Fachtagung „Neue Räume in der Stadt – Christliche Lebensformen im urbanen Kontext“
Die Stadt ist ein besonderer Ort. Sie kann auf vielerlei Weise wahrgenommen werden: als Ereignis, als Bedrohung, als Herausforderung, als Laboratorium, als Chance und Versprechen. Für Papst Franziskus ist die Stadt ein „vorzüglicher Ort für die neue Evangelisierung“ (Evangelii gaudium 73). Doch das Verhältnis der Christen zur Stadt ist eigentümlich zwiespältig. Der Begriff Stadt steht sinnbildlich für Schnelllebigkeit, Anonymität und Mobilität. Der Begriff Urbanität hingegen drückt ein Lebensgefühl aus, das von Lebensstilen, Präferenzen, Orientierungen und Individualität spricht. Städterinnen und Städter treiben zutiefst menschliche Fragen um, z. B. wie gelingendes Leben aussehen kann.
Die Fachtagung „Neue Räume in der Stadt – Christliche Lebensformen im urbanen Kontext“ ging dem Spezifikum von Pastoral in Städten, vor allem für junge Erwachsene, nach. Das Anliegen war es, der Frage auf die Spur zu kommen, wie Pastoral und christliche Gemeinschaft in Städten zukünftig aussehen können. Dafür wurden zunächst Erwartungen und Wünsche von Menschen aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen gehört. Moderiert von Dr. Lukas Rölli, FHoK Bonn, ging es um Herkunft, die eigene berufliche und gesellschaftliche Situation im Blick auf das Christsein und Erwartungen mit „neuen Räumen in der Stadt“. Dabei wurde beispielsweise deutlich, dass Menschen Gemeinschaft suchen, die sie in den traditionellen Formen kirchlicher Seelsorge oft nicht mehr finden. Auch die kirchliche Sprache wird oft als Hindernis wahrgenommen, da sie unverständlich erscheint. Die Stadt bietet und fordert viele Möglichkeiten. Eine solche Multioptionalität muss sich auch in kirchlicher Pastoral niederschlagen. So sollten beispielsweise verschiedene Frömmigkeits- und Spiritualitätsformen angeboten und ausprobiert werden. Allen Menschen in der Stadt stellt sich die Frage: „Wie wollen wir leben?“ – in diese Suchbewegung sollte auch die Kirche einsteigen und gemeinsam nach Antworten suchen.
Auf dem Podium v.l.n.r.: Benedikt Hebbecker, Warburg; Jonas Kötter, Bonn; Dr. Lukas Rölli, FHoK Bonn; Prof. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann, Frankfurt; Elisabeth Zschache, Berlin
Diese Erwartungen und Wünsche wurden anschließend mit Good-Practice-Beispielen kontrastiert: Die Jugendkirche Jona aus Frankfurt, vorgestellt durch Werner Otto und Julia Koik, beispielsweise ist eine 2005 gegründete Einrichtung im Bistum Limburg – eine Kirche, in der es gar nicht so ist wie in der Kirche, ein himmlischer Hotspot mitten in Frankfurt, ein Ort für Lifestyler, Grüne-Soße-Liebhaber und Snowboarder, ein Sprungbrett für Höhenflüge und Tiefgänge. Jona will ein Ort sein, an dem Jugendliche neue und positive Erfahrungen mit Kirche machen, an dem sie sich willkommen und wertgeschätzt fühlen und den sie selbst mitgestalten. In der Jugendkirche sollen junge Menschen in Kontakt mit dem menschenfreundlichen, barmherzigen und lebendigen Gott Jesu Christi kommen und darin bestärkt werden, ihren eigenen Glauben zu entdecken.
Das Stadtteilprojekt SüdSinn aus Münster, präsentiert von Christoph Aperdannier, richtet sich an junge Erwachsene im Südviertel in Münster. Es will verschiedene Orte im Südviertel entdecken sowie helfen, einen Impuls für das eigene Leben zu bekommen und über Gott und die Welt nachzudenken, aber auch einfach dazu beitragen, neue Leute kennenzulernen. Dafür wurden von SüdSinn verschiedenste Veranstaltungen initiiert, wie z. B. zum Thema UmSicht.
Das motoki-Kollektiv aus Köln ist eine Gruppe von jungen Menschen, die durch gemeinsame Träume, Werte und Projekte miteinander verbunden sind. In und neben ihren Jobs bzw. Universitätsstudien setzen sie sich für kulturelle, geistliche und soziale Belange der Menschen um sie herum ein und haben dafür den gemeinnützigen Verein motoki-Kollektiv e.V. in Köln gegründet, der seit 2007 sein Zentrum in einem Ladenlokal in Köln-Ehrenfeld hat. Dort trifft sich das motoki-Kollektiv und veranstaltet Events. Auslöser und Motor für dieses Engagement ist, so Michael Schmidt in seiner Präsentation, in erster Linie der christliche Glaube. Wie dieser Glaube heute im urbanen Kontext relevant sein kann, wird so vielfältig ausprobiert.
Daneben wurden noch zwei Internetangebote der Citykirche Wuppertal, „kath 2:30“ und der Blog „Dei Verbum“, durch Christoph Schönbach (siehe auch hier) sowie die Würzburger Moonlight Mass durch Burkhard Hose vorgestellt und inspirierten die Teilnehmer der Veranstaltung.
Prof. Dr. Wolfgang Beck, Frankfurt – Sankt Georgen
In dem von Dr. Hubertus Schönemann (KAMP) moderierten Schlusspodium machte der Frankfurter Pastoraltheologe Wolfgang Beck darauf aufmerksam, dass die Kirche größtenteils noch einer „Dorflogik“ anhängt, die im Kontrast zur städtischen Logik steht. Beck plädierte für „eine Kirche in der Stadt im Unsicherheitsmodus“, die Mut zu pastoralen Experimenten zeigt, auch Mut zum Scheitern hat: „Neben den vielen Good-Practice-Beispielen sollte ab und zu auch von den ,Desaster-Beispielen‘ erzählt werden. Von denen könnten wir auch einiges lernen.“ Das Schlusspodium ist bei Youtube zu sehen.
Das Podium mit pastoralen Verantwortlichen v.l.n.r.: Petra Dierckes, Seelsorgeamtsleiterin im Erzbistum Köln; Dr. Christian Hermes, Stadtdekan Stuttgart; Dr. Hubertus Schönemann, KAMP Erfurt; Christine Sentz, Erzbischöfliches Amt für Jugendseelsorge Erzbistum Berlin; Prof. Dr. Wolfgang Beck, Sankt Georgen
An der Fachtagung nahmen etwa 90 Personen aus verschiedenen deutschen Bistümern, aus den Bereichen der Hochschulseelsorge, der kirchlichen Jugendarbeit und der Pastoralentwicklung teil.
Weiterführende Gedanken von Hubertus Schönemann finden Sie im nächsten Beitrag.