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Pastoral am Puls

Glaubenswege gehen – geistliche Prozesse leiten

In vielen Bistümern wird betont, die derzeitigen Prozesse der pastoralen Veränderung oder Neuorientierung müssten als „geistliche Prozesse“ gestaltet werden. Oft gewinnt man dann jedoch den Eindruck, dass zu­erst die strukturelle Pfarreienentwicklung im Vordergrund steht, die sich auf die Umschreibung von Territorien, auf Zuweisung von Personal, Finanzmitteln und Immobilien bezieht. Die dahinterstehende „Kirchen­entwicklung“, also die Frage, wie sich denn die kirchliche Sendung im konkreten sozialen Raum erneuern kann und welche Haltungen, Kir­chen­bilder und welches mindset dazu notwendig sind, wird weniger thematisiert.

Mit dem vorliegenden Band machen die Herausgeber in kurzen Texten die Theoriebildung und Erfahrungen der Schönstatt-Bewegung aus dem Prozess „Pastoral am Puls“ für eine größere Öffentlichkeit publik. Es geht ihnen gemeinsam mit dem Blick auf die Organisationswirklichkeit von Kirche und auf einen lebendigen, erwachsenen und erfahrungs­bezoge­nen Glauben um eine Antwort auf die Frage: „Wohin führt uns Gott? […] Eine gute Antwort, ein guter Weg wächst aus den Erfahrungen der Gläu­bigen an der Basis. Diese sind nämlich nicht zuerst Empfänger von Emp­fehlungen oder Vorgaben, sondern die eigentlichen Akteure, die sich vor Ort am besten auskennen und neue Wege gehen. Von dorther wächst das Gesamtbild von Kirche zusammen“ (9).

So sinnvoll und partizipativ diese Einsicht ist, so legitim ist eine gewisse Skepsis, die angebracht scheint angesichts der weithin wahrgenomme­nen Versuche nach Bestandswahrung des Althergebrachten und Übli­chen und des Beharrungsvermögens, das sich gerade in den lokalen tra­ditionellen Gemeindevorstellungen findet. Das Buch versucht, zwischen den beiden Extrempolen Spiritualismus und Machertum (11), die die Herausgeber als Gefahr empfinden, einen Mittelweg zu gehen. Dabei werden vielfältige und kurzweilige Perspektiven, Bausteine, Verständ­nishilfen, Haltungen und Einzelaspekte einer „Pastoral am Puls“ ent­faltet. Doch worum geht’s bei diesem Label? Pastoral am Puls ist weni­ger eine Theorie als vielmehr ein zu entwickelnder Weg oder ein Projekt im Laufen. Es gibt eine begleitende Website. Im Kern geht es darum, dass Gott mit den Menschen und darunter den Christen Geschichte schreibt. Meine Geschichte, unsere Geschichte wird in mystagogischer Weise als Geschichte Gottes mit mir/uns gedeutet. Es geht um einen Mehrwert an Leben, eine tiefere und hintergründigere Schau von Ereig­nissen (15), die als Erfahrungen mit Deutungen erzählt und geteilt wer­den können. Eine „Pastorale Schriftrolle“, die heute die Apostelge­­schichte als Geschichte Gottes mit seinem Volk weiterschreiben will, ist die praktische Umsetzung dieses Weges. Wichtig ist nicht: Was ist gewe­­sen (die reinen Datenfakten)? Sondern vielmehr:  Was ist gewachsen, was ist bewegt worden? Der Ansatz ist also weniger an output als an outcome orientiert, an dem, was an Resonanz oder Wirkung entsteht, wo etwas wächst und zum Leben kommen will. Die „Pastoral am Puls“ geht davon aus, dass ein lebendiger Glaube an Gottes Handeln von Mensch zu Mensch übertragen werden kann, eine Ansteckung oder ein gegenseitiges Lernen am Zeugnis des jeweils anderen möglich ist. Für die Deutung des Gewesenen ist dann wichtig: Wo können größere Zu­sammenhänge entdeckt werden, wo hat sich eine Tür geöffnet, wo ist neues Leben gewachsen, wo sind neue Verbindungen, neue Gemein­schaft entstanden? Wo sind auch Blockaden und Widerstände, wo ist etwas im Herzen angerührt worden? Dies kann in der Schriftrolle mit entsprechenden Symbolen markiert werden. Allerdings ist dies mehr als eine Methode, es versteht sich als Kirchenentwicklung, als „eine Kom­munikation, die Herzen prägt“.

In den reflexiven Teilen des Buches findet sich die breite Themenpalette derzeitiger pastoraltheologischer Diskussionsthemen als Zukunftsper­spektiven einer „Pastoral am Puls“: pastorale Veränderung, neue Gestalt der Kirche, ein neuer Leitungsstil, Kirche als Erfahrungsraum gelebter Hoffnung, Gemeindebildung aus kleinen Organismen. Nicht ganz neu und auch ein wenig holzschnittartig kommen die vier Grundtypen für die zukünftige Zugehö­rigkeit zur Kirche daher, wie die Autoren sie beschreiben: hohe Verbindlichkeit, Zugehörigkeit in Freiheit, Zuge­hörigkeit als eigenständige Persönlichkeiten, Sympathisanten.

Das Buch bietet praktische Anweisungen zum Umgang mit der Schriftrolle, Ablaufvorschläge für Klausuren und Gesprächsrunden, verweist auf die Bedeutung des Erzählens erfahrener Geschichten (storytelling). Die praktischen Vorschläge werden gespiegelt in theologischen Reflexionen, z. B. dazu, wie Gott handelt.

Zentral an der „Pastoral am Puls“ ist das Anteilgeben an den Erfah­rungen des Lebens und deren gläubiger Deutung. Auswirkungen sind nach den Autoren ein neuer Typ von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die in eine echte Beziehung mit den Menschen treten, Netzwerker, die Glaubens- und Lebenserfahrung zur Sprache bringen, mit Freude und ohne innere Müdigkeit. Gastbeiträge thematisieren verwandte The­menbereiche wie geistliche Unterscheidung, lokale Kirchenentwick­lung und Ökumene der Sendung.

Die mit den aktuellen Diskursen um Pastoral befasste Leserin gewinnt den Eindruck: Es ist irgendwie alles drin. Ein Florilegium von kurzen, gut lesbaren Texten kommt in einer guten Mischung von Praxisorientie­rung und Reflexion positiv daher und versucht, eine geistliche Schneise zu schlagen. Die „Pastoral am Puls“ kann wahrscheinlich zur Resilienz beitragen, gleichzeitig bleiben die derzeit problematischen Erfahrungen in Kirche irgendwie ungenannt oder außen vor: die wahrgenommene Vergeblichkeit vieler pastoraler Initiativen, das Antizeugnis des geist­lichen, sexualisierten und Machtmissbrauchs, die aufreibenden Deu­tungskonflikte, welche die unterschiedlichen Welt- und Kirchenbilder mit sich bringen, die tatsächlichen Erfahrungen von geistlicher Leere und Hohlheit, die Erosionen von Relevanz und Resonanz christlichen Glau­bens und kirchlichen Lebens.

Es bleibt offen, wie diese komplexen und ambivalenten Erfahrungen in der „Pastoral am Puls“ aufgenommen werden können und es nicht zu einem abgeschotteten „Schweben auf Wolke sieben“ kommt.

Hubertus Schönemann