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Keine Angst vor der Welt!

Individualisierung im Raum des Mundanen

Entgegen der klassischen Theorie der Säkularisierung votiert Eggensperger für ein Verständnis der Individualisierung des Religiösen. Im Rückgriff auf Knut Wenzel entwickelt er das Konzept einer „Sphäre des Säkularen”, die er als „Sphäre des Mundanen”, der Weltlichkeit, versteht. In ihr haben religiö­se und säkulare Weltdeutungen ihren Platz und kommen in Austausch.

Die Rezeption der Glaubenssituation in Deutschland erfuhr eine unge­wöhn­liche Bereicherung. Ausgerechnet ein Kirchenhistoriker beschäf­tigt sich mit dem Glauben in Deutschland seit 1945. Thomas Großböl­ting tituliert seine Monographie mit „Der verlorene Himmel”. Der Titel suggeriert eine pessimistischere Einschätzung als sie der Autor de facto resümiert. Denn nach Großbölting ist der Himmel – um im Bild zu blei­ben – nicht verschwunden, aber seine Bedeutung hat sich für die Men­schen in Deutschland verändert. Für immer ist der Himmel für größere gesellschaftliche Gruppen verlorengegangen – ohne große Chance auf eine Rückkehr zu früheren Sozialformen. Allerdings bleibt festzuhalten, dass das Christentum nicht tot ist, aber bestimmte spezifische Sozialge­stal­ten wie die „Anstaltskirche” (Max Weber) ausgedient haben. Der be­schriebene Wandel setzt keineswegs erst in der Zeit nach dem Vatica­num II. an, sondern zeigt sich bereits in den 1950er Jahren. Mit dem Mut zur Individualisierung ging der Ablösungsprozess von einer Religi­onskultur einher, der man sich ehedem sozial kaum entziehen konnte. Deutschland ist unterwegs zu einer Religiosität, die zur Option unter mehreren wird.

1. Glaubensvermittlung in gesellschaftlichen und religiösen Transformationsprozessen

Unlängst wurde ein mehrjähriges Forschungsprojekt abgeschlossen, das sich mit diesen Fragen näherhin auseinandergesetzt hat. Die Philolo­gisch-Theologische Hochschule der Kapuziner (Münster) und das Insti­tut M.-Dominique Chenu der Dominikaner (Berlin) untersuchte die ak­tu­ell kirchliche bzw. religiöse Situation in der deutschen Gesellschaft und setzte sie mit Erfahrungen in Europa, Lateinamerika und den USA in Beziehung.  Die Grundlage für die Forschung war ein internationaler Kongress der franziskanischen Familie im Jahre 2009, der sich vor allen Dingen der Frage stellte, für wen man in Zukunft eigentlich Seelsorge zu treiben habe und wie das Phänomen der Säkula­ri­sierung in seiner ganzen Widersprüchlichkeit als die Herausforderung für Kirchen, Or­den, Religion und Theologie in Europa verstanden werden kann. Gefragt wurde danach, wie eine mendikantische Ordenstheologie auf das Säku­larisierungsphänomen reagieren kann. Dies geschah auf mehreren Ebe­nen. Kleinere Tagungen für bestimmte Fachgruppen, eine Studienreise in die USA und daraus sich ergebende Publikationen reflektierten die verschiedenen Analysen und Forschungsergebnisse und fokussierten bestimmte Debatten, wie sie aus der Sicht von Mendikanten (Bettel­orden wie die Franziskaner und die Dominikaner, der Hg.) relevant sind. Dass gerade die deutschsprachigen Bettelor­den mit den Transforma­tionsprozessen konfrontiert sind, dürfte auf zweitem Blick so überra­schend nicht sein. Zunächst stehen sie im kirchlichen Gefüge nicht im Mittelpunkt, sondern eher am Rand des inneren Zirkels. Ausgestattet und ausgestaltet mit ihren Proprien suchen sie ihren Weg einer ange­mes­senen Verkündigungsarbeit inmitten der Gesellschaft. Dazu kommt – last but not least – die Überlegung, wie es eigentlich in den Gemein­schaften selbst aussieht. Dabei geht es nicht um eine spirituelle Nabel­schau, sondern um die Frage, inwieweit die Ordensgemeinschaften selbst geprägt sind von den Säkularisierungsprozessen um sie herum bzw. inwiefern sie sich von diesen implizit oder explizit prägen lassen. Die Grundlage lieferte eine an das Freiburger Zentrum für kirchliche Sozialforschung unter der Leitung von Michael Ebertz in Auftrag gege­bene Umfrage unter deutschsprachigen männlichen Mendikanten. Dabei ist festzustellen, dass weniger die Charakteristika der Säkulari­sierung bestimmende Faktoren sind als vielmehr die spannungsvolle Beziehung zwischen Pluralisierung und Individualisierung.

Die nachfolgenden Überlegungen orientieren sich an den Thesen, die der Autor im Rahmen des Abschlusskongresses gestellt hat und finden sich vertieft dargestellt im (2014 erscheinenden) Tagungsband „Fremde – Heimat – Welt“.

2. Ungefährlich: Die „Säkularisierung“

Der Begriff der „Säkularisierung“ ist mittlerweile dermaßen deutungs- und bedeutungsvielfältig geworden, dass es sich lohnt, ihn im würdi­gen­den Sinne in die Schranken zu weisen. Und dazu gilt es, mit Mythen aufzuräumen. Modernisierungsprozesse sind nämlich keineswegs einfach nur Abbrü­che von Religiosität, Kirchlichkeit und Spiritualität, sondern sind viel­fältiger Natur. Die zu Recht so genannten „multiple modernities” ma­chen deutlich, dass die These vom säkularen Europa viel zu allgemein ist, als dass man sie so undifferenziert stehen lassen könnte. Den Mo­der­nisierungsprozess kann man – je nach Anschauung – positiv hin­sichtlich seiner Rationalisierung oder negativ hinsichtlich seines Trans­zendenzverlustes auslegen. Beide Anschauungen finden sich in den Debatten wieder und schließen sich gegenseitig noch nicht einmal aus. Die Rede von der Säkularisierung oder auch von der Wiederkehr des Religiösen ist in der Diktion scheinbar Ansichtssache und hängt davon ab, auf welcher Seite man steht: Vertreter der europäischen Moderne können einerseits stolz sein auf einen aufgeklärten und säkularen An­satz, andererseits aber betrübt ob des Verlustes von Religiosität und Spiritualität. Aber so ähnlich geht es Ländern und Regionen nicht-euro­päischer Provenienz auch – einerseits können sie versuchen, genauso aufgeklärt-säkular zu sein wie die „Europäer”, andererseits können sie genau das Gegenteil tun, nämlich ganz subversiv ihre eigenen Tradi­tionen und Identitäten hervorheben, selbst wenn es am Ende ein wenig anachronistisch wirkt. Zudem gilt es, Formen von Entkirchlichung nicht automatisch gleichzusetzen mit Entchristlichung.

Der Religionssoziologe José Casanova setzt sich mit dem Thema Säkula­ri­sierung schon seit langem auseinander (So präsentierte er seine These auf der Abschlusstagung des Forschungsprojekts und stellte sich den entsprechenden Debatten.) Als aus Europa stammender, aber in den USA lehrender Soziologe weist er folgende Grundstrukturen auf, die es zu berücksichtigen gilt: Er nimmt zwei Arten der Säkularisierung an. Die eine nennt er „Säkularisierung II“ und meint damit die schwinden­de Religiosität, wie sie in Europa als langfristiger Prozess feststellbar ist. Die andere Art – und auf diese richtet sich im Folgenden unser Augen­merk – ist die „Säku­la­risie­­rung I”, d.h. der globale Prozess der Institutio­nalisierung moderner Wissens- und Technologieräume sowie citizen states und Marktwirtschaften, der sich jenseits religiöser Institutionen und Normen entfaltet. Es wird schlichtweg differenziert zwischen säku­laren und religiösen Räumen, Säkularisierung ist ein globaler Prozess in einer globalen säkularen Welt. Das Interessante an dieser Säkulari­sie­rung I ist, dass sie zwar weitgehend autonom von religiösen Kontexten funktioniert, aber eben solche nicht per se ausschließt. Trotz der Tren­nung kann religiöses Bewusstsein durchaus präsent sein, ja sogar wach­sen und gedeihen – auch wenn es weitgehend im privaten Bereich ver­bleibt.

Es ist meine Überzeugung, dass die Diskussion um die Säkularisierung im Rahmen dieser Trennung von religiösen und säkularen Räumen zu führen ist und man sich von der westeuropäisch geprägten Debatte einer „Säkularisierung II” verabschieden sollte.

Letztere ist zum einen – wenngleich nicht falsch, aber eben dennoch – nur für einen begrenzten Raum gültig. Zum anderen ist sie mittlerweile begrifflich und konzeptionell dermaßen überfrachtet, dass sie als Stoff für Diskussionen schlichtweg nicht mehr hilfreich ist. Geht man von einer schwindenden Religiosität aus, dann bleibt unklar, ob man von der umfassenden unsichtbaren Religiosität spricht, oder von der sicht­baren, die sich beispielweise in einer institutionalisierten Mitglied­schaft manifestiert.

Es ist Casanova zuzustimmen, dass diese These außerhalb der westli­chen Welt tendenziell als kolonialistisch wahrgenommen wird, weil sie zu sehr mit Kontrasten argumentiert (sakral vs. profan, transzendent vs. innerweltlich etc.). Zudem ist darauf zu achten, nicht in die methodi­sche Falle zu treten, Entkirchlichung mit Entchristlichung gleichzuset­zen. Sinnvoller ist vielmehr, die Gründe des Abschieds von der Institu­tion eher in Institutionskritik denn in Kritik an der Weltanschauung zu suchen.

3. Ein besserer Blickwinkel: Modernisierung durch Individualisierung

Konsequenterweise gilt es, nicht mehr von der traditionellen Säkulari­sierungsthese auszugehen. Es gibt schlichtweg zu viele Gegenbeispiele, die sie recht brüchig erscheinen lassen, beispielsweise die reale religiöse Situation in europäischen Ländern wie Polen, Irland oder Kroatien, aber auch die Situation in den USA. In den USA wird letztlich nicht über Säkularismus („secularism“) diskutiert, sondern über Pluralismus. Bei aller Kritik an zuweilen befremdlich anmutenden Gesten der US-ameri­ka­­nischen Gesellschaft und ihrer politischen Repräsentanten ist den­noch zu konzedieren, dass die USA nicht nur religiös, sondern geradezu beispiellos sind hinsichtlich ihrer Pluralität von Weltanschauungen und Religionen sowie hinsichtlich des Versuchs, diese Pluralität in die Ge­sell­schaft zu integrieren. Die Idee der Toleranz gegenüber den unter­schied­lichen Gruppierungen ist im Vergleich zu Europa sehr viel präsen­ter in der Zivilgesellschaft, selbst wenn die Praxis zuweilen ernüchtern­der sein mag – nicht zuletzt, weil eine große Angst herrscht, die Frei­heitsräume zu verlieren, die man sich geschaffen hat. Ähnlich verhält es sich in Lateinamerika, wo in Ländern wie beispielsweise Mexiko eine große Pluralität religiöser Traditionen präsent ist und nicht unwesent­lich zur Identitätsstiftung beiträgt. Auch in Asien und Afrika finden sich unterschiedlich gelagerte Situationen religiöser Praktiken, die alles sind, nur kein Nachweis von „Säkularisierung II“ à la Westeuropa.

Es erscheint mir opportuner, hinsichtlich der Modernisierungsprozesse weniger von der Idee der Säkularisierung auszugehen als vielmehr von der der „Individualisierung“. Die Individualisierungsthese greift die zunehmende Privatisierung von Religion auf und betrachtet sie als „Formenwandel“ (Gert Pickel). Religion und Religiosität schwinden nicht, aber sie werden ins Private verschoben und damit mehr oder weniger unsichtbar.

Nicht die Säkularisierung korreliert mit der Individualisierung, sondern es ist die faktisch zu beobachtende Privatisierung von Religiosität, die der Individuali­sierungsthese schlussendlich Plausibilität verleiht. Die unter anderem in Westeuropa feststellbare Pflege der persönlichen religi­ösen Ausdrucksform, sei sie kirchlich oder außerkirchlich geprägt, ist zu erklären mit einem anhaltenden und nachhaltigen Individua­lisierungsprozess in der Gegenwart. Deshalb schlage ich vor, künftig mehr Wert zu legen auf den Individuali­­­sierungsprozess als auf die klassische Säkularisierungsthese und ihre Variationen, denn ersterer ist als Ansatz für die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Pro­zessen der Gegenwart weiterführender und sozialwissenschaftlich weniger belastet.

4. „Sphäre der Säkularität“

Der Frankfurter Theologe Knut Wenzel vertritt die spannende These einer „Sphäre der Säkularität“. Ihm geht es in seinen Reflexionen dar­um, einen Begründungszusammenhang herzustellen zwischen der Entstehung der Säkularität einerseits und der neuen Subjektivität aus glaubenspraktischen und theologischen Gründen andererseits, nicht zuletzt, um das bestehende Interesse der christlichen Religion an der Säkularität näherhin zu beleuchten. Dies skizziert Wenzel am konkreten historischen Beispiel des Franziskus von Assisi, dessen Biographie und Lebenswerk eng eingebunden ist in das aufblühende Städtewesen, in der die Stadt selbst zum öffentlichen Raum wird. Wenzel sensibilisiert für die komplexen Koordinierungsleistungen der Beteiligten wie bei­spielsweise die Begegnung von Personen, von Gruppen oder Institutio­nen, aber auch Interaktionen, in denen sich Ebenen überkreuzen. Die sich abzeichnende Kerndimension des Städtischen ist eine Realität, die weder eigene Substanz hat noch auf einzelne Beteiligte zurückgeführt werden kann. Dieses „Zwischen“, diesen alles konstituierenden Raum, der absolut notwendig ist, der Wirklichkeit ist, aber nicht wirklich greifbar ist, weil ohne eigene Substanz, nennt Wenzel „Sphäre“, genauer: „Sphäre der Säkularität“.

Das Konzept einer solchen Sphäre der Säkularität ist der Versuch, mög­lichst neutral zu sein, d.h. sie soll nicht aus einer bestimmten Überzeu­gungstradition herkommen und aus ihr ableitbar sein, denn dann wäre das kein offener Raum mehr. Deshalb kann die Geschichte der Säkulari­sierung weder christlich vereinnahmt werden noch die Sphäre der Sä­ku­larität als atheistisch, agnostisch oder laizistisch bezeichnet werden, denn sie ist als „common ground“ (Knut Wenzel) Schutzraum der Be­geg­nung und Kommunikation, die für alle gilt – sei es für Glaubende, sei es für Nichtglaubende.

Und was bedeutet in diesem Kontext „Säkularität“? An dieser Stelle greift der klassische Begriff des „saeculum“ - streng übersetzt, das Zeit­­­alter – der im übertragenen Sinne den Prozess der Verweltlichung meint. Säkular ist dann das Weltliche. Mit den Worten von Knut Wenzel ist Säkularität die Welt als die nur durch sich selbst bestimmte Sphäre menschlichen Handelns. Das ist eine minimalistische Definition, und die hat auch etwas für sich. Der Begriff ist seitens Wenzel bewusst ge­wählt, da er Alternativen skeptisch betrachtet: Würde man von der „Sphä­re des Politischen“ (im Sinne Hannah Arendts) reden, dann würde man sich zu sehr festlegen, da nicht alles, was koordiniert wird, im ei­gentlichen Sinne politisch ist. Würde man von der „Sphäre des Öffentlichen“ reden, würde man das Private – was schließlich zuweilen auch im Rahmen des Öffent­lichen besprochen wird – ausschließen. 

5. Säkularität, das Säkulare, das „Mundane“

Im Folgenden möchte ich versuchen, den Angang von Knut Wenzel kritisch-würdigend zu beleuchten, um auf dieser Grundlage einen Vorschlag zu machen, welcher der Situation ein wenig adäquater ge­recht wird. Hierfür gehe ich in zwei Schritten vor: Zunächst einmal suche ich nach einem alternativen Begriff für das als Säkularität be­zeichnete Phänomen. Danach untersuche ich, inwieweit die Kategorie des Säkularen zu kurz greift für das, was Wenzel eigentlich beschreiben möchte.

In Abwandlung der These von Knut Wenzel halte ich es in einem ersten Schritt für angemessener, nicht von einer Sphäre der Säkularität zu spre­chen, sondern besser von einer Sphäre des Säkularen. So wie man von einer Sphäre des Politi­schen spricht (z.B. Hannah Arendt), nicht aber von einer Sphäre der Politik, so korreliert es eher, eine Sphäre des Säkularen zu denken, nicht eine der Säkularität. Genauso wie der Politik ein statisches Moment anhaftet, so eignet auch der Säkularität ein sta­tisches Moment, welches der Idee der Sphäre als offenem pluralen Raum potentiell zuwiderläuft.

Meine Unterscheidung kritisiert nicht das Konzept Wenzels selbst, son­dern sie tangiert vielmehr die Begrifflichkeit, sodass ich anzunehmen wage, dass mein Begriffsvorschlag der Konzeption Wenzels nicht zuwi­der läuft, sondern sie präzisiert.

Ich möchte aber in einem zweiten Schritt noch weiter gehen. Ich denke, dass ich damit ebenso im Sinne des Grundansatzes von Wenzel agiere wie im ersten Schritt: Mit dem Be­­griff der Säkularität im Sinne Wenzels oder des Säkularen im Sinne des ersten Versuchs einer Alternative ver­hält es sich analog zu dem Be­griff der bereits erörterten Säkularisierung: Beide sind weitgehend besetzt und werden damit mindestens unscharf, wenn man sie verwendet. So wird in der Religionswissenschaft der Be­griff der Säkularität in der Regel gebraucht als Gegenbegriff zu Religion und Religiosität. Säkularitätsforschung kann prinzipiell betrieben wer­den mit einem religiösen (d.h. im weiteren Sinne theologischen) oder mit einem säkularen (d.h. im Sinne des Cultural Turn, der Religion als kulturelle Erscheinung betrachtet, zugespitzten) Wissenschaftskonzept. Damit ist evident, dass das Säkulare, wie es in der Religionswissenschaft verstanden wird, kaum diesen integrativen, „pluralen“ Charakter hat, für den Wenzel eigentlich zu Recht optierte. Die Differenz zwischen dem Säkularen und dem Religiösen wird beispielsweise deutlich, wenn man nach der Unterscheidung zwischen dem Säkularen und dem Politi­schen fragt. Dabei wird besonders offenkundig, wie sehr das Säkulare spezifisch das Nicht-Religiöse impliziert, denn unter dem Politischen kann man mühelos sowohl das Säkulare als auch das Religiöse subsum­mieren, ohne das eine oder das andere abgrenzen oder gar ausschließen zu müssen. Das Politische umgreift also beides – sowohl das Säkulare als auch das Religiöse (ganz im Sinne Hannah Arendts!).

Auch hier wird es das Einfachste sein, sich zur Umschreibung dessen, was Sphäre ist, sich von Attributen wie dem der Säkularität oder des Säkularen zu verabschieden.

Anstelle dieses Begriffs schlage ich alternativ vor, von der „Sphäre des Mundanen“ zu reden. Das Mundane („mundus“ = Welt), wie ich es ver­stehe, geht durchaus kongruent mit dem Politischen oder dem Öffent­lichen, und auch mit dem Säkularen als Abwandlung der Begrifflichkeit von Wenzel, ohne aber besetzt zu sein von Einschränkungen, die dem Anliegen von Wenzel nicht dienlich sein können. Einer Sphäre des Mun­danen eignet dieses „Zwischen“, in dem Menschen sich interpersonal und sozial koordinieren, gleich welcher religiösen oder weltanschauli­chen Grundeinstellung sie verhaftet sind.

6. Ergebnis: Modernisierung ist Individualisierung in der Sphäre des Mundanen

Am Ende ist zu fragen, welche Konsequenzen aus den vorhergegan­ge­nen Gedankengängen hinsichtlich der Analyse und Bewertung der Mo­dernisierungsprozesse zu ziehen sind, vor allem, wenn sie grundsätzli­cher Natur sein sollen und sich nicht nur auf eine ganz bestimmte Re­gion oder Religion beziehen. Es ist selbstverständlich, dass die Prozesse, seien sie religiöser oder politischer Natur, territorial und gesellschaftlich sehr viel differenzierter ablaufen, als dass man sie auf eine Kurzformel bringen könnte.

Zum ersten plädiere ich für die Akzentverlagerung auf die Betrachtung von Individualisierungsprozessen, was eine größere Offenheit erlaubt, als wenn man sich auf eine wie auch immer definitorisch geartete Säku­la­risierung einlässt, die dermaßen bedeutungsplural geworden ist, dass man ihr scheinbar nur noch mit Untergliederungen Herr werden kann.

Zum zweiten lohnt sich der Blick auf den Raum, der immer Zwi­schen-Raum ist, in dem existentiell koordiniert wird. Eine Sphäre, die sowohl das Politische, das Öffentliche, das Säkulare, aber auch das Reli­gi­öse umgreift und meint, soll sinnvollerweise mit einem unbelasteten Begriff wie dem des Mundanen umschrieben werden.

Modernisierung ist also Individualisierung in der Sphäre des Mundanen.