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Immobilienkrise als Chance partizipativer Kirchenentwicklung

Unter diesem Thema hatte die Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz gemeinsam mit dem Katholischen Siedlungsdienst (KSD), dem Dachverband aller mit Wohnungswesen und Städtebau befassten Unternehmen der katholischen Kirche, am 21.11.2019 zu einer Fachtagung nach Würzburg eingeladen.

Angesichts des massiven Rückgangs an Kirchenmitgliedern, so Claudia Kunz, die Geschäftsführerin der Pastoralkommission in ihrer Begrü­ßung, würden in Zukunft rund 25 % der Versammlungsfläche nicht mehr gebraucht. Damit verbunden sei ein massiver Wandel kirchlichen Selbstverständnisses und pastoraler Konzeption. Das Papier der deut­schen Bischöfe „Gemeinsam Kirche sein“ (2015) erinnert daran, dass das Volk Gottes als Ganzes der Träger der kirchlichen Sendung ist. „Es geht darum, die Partizipation vieler zu fördern und die Delegation weniger abzubauen“, so Kunz. Immobilien sind kein Selbstzweck, sondern sol­len die Sendung der Kirche in den zukünftig unterschiedlichen Orten und Sozialformen von Kirche unterstützen. Dabei sollte zukünftig nicht nur eine binnengemeindliche Nutzung im Blick sein, sondern die Be­deutung kirchlicher Arbeit für die Menschen im Quartier und im sozia­len Raum sollte sich verstärken. Es geht also darum, den derzeitigen Immobilien­bestand evtl. umzunutzen (Gerade Umnutzung von nicht mehr für die Liturgie benötigten Sakralbauten wird zukünftig ein wichtiges Thema sein!), zu öffnen, freizugeben und umzuwidmen.

Leo Penta und Tobias Meier vom Deutschen Institut für Commmunity Organizing (DICO) unterstrichen aus ihrer Erfahrung mit Bürgerplatt­formen, dass Kirche sehr wohl ein Player im Stadtteil sein kann, der dazu beiträgt, dass die Vielfalt der Nachbarn sich auch in Beteiligungs­prozessen widerspiegelt. Im Gegensatz zu klassischen kirchlichen Pro­jektentwicklungen, in denen fast ausschließlich Experten, Amtsperso­nen und Gremien beteiligt würden, biete die Einbindung der weiteren Stakeholder eine nachhaltigere Verankerung innerhalb und außerhalb der Gemeinde. Dadurch könnten sowohl eine neue Anbindung an den umliegenden Sozialraum entstehen als auch lokale Leader gestärkt wer­den. Die Gemeinde könne den Prozess damit als eine kostbare Gelegen­heit für Wachstum, für die Gewinnung neuer Kräfte, für die Stärkung des Wir-Gefühls, für „ownership“ und geteilte Verantwortung in der Gemeinde und darüber hinaus begreifen und nutzen.

Von daher kann die Immobiliensituation interessante Beiträge zu einer Erneuerung des pastoralen Auftrages bieten. Die Gemeinde vor Ort sollte sich also mehr als bisher mit dem Umfeld, der Kommune, den möglichen Immobilienentwicklern (z. B. dem lokalen Siedlungswerk) und dann auch mit dem Bistum vernetzen, um zukunftsweisende Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.

Die beteiligten lokalen gemeinnützigen Siedlungswerke, die sich mit den Bistümern im Katholischen Siedlungsdienst (KSD) zusammenge­schlossen haben, bieten sich als Partner an, wenn Kirchengemeinden als Eigentümer des Grundes überlegen, sich pastoral und damit auch immobilienmäßig anders aufzustellen. Als Beispiel wurde das Projekt St. Vinzenz Pallotti in Stuttgart-Birkach vorgestellt. Auf einem Areal, wo eine Kirche stand, entstanden neben einer 4-gruppigen Kinder­tagesstätte Gemeinschaftswohnraum für Asylsuchende, Familien und Studierende, 64 Eigentumswohnungen, ein vielfältig nutzbarer Quartiersraum und ein Versammlungsraum für die Kirchengemeinde, der Konvent mit An­dachtsraum der Schwestern von Sießen sowie eine Hausmeisterwoh­nung.

Im interdisziplinären Gespräch der Tagungsteilnehmer aus Wohnungs­wirtschaft, Bauabteilungen der Bistümer und für die Pastoral Verant­wortlichen an den einzelnen Tischen stellte sich heraus:

  • Die Siedlungswerke sind als Projektpartner bei den Bistumsverwal­tungen und vor Ort in den lokalen Gemeinden oft (noch) nicht im Blick.
  • Oft wird immer noch auf ein herkömmliches Modell von „Pfarrge­meinde“ gesetzt, bei dem klassischerweise Kirche, Pfarrhaus, Gemeindehaus und Kindergarten erhalten bleiben sollen. Neue Orte von Kirche und neue Gemeinschaftsformen im Rahmen der größeren Pfarrei (neuen Typs), der Pfarreiengemeinschaft oder der pastoralen Räume bilden sich darin nicht ab. Der Schulterschluss zu kommuna­len öffentlichen oder anderen säkularen Partnern ist noch nicht stark ausgebildet. Auch Absprachen der katholischen mit der evangeli­schen Kirche vor Ort über sich möglicherweise komplementär ergän­zende pastorale Schwerpunkte, insbesondere im ländlichen Raum, liegen noch im Argen. Oft wird alles doppelt abgebildet.
  • Die Bauabteilungen der Bistümer beklagen, dass es vor Ort immer weniger Ehrenamtliche gibt, die sich um Immobilien kümmern. Kirchenvorstände seien als ehrenamtliche Bauherren und Liegen­schaftsverwalter oft zeitlich und fachlich überfordert. Viele Pfarrer tun sich trotzdem schwer, sich durch hauptberufliche Mitarbeiter der Verwaltungszentren in der Pfarrei entlasten zu lassen, da gerade Im­mobilienentscheidungen („Bauen“) mit „Leitungsvollmacht“ und „Entscheidungskompetenz“ verbunden sind und einen „sichtbaren Erfolg“ des eigenen Handelns darstellen, oft im Gegensatz zu ande­ren, eher pastoralen Tätigkeitsfeldern. Hier ist eine weitere Reflexion auf die pfarrliche Rolle des „Hirten“ vonnöten.
  • Viele Immobilien befinden sich in einem katastrophalen baulichen Zustand, die notwendigen Mittel zur Bauerhaltung würden mittel­fristig so hoch werden, dass in anderen pastoralen Bereichen noch mehr als bisher eingespart werden müsse, wenn man sich nicht rechtzeitig von Immobilien trennt. Nicht nur Pfarreien, sondern auch Ordensgemeinschaften müssen sich von immer mehr Immobilien verabschieden. Wie bringt man die Akteure zusammen, um gemein­sam sinnvolle und langfristige Entscheidungen zu treffen?
  • Die Verantwortlichen für pastorale Entwicklung und für Bau/Liegen­schaften in den Bistumsverwaltungen kooperieren oft nicht oder noch nicht ausreichend miteinander. Erst eine Handvoll Bistümer versuchen, diese Kooperation aufzunehmen und zu vertiefen oder überhaupt die Immobiliensituation als Teil der pastoralen Entwick­lung mit zu bedenken und in die pastoralen Planungen mit einzube­ziehen.
  • Die derzeitige Unklarheit über eine zukunftsfähige Pastoral der Kir­che bzw. darüber, welche Gestalt und Praxis Kirche und Pastoral zukünftig haben werden, macht es den Bauabteilungen der Bistümer schwer, konkrete und klare Planungen aufzustellen und wirtschaft­lich und rechtlich umzusetzen.

Gesellschaftliche und demografische Prozesse, die derzeit unweigerlich und weithin unbeeinflussbar ablaufen und die Kirche massiv beeinflus­sen, können, wenn sie wahrgenommen und gestaltet werden, ein An­lass und eine Herausforderung sein, neue Nutzungskonzepte und neue Aktions- und Partizipationsformen kirchlicher Präsenz hervorzu­bringen.

Die kirchennahen wohnungswirtschaftlichen Unternehmen – das wur­de auf der Fachtagung überdeutlich – müssen zwar wirtschaftlich den­ken und agieren, bieten sich aber als Partner an, deren Kompetenz bis­lang nach ihrer Auffassung noch nicht genügend abgerufen wird. Eine örtliche Kirchengemeinde muss zwar schon einen gewissen Prozess der Bewusstseinswerdung und der Vorbereitung durchlaufen haben, bevor das Siedlungswerk einsteigen kann. Möglicherweise bietet es sich auch an, Mitarbeiter/innen der Organisations- und Gemeindeberatung zu informieren, um in den Veränderungsprozessen vor Ort diese Dimen­sion mit einbringen zu können.

Der Tag endete mit vielen Vorschlägen wie Rückmeldung in Pastoral­kommission und Seelsorgeamtsleiter-Konferenz, Kontaktanbahnung zu Bau-, Pastoralabteilungen und Informationsveranstaltungen für Haupt- und Ehrenamtliche sowie einem „Fachtag Immobilienstrategie“ auf der jeweiligen Bistumsebene, damit man zukünftig besser voneinander weiß und damit die Voraussetzungen für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Immobilienwirtschaft und kirchlicher Pastoral schaffen kann.

 

Der Katholische Siedlungsdienst mit einer Liste der örtlichen Mitglieder im Internet:

www.ksd-ev.de