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Himmelwärts und weltgewandt. Kirche und Orden in (post-)säkularer Gesellschaft

Der durchgängig zweisprachige Sammelband (deutsch, englisch) stellt die Dokumentation des Abschlusssymposiums eines zweijährigen For­schungsprojektes mit dem Titel „Glaubensvermittlung in gesellschaftli­chen und religiösen Transformationsprozessen“ dar. Er bietet Einblicke aus der Perspektive der Mendikanten, insbesondere der franziskani­schen und dominikanischen Ordensfamilie. In einer als säkular oder auch als post-säkular bezeichneten Zeit fragen die Beiträge neu nach der Bedeutung und dem Verhältnis von Individualität und Pluralität einer­seits, von Identität Einzelner und Gemeinschaft andererseits.

Das große Verdienst der meisten Beiträge ist, in positiver und kreativer Weise Säkularität als Bedingung und Ansatzpunkt gegenwärtiger Glau­benskommunikation ernst zu nehmen und von dorther weiterzudenken und nicht in einer kulturpessimistischen Apologetik angesichts der ge­sell­schaftlichen Veränderungsprozesse zu verharren. Umso mehr ver­wun­dert jedoch die etwas künstlich anmutende Einteilung der dargebo­tenen Stoffe in die Abteilungen „theoretische“, „globale“, „franzis­kani­sche“, „moderne“, „kirchliche“ und „empirische Welten“, die sich als Ordnungsprinzipien auf derselben Ebene nicht so recht harmonisie­ren lassen wollen. Nicht alle Beiträge stehen auf gleich hohem Niveau der Reflexion und Entfaltung. So mutet der Beitrag des kanadischen Bi­schofs John Corriveau wie ein kapuzinisches Memento einer bestimm­ten Variante der Communio-Ekklesiologie an. Andere Beiträge fragen mutiger nach den neuen Bedingungen und den neuen Formen von Ge­meinschaft. So wirbt Slavica Jakelić für die Kooperation zwischen Ange­hörigen religiöser und säkularer Weltanschauungen zum Wohl des Ge­meinwesens, wobei sie immer noch den „Säkularismus“ als eine Anti­these zur Religion erfasst und die komplizierten Mischungsverhältnisse von religiösen und säkularen Anteilen in Einzelnen und in Gesellschaf­ten offenbar methodisch sauber auseinanderhalten und gegeneinander stellen will. Dagegen macht die Analyse von José Casanova deutlich, dass Säkularität sich auf verschiedenen Ebenen und geografisch sehr differenziert und unterschiedlich vollzieht. Er unterscheidet Prozesse der emanzipatorischen Abgrenzung weltlicher Bereiche von der Reli­gion, religiösen Bedeutungsverlust und davon noch einmal Privatisie­rung von Reli­gi­on, die in unterschiedlichen Verhältnissen zusammen­wirken oder auch nicht. Er weist darauf hin, „dass man im selben säku­la­ren ‚immanenten Rahmen‘ auf sehr unterschiedliche religiöse Dyna­miken treffen kann“ (43). Das Prinzip der Religionsfreiheit führte nach Casanova zu einer „modernen Konzeption von Religion als etwas, das nicht auferlegt oder erzwungen werden konnte und das Individuen in ihrem persönlichen Bewusstsein mit sich tragen“ (45). Er zeigt auf, dass nur eine Kirche, die einen reichen Pluralismus in ihrem Inneren unter­stützt und begrüßt, eine angemessene Umgangsform mit der wachsen­den Pluralität der Welt sein kann, und versteht Säkularität so neutral als einen „anthropologischen Zustand der Offenheit gegenüber allen Arten religiöser und weltlicher Optionen“ (53).

Von dem Bemühen, den Antagonismus von Religiosität und Säkularität zu überwinden, sind auch die Versuche von András Máthé-Tóth über die Transformationsprozesse des Religiösen in Osteuropa, über die Theolo­gie des „Dazwischenliegenden“ (121) von Angel Méndez Montoya und von Marcin Lisak über die These einer nomadischen Religiosität, die ei­ner hohen Mobilität geschuldet ist und zu Entterritorialisierung und zur Verringerung der Rolle lokaler Zugehörigkeit führt, geprägt. Die fran­ziskanische Befassung führt bei Thomas Dienberg zu der Suche nach einer neuen Spra­che der Einfachheit, „die zu Herzen geht, die den Men­schen unmittelbar trifft“ (193) und der Gebrochenheit gegenwärtiger Welterfahrung Rechnung trägt. Er schlägt vor, dazu eine poetische Spra­che einzuüben, mit der die Theologie zur Theo-Poesie wird. Thomas Eggensperger entwickelt seine spezifische Analyse von Modernisie­rungs­prozessen, in der die Betrachtung von Individualisierungsprozes­sen im Mittelpunkt des Interesses steht und gleichzeitig der Raum, in dem sich dieses ereignet, als eine Sphäre des „Mundanen“ begriffen wird, die „sowohl das Politische, das Öffentliche, das Säkulare, aber auch das Religiöse umgreift“ (254). Weitere Spuren legen Bernhard Kohl und Stefan Knobloch, die beide die Gedankenwelt des Michel de Certeau weiterführen, der eine, indem er Verletzbarkeit als spirituelle Grundgegebenheit ernst nimmt, der andere, insofern er darüber nach­denkt, „wie die Präsenz Gottes aus den Phänomenen der Säkularisie­rung selbst emergiere“ (287). Knobloch deutet das II. Vatikanische Kon­zil auf dem Hintergrund der „via illuminativa“ Bonaventuras, dass näm­lich Gott in jeder Wirklichkeit verborgen anwesend sei, um in ihr als Verborgener erfühlt und erkannt zu werden (287). Insbesondere die zehn Thesen zur Zukunft des Ordenslebens von Ulrich Engel, die sich als neo-existenzialistisch und postsäkular verstehen, überschreiten den Be­deutungsbereich monastischer Existenz und lassen sich grundlegend auf dem Hintergrund kirchlicher und pastoraler Transformation lesen und handlungsbezogen umsetzen. Aus den Thesen spricht viel Mut und Radikalität, die veränderten gesellschaftlichen und mentalen Bedingun­gen zum Ausgangspunkt neuartiger Pastoral zu machen, die in flexiblen Sozialformen das Eigentliche kirchlicher Sendung in positiv-konstrukti­ver Auseinandersetzung mit der „Welt“ zum Vorschein zu bringen hat.

Verantwortliche für Pastoral auf verschiedenen Ebenen und pastorale Praktiker werden diesen inspirierenden Band mit Gewinn lesen können. Die Beiträge nehmen die Inkarnation des göttlichen Wortes, also seine Antreffbarkeit in der Welt ernst. Sie wird für sie zur Einladung, nach den heute inkulturierten Formen des lebendigen Gotteswortes zu su­chen und so kirchliche Sendung und Verkündigung, kurz: Pastoral zu verstehen und zu gestalten. Insgesamt ein visionärer Entwurf, auch als spezifischer Beitrag angesichts des nun beginnenden weltkirchlich aus­gerufenen Jahres der Orden.

Hubertus Schönemann