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Vom Sehen und Handeln

Wahrnehmungen von Armut in der verbandlichen Caritas

Ulrike Wössner und Kilian Stark zeigen aus der Sicht und am Beispiel der sozialpolitischen Orientierungen des Deutschen Caritasverbandes auf, wie sich in verschiedenen gesellschaftspolitischen Konstellationen auch die Herausforderungen ändern, wie Armut wahrgenommen wird und wie damit umgegangen werden kann. Sie votieren u. a. für eine neue Debatte über Beteiligungs- und Gerechtigkeitsfragen in einem reichen Land. Not sehen und handeln wird so zu einem Cantus firmus kirchlichen Umgangs mit der Armut und den Armen.

Vom Wegsehen und von verdeckter Armut

Das „Sehen“ von Armut ist ein herausfordernder Punkt. Bis in die 1990er Jahre bildete allein die Feststellung, es gebe Armut in Deutsch­land, einen Tabubruch. Unter Überschriften wie „Arm im reichen Land“ drehte sich die politische und mediale Debatte vor allem um die Aner­kennung, dass Armut auch in einer Wohlstandsgesellschaft existieren kann. Noch 1986 formulierte der damalige Bundeskanzler der Bundes­republik Deutschland, Helmut Kohl, stellvertretend für viele: „Die neue Armut ist eine Erfindung des sozialistischen Jet-Sets“ (STERN, 24. Juli 1986). 19 Jahre vor der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosen­hilfe („Hartz IV“), 16 Jahre vor der Einführung des Euro und vier Jahre vor der Wiedervereinigung brachte er damit zum Ausdruck: 1. Im „rei­chen“ Deutschland gibt es keine Armut, 2. Sozialhilfebezieher/​‑innen sind nicht arm, weil sie ja Sozialhilfe beziehen, und 3. wenn überhaupt von Armut die Rede sein könne, so allenfalls von „bekämpfter Armut“. Nach herrschender Meinung war „Armut“ gleichbedeutend mit physi­scher Existenzbedrohung. Da der deutsche Wohlfahrtsstaat vor dieser absoluten Armut schütze, könne es per definitionem auch keine „Armen“ geben. Von Regierungsseite wurde also erstens die Existenz von „relati­ver“ Armut negiert oder als legitime Manifestation sozialer Ungleich­heit bewertet, jedoch nicht als gesellschaftliches Problem. Und zweitens wurde vorausgesetzt, dass alle Bedürftigen soziale Hilfen beziehen.

Tatsächlich nahm damals wie heute ein nennenswerter Anteil von Ar­men seine Unterstützungsansprüche eben nicht wahr – aus Unwissen­heit oder aus Scham – oder auch, weil er an den bürokratischen Syste­men scheiterte, über die Hilfeansprüche einzulösen sind. Diese Armen tauchten nicht in der Sozialhilfestatistik auf, wurden nicht gesehen, existierten „unterhalb des Radars“ der Politik. Doch die Caritasdienste – Bahnhofsmissionen, Anlaufstellen für Wohnungslose, Schwangere und viele andere – hatten mit diesen Menschen täglich zu tun. Daher war es ein wichtiges Ziel des Deutschen Caritasverbandes, den Blick auf diese „verdeckte Armut“ zu lenken. Unter dem Titel „Arme unter uns – Der deutsche Caritasverband bezieht Position“ wurden 1992 die Ergebnisse einer umfassenden Armutsuntersuchung veröffentlicht (vgl. Caritas 1992). Über 4000 Hilfesuchende und 3000 Mitarbeitende der Caritas-Dienste wurden befragt. Die Untersuchung war Teil einer breit ange­legten Armutsinitiative; motiviert wurde sie durch das Wort: „Die Option für die Armen ist auch in der reichen Gesellschaft und Kirche in Deutschland die Option der Caritas“ (ebd. 471).

Auch die christlichen Kirchen in Deutschland meldeten sich in dieser Zeit und angesichts von aufkommender Massenarbeitslosigkeit mit einem gemeinsamen „Sozialwort der Kirchen“ 1997 zu Wort. Darin betonten sie die „vorrangige Option für die Armen“ als christlichen Kernauftrag zur „Weltgestaltung“ für „eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ (vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutsch­land/​Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1997). Gerade mit der Herausstellung des Begriffs der „sozialen Gerechtigkeit“, der Einzug in die Sozialethik der Kirchen gefunden hat und darauf hinweist, dass „soziale Ordnungen wandelbar und in die gemeinsame moralische Verantwortung der Menschen gelegt sind“ (ebd. 47), verweisen die Kirchen darin auf die Kontextualität von Armut und deren Wahrneh­mung. Dieses Sozialwort der Kirchen hatte zwar Ende der 1990er Jahre aus nahezu allen gesellschaftlichen und politischen Lagern eine große Zustimmung erhalten. Es war gelungen, über den kirchlichen Bereich hinaus eine breite Diskussion in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über die tragenden Werte und Zukunftsperspektiven von Wirtschaft und Gesellschaft anzuregen, doch ein notwendiger Konsens über gemeinsame Schritte zur Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen Armut(srisiken) in Deutschland kam nicht zustande.

Not sehen und „fordern“

Im Jahr 2000 beauftragte die damalige rot-grüne Koalitionsregierung den ersten Armuts- und Reichtums-Bericht (vgl. Bundesregierung 2001); damit war eine wichtige Forderung des Deutschen Caritasver­bandes von 1992 erfüllt. Nicht nur in der Caritas, auch innerhalb von Gesellschaft und Politik wurde Armut nun als gesellschaftliches Phäno­men anerkannt. Der massive Anstieg der Arbeitslosigkeit und steigende Sozialhilfeausgaben führten zu einer neuen Problem-Definition: Auf der politischen Agenda stand fortan nicht die Bekämpfung von Armut – sondern die Bekämpfung von Abhängigkeit. In Teilen der Bundesregie­rung und vielen Medien galten Millionen von Transferleistungsbezie­hern als empirischer Beleg dafür, dass die „soziale Hängematte“ zu bequem sei. Dieses „Sehen“ von Armut führte zur sozialpolitischen Maxime des „Forderns und Förderns“. Angestrebt wurde vor allem eine Aktivierung und Qualifizierung arbeitsloser Menschen. Grundlegendes Paradigma hinter dieser Arbeitsmarktpolitik war, dass nur diejenigen Menschen der Unterstützung durch die Gemeinschaft würdig sind, die unter Beweis stellen, dass sie sich anstrengen (wollen). Der Katholik Franz Müntefering brachte es damals (zum Entsetzen vieler Parteige­nossen) auf den Punkt: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“

Not sehen und befähigen

2005 alarmierte ein weiterer Armuts- und Reichtumsbericht (vgl. Bundesregierung 2005) mit der Feststellung, dass über 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren in Deutschland auf Sozialhil­feniveau lebten, über zwölf Prozent der jungen Menschen unter 25 arbeitslos waren und 15 Prozent keine Berufsausbildung hatten. Auch der Deutsche Caritasverband setzte in den Folgejahren neue Akzente des Handelns. Es ging nun nicht mehr darum, die Existenz von Armut und verdeckter Armut zu belegen, sondern um die Frage, wie Armut vermieden und Wege aus der Armut gewiesen werden können und welche Rolle die soziale Arbeit dabei spielt. Vor allem benachteiligte Kinder, Jugendliche und junge Menschen sollten gezielter gefördert werden. Mit der sogenannten „Befähigungsinitiative“ knüpfte die Caritas auch an aktuelle Strömungen wie den „Capability-Approach“, den Ansatz der Verwirklichungschancen aus ökonomischer Sicht, an (siehe dazu auch den Beitrag von Clemens Sedmak in dieser Ausgabe). „Keine Gesellschaft kann es sich leisten, ‚ihre‘ Kinder zu vernach­läs­si­gen.“ „In ihnen zeigt sich die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft“, so Caritas-Präsident Peter Neher bei der Eröffnung der Kampagne „Mach dich stark für starke Kinder“ 2007 (Neher 2007).

Not studieren und publik machen

Der noch immer aktuelle Arbeitsauftrag des Gründers Lorenz Werth­mann an den Deutschen Caritasverband lautet „publizieren, studieren, organisieren“. Damit werden die wirksame Präsentation der karitativen Arbeitsfelder in der Öffentlichkeit, deren wissenschaftliche Aufarbei­tung (Caritaswissenschaft) sowie die Zusammenfassung und Bündelung aller karitativen Bestrebungen und Einzelorganisationen in einem Ver­band angesprochen. Das „Publizieren“ meint nicht die Werbewirksam­keit verbandlicher Aktivitäten, sondern die gesellschaftliche (und poli­tische) Aufmerksamkeit für soziale Nöte und deren Abhilfen. Es geht um das „Publik-Machen“ sozialer Missstände und Ungerechtigkeiten, auch über die öffentliche (d. h. auch mediale) Wahrnehmung hinaus.

In vielen sozialpolitischen Fragen verfügt der Deutsche Caritasverband heutzutage über eine hohe Reputation in der Politikberatung. Er erar­beitet Konzepte zur Kindergrundsicherung, gibt wissenschaftliche Stu­dien zum Schulabbruch oder zur Energiearmut in Auftrag. Er beteiligt sich an Sozialmonitoring-Gesprächen mit der Bundesregierung, in denen die Wohlfahrtsverbände Auswirkungen von Sozialreformen auf Betroffene thematisieren, sowie an der „Nationalen Armutskonferenz“, in der sich Betroffene selbst organisieren. Die Caritas vor Ort ist Träger vielfältiger sozialer Dienste und Einrichtungen, die keineswegs durch Fallpauschalen oder öffentliche Zuschüsse auskömmlich finanziert sind, sondern durch Eigenmittel, Spenden und das hohe Engagement der haupt- und ehrenamtlichen Fachkräfte der Caritas getragen werden: z. B. Kleiderkammern und Essens-Treffs, Straßenambulanzen, die Bahn­hofsmissionen, Schlafplätze für Frauen mit Gewalterfahrung und vieles mehr. Diese Dienste für die Ärmsten sind auch die ärmsten Dienste, d. h. deren Bestand ist häufig ungesichert. Die darin Beschäftigten – vielfach Frauen, viele in Teilzeit beschäftigt – haben selbst meist nur ein geringes Einkommen.

Auch für örtliche kirchliche Strukturen wird „Not sehen und handeln“ zunehmend zum Leitmotiv. Pfarrgemeinden entdecken ihren diakoni­schen Auftrag, schaffen Begegnungsräume für die Bewohner/​‑innen eines sozialen Raumes, fördern dadurch den Zusammenhalt zwischen ganz unterschiedlichen Personengruppen und wenden sich gezielt Armutsgefährdeten zu, zum Teil mit Quartier-Treffpunkten oder mobi­len Espresso-Bars in benachteiligten Vierteln. Die Pastoral vor Ort ent­deckt über den Kirchturm hinaus den umgebenden Sozialraum, agiert vernetzt mit kommunalen oder privaten Akteuren bzw. Initiativen. Armut erhält dadurch wieder soziales Ansehen (im Sinne von wahrge­nommen zu werden und Gemeinschaft zu erleben) und die christliche Gemeinde wieder gesellschaftliche Relevanz. Durch den Fokus auf Armut geschieht „diakonische Kirchenentwicklung“, wird durch ein Miteinander von Betroffenen (von „Armut“ im doppelten Wortsinn) Kirche aufgebaut, entstehen neue „Kirchorte“.

Aus christlicher Sicht geht es um „die Armut, die die Voraussetzungen schafft, um trotz unserer Grenzen im Vertrauen auf die Nähe Gottes und getragen von seiner Gnade in Freiheit die persönliche und gesellschaft­liche Verantwortung wahrzunehmen“, so Papst Franziskus in seinem Schreiben zum ersten „Welttag der Armen“ 2017 (Papst Franziskus 2017, 4.). Um dies zu erkennen und zu „sehen“, ist die unmittelbare Begegnung mit Armut bzw. Armen unumgänglich. Neben allem diffe­ren­zierten „Sehen“ und präventivem wie adäquatem „Handeln“ ist es vor allem auch das unmittelbare „Begegnen“ mit Armen, das Armut verändert. Betroffene „die Wärme der Liebe spüren zu lassen“, zerbricht den „Teufelskreis der Einsamkeit“, so Papst Franziskus (ebd. 3.).

Caritasverbände und ihre Einrichtungen und Dienste arbeiten dabei oft Hand in Hand mit Pfarrgemeinden vor Ort. Die verbandliche Caritas unterstützt bspw. mit ihrer „Gemeindecaritas“ die diakonischen Anstrengungen der Pastoral, fördert Kirche vor Ort in ihrem „Not-Sehen-und-Handeln“.

Hauptberuflich und ehrenamtlich Mitarbeitende der verbandlichen Caritas und der Kirchengemeinden sehen täglich Arme und Armut. Sie sehen, dass wenig Geld und Vermögen nur einen Teil der Armutslebens­lage ausmacht. Eklatant schlechtere Gesundheitschancen, geringere Bildungschancen, eine schlechte Wohnsituation, fehlende kulturelle Teilhabe – das alles sind Folgen und Ursachen von Armut.

Die Mitarbeitenden lindern nicht nur Not, sondern können Armut auch sichtbar und publik machen. Dann entfaltet ihr Handeln eine hohe Wirksamkeit über den Einzelfall hinaus. Dieses Erleben für die Kirche und für die verbandliche Caritas spürbar und fruchtbar werden zu lassen, Armut unmittelbar zu begegnen, für Abhilfen zu sorgen und darüber zu „publizieren“ – das ist eine große, eine wichtige Aufgabe. Die „Option für die Armen“ auf diese Weise wahrzunehmen, wird auch zur „Option für die Zukunft“ von Kirche.

Ungerechtigkeit sehen und handeln

Armut stellt kein unabwendbares, zu duldendes Schicksal dar. Armut (und deren Bekämpfung) ist auch kein Selbstzweck zur religiösen (Selbst-)​Evangelisation. Sie entsteht vielmehr durch gesellschaftlich-ökonomische Differenzierung bzw. Unterscheidung. Papst Franziskus hat mit seiner Botschaft zum ersten „Welttag der Armen“ eindrücklich auf die Frage der Gerechtigkeit in Bezug auf Armut hingewiesen, wenn er davon spricht, dass „heutzutage immer mehr ein unverschämter Reichtum zutage tritt, der sich in den Händen weniger Privilegierter ansammelt und der nicht selten mit Illegalität und der beleidigenden Ausbeutung der menschlichen Würde einhergeht“ (Papst Franziskus 2017, 5.).

Seit 2001 sind fünf Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregie­rung erschienen. Das Phänomen Armut ist wissenschaftlich in allen Facetten durchleuchtet. Es ist hinreichend bekannt, dass in Deutsch­land vor allem Kinder, Jugendliche und Alleinerziehende, Familien mit vielen Kindern und Menschen mit Migrationshintergrund von Armut bedroht sind. Neue Armutsrisiken ergeben sich auch im Ver­lauf einer Lebens- und Berufsbiografie, z. B. durch Trennung und Scheidung, Krankheit, durch die Situation als Alleinerziehende (zumeist bei Frau­en) oder durch Überschuldung aufgrund einer gescheiterten beruflichen Selbständigkeit. Nachdem Altersarmut jahrzehntelang kaum eine Rolle gespielt hat, wird sie viele erneut treffen – ebenfalls zumeist Frauen. Der soziale Aufstieg von Kindern aus Familien in prekären Lebenslagen ist heute schwieriger als noch in den 70er Jahren – trotz wirtschaftlicher Prosperität in der Bundesrepublik Deutschland. Nicht nur Vermögen und Reichtum werden vererbt – auch Armut wird an die nächste Gene­ration weitergegeben. Dabei sind die Mechanismen dieser Vererbung mehrdimensional, subtil und mächtig zugleich. Gerade die vordergrün­dig individuellen Auswirkungen von Armut, der faktische Ausschluss von gesellschaftlich relevanter Meinungs- und Entscheidungsbildung, haben gesamtgesellschaftliche Auswirkungen, wenn z. B. Benachteiligte signifikant vermindert an politischen Diskursen teilnehmen und prak­tisch zu einer großen Gruppe von „Nicht-Wählern“ werden. Globalisie­rung, Bankenkrise, ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit und Ab­stiegsängste bei den Mittelschichten – das erschüttert das Versprechen über den Zusammenhang von individueller Leistung und sozialer Sicherheit und auch die Legitimität staatlicher Institutionen.

Und so wird der Diskurs über „Armut“ heute auch über Beteiligungs- und Gerechtigkeitsfragen geführt. Doch die Frage der Gerechtigkeit scheint in der öffentlichen Debatte um Armut nachgerade ein erneutes Tabu zu sein. Diese Frage stellt sich vor allem, wenn Armut „zum Maß­stab [wird], der es erlaubt, den korrekten Umgang mit den materiellen Dingen einzuschätzen und auch in selbstloser und nicht besitzergrei­fender Weise die eigenen Beziehungen und Willensantriebe zu leben“ (Papst Franziskus 2017, 4.). Papst Franziskus verweist damit auf den „Reichtum der Armut“ (ebd. 3.); sie kann individuell wie global zur Korrekturhilfe werden, um den Einsatz von Ressourcen und das Beharren auf materielle Sicherheiten zu überdenken.

Not wirklich sehen und mutig handeln

„Wenn Du eine Gesellschaft begreifen willst, dann schaue Dir an, wie sie mit ihren Armen umgeht” (Robert Castel). Was sagt unser Handeln und unser Sehen über unsere Gesellschaft aus? Wird der aktuelle Hartz-IV-Satz der Lebenslage einer alleinerziehenden Mutter gerecht – oder ist er nur richtig berechnet? Wie groß muss der Lohnabstand sein, wenn auch etliche Vollzeit-Erwerbstätige von ihren Löhnen nicht leben können? Wieviel Abstand erträgt eine Gesellschaft zwischen „Armen“ und „Rei­chen“? Um welchen Preis und in welchen Lebenssituationen darf ein Mensch frei davon sein, seine Arbeitskraft am Markt zu „verkaufen“? Letztlich ist das „Genug zum Leben“, das eine Gesellschaft gewährt, normativ gesetzt und entstammt ihrer jeweiligen Sicht auf Armut.

Andere Perspektiven von und zu Armut ins Spiel zu bringen bzw. zu halten, das ist der Auftrag des Caritasverbandes. Armut wird zum Prüf­stein der Relevanz der christlichen Botschaft wie des christlichen Wohl­fahrtsverbandes. Nicht umsonst hat sich der Sozialverband der Katho­lischen Kirche den Namen „Caritas“ gegeben, der die umfassende, sich offenbarende und Gemeinschaft stiftende Liebe Gottes umschreibt. Die Wahrnehmung von Armut bedeutet sowohl für Kirche als auch für ihren Caritasverband einen ständigen „Stachel im Fleisch“. Um wahrhaft „Not sehen und handeln“ zu können, bedarf es – bildlich gesprochen – eines fortwährenden „Brillen-Putzens“ und „Fokus-Scharfstellens“. Die Selbstvergewisserung aus der christlichen Botschaft heraus verhilft dem Caritasverband in seinem kompetenten wie professionellen Handeln im Wohlfahrtssystem zu einem vertiefteren, von Weitsicht statt von Vor­sicht geprägten „Not-Sehen-und-Handeln“.