Rechtsextremen Tendenzen begegnen
Extremistische Meinungsmacht und erst recht Meinungshoheit greift die Grundlagen von Frieden, Menschenwürde und Demokratie an. Umso mehr ist es Aufgabe gerade für Christinnen und Christen, sich solchen Tendenzen entgegenzustellen.
Hilfestellung dazu – gleichermaßen für Katholiken und Protestanten – gibt das Buch der katholischen Theologin Angelika Strube. Es konzentriert sich auf den Rechtsextremismus. Dabei geht es ihr nicht um die Darstellung einzelner rechter Organisationen (NPD, Kameradschaften …) und ihrer Strukturen, sondern mehr um rechte Einstellungen/Thematiken und deren Verbreitungswege. Und insbesondere nimmt sie in den Blick, wie Christen mit diesem Gedankengut in Berührung kommen, wie sie dafür anfällig sein können und wie sie mit dieser Herausforderung umgehen sollen.
Es ist keine theoretische Abhandlung für ein akademisches Publikum. Im Gegenteil: Wer sich schon länger mit den entsprechenden Thematiken auseinandergesetzt hat, wird schnell mehr Detailreichtum, mehr konkrete Beispiele und komplexere Diskussionen einzelner Fragestellungen vermissen. Vielmehr hat das Buch den Charakter einer Arbeitshilfe. Die 15 Kapitel laden zur Auseinandersetzung mit konkreten Fragestellungen ein, z. B.: „Was ist eigentlich ‚rechts‘ und wo ist die Mitte?“ – „Wo kommen Christ/innen mit neurechtem und rechtsextremem Gedankengut in Berührung?“ – „Bin ich rechts, wenn ich konservativ bin?“ – „Sind Rechtsextremismus und Linksextremismus gleich bzw. gleich schlimm?“ – „Nächstenliebe auch für Neonazis?“
Die Sprache und die Darstellungsweise sind bewusst einfach gehalten. Dasselbe gilt für die 41 PDFs auf der beigelegten CD-ROM: Sie enthalten kurze/gekürzte Texte und sofort verwendbare Arbeitsblätter für kirchliche Gruppen, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen wollen. Entsprechend sind jeweils am Ende der Kapitel des Buchs „Anregungen zum Nachdenken und zum Gespräch“ formuliert und werden „Tipps zum Weiterlesen“ gegeben sowie Hinweise dazu, welche der Materialien auf der CD-ROM zum jeweiligen Kapitel passen. Hilfreiche Adressen sowie ein Literaturverzeichnis runden das Ganze ab.
So weit, so praktisch, so (wohltuend) unaufgeregt. Dennoch liegt Sprengkraft in dem Buch: Es legt den Finger in einige Wunden des deutschen Katholizismus und Protestantismus. Konkret: Strube bedenkt nicht nur die mittlerweile abgeschaltete Seite kreuz.net mit dem Nebensatz „die man als unverhohlen rechtsextrem bezeichnen kann“ (61), sondern weist auch auf die Beziehungen von Medien wie idea.de und kath.net zu neurechten Scharnierorganen wie „Junge Freiheit“ (vgl. 57 f.) hin (und nennt in diesem Kontext auch die Deutsche Evangelische Allianz) – was erwartungsgemäß zu Protesten führte. Auch macht sie auf Themen aufmerksam, über deren Besetzung rechte Kreise Nähe zu konservativen Christen herstellen (z. B. Islam, Homosexualität, Abtreibung).
Damit rückt die Thematik aber in einen größeren Kontext: Extremismus kommt nicht nur von außen auf die Kirche zu, sondern Menschen und Organisationen, die extreme Meinungen vertreten und ein Meinungsklima zu schaffen versuchen, das letztendlich mit Demokratie und Christentum unvereinbar ist, tun dies auch unter dem Etikett der Kirchlichkeit. Hier ist von kirchenamtlicher Seite nicht nur Wachsamkeit geboten, sondern auch deutliche, öffentliche Distanzierung. Mit ihren Analysen, aber auch mit ihren theologischen Ausführungen, die die Differenzen zwischen christlichem Glauben und Rechtsextremismus herausarbeiten, leistet Strube hier Vorarbeit. Zudem weist sie auf bereits erfolgte amtskirchliche Stellungnahmen hin (vgl. z. B. 172 f.). Vor allem aber ist zu wünschen, dass ihr kompaktes Buch einer Bewusstseinsarbeit dient, die alle kirchlichen Ebenen erreicht.
Martin Hochholzer