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Bildergeschichten, Glaubenserzählungen und Zitatfundus

Filme als kulturelle Begegnungsorte mit der Bibel

Die Bibel war in der Filmgeschichte von Beginn an ein Fundus für Erzäh­lungen, Bilder und Figuren, die in immer neuer Form und Variation die Leinwand bevölkerten. „Einer der ersten ,Leinwandhelden‘ ist Jesus Chris­tus: Im Jahre 1897 wurde gleich mehr als sechsmal die Passion Jesu verfilmt, zuerst von den Brüdern Basile, im gleichen Jahr von Louis Lumière mit Bildern aus 13 Szenen der Passion in ,Das Leben und die Passion Christi‘. Eine der ältesten erhaltenen Filmszenen – sie stammt aus dem Jahr 1898 – zeigt Papst Leo XIII., wie er mit ausgestreckten Armen Kamera und Filmteam segnet“ (Tiemann 1995, 23). Mag die Filmszene mit Papst Leo auch den Eindruck erwecken, dass Bibelverfil­mun­gen der ausdrücklichen Glaubensverkündigung dienten, so war dies keineswegs immer oder auch nur überwiegend der Fall. Zum einen warnten zahlreiche Kirchenvertreter vor der Verderbtheit, die viele Fil­me ihrer Meinung nach auszeichnete, zum anderen wurden die Erzähl­stoffe der Bibel schlichtweg zu Unterhaltungszwecken genutzt, denn man konnte eine allgemeine Bekanntheit voraussetzen. „Am häufigsten wurde Jesus Christus zum Filmheld gemacht: Der Mann aus Nazareth war bis 1994 über hundertzwanzigmal, nach anderen Zählungen über hundertfünfzigmal Titelheld der Filmgeschichte. … Lieblingsfiguren aus dem Alten Testament sind David (mehr als fünfzehnmal, vor allem als Monumentalmachwerk, verfilmt), Moses und Samson (beide mehr als zehnmal – auch als Abenteuer- und Sensationsfilm – gedreht)“ (ebd., zu beachten ist auch die nachfolgende Liste von Bibelverfilmungen auf den Seiten 24 bis 118).

Bibelverfilmungen waren oft genug mehr oder weniger nah am Text an­gelehnte Bebilderungen bekannter Geschichten oder der Text diente zu­mindest als Inspiration für die Inszenierung bestimmter Gestalten (z. B. Esther oder Barabbas) und einer abenteuerlichen Geschichte. So können die fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und auch noch die ers­te Hälfte der sechziger Jahre als Hochzeit der großen Monumental­filme, in denen sehr oft Bibelthemen im Mittelpunkt standen, bezeich­net werden: ‚Quo Vadis‘ (1951), ‚Die zehn Gebote‘ (1956), ‚König der Kö­ni­ge‘ (1960) oder ‚Die Bibel‘ (1966). Allen diesen Filmen gemeinsam ist ein äußerst naiver Umgang mit dem biblischen Text und ein besonderes Interesse an Panorama-Inszenierungen, Massenszenen und abenteuer­lichen Erzählstoffen. So ist ‚Ben Hur‘ (1959) weniger wegen der zeitli­chen Parallele der Lebensgeschichte der Titelfigur mit der Person Jesu bzw. der damit verbundenen Glaubens- und Erlösungsgeschichte im Gedächtnis geblieben, sondern wegen des mit unglaublichem Aufwand inszenierten Wagenrennens. Interessanter – zumindest aus theologi­scher Sicht – waren dann die Verfilmungen, die den Bibeltext als Rei­bungs­fläche aufnahmen, um Kritik an Kirche und Gesellschaft zu üben oder ganz einfach den Zuschauern einen Spiegel vorzuhalten. So be­sticht der von Pier Paolo Pasolini gedrehte Jesusfilm ‚Das 1. Evangelium Matthäus‘ nicht nur durch seine Textnähe, sondern lenkt durch die Karg­heit der Inszenierung und die Beteiligung von Laiendarstellern den Blick des Zuschauers auf Inhalte der biblischen Botschaft. „Als Ziel seines Films möchte Pasolini ‚ein Leben vorführen, das ein – wenn auch unerreichbares – Vorbild für alle ist.‘ Außerdem will er den Kontrast zwischen der Armut des einfachen Volkes, dem Hochmut der Reichen und der Barmherzigkeit Jesu herausarbeiten“ (ebd. 147).

Andere Wege gehen dann Filme in den siebziger und achtziger Jahren, indem sie nicht mehr eine (quasi) direkte Sicht auf die Zeit Jesu versu­chen, sondern die Haupthandlung auf eine Metaebene verlegen. Be­kannte Beispiele sind ‚Jesus Christ Superstar‘ (1972), der im Gewand eines Musicals ein Passionsspiel zeigt, oder ‚Jesus von Montreal‘ (1989). Der Regisseur Denis Arcand greift in seinem ‚Jesus von Montreal‘ eben­falls die Inszenierung eines Passionsspiels auf, thematisiert aber auch die historisch-kritische Bibelexegese und bietet in der Haupthandlung eine zeitgenössische Neuinterpretation der neutestamentlichen Aussa­gen: Der (Jesus-)Darsteller Daniel sucht sich sein Ensemble so, wie Jesus seine Jünger beruft, es gibt eine Versuchungsszene (der Satan ist ein Rechtsanwalt), eine Verhaftung, eine Gerichtsverhandlung, Verurtei­lung, Tod und neues Leben. Am Ende sind es die Mitspieler aus der Auf­führung von Daniel (bzw. die Jünger), die darüber nachdenken, wie es weitergehen kann. Biblische Erzählung, kirchliche Wirklichkeit und Kritik und die Frage nach dem Glauben(sweg) heute finden durch den Film ihren Weg zu den Menschen. So sind Bibelverfilmungen auch im­mer wieder Spiegel der Gesellschaft bzw. einer Kultur, in der der christ­liche Glaube sich vom kaum angefragten Leitmedium zur Diskussions­plattform und schließlich zu einem eher randständigen Phänomen ent­wickelt. Die Filme, die die Bibel als Impuls- und Inhaltsgeber themati­sie­ren, sind auch nicht notwendigerweise Glaubensdramen.

In der weiteren Entwicklung wird das Medium Film zunehmend mehr zum kulturellen Ort für biblische Zitate, sowohl in expliziter als auch impliziter Form. Beispiele für explizit aufgegriffene und an zentraler Stelle filmisch verarbeiteter Bibelzitate sind die Filme ‚Mission‘ (1986) und ,Dead Man Walking‘ (1992). Beide Filme greifen theologische bzw. kirchliche Fragestellungen auf. ‚Mission‘ schildert das Schicksal der Jesuiten-Missionen in Zentral-Lateinamerika im achtzehnten Jahrhun­dert. Am Beispiel einer vom Söldner und Sklavenhändler zum jesuiti­schen Missionar konvertierten Figur wird die Frage nach Schuld und Versöhnung und der darin zentralen Botschaft von der (Gottes- und Nächsten-)Liebe inszeniert. Bevor die Hauptfigur Rodrigo die Weihe als Jesuit erhält, liest er das Hohelied der Liebe in 1 Kor 13 und erkennt in den Aussagen des Textes seine Lebensaufgaben: sich von nun an ganz für die in der Mission betreuten Ureinwohner, die Yanomami, einzuset­zen. Allerdings lassen ihn die auf dem Rücken der Ureinwohner ausge­tra­genen politischen Streitigkeiten der Kolonialmächte Spanien und Portugal wieder in seine alte Rolle als Soldat zurückfallen. Gerade we­gen seiner Liebe zu den ihm anvertrauten Menschen gerät er in den Konflikt zwischen gewaltfreiem Glauben und aktivem Schutz der von (tödlicher) Gewalt bedrohten Yanomami.

Auch ‚Dead Man Walking‘ stellt eine biblische Aussage in den Mittel­punkt der Handlung: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32). (Angesichts des Themas Todes­strafe spielen natürlich auch einschlägige Bibelworte wie „Auge um Au­ge“ oder „Du sollst nicht töten“ eine Rolle, sind aber nicht handlungs­leitend.) Erzählt wird die auf wahren Begebenheiten beruhende Ge­schich­te eines in den USA wegen Mordes zum Tode Verurteilten, der in den letzten Wochen vor seiner Hinrichtung durch eine Ordensschwester geistlich begleitet wird. Neben einem erfolglosen Gnadengesuch, den schrittweise offen gelegten Hintergründen der Tat und den Begegnun­gen mit den Familienangehörigen sowohl des Täters als auch der Opfer stehen vor allem die Gespräche zwischen dem Verurteilten Mathew Poncelet und der ihn regelmäßig im Gefängnis besuchenden Schwester Helen Prejean im Mittelpunkt der Filmhandlung. Während Poncelet auf die Durchführung eines Lügendetektortestes drängt, um seinen Ange­hö­ri­gen zu beweisen, dass er die ihm vorgeworfene Ermordung zweier Teenager (Walter und Hope, die bei einem Rendezvous im Wald über­rascht wurden) nicht verübt hat, möchte Schwester Helen ihn dazu brin­gen, sich aus freien Stücken der Wahrheit des damals Geschehenen zu stellen, um seine Taten ehrlich bereuen zu können. Im Zentrum steht somit die Wahrheit der Handlungen, letztlich die Beurteilung der eige­nen Existenz. Schwester Helen empfiehlt Poncelet die Bibelstelle Joh 8,32; dieser missversteht Wahrheit aber als Aufklärung über die reine Faktenlage. Schwester Helen sagt daraufhin zu Poncelet: „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen auf ihrem Weg zur Hinrichtung zur Seite stehen soll, wenn Sie nicht vor sich selbst eingestehen, welche Schuld Sie am Tod von Walter und Hope trifft.“ Ein Bibelzitat erhält eine neue Deu­tung, weil es zum zentralen Leitmotiv eines (gewaltsam) zu Ende gehenden Lebens wird.

Manchmal sind es auch biblische Figuren bzw. Stoffe, die den Hinter­grund der Geschichte bilden, wie z. B. Hiob. Sowohl im Film ‚Adams Äpfel‘ (2005) als auch im Film ‚A Serious Man‘ (2009) liefern Geschichte und Person Hiobs den Stoff für schwarzhumorige Satiren, in denen durchaus ernst zu nehmende Fragen nach dem Sinn und der Beurtei­lung von Leid und Unglück in der Welt verhandelt werden. In diesen implizit in den Filmen auftauchenden Bibelbezügen (im Film ‚A Serious Man‘ wird der Name Hiob nicht genannt, während in ‚Adams Äpfel‘ ei­ne Bibel zur Lektüre dient, ohne direkt daraus zu zitieren) werden vor allem Menschenschicksale auf einer universalen Ebene behandelt. We­der wird die allgemeine Bekanntheit des biblischen Stoffes direkt vor­ausgesetzt (wie noch in den fünfziger und sechziger Jahren) noch steht ein Gottesbezug im Fokus. Vor allem aber wird die biblische Geschichte selbst nicht bebildert, sondern eine gegenwärtige Geschichte lebt von implizit verarbeiteten biblischen Bildern, die mit neuem Inhalt gefüllt werden.

Diese nun beschriebenen Entwicklungen verlaufen aber keineswegs aus­schließlich chronologisch einander ablösend, sondern durchdringen und überlappen sich und laufen auch parallel. Auch heute werden noch Bebilderungen biblischer Stoffe dargeboten. Bekanntestes Beispiel ist wohl ‚Die Passion Christi‘ (2004) von Mel Gibson, der nicht nur unzähli­ge Kinozuschauer fand, sondern plötzlich Debatten über biblische In­hal­te bis hinein in die Feuilletons der großen Tageszeitungen zur Folge hatte. Mit dem Film ‚Noah‘ (2014) scheint sogar eine neue Bibelfilm­wel­le auf die Kinos zuzukommen. Der Film ‚Exodus‘ ist für Weihnachten 2014 angekündigt, so dass nach Noah nun Mose als eine der bekanntes­ten Figuren des Alten Testaments erneut Held einer Abenteuerge­schich­te wird. Im Film ‚Noah‘ hat der Regisseur Darren Arono­fsky diskussions­werte Neuinterpretationen der auch heute noch allseits bekannten Ge­schichte von der Sintflut und der rettenden Arche vorgenommen. „Aronofsky erweitert die biblische Handlung, indem er sie moderni­siert, interpretiert und umschreibt. So ersinnt er einen über Generatio­nen währenden Grundkonflikt zwischen dem ‚Stamm Kains‘, der sünd­haft lebt, was sich vor allem darin zeigt, dass dessen Angehörige Jäger und Fleischesser sind. Die unschuldigen Nachfahren Sets sind hingegen gottesfürchtige Sammler, Pazifisten und Vegetarier“ (Suchsland 2014). So wird die Geschichte Noahs zur Parabel über die Natur des Menschen, der durch seine Gewalttätigkeit nicht nur seine Umwelt, sondern auch sich selbst zerstört. Den göttlichen Auftrag erschließt sich Noah aus seinen Träumen, deren surreale Bilder zu den besten des Films gehören. Ähnlich wie Noah ist auch der Zuschauer beständig im Zweifel, ob Gott denn all dies wirklich so gewollt haben kann. Es ist ein konsequent anthropologisch gewendetes Gottesbild: Nur durch Taten und Worte der Menschen lässt sich der Wille Gottes erschließen, Gott selbst ist nicht direkt wahrnehmbar und es bleibt immer ein letzter Zweifel, ob die Menschen nicht doch ihre eigenen Absichten als den Willen Gottes ausgeben bzw. die ‚Botschaften‘ richtig deuten.

Spielfilme haben die Literatur als massenhaftes Erzählmedium längst abgelöst, aber die Grundlage der erzählten Geschichten bleibt literari­scher Natur, allen voran die Bibel als das vielleicht bedeutendste Stück Weltliteratur. Filme erzählen aber vom Schicksal der Menschen – von ihrer Freude und ihren Hoffnungen, ihrer Trauer und ihren Ängsten – und thematisieren Gott nur insoweit, als er von den Menschen als Teil ihres Schicksals wahrgenommen wird. Der Film als kultureller Begeg­nungs­ort der Bibel ist also ein anthropologisches Laboratorium, in welchem theologische Themen und Bezüge verhandelt werden. Ins­besondere der ‚Mensch gewordene‘ Gott, der Gott nahe bei bzw. in den Menschen ist für das Kino interessant. Die Bilderwelten der Bibel bleiben sicher noch lange Zeit ein unerschöpfliches Reservoir, um über das menschliche Schicksal zu erzählen. Der Trailer von ‚Exodus‘ lässt darauf schließen, dass sich die Geschichte eng an die Moses-Erzählung anschließt wie im Film ‚Der Prinz von Ägypten‘ (1997/1998), welcher im Kern wiederum die gleiche Handlung erzählt wie die auch zum damaligen Zeitpunkt schon mehrfach verfilm­te Geschichte der ‚Zehn Gebote‘ (1957). Die Bekanntheit der Geschichte ändert aber nichts an der möglichen Spannung der Neuerzählung. Viel­leicht verhilft gerade die Bekanntheit dazu, neue Perspektiven zu er­öffnen. Wir werden sehen ...