Öffentliches Ärgernis? Moscheebaukonflikte in Deutschland, Österreich und der Schweiz
„Die Errichtung von Moscheen (mit oder ohne Minarette) bildet einen von mehreren Brennpunkten, in denen sich der schwierige und hoch konfliktive Prozess der Inklusion der muslimischen Bevölkerungsteile in den europäischen Nationalstaaten kristallisiert. Die diesbezüglichen politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse und die unterschiedlichen Positionen dazu werden anhand der Moscheebaukonflikte besonders deutlich sichtbar und greifbar“, so die Herausgeber in der Einleitung (7).
Auseinandersetzungen um Moscheebauprojekte der Ahmadiyya in Leipzig und Erfurt – um einmal Beispiele nur aus dem Osten Deutschlands zu nennen – zeigen die bleibende Aktualität des Bandes. Zudem ist die Problematik länderübergreifend – folgerichtig nehmen die Herausgeber mehrere Länder in den Blick: Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Der Band ist zuerst einmal eine Bestandsaufnahme: zum einen von Projekten repräsentativer (also öffentlich als solche erkennbarer) Moscheebauten und von Konflikten, die sich daran entzündeten oder diese instrumentalisierten, zum anderen von gesellschaftlichen und politischen Diskursen und von Argumentationsfiguren insbesondere der Gegner; in diesem Kontext wird auch die Entwicklung des Islams/der muslimischen Bevölkerung in den einzelnen Ländern und seiner/ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen zum Thema. Allerdings reicht diese Bestandsaufnahme nicht bis zu den aktuellsten Entwicklungen – der Band geht ja auf eine Tagung zurück, die bereits im Mai 2014 stattgefunden hat, also sogar noch vor Pegida!
Je ein Beitrag ist Deutschland (Thomas Schmitt), Österreich (Ernst Fürlinger) und der Schweiz (Martin Baumann) gewidmet – ergänzt durch eine sozialwissenschaftliche Perspektive auf Österreich (Farid Hafez), die recht schön islamophobe Stereotype zusammenstellt (84 f.), und eine muslimische Perspektive aus der Schweiz (Rifa’at Lenzin). Deutlich zeigen sich Ähnlichkeiten: eine Entwicklung von einer Zeit, wo Moscheebauten unproblematisch waren (aber auch kaum stattfanden) über lokale Konflikte bis hin zur politischen Instrumentalisierung einzelner Projekte auf nationaler Ebene durch Rechtspopulisten. Ein wesentlicher Unterschied Österreichs und der Schweiz zu Deutschland ist das schon längere Vorhandensein starker rechtspopulistischer Parteien, die dann auch eine moscheebaufeindliche Gesetzgebung bewirken konnten.
Etwas aus dem Rahmen fällt der Beitrag von Nikola Tietze – und ist wohl deshalb den anderen Beiträgen vorangestellt. Doch zeigt Tietze sehr schön den deutlichen Wandel der religionspolitischen Wahrnehmung von Muslimen am Beispiel Deutschlands auf: von der weitgehenden politischen Ignoranz gegenüber türkischen, tunesischen etc. Gastarbeitern, die weniger als Muslime, sondern als Fremde wahrgenommen wurden, bis hin zu einer Inklusionspolitik, die dieselben Bevölkerungsgruppen dezidiert als Muslime in den Blick nimmt.
Doch damit sind wir schon bei der – neben der Bestandsaufnahme – zweiten Perspektive des Bandes: Die Beiträge – nicht nur die des zweiten Teils, der mit „Analytische Perspektiven“ überschrieben ist – gehen auch den Hintergründen der beobachteten Phänomene nach, z. B.: Warum schaukeln sich Konflikte hoch? Warum werden Muslime als Problem und Bedrohung wahrgenommen? Und warum sind gerade Moscheen ein solcher Streitpunkt (geworden)?
Gerdien Jonker führt dazu in Konzepte wie Alterität und Othering ein, zeigt also verschiedene Fremdzuschreibungen an Muslime auf, die oft mehr darüber verraten, wie man sich selbst sieht oder sehen möchte. Weiterhin verweist sie auf Narrative und Bilder, die unsere Vorstellungen vom Islam teilweise seit Jahrhunderten prägen. Interessant ist, dass diese Narrative Unterbrechungen kennen; etwa für Deutschland die Zeit um 1900, als die Außenpolitik die muslimische Welt als Verbündeten suchte, als muslimische Intellektuelle Deutschland als Bildungs- und Zufluchtsort aufsuchten und auch die europäische Elite den Islam als moderne Religion bewunderte!
Yasemin Shooman dagegen konzentriert sich auf rassismustheoretische Fragestellungen und konstatiert: „Musliminnen und Muslime werden in antimuslimischen Diskursen abgelehnt oder als Bedrohung empfunden, weil ihr gesamtes, insbesondere negatives, Verhalten mit dem Islam als einzigem determinierendem Faktor erklärt wird“ (158). Interessant auch ihr Hinweis: „Ein Teil der heutigen Konflikte um den Islam und Muslime in westlichen Gesellschaften lässt sich darüber hinaus durch eine voranschreitende gesellschaftliche Partizipation erklären“ (159), denn: „Integration im Sinne von Partizipation zieht auch Dominanzkonflikte nach sich. Antimuslimische Diskurse sind daher durchzogen von dem Bedürfnis, Musliminnen und Muslime auf einen gesellschaftlich untergeordneten Rang zu verweisen sowie ihre Zugehörigkeit zur deutschen und europäischen Gesellschaft zu negieren“ (ebd.).
Die Frage, wie man mit Moscheebaukonflikten und den dahinterstehenden Auseinandersetzungen umgehen soll, scheint natürlich auch wiederholt in dem Band durch, wenngleich sie insgesamt deutlich im Hintergrund bleibt. Reinhold Bernhardt liefert in seinem Beitrag immerhin einen kritischen Rückblick auf das Agieren des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes im Kontext der Minarettbauverbotsinitiative und vermisst – gerade auch als Gegenstück zu evangelikalem Antiislamismus – eine theologische Klärung des Verhältnisses zum Islam.
Besonders dankbar ist der Rezensent für den staatsphilosophischen Beitrag von Isolde Charim, denn sie stellt vor Augen, um was es letztendlich geht: um unsere Demokratien oder, wie es Tietze formuliert, zu dem der Beitrag von Charim gewissermaßen einen abschließenden Bogen schlägt: „Denn gestritten wird letztendlich über das, was Deutschland sein sollte“ (37). Egal, ob Deutschland, Österreich oder die Schweiz: „Es führt kein Weg zurück zur homogenen Nation“ (185); durch die Pluralisierung haben unsere Gesellschaften kein von allen geteiltes Weltbild mehr. Wer Moscheebauten aus einem „Leitkulturdenken“ heraus bekämpft oder zumindest ihre Sichtbarkeit durch Minarettverbote einschränkt, verletzt damit ein Kernelement unserer Demokratien, den öffentlichen Raum als einen „Bereich, der neutral gegen alle partikularen Identitäten ist, ein Bereich, an dem sich alle als Gleiche begegnen können“ (190).
Insgesamt ist der Band eine Problemanzeige auf hohem Niveau, denn er stellt nicht nur die Moscheebaukonflikte der letzten Jahrzehnte dar, sondern macht auch die dahinterstehenden grundsätzlichen Widerstände gegen eine Integration von Muslimen sowie die Interessen, Denkweisen und Argumentationsstrategien von Islamfeinden sichtbar. Rezepte für die Lösung dieser Konflikte wird man im Band vergeblich suchen – aber durchaus eine Grundlage für eine fundierte Auseinandersetzung, die für unsere Demokratie und damit auch für eine Kirche, die sich allen Menschen verbunden fühlt, nottut.
Martin Hochholzer