Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016
Sechste „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung
Bereits zum sechsten Mal erschien im November 2016 die sogenannte „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der seit 2006 im Zweijahresrhythmus rechtsextreme Einstellungen unter Bundesbürgerinnen und -bürgern erhoben werden. Zum zweiten Mal seit 2014 werden diese Daten in der vorliegenden Publikation zusammengeführt mit Daten zu Vorurteilen gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen (gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, GMF), die das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld seit 2002 erhebt. Für diese Studie wurden zwischen Juni und August 2016 knapp 1.900 repräsentativ ausgewählte Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit ab 16 Jahren per Telefon befragt.
An wesentlichen Trends lässt sich zunächst festhalten, dass negative Einstellungen zu gesellschaftlichen Gruppen in vielen Fällen stabil oder rückläufig sind: So ist die Abwertung von Menschen mit Behinderung nur gering verbreitet (2 %). Vorurteile gegenüber Menschen mit homosexueller Orientierung sind seit 2002 (22 %) rückläufig und betragen heute 10 %. Ein offener Antisemitismus begegnet heute bei noch bei 6 % (2002: 13 %). Auch Rassismus (Abwertungen auf der Grundlage einer quasi biologischen und ideologisch konstruierten „natürlichen“ Höherwertigkeit der Ingroup, 9 %), Sexismus (Zuweisung einer häuslichen Rolle an Frauen und Behauptung einer natürlich gegebenen Überlegenheit des Mannes, 9 %) sowie Vorurteile gegenüber Neuhinzugezogenen (39 %), Wohnungslosen (18 %) oder Sinti und Roma (24 %) sind bis 2014 rückläufig und seitdem stabil. Dagegen sind Vorurteile gegenüber asylsuchenden Menschen von 44 % (2014) auf heute 50 % angestiegen. Muslimfeindliche Einstellungen sind zwar im längerfristigen Vergleich zurückgegangen, seit 2014 aber wieder um einen knappen Prozentpunkt auf 18 % gestiegen. Stabil hoch sind auch die negativen Einstellungen zu langzeitarbeitslosen Menschen (49 %).
Insgesamt stellt die Studie eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft fest: Eine tiefe Spaltung, die derzeit kaum überbrückbar erscheint, geht insbesondere durch die Mitte der Gesellschaft. Exemplarisch für die Gespaltenheit der Gesellschaft steht das Thema Flüchtlinge. Hier ist die Stimmung in der Mehrheit der Bevölkerung deutlich positiver als oft unterstellt; gleichzeitig zeigt sich eine klare Polarisierung der Meinungen: Während eine Mehrheit für Weltoffenheit und Toleranz ist, fordert eine (allerdings nicht ganz kleine und laute) Minderheit Abschottung und nationale Rückbesinnung. So finden z. B. 56 % der Bevölkerung die Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland gut und weitere 24 % zumindest „teils-teils gut“. 77 % sind eher oder sehr hoffnungsvoll, dass es uns als Gesellschaft gelingen wird, die aktuelle Situation zu bewältigen. Nur 20 % finden es „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ gut, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat. 41 % geben an, sie selbst oder jemand aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis engagiere sich ehrenamtlich für Flüchtlinge; bei 51 % ist dies „eher oder überhaupt nicht“ der Fall. Nur eine kleine Minderheit fühlt sich durch Flüchtlinge in ihrer Lebensweise (6 %) bzw. finanziell (7 %) bedroht; immerhin befürchten jedoch 24 %, dass der Lebensstandard in Deutschland wegen der Aufnahme der Flüchtlinge sinken wird. 38 % sprechen sich klar für eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen aus, 21 % sind strikt dagegen.
Dezidiert rechtsextreme Einstellungen sind im Vergleich zu den Jahren seit 2002 geringer ausgeprägt, im direkten Vergleich zu 2014 allerdings wieder leicht angestiegen. Dieser Anstieg geht vor allem auf Ostdeutschland zurück, wo sich die Zustimmung zu einem Gesamtindex rechtsextremer Orientierung seit 2014 verdoppelt hat. Aktuell liegt die Zustimmung bei 2,8 % (West: 2,3 %, Ost: 5,9 %). Eine klare Zustimmung zu rechtspopulistischen Einstellungen (Fremden- und Muslimfeindlichkeit, aggressive Straforientierung/Law-and-Order-Autoritarismus sowie Demokratiefeindlichkeit) finden sich bei 20 % der Bevölkerung.
Nach den Ergebnissen der Studie werden klassische rechtsextreme Einstellungen zunehmend durch die modernisierte Variante neurechter Einstellungen abgelöst, die in subtilerer Form und im intellektuelleren Gewand nationalistisch-völkische Ideologien transportieren. Diese Einstellungen sind durch ein Konglomerat an Verschwörungstheorien charakterisiert: eine vermeintliche Unterwanderung durch den Islam, die Behauptung eines Meinungsdiktats, eine Beschimpfung des „Establishments“ als illegitim, verlogen und betrügerisch, die Forderung nationaler Rückbesinnung gegen die EU und der Aufruf zum Widerstand gegen die aktuelle Politik. 28 % der Bevölkerung teilen dieses Einstellungsmuster; bei Sympathisanten der AfD sind es 84 %. Befragte mit geringerer formaler Bildung und aus Ostdeutschland neigen stärker zu neurechten Einstellungen; Alter und Geschlecht spielen dabei keine große Rolle.
Für knapp 13 % der Befragten stellt die AfD eine Wahloption dar; rechnet man diejenigen dazu, die die Argumente dieser Partei als „oft überzeugend“ ansehen, kommt man auf knapp 26 % an Sympathisanten der AfD. Diese Gruppe ist im Vergleich zu 2014 deutlich nach rechts gerückt: AfD‑Sympathisanten sind menschenfeindlicher und rechtsextremer eingestellt als Nicht-Sympathisanten, und dieser Trend hat sich 2016 verstärkt.
Die Studie befasste sich auch mit der Thematik politischer Teilhabe an der Zivilgesellschaft. Danach ist innerhalb der letzten fünf Jahre kein Anstieg in der Partizipationsbereitschaft zu erkennen. So z. B. wären 45 % bereit, sich an einer Demonstration gegen Rassismus zu beteiligen; eine deutliche Minderheit von 7 % gibt an, an einer Demonstration gegen Zuwanderung teilnehmen zu wollen. Diese vergleichsweise kleine Gruppe zeigt sich radikal mit Blick auf ihre politischen Einstellungen (deutlich höheres Demokratiemisstrauen, Gewaltakzeptanz bzw. ‑bereitschaft sowie Zustimmung zu rechtsextremen Positionen).
Als Konsequenz aus diesen Ergebnissen schlagen die Autorinnen und Autoren der Studie vor, das vorhandene zivilgesellschaftliche Kapital anzuerkennen, also die Mehrheit der offenen, demokratietreuen und Pluralität positiv gegenüberstehenden Menschen angesichts einer lauten rechtspopulistischen Minderheit nicht aus dem Blick zu verlieren. Zum zivilgesellschaftlichen Kapital, das eine gewisse Widerstandfähigkeit gegenüber Ausgrenzungen verbürgt, gehört auch der Schatz an Wissen, Handlungskompetenzen und Erfahrungen, die viele Bürgerinnen und Bürger in der Hilfe für Geflüchtete gezeigt, getauscht und gesammelt haben. Zudem ist es wichtig, „zivilcouragierte Bildung“ zu ermöglichen und für Konflikte fit zu machen. Insgesamt ist eine demokratische Kultur der Gleichwertigkeit zu stärken, die Vielfalt schätzt und Minderheiten eine Stimme verleiht. Politische Bildung sollte versuchen, die aufgeheizten Debatten zu versachlichen und so den Populismus entzaubern zu helfen. An diesen Aufgaben sollten sich auch kirchliche Akteure beteiligen – mehr, als sie es bisher tun.
Zick, Andreas/Küpper, Beate/Krause, Daniela, Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016, hrsg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Ralf Melzer, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf. 2016, ISBN: 978-3-8012-0488-4, 238 Seiten, € 12,90.
Auf der Portalseite fes-gegen-rechtsextremismus.de stehen – neben weiteren Informationen – der Volltext sowie eine Ergebniszusammenfassung der Studie zur Verfügung.