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Bilder als Bedeutungsträger

Konstruktion und Darstellung von Identität und Authentizität in Social Media

Welchen Stellenwert visuelle Kommunikation heute hat, lässt sich nicht zuletzt in Social Media beobachten: Immer mehr treten Bilder und Videos in den Vordergrund. Die Macht der Bilder bleibt nicht ohne Wirkung auf die Nutzer, ihr Selbstverständnis und ihr Verhältnis zur Welt.

Die Wende zum Bild scheint vollendet: Die ursprünglichste Form der Kommunikation und des Ausdrucks, die der Schrift noch vorausläuft, hat medial, online, in- und außerhalb von Instagram, TikTok, Twitter und Facebook zu ihrer alten, immer vorhandenen, oftmals bestrittenen und umkämpften Macht zurückgefunden. In den Worten des Instagram-Gründers Kevin Systrom klingt dies folgendermaßen:

„People have always been visual – our brains are wired for images. Writing was a hack, a detour. Pictorial languages are how we all started to communicate – we are coming full circle. We are reverting to what is most natural. Instagram has always been a communication platform, not an image sharing tool. Instagram challenges the notion that beauty comes in a traditional, artsy form… it’s not about the beauty, it’s about the story you tell“ (Meeker 2019, 86).

Das Zitat entstammt dem „Internet-Trend-Report 2019“ der Marketing-Analytikerin Mary Meeker. Sie setzt Internet- und Bildgebrauch fürs Jahr 2019 als im Grunde äquivalente Begriffe. Die seit 20 Jahren parallel ansteigende Kurve der Bildnutzung und Bildproduktion, die eng mit den mobilen Smartphone-Kameras und der Internet-Verfügbarkeit zu­sammenhängt, wird mittlerweile durch nicht minder rasant anwach­sende Formen der Bilddistributionen ergänzt. Bild und Fotografie sind eng zueinander gerückt.

Our brains are wired for images

­Vor allem die Nutzung von Bewegtbild verzeichnet immense Wachs­tumsraten im digitalen Feld, in der Langform bei YouTube und IGTV und mehr noch in der Kurzform – Instagram Stories und die derzeit boomende Plattform TikTok, die auf 15-Sekunden-Clips setzt. Bilder werden live produziert und konsumiert, so auf der nicht nur für Gaming interessanten Streaming-Plattform Twitch. Bei Twitter bestehen 2019 mehr als 50 % der früher rein textbasierten Tweets aus Bildern, Videos oder anderen Bildmedien (Gifs), welche um die Aufmerksamkeit der Nutzer_innen konkurrieren.

Bildtrends der Digitalität lassen sich mit dem Begriff des Glatten (Byun-Chul Han) und des Gleitens (Peter Sloterdijk) bündeln, die Erklärungs­modelle anbieten für die Entwicklung zunehmender Ent‑Wirklichung, die in medialen und kommunikativen Praktiken vollzogen wird.

Ein Bild ist simultan, nicht chronologisch strukturiert: Anders als beim Lesen eines Textes macht es schon auf den ersten Blick alle Informatio­nen sichtbar. Die Inhalte eines Bildes können vermeintlich schnell ent­schlüsselt werden. Zugleich sind Bilder polysem, also vieldeutig; und in ihrer Polysemie können sie tiefe Inhalte und emotionale Qualitäten transportieren. Bilder können Themen und Grundverständnisse verbor­gen und an der Oberfläche zugleich inszenieren. Bilder rufen Gefühle und Wertekonstrukte hervor und ziehen diese an sich heran. Sie stellen dar und stellen her, sie können etwas zeigen und auf etwas Anderes ver­weisen, das nicht für alle erkennbar ist. Die Meme-Kultur des Internet spielt mit unmittelbar zugänglichen und zugleich extrem arkanen Aspekten der Bildkultur. Visuelle Strategien zu entziffern, erfordert das Aufbrechen von Simultanität und Polysemie, beispielsweise durch eine sozialwissenschaftlich kontrollierte, rekonstruktiv verlangsamte Wahr­nehmung von Bildern und eine Einordnung in die Kontextualität ihres Wahrnehmungshorizonts. So lassen sich die Bezugsrahmen eines Bildes erschließen, welche für die Ebene der Produktion, der Bildgestaltung und der Rezeption je unterschiedlich gestaltet sind. Solche Bezugsrah­men wirken unreflektiert auch bei einem kurzen, oberflächlichen Blick, beispielsweise beim Scrollen durch den Instagram-Feed. Um Bild­wirkungen zu erschließen, ist ihre Tiefenanalyse daher unerlässlich. Die rekonstruktive Sozialforschung wendet solche Verfahren inzwischen für unterschiedlichste visuelle Materialien an und erweitert sie um die Tiefendimensionen, welche Bildsemantiken und Bildwirkungen in ihren jeweiligen gesellschaftlichen und individuellen Dimensionen verankern. In der Analyse von visuellen Materialien in Social Media treten vielfältige weitere Kontextbedingungen und Aspekte hinzu, die sich um die Analyse zu Plattforminteressen, Medium, Kommunika­tionspraktiken, Kombination von Bildern und Texten, Möglichkeiten von Interaktion erweitern. Das Verstehen von Bildern in Social Media konzentriert sich also zum einen auf einen visuellen Gegenstands­bereich, zum anderen steht es in der Herausforderung, spezifische lebensweltlich und technologisch eingebundene Praktiken mit zu bedenken und beide aufeinander zu beziehen.

Die Suggestionskraft von Bildern ist indes immens, und sie wirkt auch auf Menschen, die über ein hohes medienkritisches Bewusstsein für Bildbearbeitungssoftware, Werbeteams und professionelle Fotografie verfügen. Denn die ‚hautnahe‘ Begegnung und Interaktion mit uner­reichbaren Vorbildern, die im intimen Raum des eigenen Smartphones ein oberflächlich schönes, erfolgreiches und strahlendes Leben in einem perfekten Körper präsentieren, scheint dem psychischen Wohlbefinden und dem Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen Schaden zuzufügen und negative psychische Dispositionen (Angst, Depression) wenn nicht zu induzieren, so doch, falls bereits vorhanden, zu verstärken.

Bilder und Bewegtbilder haben immer schon eine Herausforderung für die Konturierung von ‚Wahrheit‘ dargestellt und werden dies in der Ge­genwart vielleicht mehr denn je. Durch Augmentierungen von Bildern erweitern sich die Möglichkeiten des Storytellings kontinuierlich. Bilder und Videos werden bearbeitet, verschönert, einem spezifischen visuel­len Code unterworfen, mit Text und Adaptierungen ergänzt und in die Welt gesendet. Die Komplexität, wie solche multiplen Bildschichtungen zu dekodieren sind, hat zugenommen. Die Möglichkeiten der Bild- und Videobearbeitung entwickeln sich auch durch die Techniken des Deep Fake (Videobearbeitung durch maschinelles Lernen) täglich weiter.

Bilder und Gesten, die über (Bewegt‑)​Bild übermittelt sind, springen zwischen virtueller und körperlicher Welt hin und her. So haben Gesti­ken der Verhöhnung von unterlegenen Gegnern aus dem Koop-Survival-Spiel Fortnite in den Mannschaftssport und auf dem Schulhof Einzug gehalten, und Emojis, die unnatürliche Grimmassen ziehen, werden mit realen Gesichtern nachgestellt.

People have always been visual

In der Geschichte des Christentums wurden Bilder als visuelle Kodie­rungen immer auch zur Predigt und zur Vermittlung des Evangeliums verwendet. Wie auch die Schrift, so leitet die Malerei die Menschen zur Erinnerung an, befand Gregor der Große. In der Ikone der Ostkirchen wird das Bild zu einer ins Himmlische reichenden Instanz. Im Früh­sommer 2019 hatte der Vatikan auf seiner Webseite eine Bildstrecke implementiert, die sieben zentrale Begriffe mit zentralen Bildern des Franziskus-Pontifikats vereinte. Zärtlichkeit – Barmherzigkeit – Mis­sion – Freude – Glauben – Mut – Solidarität wurden als Bildpredigten montiert: Der Papst mit dem Lamm auf den Schultern, ein Baby auf dem Arm, bei der Fußwaschung, mit Jugendlichen während der Jugendsynode, die Hände des Franziskus mit einem Rosenkranz: So erfolgt eine visuelle Predigt, die sich in Zugänglichkeit und Klarheit sofort erschließt, ohne dass viele Worte gemacht werden müssen.

Die Präsenz religiöser Individuen und Gruppen in sozialen Netzwerken prägt die gesellschaftliche Wahrnehmung von Religion und ihr ‚Bild‘ in der Öffentlichkeit. Praktiken religiöser Selbsterzählungen und Inszenie­rungen begegnen auch auf Social-Media-Plattformen. Auch Instagram hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Ort religiöser Praxis in einem tendenziell nicht mit Religion und Glauben konnotierten Umfeld entwickelt. Religion, christlicher Glaube, katholische und evangelische Praxis, Bibel, Kirche und Theologie begegnen inzwischen als breit be­­spielte Nischenthemen. Der Papst wirkt auf seinem 2016 eröffneten Account @franciscus als größter katholischer Influencer und ist Gegen­stand religionswissenschaftlicher Forschung zur Konturierung von Autorität: „As Instagram is a public platform that mostly facilitates the promotion of individuals through visual communication, we view the institutional feeds of leaders as online efforts to foster a form of charis­matic authority“ (Golan/​Martini 2019, 2). Neben amerikanischen und spanischsprachigen Accounts mit hunderttausenden Followern machen sich die offiziellen kirchlichen Accounts @katholisch_de – im Herbst 2017 gestartet – mit aktuell 17.300 Followern und @evangelisch.de mit 10.900 Followern noch recht klein aus, doch sie sind im Wachsen begrif­fen. Auch im deutschsprachigen Raum wurden in den vergangenen zwei Jahren unzählige religiöse Accounts eröffnet, auf denen Glaubenskom­munikation, Seelsorge, Herzensbildung, Predigt, Mission, Gebetsge­meinschaft und vieles mehr geschieht. Wer in Deutschland religiös kommuniziert, macht dies häufig eindeutig, mitunter missionarisch. Sichtbar machen sich in diesem Feld vorrangig aktive, auch professio­nelle religiöse Praktiker_innen wie Pastor_innen oder Ordensleute ebenso wie charismatisch geprägte, fundamentalistisch orientierte oder freikirchliche Christ_innen. Konfessionalität dient bei Instagram als Identitätsmarker, und wer kirchenoffiziell kommuniziert, praktiziert dies meist erkennbar evangelisch oder katholisch; freikirchliche Kreise stellen ihre klare Orientierung an Bibel und Jesus ins Zentrum. Einzel­personen agieren auch im religiösen Feld mit den Strategien des Influencer-Marketings.

Writing was a hack, a detour

Ist Schreiben wirklich nur ein Umweg in einer durchgehend piktorialen kommunikativen Existenz? Verloren gegangen ist das Schreiben keines­wegs. Menschen sprechen, schreiben, ergänzen, interpretieren Bilder, sie kommunizieren im Schreiben, das sie durch Emojis um eine emotio­nale Dimension anreichern. Ist es ein Rückschritt oder ein Fortschritt, wenn sich die Kommunikation wieder so sehr zum Bild hinwendet? Das Wort ermöglicht die größere Distanz, Bedeutungsergründung, Logik, Interpretation und Perspektivübernahme. In ihrer Rede zur Nobelpreis­verleihung merkt Olga Tokarczuk bildkritisch an: Eine Oberfläche lässt sich in Bildern erzählen, doch die Literatur ist eine der wenigen Sphä­ren, die das innere Argumentieren und die Motivlagen von Charakteren, die anderweitig unzugängliche innere Erfahrungsdimension einer ande­ren Person zugänglich machen. Nur durch die Literatur ist es möglich, tief in das Leben und die Vernunft, die Gefühle und die Interpretation von Erfahrungen einer anderen Person hineinzusteigen (vgl. Tokarczuk 2019, 13–14).

It’s not about the beauty

Instagram wird eher von jüngeren Zielgruppen genutzt, die 16- bis 29-Jährigen sind dort besonders stark vertreten. Jugendliche interessieren sich bei Instagram vor allem dafür, dem Alltag von Personen aus dem persönlichen Umfeld zu folgen, den diese per Foto und Video dokumen­­tieren (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018, 40 f.). 82 % der Jugendlichen folgen häufig Leuten, die sie persönlich kennen, während das Interesse am Alltag von Stars und Prominenten etwas geringer ausgeprägt ist – nur ein Drittel der Jugendlichen folgt diesen intensiv; 14 % folgen häufig Firmen, wie beispielsweise (Mode‑)​Labels. 40 % der Mädchen orientieren sich an Stars und Promis, vor allem Künstler_innen und Musiker_innen, unter den Jungen sind das nur 23 %, die eher Fußballern und Sportlern folgen. Nur etwa einer von zehn Jugendlichen gibt jedoch an, selbst ‚häufig‘ Fotos, Videos oder die sich selbst löschenden Storys einzustellen, weniger als 50 % tun dies ‚gelegentlich‘ – sie schauen lieber anderen zu, als den eigenen Alltag zu zeigen. Ein Viertel der Jugendlichen kommentiert häufig Fotos und Videos, die andere gepostet haben. Obwohl die Plattform eine aktive Nutzung denkbar leicht macht, wird sie von Jugendlichen eher in Consume- als in Prosume-Haltung verwendet. „Im Vergleich zum Vor­jahr erzeugen die Nutzer selbst offenbar weniger Bild-Content, jeder Achte postet häufig Fotos/​Bilder“ (ebd. 41) – 2017 war es noch jede_r Fünfte. Der Anteil an Unterhaltung wächst, jedoch nicht unbedingt zum Wohlbefinden der Nutzer_innen. Denn im Blick auf psychische Gesund­heit weiß man inzwischen, dass aktive Social-Media-Nutzung bei psy­chisch gesunden Nutzer_innen zum Wohlbefinden beiträgt, da sie das soziale Kapital erhöht und das Gefühl der Einbindung unterstützt, wäh­rend passive Nutzung eher soziale Vergleiche und Neid hervorruft und negative Affekte aufs subjektive Wohlbefinden nach sich zieht. Insbe­sondere auf Mädchen haben die vielfältig produzierten und ideali­sierten Körperbilder einen negativen Effekt (vgl. Pirker 2018).

Was ist, soll auch abgebildet gut aussehen: Lokale in urbanen Zentren und auf dem Land gleichermaßen richten sich in einem Stil ein, der dem Mainstream-Geschmack auf Social-Media-Plattformen entspricht. Ge­richte im Restaurant werden auch danach beurteilt, ob sie ‚instagra­mesk‘ sind, und deshalb von den Köchen auch daraufhin angerichtet. Die gestreifte Müsli-Bowl, der Einrichtungs- und Lebensstil, die Klei­dung, die nächste Reise, die Gestaltung des Alltags und die Inhalte der Bücherregale wurden von den Bildern der zentralen Inspirationsplatt­form beeinflusst und fließen als Bilder dorthin zurück. Menschen kon­struieren ihre Online-Identität auch durch Teilhabe und Reproduktion, denn in der Regel bewegen sich diese Praktiken in einem erreichbaren Horizont. Eine bestimmte internationale und globale Szene erreicht dadurch hohe visuelle Gleichförmigkeit, wobei immer auch Interesse, Raum und Potenzial für kreative Gegenerzählungen besteht.

Die besondere Qualität von Medienbildern und die Hinterfragung der Repräsentation von Inhalten in Bildmedien haben sich durch die indi­viduellen, häufig auch ökonomischen Interessen folgenden Bildprak­tiken in Social Media erweitert und verändert. Nicht mehr das Perfekte gilt, sondern das Authentische. Doch was Authentizität vermittelt, liegt ganz im Auge des Betrachters. So kann auf YouTube ein handgemacht wirkendes, schlecht beleuchtetes und gegen alle Konventionen ge­schnittenes Video, wie es in den ‚konventionellen‘ Bewegtbildmedien Film und Fernsehen kaum erlaubt sein könnte, immense Reichweite erzielen (vgl. Frühbrodt/​Floren 2019, 35 f.). Die Seh- und Rezeptions­gewohnheiten ändern sich, die direkte Ansprache der Zuschauer_innen im Real Talk ist in Social Media zum Alltag geworden. Hier wird alles verhandelt: Tagesplan und Tagesrückblick, Kleidungsfragen, Umgang mit Erkrankungen, Ernährungstipps, Gewinnspiele, Erzählungen vom Alltag und von Erlebnissen, Livestreams beim Shoppen, Anziehen, Tan­zen, Essen, Spielen, Training, Lernen, Leben – und in den religiösen Ni­schen Gebet, Segen, Heilung, Predigt, Anbetung, religiöse Ansichten und Bibellektüre.

It’s about the story you tell

Auf Plattformen wie Instagram werden Bildfragen, Identitätskonstruk­tion, Bekenntnis und Relationalität hochgradig subjektiv und positional verhandelt. Auf der Oberfläche von Instagram lässt sich einiges von dem erkennen, wie Menschen heute ihre Identität konstruieren, aber auch, an welche Grenzen sie damit stoßen. Die virtuell erfahrene Welt ver­schränkt sich in unglaublich vielen Bereichen engstens mit der Realität. Was emotional tangierend im Netz geschieht, hat reale Implikationen, im Guten und im Schlechten. Obwohl alle wissen, dass die Online-Bil­der bearbeitet sind, dass Nähe nur imaginiert wird und Marketingma­schinen durchgreifen, wird den Akteur_innen ein hoher Wahrheits- und Glaubwürdigkeitsfaktor zugestanden – sie transportieren Authentizität, die in Social Media nicht mehr als ein ‚subjektives Gefühl der Stimmig­keit‘ der Produzent_in zu verstehen ist, sondern auf Seiten der Rezi­pient_innen konstruiert wird: Authentizität wird wahrgenommen und zurückgespiegelt. Hinzu kommt, dass Bilder eine affirmative Rezeption erzeugen, d. h. dass sie wahrheitshaltiger wirken als Text: eine gefähr­liche Verlockung.

Kohärenz, Authentizität und Anerkennung galten als zentrale individu­elle Syntheseleistungen im Prozess der Identitätskonstruktion. Doch das Verständnis von Authentizität hat sich in den Jahren der Social-Media-Praktiken erkennbar verschoben. Authentizität galt als kontinu­ierliches Ergebnis eines inneren stimmigen Passungsverhältnisses, in dem eine Person mit sich selbst ‚stimmig‘ und ‚im Reinen‘ ist und das Gefühl hat, etwas Gelungenes geschaffen zu haben. Dieses subjektive Gefühl der Stimmigkeit und Gelungenheit wurde wesentlich im inneren Identitätsgefühl verankert, das sich zwischen den Polen ‚authentisch/​positiv‘ bzw. ‚nicht-authentisch/​negativ‘ bewegt und darin Selbstbe­wertungen vornimmt. Ein positiv ausgeprägtes Gefühl schien zu einer mutigen und prospektiven Identitätsarbeit an Entwürfen und Projekten zu verhelfen. Im Horizont von Bildpraktiken und Anerkennungsprakti­ken der Social Media wird Authentizität stärker zu einem Objekt der Verhandlung: Authentizität wird zugesprochen. Die erzählte Story soll abgenommen werden und authentisch wirken, nicht unbedingt das Individuum in seiner Persönlichkeit.

Als wesentliche Bedeutungsträger in den Selbst- und Welterzählungen der Gegenwart müssen Bilder in ihrer Qualität als Aufmerksamkeits- und Kommunikationsgeneratoren betrachtet werden. Eine Analyse des Selbst- und Weltverhältnisses junger Menschen ohne Berücksichtigung ihres Umgangs mit Bildern, auch in der Rückwirkung auf ihre Selbster­zählung, kann heute als obsolet gelten. Zugleich dürfen eine kritische und bildtheoretisch informierte Pädagogik und Theologie keinesfalls den Blick auf konkrete Bedingungen der jungen Generation aus dem Blick verlieren. Arbeitsmarkt, psychische Gesundheit, Kreativität und Lebensqualität der sozialen Beziehungen sind auch unabhängig von ihrer medialen Kommunikation relevant und dürfen weder den hier geltenden ästhetischen, normierenden und ökonomischen Regeln unterworfen noch daran gemessen werden. Kritisch kommunizierende Accounts thematisieren diese Doppelstrategien bereits aktiv und weisen vielfach auf die Diskrepanzen zwischen ‚Schein‘ und ‚Sein‘ hin.

Überhaupt kommt der in den Theorie-Ansätzen der letzten Jahrzehnte wiederholt eingeklagten Kritischen Theorie verschiedener Generationen wieder neue Bedeutung zu. Nicht zuletzt die politische Mobilisierung der Generation Millennium in den letzten Jahren lässt auf einen kritischeren Umgang auch mit den ‚sozialen Medien‘ und ihren Auswirkungen auf das Selbst- und Weltverhältnis hoffen.