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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

„Glaube aber ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht.“

Vielleicht sind Sie jetzt auch ein wenig irritiert? Das hieß doch anders? Tatsächlich: „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ – so lautete Hebr 11,1 in der alten Einheitsübersetzung.

Zweierlei wird hier deutlich: Wir hängen am gewohnten Erscheinungs­bild von Dingen. Und: Die gedankliche Verbindung von Glauben mit dem Unsichtbaren, dem nicht Wahrnehmbaren, hat eine lange Tradition.

Und doch kristallisiert Glaube am Sinnenhaften, tritt er zutage an dem, was man sehen, fühlen, hören, riechen, schmecken kann. Jede Glau­benstradition – wenn wir uns einmal, wie wir es in dieser Ausgabe von euangel tun, auf das Sehen konzentrieren – hat ihre eigene Ästhetik: farbenfroh der tibetische Buddhismus, betont schlicht die Reformier­ten, der Islam oftmals orientalisierend und ornamental. Ästhetik be­deutet Beheimatung, transportiert aber auch Glaubensüberzeugungen. Und oftmals ist es einfach eine Geschmacksfrage.

Hier aber liegt die Herausforderung für eine – an den Milieustudien geschulte – missionarische Pastoral: Kirchliche (speziell: katholische) Ästhetik ist weitgehend geprägt vom Geschmack vergangener Zeiten bzw. vom Geschmack einer Minderheit. Man hängt am Gewohnten, Vertrauten. Wenn sich kirchliche Vorreiter auf moderne Ästhetiken (die gibt es heute nur im Plural!) einlassen, ist das ein Wagnis. Aber: ein unumgängliches Wagnis, will man den Glauben, der sich immer neu in der Gegenwart inkulturieren will, nicht in fundamentalistischer Erstarrung verlieren.

Niemand kann genau sagen, wohin der ästhetische Weg der Kirche weitergeht, weitergehen soll. Deshalb stellen die Beiträge dieser Ausgabe auch mehr Erkundungen dar, präsentieren Erfahrungen und führen in wichtige Aspekte ein.

P. Georg Maria Roers SJ geht der Frage nach, was ein Bild ausmacht – gerade unter den Bedingungen der (Post‑)​Moderne. Deren Ästhetik wurde wesentlich auch vom Bauhaus mitgeprägt, das Hubertus Schönemann vorstellt. Wobei der Ästhetiken und ästhetischen Aus­drucksformen heute viele sind. Doch auch solche, die man mit Kirche spontan eher nicht in Verbindung bringt, verknüpfen sich mit Glaube und Religion: Tattoos etwa, die Paul-Henri Campbell behandelt, oder jugendliche Bildwelten von Social Media wie Instagram. Apropos Jugendliche: Jugendkirchen sind ein Versuch, ästhetischer Erstarrung zu entfliehen und sich immer wieder neu auf eine bestimmte Ziel­gruppe einzulassen, wie Eileen Krauße betont.

Das ist eine große Herausforderung für Kirchenräume generell, die als die vielleicht offensichtlichsten Repräsentanten kirchlicher Ästhetik in mehreren Beiträgen thematisiert werden. P. Stephan Ch. Kessler SJ stellt mit der Kunst-Station Sankt Peter in Köln einen Kirchenraum vor, der heutigem Kunstschaffen Gastfreundschaft gewährt. Dagegen zeigt Werner Schrüfer das ästhetisch-spirituelle und damit missionarische Potential auf, das Kirchenräumen selbst innewohnen kann. Albert Gerhards geht schließlich der Frage nach, wie in der heutigen Zeit mit der ästhetischen Tradition, die in unseren oft jahrhundertealten Kirchen Gestalt gewonnen hat, adäquat umzugehen ist.

„Neue Bilder braucht das Land“, insbesondere auch die Kirche: Mit Über­legungen und Tipps zum Finden einer religiösen Bildersprache, die weder in Tradition noch in Kitsch steckenbleibt, beschließt Angelika Kamlage den Schwerpunktteil dieser Ausgabe – und resümiert: „Am Ende entscheiden der eigene Mut und der Geschmack, welches Bild veröffentlicht wird.“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Inspiration, Kreativität und vor allem Mut, das Evangelium der Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus in unsere Welt inkarniert hat, immer wieder neu und treffend sehbar zu machen!

Ihr