Kirche im Vauban: ökumenisch – kommunikativ – kreativ
Der „Vorzeigestadtteil“ Vauban
Den Freiburger „Vorzeigestadtteil“ Vauban besuchen täglich mehrere Fach-, Touristen- und Schulgruppen aus aller Welt. Den Besuchsgruppen wird Vauban als ein Ort präsentiert, der beispielhaft eine geglückte Form von zukünftigem, städtischem Lebensraum darstellt – so suggeriert es das städtische Werbekonzept der „Green City“ Freiburg. Aber auch die Auswahl Vaubans unter die 65 modellhaften Orte auf der ganzen Welt zur EXPO 2010 in Shanghai „Better City, Better Life“ bestätigte diese Besonderheit. Ein Kirchengebäude existiert auf diesem Gelände mit 41 ha und über 5.500 Bewohnenden allerdings nicht. Zum christlichen Glauben bekennt sich statistisch gesehen knapp weniger als die Hälfte der Bevölkerung. Die Mehrheit hat keine religiöse oder konfessionelle Bindung – zumindest offiziell.
Als 1992 das ehemalige militärische Gelände, auf dem Vauban als Stadtteil entstehen sollte, einer zivilen Nutzung zugeführt wurde, hatte niemand die öffentliche und weltweite Anerkennung im Blick. Bis heute hat sich ein Stadtteil mit vielen Facetten entwickelt: Er gilt als sozial-ökologisches Modell, ist im Blick auf Freiburg am dichtesten bebaut (130 Personen/ha), hat eine sehr geringe Anzahl an Kfz pro Einwohner/-in (116 auf 1000 Personen), belegt den letzten Platz in der Freiburger Kriminalitätsstatistik und weist zugleich den höchsten Wohlfühlfaktor auf. Engagierte vor Ort setzten im Prozess einer lernenden Planung stadtplanerische Ideen durch, die sich als prägend für den Stadtteil erwiesen haben: Baugruppen und -gemeinschaften erhielten ein Vorrecht vor Bauinvestoren, Energiekonzepte für Häuser und den Stadtteil wurden verlangt, die weit über die ökologischen Standards hinausgingen, und ein Verkehrskonzept umgesetzt, das sich nicht auf die Autos ausrichtete, sondern auf die dort lebenden Menschen. Alle diese Komponenten werden heute unter dem Stichwort „nachhaltige Stadtplanung“ diskutiert. Jedoch reduzierten die Engagierten ihr Nachhaltigkeitsdenken nicht auf die technische Machbarkeit. Sie setzten darauf, dass Ökologie und Soziales sich nicht ausschließen müssen. Deshalb planten sie kurze Wege ein, d. h. alles, was der Mensch zum Leben und zum gemeinschaftlichen Miteinander benötigt, sollte in der Nähe sein. Neben der reduzierten CO2-Emmission war damit die Stärkung der nachbarschaftlichen Kommunikation und des sozialen Miteinanders ein Hauptanliegen. Schließlich plante man zudem eine soziale Durchmischung, damit keine Ghettoisierung stattfinden würde. In manchen Baugruppenprojekten findet sich diese Vorstellung in unterschiedlichen Facetten wieder wie in Sozialwohnungen bei Wohngenossenschaften oder in generationsübergreifenden und inklusiven Wohnprojekten. Doch dieses letzte Vauban-typische Planungsmerkmal hat sich inzwischen umgekehrt. Der Stadtteil ist aufgrund seiner Attraktivität zu einem der teuersten Wohnorte in ganz Freiburg geworden. Das ist ein Grund, warum das „Modell Vauban“ nach wie vor heftig und kontrovers diskutiert wird. Aber diese positive wie negative Erfolgsgeschichte hätte von den damaligen Engagierten und deren Gegnern niemand erwartet, geschweige denn erhofft.
Das Pippi-Langstrumpf-Motiv findet sich am Eingang des Stadtviertels an der Hauswand eines alternativen Wohnprojekts (SUSI) und stellt für viele das Leitmotto des Stadtteils dar (Foto: Sigrid Gombert).
Und wie beteiligte sich die Kirche?
Die Beteiligung der Kirchen an diesen gesellschaftlichen Prozessen sieht in der Rückschau eher zögerlich, unabgesprochen und teilweise sogar destruktiv aus. Im Blick auf den ökumenischen, konziliaren Prozess „Friede, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung“ der 80er Jahre hätte Vauban zu einem vorbildlichen Projekt kirchlichen Engagements werden können. Ein Wunsch der zukünftigen Bewohnenden war 1996 sogar ein „ökumenisches Zentrum“ in der Stadtteilmitte. Ähnliches planten die Kirchen in Freiburg bereits für einen anderen, weitaus größeren Freiburger Stadtteil (Rieselfeld), trotz der Finanzkrise, die die evangelische Kirche in Baden in dieser Zeit erschütterte. Wenn sich die beiden Großkirchen aber in einem einig waren, dann in ihrem klaren, sehr schnellen „Nein“ von obersten Behörden hinsichtlich dieses Wunsches von Seiten der Bewohnenden. Wenig weitsichtig zeigten sich zudem die kirchliche Verwaltung und die Verantwortlichen vor Ort bei der kirchenrechtlichen Zuteilung des Stadtteils. Ohne große Absprache teilte man die evangelischen Gläubigen einem anderen Gebiet als die katholischen zu. Damit gab es keine gemeindlichen Verbindungen zwischen den Konfessionen und keine ökumenischen Vorerfahrungen. Bis hierher könnte eine nur wenig erbauliche „Kirchen-Geschichte“ geschrieben werden.
Kirchenladen ist Kirche
Im Vauban gab es jedoch zwei Strömungen, die im Laufe der Jahre zusammenkamen und sich bemühten, christliches Leben im Stadtteil sichtbar zu machen. Vor Ort bildete sich zum einen ein Kreis engagierter Frauen als „AK Kirchenträume“ im Rahmen des begleiteten sozialen Aufbaus. Zum anderen versuchten die Gemeinden, über hauptamtliches Personal einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen. Des Weiteren mieteten sie unterschiedliche Räume an, um Versammlungsorte zu erhalten. Diese sind ein unterteilter Geschäftsraum (genannt OASE) mit insgesamt 110 qm an der „Hauptverkehrsachse“ gegenüber dem Marktplatz sowie zwei kleinere Gruppenräume im Stadtteilzentrum, das die soziale Quartiersarbeit und diverse Initiativen beherbergt. Die Hauptamtlichen vor Ort arbeiteten von Anfang an ökumenisch und mit den Ehrenamtlichen zusammen. Konfession oder Kirchenzugehörigkeit spielte dabei keine Rolle, das aktive Sich-Einbringen zählte. Im Jahr 2002 entstand der „Ökumenische Kirchenladen“ in der OASE als ein niedrigschwelliges Angebot, um mit Kirche in Kontakt zu kommen. Der kleine Verkaufsladen, als kleiner „Weltladen“ gedacht, war ein wichtiger Baustein, damit Kirche vor Ort identifiziert werden konnte. Bei allen kirchlichen Angeboten hieß es bald „Ich gehe in den Kirchenladen“, sei es zum Einkauf im Laden oder zum sonntäglichen, ökumenischen Gottesdienst einmal im Monat, der dort stattfindet. Mit einer „Vereinbarung zum gemeinsamen Engagement“ 2010 bestätigten die beiden Gemeinden die ökumenische Strategie für Vauban. Diese inhaltliche und finanzielle Vereinbarung bildet nun die Grundlage für das weitere Handeln.
Der Marktplatz an einem Marktnachmittag. Im Hintergrund das Stadtteilzentrum (Foto: Sigrid Gombert).
Kommunikationsraum Kirche
Das Vauban änderte sich, je größer es wurde. Mit dem steigenden Bedarf an öffentlichem Raum steigerte sich auch die Anzahl an Vermietungen für Gruppen und Initiativen, denn Beteiligung und Engagement benötigen Versammlungsmöglichkeiten. Über diese gezielte Öffnung für die Menschen im Stadtteil erhielt der Kirchenraum eine neue Dimension, er wurde zu einem Ort, den unterschiedlichste Menschen nutzten oder wo sie in Kontakt miteinander kamen. Daraus entstanden zahlreiche neue Bekanntschaften. So wurde deutlich, dass sich christliches Leben nicht auf diejenigen verengen darf, die im gemeindlichen Leben sichtbar sind. Viele Projekte im Stadtteil hatten und haben oft Personen mit christlichen Lebensdeutungen und Handlungsmaßstäben im Hintergrund, die ohne eine institutionelle Rückbindung leben, oder Menschen, die „Kirche“ in einer solchen Form wieder offen begegneten. Diese Personengruppen mit dem Angebot eines Raumes zu unterstützen oder deren Ideen Raum zu geben, hat sich als eine wichtige Aufgabe der „Kirche im Vauban“ entpuppt. Die institutionelle Kirche mit ihrem Angebot an Kirchenräumen stellt so einen Kommunikationsort dar, in dem Menschen sich verwirklichen können, und Kirche kann dadurch wieder in ihrer institutionellen Form als eine wichtige soziale Akteurin erkannt werden.
Kirchraumfest – das gemeinsame Essen bei einer Agapefeier an Erntedank (Foto: Michael Hartmann).
Vernetzt in den Stadtteil
Von Anfang an spielte die Beteiligung in der sozialen Quartiersarbeit eine gewichtige Rolle. Durch die Beteiligung an diesem Netzwerk, in der Kirche als Akteurin wahrgenommen wird, können zum einen Stadtteilthemen schnell aufgegriffen oder andererseits kirchliche Anliegen auf Augenhöhe eingebracht werden. Bei einem komplizierten Konflikt im Stadtteilleben – eine Wagenburg sollte geräumt werden – fanden wir uns deshalb als Kirche plötzlich in der Rolle der mitmoderierenden Kraft, was viele als sehr positiv rückmeldeten. Dieses Engagement hatte niemand erwartet und bewies, dass Kirche hier ihrem Auftrag als ein Anwalt des sozialen Friedens nachkommen kann.
Kreativ im Angebot
Ein letztes Element der „Kirche im Vauban“ besteht in kreativen Angeboten für alle Generationen. Traditionen sind kaum vorhanden; immer wieder bringen unterschiedliche Menschen ihre Ideen ein, die mal länger, mal kürzer Bestand haben. Ein Ziel ist dabei, das Merkmal des Stadtteils der kurzen Wege ernst zu nehmen. Das fängt bei Kinderangeboten an und geht bis zu verschiedenen spirituellen Veranstaltungen. „Kreativ“ weist aber auch auf einen Grundzustand der „Kirche im Vauban“ hin. Sie befindet sich mit vielen anderen Akteuren/-innen auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten. Zugleich versucht sie, diesen Markt mit eigenen Impulsen zu bereichern. Ob das immer gelingt, sei dahingestellt, aber immerhin versuchen es die Menschen vor Ort – und das ist ein wichtiger Anfang.
Weitere Informationen:
2014 erscheint über dieses Projekt ein Buch:
Hartmann, Michael, Stadt mit Gott?! Das ökumenische Kirchenprojekt im Freiburger „Vorzeige“-Stadtteil Vauban (Forum Religion & Sozialkultur Abt. B: Profile und Projekte 28), Münster.