegen trieben Windmühlen in den Benediktinerklöstern alles Mögliche an, damit die Mönche mehr Zeit zum Beten und genug Ressourcen hätten, um sich und andere zu versorgen. Warum entstanden die Industrialisierung und der Kapitalis­mus in den evangelischen Regionen? Nach Max Weber deshalb, weil das Mitwir­ken an der Schöpfung Gottes ein Teil des Schatzes im Himmel wurde, anstatt nur beim Gebet zu verbleiben. Heute gilt die höhere Alphabeti­sierung der Protestanten als Grund für deren höhere Wirt­schaftsleis­tung. Aber das hat ja auch wieder den religiösen Hintergrund, die Bibel selber lesen zu wollen, während der katholische Pfarrer damals seinen Schäfchen sagte, das bräuchten sie nicht, das erkläre er ihnen.

Auch die Konzepte unserer demokratischen Ordnung sowie der sozialen Marktwirtschaft beruhen auf einem christlichen Menschenbild von Freiheit und sozialer Mit-Verantwortung für das Ganze. Der Publizist Andreas Püttmann hat in seinem Bestseller „Gesellschaft ohne Gott“ beschrieben, was mit Staat, Rechtsprechung und Wohlstand passiert, wenn die christlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Nein, Religion, Wirtschaft und Politik sind in einem gemeinsamen System miteinander verbunden. Das ist ja das wichtigste Argument gegen Küngs Weltethos: Die weltweit unterschiedliche Verfasstheit von Wirtschaft und Politik zeigt meiner Meinung nach, dass die Religionen/​Weltanschauungen eben nicht gleich sind. Nur wenn jemand das Fak­tum akzeptiert, dass sich Religion und Wirtschaft gegenseitig beein­flussen und bedingen, kann man überhaupt weiterdiskutieren über die aktuelle Frage, um die es in meinem Beitrag geht: Was passiert mit uns als Christen in der Kirchengemeinde, was passiert mit uns als Bürgern mit unserem Umfeld, wenn sich die Digitalisierung ausbreitet?

In einem Unternehmen sprach nach meinem Vortrag ein Shaolin-Trainer, der sagte, wir sollten die Vorgänge um uns herum nicht bewerten. Ich entgegnete, man brauche doch Orientierung, und wenn einer seinen Kollegen mobbe, schade dies der Firma und sei ungerecht, deswegen müsse man einschreiten. Er widersprach, das ginge mich nichts an. Es macht eben einen Unterschied, ob man an Karma glaubt, das man vermeiden will, oder ob man sich als Christ für seine Umwelt verantwortlich fühlt und einschreitet – selbst auf die Gefahr hin, dabei schuldig zu werden. Der Glaube macht den Unterschied, aber der ist bei jedem Menschen individuell anders.

Universalethik ist nicht gewalttätig

In meinem Artikel steht an keiner Stelle, dass Religion an sich friedlich ist. Es wird unterschieden zwischen Gruppen-, Individual- und Univer­salethik. Hier geht es um die kooperative Haltung des Evangeliums und um die produktive Zusammenarbeit. Der Rezensent vertritt die These, dass erst die Trennung von Religion und Staat Friede bringe. Demnach müsse man nur den Glauben zurückdrängen, die Kirche aus der öffent­lichen Auseinandersetzung herausnehmen, und dann kehre Ruhe ein. Dass die Trennung von Reli­gion und Politik Europa befriedet habe, kann m. E. eine ernsthafte historische Betrachtung nicht bestätigen. Auf die Französische Revolution mit ih­rem Laizismus folgte Napoleon, der ganz Europa sowie Nordafrika mit Krieg überzog, weil er sich nur mit Krieg an der Macht halten konnte. Das von den weltlichen Machthabern erfundene Gottesgnadentum wurde abgelöst von der Selbstlegitimation des Schlachtensiegers.

Kriege haben vor allem mit Macht zu tun: Zu den Kreuzzügen kam es, weil das Reich von Byzanz gegen die Muslime immer mehr Gebiete ver­lor und um Hilfe bat; die Reformation entstand, weil die deutschen Landesfürsten ihre Macht konsolidieren und kein Geld mehr aus ihrem Land nach Rom fließen lassen wollten; der Dreißigjährige Krieg begann, weil es um die Macht ging und darum, welche der beiden Parteien die Mehr­heit unter den Kurfürsten bekäme, den Kaiser zu wählen; dann wollten die Schweden nicht, dass Habsburgs Macht bis zur Ostsee reichte, und die katholischen Franzosen schickten ihre Truppen, damit das Nachbar­land auch in Zukunft zersplittert und schwach sei – Reli­gion als Univer­salethik ist nicht die Ursache für Gewalt. Das 19. und das 20. Jahrhun­dert zeigen doch, dass kein Werte-Vakuum entsteht, wenn man Religion aus der Öffentlichkeit und aus dem Leben verdrängt. Stattdessen neh­men säkulare Heilslehren den Platz der Religionen ein, siehe National­sozialismus und Kommunismus, mit den bekannten gewalttätigen Folgen weit über den Machtmissbrauch von Religion hinaus.

Gruppenethik ist bei Wissensarbeit nicht produktiv

An keiner Stelle habe ich anderen Religionen auch universalethische Möglichkeiten abgesprochen, und in meinem Artikel sind die destruk­tiven Erscheinungsweisen von (auch christlicher) Religion als Gruppen­ethik und Individualismus genannt, obwohl Herr Spieß anderes behauptet.

Die Aussage meines Artikels ist, dass die Wissensarbeit alle Kulturen unter Druck setzt, kooperativer zu werden. Ihre bisherigen gruppen­ethischen Haltungen sind gezwungen, sich zu verändern: Individuelle Freiheit muss ermöglicht werden, Individuen müssen über ihren Eigen­nutz hinaus kooperieren. Natürlich können sich Einzelne oder ganze Kulturen auch dafür entscheiden, gruppen­ethisch zu bleiben und das Individuum zu unterdrücken. Aber dann werden sie komplexere Wissensarbeit nicht leisten können und nicht über 200 bis 500 Euro Wertschöpfung pro Monat und Arbeitenden hinauskommen. Nur mit einer Universalethik kann sich Wirtschaft und Gesellschaft weiterent­wickeln. Und wenn es im Christentum auch eine Gruppenethik wie bei den „Legionären Christi“ oder evangelikalen Trump-Unterstützern sowie den Ellenbogen-Individualismus gibt: Das Evangelium und die Botschaft Gottes, um die es in meinem Artikel geht, weisen über den Einzelnen und über die Gruppe hinaus: Gottes- und Nächstenliebe sind Universalethik.

Wenn sich andere Kulturen universalethisch verhalten, dann ist das kein Widerspruch, wie der Rezensent meint, sondern im Sinne des Evangeliums. Der Schwerpunkt dort ist jedoch anders: Das diskrimi­nie­rende Kastenwesen, am eigenen Karma orientierte Buddhisten und auch die islamische Umma vertreten nach meiner Auffassung keine Universalethik – je nachdem, wie jemand individuell lebt. Breite Bil­dung für alle, Wissenschaft, Gleichberech­tigung der Frau, Menschen­rechte: Es war die Universalethik, die aus dem Christentum kommt, die die Welt verändert hat, auch wenn diese Haltungen in anderen Religio­nen zunehmend mitgetragen werden. Die unbedingte Menschenwürde, wie sie etwa das Grundgesetz formuliert, ist die säkularisierte Form der Gottesebenbildlichkeit. Oder anders formuliert: Auch der Christ erkennt die Ansprüche anderer Men­schen nicht an, weil er sie liebt, sondern weil sie Gottes Ebenbild sind. Spieß nivelliert die Unterschiede zwi­schen Religionen. Alles, was er über andere Religionen sagt, kann so von allen Weltanschauungen gesagt werden. Er macht ­– und damit stimme ich nicht überein – den Liberalismus zur Über-Weltanschauung, die über andere Überzeugungen urteilen darf.

Pluralismus, Markt und Wettbewerb

Der Rezensent behauptet, ich wolle der Gesellschaft eine bestimmte Religion oder Ethik vorgeben. Diese liegt m. E. jedoch in den Erfor­der­nissen der Arbeit und der Freiheit des Menschen, sie umzusetzen oder nicht. Mir geht es um das individuelle Verhalten, er macht daraus ein institutionelles Thema (Staats-Kirchen-Verhältnis). Für ihn sind Markt und Wettbewerb nicht eine Beschreibung der Wirklichkeit, sondern Ideo­logie. Religion sollte vom Staat eingehegt werden, weil sie de­struk­tiv sein kann. Als stellvertretender Landesvorsitzender des KKV (Ka­tho­liken in Wirtschaft und Verwaltung) in Bayern kenne ich ein Gegen­beispiel: Der Verband hat sich gerade gegen den Staat gegründet, als Bismarck die Katholiken unterdrückte. Auch die Christen im alten Rom haben ja nicht deshalb segensreich gewirkt, weil der römische Staat ihnen die Rahmenbedingungen dafür gab. Hier widerspreche ich Spieß. Er genehmigt der Religion nur die Rolle, diakonisch zu wirken und Sinn zu stiften, um den Staat zu stabilisieren.

Die Gesellschaft besteht zwar aus einzelnen Menschen und Gruppen. Sie müssen sich aber auf Regeln und Maßnahmen einigen, die alle gemeinsam betreffen. Wir haben Interessen und Gestaltungszwänge, die über den Einzelnen hinausgehen. Deswegen kann nicht jeder in sein Zimmer gehen, die Tür hinter sich schließen und nach eigener Façon selig werden. Wir müssen uns auseinandersetzen und aneinander reiben, was bei übergeordneten Projekten für alle das Beste ist. Jeder Bauernverband möchte seine Interessen durchsetzen und wird es da und dort auch schaffen, wenn er Mehrheiten findet.

Der Rezensent tut so, als ob es den Pluralismus verletze, eine eigene Meinung und einen eigenen Vorschlag für alle zu haben. Pluralismus heißt aber nicht, dass niemand einen eigenen Standpunkt haben darf, weil er sonst intolerant sei.

Wirklichkeit, nicht Markt-Ideologie

Aus dem Zusammenhang reißt der Rezensent Zitate aus meinem Buch, die manche Theologen als wirtschaftsfeindlich darstellen (ohne zu erklären, warum), um dann genau das zu tun, was ich beschreibe: meinen Thesen zu unterstellen, hier würde Glauben missbraucht, damit die Wirtschaft funktioniert, also Glauben „systemimmanent“ zu verwerten. Nichts davon steht in dem Artikel oder in meinen Büchern.

Es ist vielmehr so: Firmen, deren Mitarbeiter besser zusammen­arbei­ten, überleben am Markt, anders als früher, als die Produktivität mehr von Maschinen als von Geistesleistung abhing. Wenn nun Technik, Kapital und Wissen überall in der Welt gleich vorhanden sind, ist der einzige Unterschied, wie kon­struktiv Wissensarbeiter zusammen­arbeiten. Ich sehe das als einen Fakt; mit „Marktgläubigkeit“, die der Rezensent daraus macht, hat das nichts zu tun.

Für den Rezensenten ist Wettbewerb, den ich als Wirkmechanismus voraussetze, offenbar böse und verwerflich. Dabei ist geregelter Wett­bewerb konstituierend für die soziale Marktwirtschaft, so wie in der Politik. Das gehört zum Konzept einer freien Gesellschaft. Will der Rezensent Monopole? Oder dass eine Verwaltung Ressourcen zuteilt? Nur wenn jemand die Freiheit hat, in einer Firma die Organisation und die Prozesse zu kritisieren, das Unternehmen zu verlassen und es selber zu versuchen, es draußen besser zu machen, dann gibt es Fortschritt, dann werden die Ressourcen einer Gesellschaft effizient genutzt. Das Gegen­teil von Wettbewerb wäre es, Menschen zu verbieten, bessere Ideen auszuprobieren. Spieß’ Ausführungen sind gezeichnet von einer problematischen Gleichsetzung von Marktwirtschaft (als einer Wirt­schafts­form) und Kapitalismus resp. Marktradikalismus (als einer Ideologie).

Auch bei anderen Theologieprofessoren habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht – das ist der Zusammenhang, den der Rezensent zitiert: Dass Leute, die ihren Lebensunterhalt aus Steuermitteln oder – noch verwegener – aus Kirchensteuermitteln beziehen, Wirtschaft oft nur unter der Überschrift von Profitgier, Ausbeutung und Umverteilung diskutieren. Wer wie ich täglich den Newsletter von Radio Vatikan liest, weiß, dass Papst Franziskus auch immer wieder die würdigt, die sich um das materielle Wohl der Menschen kümmern. Auch als Christ habe ich ein Interesse an einer funktionierenden Wirtschaft. Nicht, damit jeder sei­nen SUV vor der Garage stehen hat. Auch als Christ möchte ich, dass meine Eltern gut gepflegt werden, dass ich beim Zahnarzt das neueste „Zeug“ bekomme und meine drei Kinder eine gute Ausbildung. Als Christen wollen wir die arme Welt entwickeln, die Energie umbauen und das Klima schützen, und das geht nur, wenn wir uns für eine produktive Wirtschaft im Umgang mit Wissen einsetzen.

Dazu kommt das Thema Wirtschaftskrise, das ich mit den Kondratieff­zyklen hauptberuflich thematisiere. Obwohl der Begriff „Marktversa­gen“ in meinem Artikel gar nicht vorkommt, greife ich ihn doch auf, weil der Rezensent ihn in einem Buch von mir gelesen hat und thema­tisiert. Der Zusammenhang, um den es geht, ist: Grundlegende Erfin­dungen wie Dampfmaschine, Eisenbahn, elektrischer Strom, Auto­mobil oder zuletzt der Computer bringen die Gesellschaft auf ein neues Wohlstandsniveau. Wenn die Eisenbahnen aber gebaut sind, gibt es nichts mehr zu investieren, die Zinsen gehen gegen Null, das freie Geld an die Börse, die dann „crasht“, und es folgen 20 Jahre Krise. Produk­tionsfaktoren wachsen nicht gleichmäßig mit der Wirtschaft, deswegen verändern sie ihre Kostenverhältnisse untereinander. Bis einer der Pro­duktionsfaktoren so knapp wird, dass er kurzfristig nicht zu vermehren ist und eine Wirtschaftskrise auslöst. Das ist kein Marktversagen, vielmehr ist eine solche Krise dann realwirtschaftlich verursacht.

Im Gegenteil: Nur wenn ein freier Markt durch steigende Preise einen realistischen Blick ermöglicht, welche Produktionsfaktoren knapp wer­den, können Unternehmen und Politik gegensteuern, vor allem mit In­novationen. Als die Engländer nicht mehr hinterherkamen, Bergwerke zu entwässern, musste James Watt in deren Auftrag die Dampf­maschine entwickeln. Als Transporte auf Eselskarren über schlechte Wege die größte Knappheit darstellten, musste die Eisenbahn gebaut werden. Als es zu aufwändig wurde, die steigende Wissensflut mit Karteikarten zu organisieren, musste der Computer vorangebracht werden. Und jetzt, wo es um die Arbeit mit unscharfem, unstrukturier­tem Wissen zwischen Menschen geht, da droht wieder eine schwere Wirtschaftskrise, weil uns Maschinen nicht mehr nennenswert pro­duktiver machen, das Verhalten im Berufsleben jedoch noch aus der Industriegesellschaft stammt und nicht ausreichend produktiv ist.

Zum Schluss: Vom Kulturunterschied in Wirtschaft und Kirche/universitärer Theologie

Wenn ich in der Wirtschaft spreche, gibt es auch Unternehmer oder Führungskräfte, die mich als Person oder meine Inhalte ablehnen. Dafür werden sie aber keine Zeit verschwenden. Sie werden das herausfiltern, was für sie vielleicht doch inspirierend und nützlich ist. Eine Idee, die gut ist, wird nicht zerstört, weil sie noch nicht fertig durchdacht wäre oder Fehler hätte; sie wird aufgenommen und gemeinsam weiterent­wickelt. Es wird getrennt zwischen Inhalt und Person, so dass jemand nicht als Person beschädigt ist, wenn seine Idee nicht in Gänze an­kommt. In der Wirtschaft sind (mittelständische) Unternehmen meist eine Gemeinschaft von Menschen, die zusammen am Markt überleben wollen. Deswegen hat die Wirtschaft nach meiner Auffassung derzeit eine weit bessere Umgangskultur als viele Akteure in der Kirche und speziell der universitären Theologie, wo ich das weithin anders, näher­hin destruktiver wahrnehme. Ich verstehe mich als einen Missionar, als einen Botschafter des Evangeliums. Wenn ich als Redner vor säkularem Publikum auftrete, dann mache ich Glauben ganz neutral zum Thema, bin Eisbrecher für ein Thema, das sonst in den privaten Raum abge­schoben wird. Wenn ich in Kirchengemeinden die These in den Raum stelle, dass sich die Frohe Botschaft erst jetzt in der Wissensgesellschaft richtig entfalten kann, entsteht eine lebendige Debatte darüber, was genau denn diese Frohe Botschaft sei. Da ist jeder selber gefordert, sie für sich zu formulieren, da entstehen neue Glaubenseinsichten und Energien, in der Gemeinde und im Berufsalltag neu zu wirken. Was für ein Schatz an Leben! Das wünsche ich mir auch für den Diskurs mit der theologischen Fachwis­senschaft. Dieser vorliegende Disput zeigt, wie kontrovers sich darüber diskutieren lässt. Nur durch Reibung kann ein lebendiger Glaube entstehen. Ich freue mich auf diese Diskussionen.