Kulturelle Begegnungsorte mit der Bibel. Biblische Stoffe und grundsätzliche Menschheitserfahrungen
Hinführung
Paul VI. bezeichnete 1975 den Bruch zwischen Evangelium und Kultur in dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi als „das Drama unserer Zeitepoche, wie es auch das anderer Epochen gewesen ist“ (EN 20). Diesen Bruch zu überwinden ist Aufgabe der Kirche, zumal einer, die sich auf ihr missionarisches Wesen besinnt. Bei diesem Unternehmen kommt eine erstaunliche Inkulturations- und Translationsfähigkeit des Evangeliums zu Vorschein: „Der christliche Glaube ist wie kaum eine andere Religion in der Lage, die Frohe Botschaft Jesu Christi durch den alle endlichen Grenzen immer wieder durchbrechenden Geist Gottes allen Epochen, Kulturen und Sprachen zugänglich zu machen“ (Lehmann 2005, 5). Die Kirche hätte nicht 2000 Jahre überleben können, „wenn sie nicht … eine … lebendige Strategie von Beharrlichkeit und Wandel befolgt hätte“ (ebd., 28).
Mit dem II. Vatikanischen Konzil bedachte die Kirche ihr Verhältnis zur Welt neu und beschrieb es als Dienst, nicht als Herrschaft. Die Kirche geht ihren Weg „mit der ganzen Menschheit gemeinsam“ und erfährt „das gleiche irdische Geschick mit der Welt“ (GS 3; 40). Dies ist insofern bemerkenswert, da es in den neuzeitlichen Auseinandersetzungen vor dem II. Vatikanischen Konzil grundsätzlich um einen Konflikt zwischen der Bewahrung der Identität und der Dialogfähigkeit mit der Welt ging. Die Kirche hatte sich dabei durch Verteidigungsstellung und Rückzug einigermaßen unversehrt bewahrt. Der Preis aber war das Einbüßen der lebendigen Begegnung mit der jeweiligen zeitgenössischen Kultur und den gesellschaftlichen Fragen. „Der neuzeitliche Katholizismus war eine feste Burg geworden, die im Inneren der Kirche den wahren Glauben und eine organisatorische Schlagkraft bewahrte, dennoch aber von den großen kontroversen Lebensproblemen der Moderne sich eher abgeschnitten empfinden musste“ (Lehmann 1993, 329). So haben sich in dieser Zeit viele Konflikte angestaut: „Verhältnis zur Demokratie, Gewährung von Religionsfreiheit, Antwort auf soziale Fragen, neue philosophische Probleme, Rolle des mündigen Laien, Naturwissenschaften und Theologie, Einschätzung der Technik und Verhältnis zur modernen Zivilisation“ (ebd.). Es herrschte eine Atmosphäre der Unwissenheit, der Gleichgültigkeit und des Misstrauen. Die im Laufe der Geschichte zunehmende Verselbstständigung und Autonomisierung der Kultur „war in ihrer Anfangsphase [daher] von Berührungsangst, Abgrenzung und dem Bemühen um eine ‚genuin kirchliche‘ Kultur geprägt“ (Maier 1996, 1489). Das Anerkennen der Pluriformität und Eigengesetzlichkeiten der modernen Kultur findet sich erst im Konzil. Vor allem die Pastoralkonstitution Gaudium et spes hat die dualistische Frontstellung von Kirche und Welt grundsätzlich überwunden. Diese Weltzuwendung erschien für viele als Marsch aus dem Ghetto.
Es lohnt sich nun, der Frage nach der Begegnung von Evangelium und Kultur, der Wege außerhalb des früher selbstgewählten Ghettos, an der Frage nach dem Verhältnis von biblischen Stoffen und grundsätzlichen Menschheitserfahrungen nachzugehen, besonders weil die Bibel das vielleicht bedeutendste Stück Weltliteratur darstellt. Dafür haben wir zwei Autoren gebeten, biblische Brückenschläge in die Literatur und in den Film zu beschreiben und so bereits gewagte neue Wege aufzuzeigen, auf denen das „Drama unserer Zeitepoche“ durch Begegnungen zwischen Schrift und Kultur angegangen werden kann. Im Einzelnen beschreibt Norbert Feinendegen unter der Frage „Durch Aslan zu Christus?“ die Narnia-Geschichten von C. S. Lewis als Ort der Begegnung mit biblischen Themen. Da Spielfilme die Literatur als massenhaftes Erzählmedium abgelöst zu haben scheinen, geht Martin Ostermann die Frage aus cineastischer Perspektive an.