„Ich glaub’ nichts, mir fehlt nichts“ – Leben ohne Religion
Der schwierige Umgang mit religiös Indifferenten
Auf dem 100. Katholikentag in Leipzig fremdeln sie miteinander: Menschen aus den westlichen Diözesen, die sich gar nicht vorstellen können, wie es sich als Christ in einer Mehrheit von Konfessionslosen im Osten Deutschlands lebt, und die Einwohner von Leipzig, zu 82 % keiner Religionsgemeinschaft angehörig, die mit Abstand und wenig innerer Anteilnahme das Treiben der „katholischen Sekte“ betrachteten, die in ihre Stadt „eingefallen“ ist. So stammte denn auch die Mehrheit der rund 1000 interessierten Besucher des Podiums zur religiösen Indifferenz eher aus den alten Bundesländern. Die Arbeitsstelle KAMP hatte dieses Podium vorbereitet.
Während man sich mit dem Atheisten als Christ noch auseinandersetzen kann, hat Religion für Menschen, die man als „religiös indifferent“ bezeichnet, überhaupt keine Bedeutung, nicht einmal in Abgrenzung davon. Sie befinden sich gewissermaßen auf einer anderen Ebene als dem Verhältnis von Glauben und Nicht-Glauben. Eberhard Tiefensee, Philosophieprofessor aus Erfurt, machte deutlich, dass Normalität je nach Kontext relational ist. Es sei schwierig, die Grenzen zwischen Religion und Nicht-Religion deutlich zu ziehen. Die Moralvorstellungen von nichtreligiösen Menschen unterschieden sich nicht signifikant von denen Religiöser. Religion sei halt einfach da und artikuliere sich, also müsse man sich zu ihr irgendwie verhalten. Religiös indifferente Menschen zeigten, dass man auch ohne Gott gut leben könne. Für sie sei dennoch die Religion medial und gesellschaftlich allgegenwärtig und umgekehrt genauso: „In jedem Atheisten wohnt ein kleiner Christ, und alles Christliche hat auch atheistische Anteile.“ Tiefensee plädierte für einen unvoreingenommenen Erfahrungsaustausch darüber, aus welchen Quellen und Erfahrungen Menschen ihre Kraft zum Leben, zur Bewältigung von Krisen ziehen. Christen könnten hierzu etwas spezifisch beitragen, wenn sie sprachfähig seien.
Für Stefanie Hammer, Politikwissenschaftlerin an der Uni Erfurt, ist beispielsweise ihre Familie so ein Kraftpunkt. Sie als Konfessionslose stehe manchmal bewundernd und mit Wertschätzung vor religiösen Symbolwelten, sie selbst jedoch spüre keinen Glauben in sich. Sie forscht über Zivilreligion, wie sie sich beispielsweise in Trauerfeiern der Bundeswehr für gefallene Soldaten zeigt.
Ein Stuhl blieb leer beim Podium. Das sollte nach den Worten von Moderator Hubertus Schönemann symbolisieren, dass das Gespräch zwischen Gläubigen und jenen, die religiös indifferent sind, schwierig bis unmöglich ist. „Ich lebe gut ohne Gott“ stand auf dem Namensschild des leeren Stuhls. Umso lebendiger war die Debatte der anderen Podiumsteilnehmer.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der es als evangelischer Christ in seiner Partei „Die Linke“ nicht immer ganz leicht hat, unterstrich die Rolle der Religion auch in den östlichen Landesteilen Deutschlands, wo sie in der Minderheit sei. Nach dem Massaker am Gutenberggymnasium in Erfurt seien es die Kirchen gewesen, die der Trauer nicht nur durch den großen Gottesdienst auf dem Domplatz einen Raum gegeben hätten. „Glaubende und Nicht-Glaubende haben danach die gleichen Fragen gestellt. In einer so schwierigen Situation haben Christen die Chance auf Berührung und Begegnung mit religiös indifferenten Menschen.“
Beifall erntete er für die engagierte Aussage, seine Partei habe noch einiges aufzuarbeiten, was die Praktiken der Vorgängerpartei SED an Behinderungen und Exklusionen von bekennenden Christen in der DDR betrifft. Die aktuelle Flüchtlingssituation sei eine ungeheure Herausforderung: „Darin können wir aktuell gemeinsam wachsen, egal ob wir einer Religion angehören oder nicht.“
Die evangelische Schulpfarrerin Uta Gerhardt und der ehemalige Leiter des Ökumenischen Forums HafenCity in Hamburg, Stephan Dreyer, bekundeten übereinstimmend, sie hätten selten direkten Kontakt mit Menschen, die überhaupt nichts glauben. Die Menschen, die die Dienste der Kirchen annähmen, seien doch irgendwie religiös Suchende, die angesichts von Krisen oder markanten Lebenssituationen nach dem „Mehr“ fragten. In Anlehnung an Mutter Teresa ermutigte Dreyer die Christen, so zu leben, dass die Menschen sie nach ihrem Glauben fragten.
In einem kurzen Seitenblick berichtete der ehemalige Seelsorgeamtsleiter des Bistums Magdeburg, Ulrich Lieb, davon, dass man im Bistum Magdeburg vor und nach der Wende immer wieder versucht habe, mit Konfessionslosen Kontakt aufzunehmen. Ein Ergebnis sind die acht Schulen des Bistums, die mehrheitlich von Konfessionslosen besucht werden. Man müsse aber solche Entwürfe von „Kirche als schöpferischer Minderheit“ realistisch sehen. Er polemisierte dennoch gegen komplizierte Weisen, den Glauben auszudrücken: „Wir müssen eine Sprache sprechen, die jeder verstehen kann, und sind leider immer viel zu schnell mit unserem Kirchenchinesisch da.“
Konny G. Neumann, der Präsident von Jugendweihe Deutschland e.V., betonte, die Jugendweihe sei nicht nur eine Alternative zu religiösen Kasualien. Die Vorbereitung und Feier erziehe die Jugendlichen zu Toleranz, humanistischen Werten und gesellschaftlicher Teilhabe. Die DDR habe die Jugendweihe, die schon früher in Freidenkerverbänden entstanden ist, für ihre religionspolitischen Zwecke missbraucht.
Bild 1: Dr. Hubertus Schönemann, der Leiter der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral, führte in das Podium ein.
Bild 2: Prof. Eberhard Tiefensee, Religionsphilosoph aus Erfurt, sprach zum Thema „Brauchen wir das Christentum? Und wenn nicht, warum doch?“
Bild 3: Auf dem Podium (v. l. n. r.): Stephan Dreyer, Dr. Stefanie Hammer, Moderator Dr. Hubertus Schönemann, Bodo Ramelow, Uta Gerhardt.
Bild 4: „Seitenblicke“ lockerten das Podium auf und brachten weitere Perspektiven ein.
Bild 5: Beim ersten Seitenblick mit Ulrich Lieb.
Bild 6: Konny G. Neumann war der Gesprächspartner beim zweiten Seitenblick.
Bild 7: Die Anwälte des Publikums in Aktion: Mathias Kugler und Andrea Imbsweiler.