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„Rechtspopulismus“ als Herausforderung der liberalen Demokratie

Definitionen, Erfahrungen und Lösungsansätze

Nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas und bis hin in den US-amerikanischen Wahlkampf lassen sich populistische Strömungen und nationalistische Tendenzen beobachten. Angesichts einer immer kom­ple­xer werdenden Welt, in der viele Bereiche immer stärker vernetzt sind, scheinen Populismus, exklusiver Integralismus und Systemkritik als Kom­plexitätsreduzierung Resonanzen zu erfahren und sich zu verbreitern. Diffe­renzierende, liberale und inklusive Perspektiven auf Welt und Gesellschaft haben es derzeit schwer. Steven Schäller wirft einen exemplarischen Blick auf PEGIDA und AfD und klärt den Populismusbegriff. Er versucht die Ursachen des Phänomens zu ergründen und zeigt Möglichkeiten des Umgangs damit auf. Auch Christen und Kirchen, die oft selbst in sich gespalten sind, sind her­ausgefordert, angesichts des Populismus zu einer entsprechenden Diskurs- und Partizipationskultur innerhalb und außerhalb der Kirche beizutragen.

Für die jüngere Zeitgeschichte markiert womöglich der 20. Oktober 2014 ein Gründungsdatum, das für die Geschichte der Berliner Republik von besonderer Bedeutung ist. An diesem Tag, einem Montagabend, gin­gen zum ersten Mal etwa 350 Personen auf die Straße, um als Patrioti­sche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes zu demonstrie­ren. Seitdem firmiert diese Protestbewegung unter der Marke PEGIDA. Nach einigen organisatorisch-personellen und auch inhaltlichen Häutun­gen kann die Protestbewegung, die von Dresden ausgegangen ist, mit eini­gem Recht von sich behaupten, etwas in der Bundesrepublik bewegt zu haben. Was genau und wie bewegt wurde, darüber herrscht Streit. Die Organisatoren behaupten, dass die Bundespolitik klammheimlich zahlreiche Positionen der Protestbewegung übernommen habe. Der Be­weis ist in dieser Frage gar nicht so einfach zu führen. Zumindest aber kann konstatiert werden, dass PEGIDA dazu beigetragen hat, die öffent­liche Meinung zu polarisieren und verdeckte politische Gegensätze wie­der sichtbar zu machen. Zudem scheint PEGIDA einen nicht unwesentli­chen Einfluss auf die programmatische Profilierung der Alternative für Deutschland (AfD) nach Bernd Lucke genommen zu haben. Diese AfD ist im Anschluss an den Essener Parteitag vom Juli 2015 und der Ausboo­tung des liberal-konservativen Flügels auf einen in der Ge­schichte des bundesdeutschen Parlamentarismus einmaligen Erfolgskurs einge­schwenkt, indem die Partei sich insbesondere in den ostdeutschen Lan­desverbänden als Alternative zu den sogenannten ‚Altparteien‘ und in Teilen sogar als Alternative zum ‚System‘ präsentiert.

Mit PEGIDA und AfD erlebt die Bundesrepublik den Rechtspopulismus als ein vermeintlich neues Phänomen, von dem behauptet wird, die deut­sche Gesellschaft sei im Vergleich zu Westeuropa lange Zeit davon verschont geblieben. Doch was ist eigentlich Populismus, was ist spezi­fisch Rechtspopulismus? Ist der Rechtspopulismus in der Bundesrepu­blik tatsächlich ein neues Phänomen? Und wie sollten sich die Streiter der liberalen Demokratie zum Rechtspopulismus verhalten?

Definitionen

Die Frage nach dem Wesen von Populismus und Rechtspopulismus lässt sich nicht auf den ersten Blick beantworten. Eine Definition des Populis­mus gerät in den politikwissenschaftlichen Debatten der jüngeren Zeit sogar wieder zu einem umstrittenen Thema. Dort wird zunächst darauf hingewiesen, dass der Populismusbegriff im politischen Sprachgebrauch inflationäre Verwendung findet. So werden sowohl die PEGIDA-Bewe­­gung als Rechtspopulisten bezeichnet wie auch die inzwischen in zahl­rei­chen Landesparlamenten vertretene AfD. Auch die CSU wird regel­mäßig als (rechts-)populistische Partei etikettiert. Den Vorwurf des Populismus musste sich aber auch schon Sarah Wagenknecht mit ihren Äußerungen zu einem möglichen Verwirken des „Gastrechts“ durch Asylbewerber anhören. Die Leitmedien der Bundesrepublik – on- wie offline – machen den Rechtspopulismus ebenfalls zum großen Thema, manchmal als spezifisches Problem, das auf die neuen Bundesländer und hier insbesondere auf Sachsen als Heimat von PEGIDA begrenzt werden könne. Der Grund für die hohe Präsenz des Populismusvorwurfs mag darin liegen, dass die Prämie auf seine Verwendung in der wirksa­men Diffamierung des politischen Gegners liegt.

Zuletzt hat Jan Werner Müller davor gewarnt, in der Politikwissenschaft diesen politischen Alltagsbegriff unreflektiert zu übernehmen (vgl. Müller 2016). Dessen durch häufige Verwendung erzeugte Unschärfe stellt ein Problem für präzise Definitionen dar, so wie sie in wissen­schaft­lichen Terminologien Voraussetzung sind. Demzufolge sol­len nach Müller unter Populisten nur jene verstanden werden, die sich als Anti-Pluralisten kennzeichnen lassen. Anti-pluralistisch agieren sol­che, die dem politischen Gegner als Vertreter bestimmter gesellschaftli­cher Interessen und Strömungen jegliche Legitimität absprechen. Der plura­listischen Gesellschaft setzen Populisten die Fiktion eines einheitli­chen Volkes und Volkswillens entgegen. Populisten zeichnet ein mora­lisch aufgeladener Alleinvertretungsanspruch des einheitlich gedachten Volkes aus. Dieser Alleinvertretungsanspruch wird zum empirisch ein­lös­baren Marker. Er zeigt sich dort, wo Populisten eine direkte Verbin­dung zwischen sich und dem Volk behaupten und zum Teil auch die intermediären, vermittelnden Institutionen überwinden wollen. Dies drückt sich etwa in einer Feindschaft der Populisten gegenüber den Medien, der Parteiendemokratie und dem Parlamentarismus sowie gegenüber den Gewerkschaften aus. Intermediäre Institutionen spielen jedoch nicht nur eine wichtige Rolle für das praktische Demokratieerler­nen der Bürger, ihnen fällt als vermittelnden Institutionen auch die Auf­gabe zu, den demokratischen ‚Furor‘ einzubremsen, Zeit für Interessen­ausgleich zu schaffen und möglichst tragfähige demokratische Kompro­misse zu ermöglichen.

Eine solche wissenschaftliche Definition grenzt den Bereich der politi­schen Akteure, die Populisten sein sollen, natürlich erheblich ein. Da­nach sind einzelne Führungspersönlichkeiten der AfD dann als Populis­ten zu bezeichnen, wenn sie erstens mit der Vorstellung eines einheitli­chen Volkes argumentieren, dessen einzig wahre Vertreterin die AfD sei, und wenn sie sich zweitens in erheblicher Feindschaft gegenüber inter­mediären Institutionen wie den Parteien oder den Medien üben, weil diese das Volk von ihren politischen Anführern entfremden würden. Auch die Protestbewegung PEGIDA ist in diesem Sinne als populistisch zu bezeichnen, weil sie mit der Losung „Wir sind das Volk“ ganz unmit­telbar den ausschließlichen und moralischen Anspruch vertritt, hier spräche das wahre Volk, das in und bei PEGIDA zu sich komme. Hinzu kommt die reflexartig artikulierte Feindschaft gegenüber den Medien als „Lügenpresse“, gegenüber den Politikern und Parteien als „Volksverrä­ter“ und gegenüber etlichen Sozialverbänden und Kirchen als in ihren Augen verlogenen Profiteuren der Migration in die Bundesrepublik.

Als rechte Populisten sind die Obengenannten einzuordnen, weil sie mit völkisch-nationalen Themen, mit Ethnozentrismus, also einem überstei­gerten Nationalstolz und starken Vorbehalten allem Fremden gegen­über, mit antiliberalen Einstellungen und schließlich auch mit einem konservativen Werte- und Traditionsbestand agieren.

Neben politiktheoretischen Debatten um angemessene Begriffe lässt sich der Rechtspopulismus vor allem auch als ein empirischer Gegen­stand beschreiben: Gegenwärtig äußert er sich als heterogenes und in vielen Farben schillerndes Phänomen. Thematisch greifen rechtspopu­listische Akteure zahlreiche Positionen auf, die Mobilisierung und Zulauf versprechen: Von der Migration und einem drohenden Verlust deutscher Identität über eine angeblich nicht souveräne Bundesrepublik, eine auf Putin zentrierte Russophilie und die Ablehnung der GEZ bis hin zur Ver­höhnung des Gender-Mainstreaming finden sich sehr vielfältige, oft auch auseinanderstrebende Positionen. Mit Blick auf die Aktionsformen schei­­nen Rechtspopulisten einiges gelernt zu haben von den kapitalis­muskritischen Protestbewegungen des ‚Ökopax‘. Die erfolgreiche Erobe­rung des öffentlichen Raumes, zumal vor der eindrucksvollen Kulisse der barocken Altstadt Dresdens, erzeugt kommunikative Macht und ermög­licht Rechtspopulisten in einem von ihnen bisher nicht bekannten Aus­maß, die politische Agenda mitzubestimmen. Organisatorisch bleibt das Feld rechtspopulistischer Akteure in der Bundesrepublik zersplittert. Maßgeblich bleiben PEGIDA in Dresden auf der Straße und die AfD in den Landesparlamenten. Darum herum sortieren sich zahlreiche weitere Akteure und Gruppierungen, wie etwa kleine GIDA-Protestbewegungen, die oftmals von Kadern der NPD oder anderer rechtsextremer Splitter­grup­pen organisiert wurden, Jürgen Elsässers Sammelbecken rund um die Zeitschrift ‚Compact‘ sowie die jüngst in der Bundesrepublik an Mo­mentum gewinnende ‚Identitäre Bewe­gung‘. Zu nennen sind schließ­lich auch eine Reihe von intellektuellen Zirkeln, wovon Götz Kubitscheks „Rittergut“ zu den bedeutenderen zählt. Insbesondere in den publizis­tisch aktiven Zirkeln wird an einer semantischen Neujustierung der poli­tischen Sprache gearbeitet. Kubitschek, aber auch die Identitäre Bewe­gung orientieren sich an der von Karlheinz Weißmann, einem Vorden­ker der sogenannten Neuen Rechten, konzipierten Metapolitik. Ziel dieser Metapolitik ist eine semantische Rekodierung des politischen Sprach­gebrauchs. Frauke Petrys Eintreten für eine neue und unbelastete Verwendungsweise des Begriffs des „Völkischen“ liefert hierfür einen illustrativen Beweis. Ein anderes Beispiel ist etwa die Umwertung von „Asylsuchenden“ in das deutlich aggressiver klingende „Asylforderer“. Die Identitäre Bewe­gung sieht sich zudem ideologisch den Vorstellungen des Ethnopluralismus (der Begriff ist ein weiteres erfolgreiches Produkt der umdeutenden Metapolitik), einer kleinteiligen raumorientierten Volks­wirtschaft und einem Ende des sogenannten „Großen Austauschs“ verpflichtet. Unter dem „Großen Austausch“ summiert sich eine Vor­stel­­lung, wonach die Deutschen durch eine Verschwörung ihrer politi­schen und medialen Eliten einem absichtsvoll herbeigeführten Migra­tions­strom ausgesetzt werden. Ziel dieser Verschwörung sei eine Multi­kulturalisierung und Verwässerung des deutschen Wesens. Zuweilen gelten in den nicht scharf abgrenzbaren Unterstützermilieus der Identi­tären Bewegung ganz bestimmte Personen wie etwa George Soros als Profiteure einer solchen Verschwörung, wenn nicht gar zu deren Urhe­bern. Insbesondere mit Blick auf die Identitäre Bewegung ist die Grenze zwischen rechtspopulistischen Aktionsformen und Thematisierungs­strategien einerseits sowie rechtsextremen Ideologieversatzstücken andererseits fließend.

Erfahrungen

Im politischen Alltagsgeschäft wird oft übersehen, dass es sich bei den rechtspopulistischen Erscheinungsformen auf der Straße und in den Par­lamenten um ein vielschichtiges Phänomen handelt, das weder leicht auf einen Nenner zu bringen ist noch mit einigen wenigen Handgriffen der „politischen Hygiene“ abzufertigen wäre. Insbesondere die unschar­fe, zum Teil von Rechtspopulisten bewusst in Kauf genommene Grenze zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus verleitet andere Akteure in der Politik und in den Medien dazu, einzelne Teile der Er­schei­nungsformen des Rechtspopulismus bereits für das Ganze zu hal­ten und daraus Lösungsvorschläge abzuleiten.

So besteht etwa ein nicht zu unterschätzendes Problem im Umgang mit PEGIDA, und in Teilen auch im Umgang mit der AfD, darin, das Phäno­men des Rechtspopulismus mit dem Phäno­men des Rechtsextremismus zu identifizieren und die Anhänger von Partei und Protestbewegung in bewährter bundesrepublikanischer Manier aus dem Diskurs auszugren­zen. Doch warum sollte dies ein Problem sein, wo doch zahlreiche Äuße­rungen von verantwortlichen AfD-Politikern, wie etwa Björn Höcke, Vor­sit­zender der AfD in Thüringen, oder Markus Frohnmeier, Bundesvorsit­zender der Jungen Alternative, den Eindruck erwecken, die Unterschei­dung zwischen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten solle gerade aufgehoben werden? Und auch von der PEGIDA-Bühne in Dresden sind schon Äußerungen zu hören gewesen, die semantisch an das Vokabular der Völkischen und Jungkonservativen der 1920er Jahre anschließen, also jenen, die neben anderen gemeinhin auch als Wegbereiter des Nationalsozialismus zu gelten haben.

Die Gleichsetzung von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ist in mehreren Hinsichten problematisch. Zunächst und ganz in der Tradition der Selbstvergewisserung bundesrepublikanischer Narrative handelt es sich bei der Gleichsetzung von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten um eine Verharmlosung des Vergangenen. Heutige Protagonisten wie etwa Björn Höcke und Lutz Bachmann in die Traditionslinie der Natio­nal­­­sozialisten zu stellen, dämonisiert erstere nicht nur maßlos, es ent­wertet auch die Erinnerung an den Zivilisationsbruch der nationalsozia­listischen Herrschaft. Die Gleichsetzung von Rechtspopulisten mit Rechts­extremisten ist aber auch eine Verharmlosung des Gegenwärti­gen. Indem das Problem, das PEGIDA und AfD darstellen, als ein schein­bar bekanntes Problem identifiziert wird, für das man auf bereits be­währ­te Instrumente – Diskursausgrenzung und Lichterketten – zurück­greifen könne, begibt man sich in die trügerische Sicherheit, das Pro­blem gelöst zu haben, bevor es verstanden wurde. Insofern sind Äuße­rungen über PEGIDA und ihre Organisatoren, etwa dass es sich bei ihnen um „Nazis in Nadelstreifen“ (Ralf Jäger, Innenminister Nordrhein-West­falens), „harte Rechtsextremisten“ (Thomas de Maizière, Bundesinnen­minister) oder gar „wahnsinnige Faschisten“ (Yasmin Fahimi, ehemalige Generalsekretärin der SPD) handelt, der Ausdruck eines fundamentalen Irrtums über das Wesen der rechtspopulistischen Aufwallungen der nun­mehr vergangenen zwei Jahre.

Wie, so mag man nun fragen, ließe sich der ‚neue‘ Rechtspopulis­mus angemessen einordnen und welche Strategien des Umgangs erscheinen angezeigt? Zunächst einmal ist der These entgegenzutreten, Rechtspo­pu­lismus, zumal ein erfolgreicher Rechtspopulismus, sei ein neues Phä­nomen in der Bundesrepublik. Die Halbwertzeit des politischen Ge­dächt­nisses ist in dieser Frage einigermaßen merkwürdig. Die Bundes­republik sah sich bereits schon einmal einer ganz ähnlichen politischen Konstellation ausgesetzt, als Ende der 1980er Jahre die Republikaner unter Franz Schönhuber zu einem Höhenflug ansetzten und 1989 zu­nächst in das Berliner Abgeordnetenhaus, dann ins Europaparlament und schließlich auch in den Landtag von Baden-Württemberg einzogen. Sowohl die thematischen Profilierungen der Republikaner wie auch die aufgeschreckten Gegenreaktionen der angestammten Parteien erinnern in starkem Maße an die aktuelle Situation. Schon damals war von einer „Asylflut“, von „Altparteien“ und den Vorstellungswelten des „einfa­chen Mannes auf der Straße“ die Rede. Und schon damals übten sich die Politiker der Volksparteien in der Praxis des Ignorierens oder der Diffa­mie­rung. Beides sind Strategien, von denen Rechtspopulisten profitie­ren. Im Fall des Ignorierens betonen sie ihre Verschiedenheit von den ‚Altparteien‘ und die durch die Ausgrenzung offenbar werdende große Distanz zwischen der Politik und dem Volk. Im Fall der Diffamie­rung betonen sie dagegen ihre Opferrolle. Jeweils aber fallen diese Strategien der ‚politischen Klasse‘ als Beweis für ihre Abgehobenheit auf die Füße.

Eine der wenigen Ausnahmen von diesen beiden Strategien des Um­gangs mit Rechtspopulisten stellte Peter Glotz, damaliger Bundesge­schäftsführer der SPD, dar, der sich in direkte Auseinandersetzungen mit Franz Schönhuber gewagt hatte und von dem einiges zu lernen ist, dar­unter wohl vor allem, dass eine Konfrontation zwar mit einigem Risiko behaftet ist, aber den besten politischen Ertrag verspricht. Oder wie Glotz es 1989 ausdrückte: „Bei Ideen hilft nicht verbieten, sondern nur widerlegen” (Glotz 1989, 39). Aber auch in anderer Hinsicht ist von Peter Glotz in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten zu lernen. Es geht um den politischen Stil und die Logik der liberalen Demokratie: Möchte man innerhalb dieser Logik bleiben, so ist zu konstatieren, dass das wichtigste Instrument eines liberalen Demokraten das Wort ist. Da­her ist mit dem Wort sehr sorgsam umzugehen. Ein liederlicher Ge­brauch führt unweigerlich zum Verlust des Differenzierungsvermögens. Da sich uns die Welt nur durch die Sprache erschließt, würde ein unprä­zi­ser Gebrauch des Wortes für den liberalen Demokraten zu einem Ver­lust der Einsichtsfähigkeit in die beobachtbare Realität und auch in das politisch Notwendige führen. In den Worten von Glotz: „Wenn alle Neo­nazis wären; wenn wir das Wort ‚Faschismus‘ benutzten wie der betrun­kene Kleinbürger das Wort Hure; als schärfste Form der Beschimpfung, abstrahierend von seinem Sinn“ (Glotz 1989, 42), so könnten wir nicht mehr unterscheiden und versuchten vielleicht sogar, so wie in Dresden oft geschehen, eine PEGIDA-Demonstration, die in ihrer Teilnehmer­schaft mehrheitlich nicht aus klassischen Rechtsextremen und Neonazis besteht, mit Losungen wie „Nazis raus“ zu begegnen. Erfolglos im Übri­gen und dies seit mehr als zwei Jahren.

Lösungsansätze

Was also wäre zu tun, was wäre zu raten? Vor allem scheint es geboten, die eigene Sprache und eigene Semantiken zu überprüfen. Der Rechts­populismus, so wie er sich in PEGIDA und AfD materialisiert, ist zuerst keine Gefahr für die bundesrepublikanische Demokratie, sondern eine Herausforderung für die Streiter der liberalen Demokratie. Diese Heraus­forderung erscheint besonders groß und unbekannt, nicht zuletzt, weil die Erinnerung an die Republikaner erodiert ist. Dennoch sind mindes­tens drei Strategien erfolgversprechend: Gelassenheit, Stärkung inter­mediärer Institutionen und diskursive Auseinandersetzung.

Notwendig ist zunächst eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit rechtspopulistischen Aufwallungen. Streiter der liberalen Demokratie sollten auf die Integrationskraft der Institutionen vertrauen. Und sie sollten darauf vertrauen, dass die Mühen der Ebene im parlamenta­ri­schen Alltag noch jeden getroffen haben und demzufolge auch entspre­chen­de Sozialisierungs- und Lerneffekte in Gang setzen können.

Zweitens ist mit Blick auf die intermediären Institutionen liberaler Demokratien eine Strategie der Stärkung notwendig. Gemeinhin gilt, dass Rechtspopulisten, sofern sie demokratisch an die Macht gelangen, dazu neigen, intermediäre Insti­tutionen zu schwächen oder abzuschaf­fen. Dies lässt sich gegenwärtig an Viktor Orbáns Ungarn studieren. Am Beispiel des besonderen Erfolgs der Rechtspopulisten in den neuen Bun­desländern lässt sich aber auch lernen, dass die Abwesenheit von star­ken, weit in die Gesellschaft hinein verwurzelten intermediären Insti­tutionen eine Gesellschaft ebenso leicht zur Beute für Rechtspopulisten werden lässt. Die Stärkung dieser intermediären Institu­tionen, in denen Bürger die Praxis der Demokratie in Vereinen und Verbänden, in politi­schen Vorfeldorganisationen wie auch in den Parteien selbst erfahren und schätzen lernen können, muss Ziel einer Demokratiepolitik sein.

Drittens gilt es, sich auch mit rechtspopulistischen Positionen argumen­tativ auseinanderzusetzen, anstatt diese zu meiden. Es ist notwendig, sich dafür mit den Argumenten der Rechtspopulisten vertraut zu ma­chen und Benennungsstrategien für jene Fälle zu entwickeln, wo ihre Sprache in die Semantiken der Neuen Rechten wechselt. Es gilt aber auch, sachlich zu bleiben, um keine Angriffsfläche für Opferrhetoriken herzustellen. Und schließlich gilt es, populistischen Vereinfachungen durch Geduld und Sorgfalt sowie mit Differenzierung zu begegnen. Differenzierung bedeutet, im Umgang mit Rechtspopulisten zwischen den Führungsfiguren und ihren Anhängern zu unterscheiden. Letztere äußern ihren Protest aus heterogenen Gründen, etwa auch aus sozialer, politischer und kultureller Entfremdung. Geduld und Sorgfalt wiederum sind auf die eigene Argumentation zu richten. Die formelhafte und an­eig­­nende Berufung auf universelle Werte wirkt ausgrenzend. Wer sich ohne weitere Argumente nur im Bunde mit dem Grundgesetz behaup­tet, erklärt den politischen Gegner zum politischen Feind. Und politische Feinderklärungen, die in der Ordnung des Grundgesetzes dem Bundes­verfassungsgericht vorbehalten sind, gilt es gerade im Wettstreit der Ideen und Argumente zu vermeiden.