Religiöse Indifferenz zwischen Religion und Nichtreligion
Die jüngst von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte Studie zur Kirchenzugehörigkeit beobachtet eine wachsende religiöse Indifferenz innerhalb ihrer Mitglieder, insbesondere hinsichtlich der jüngeren. Insgesamt scheint ein Kirchenaustritt und eine damit einhergehende Konfessionslosigkeit in vielen Fällen Ausdruck einer solchen Indifferenz zu sein. So geben Konfessionslose an, keine Bindung zur Kirche zu haben und in ihrem Leben keinen Bedarf mehr nach Religion zu verspüren (vgl. EKD 2014, 10–12). Diese Art persönlicher Indifferenz spiegelt auch die breite gesellschaftliche Akzeptanz und Normalität von Indifferenz gegenüber Religion wieder (vgl. EKD 2014, 20).
Die Rolle der Religion in ‚modernen‘ Gesellschaften – ihr Rückgang, Wandel, Widerstand oder Wiederaufleben – ist in den Gesellschaftswissenschaften bereits breit diskutiert worden. Anstatt direkt an diese Diskussion anzuknüpfen, möchten wir Indifferenz als ein Phänomen betrachten, das von religiösen als auch von Religion explizit ablehnenden Positionen sowohl angefragt als auch mitkonstruiert wird. Zu diesem Zweck werden wir zunächst auf Wurzeln des Indifferenzbegriffs eingehen und ihn anschließend auf unseren relationalen Ansatz von Nichtreligion beziehen.
1) Indifferenz: Ihre konzeptionelle Genese und Symbolkraft
Die Etymologie des lateinischen Begriffs der ‚Indifferenz’ hat seine Wurzeln in der stoischen philosophischen Tradition und dem Gebrauch des Wortes adiaphora im Altgriechischen. Das Wort adiaphora bezeichnete ‚Mittel‑‘ oder ‚Nebendinge‘ von (moralisch) neutraler Natur, die weder gut noch schlecht sind und daher keinen Unterschied machen. Sie waren deshalb etwas, zu dem man sich indifferent verhalten konnte (vgl. Herms 1998).
Indifferenz bringt somit Aspekte der Bewertung und des Desinteresses mit sich. Spätere Rezeptionen wandelten den Begriff ‚Adiaphora‘ ab, um Handlungen als moralisch neutral oder äquivalent einzustufen. Auf diesem Wege wurde der Begriff ‚Adiaphora‘ im Christentum zentral, um die Freiheit und die angemessenen Beziehungen von Christen zu ihrer Umwelt auszutarieren. Dies zeigt sich an den zwei ‚Adiaphoristischen Streiten‘ in der Geschichte des reformierten Christentums (vgl. Koch 1998; vgl. auch Nash 2016): Der Begriff Adiaphora markiert in diesem Zusammenhang einen Bereich moralischer Neutralität und damit freier Wahlmöglichkeit des Vollzugs bestimmter (ehemals katholischer) Riten oder der Teilnahme an bestimmten (Freizeit‑)Veranstaltungen.
Für das Verständnis des modernen Begriffs der religiösen Indifferenz ist ein anderer, hiermit verflochtener Diskurs von besonderer Bedeutung. Während der Begriff ‚Adiaphora‘ dazu diente, den Umgang der Gläubigen mit der Welt und ihren Symbolsystemen zu regeln, wurde die Begrifflichkeit der Indifferenz in katholischen und protestantischen apologetischen Abhandlungen als abwertende Bezeichnung benutzt. Sowohl atheistische, materialistische, pantheistische und agnostische Philosophien als auch liberale Christen wurden im Laufe der Geschichte des Indifferentismus bezichtigt. In der antimodernistischen Epoche des Katholizismus wurde im Jahre 1864 der Indifferentismus zusammen mit anderen ‚Zeitirrtümern‘ der Moderne in den syllabus errorum aufgenommen. Bis heute wird Indifferenz in den Äußerungen offizieller katholischer Autoritäten häufig mit philosophischem Nihilismus, Moral- und Werterelativismus, Pragmatismus, zynischem Hedonismus, Subjektivismus, Egoismus, Narzissmus und Konsumismus in Verbindung gebracht (vgl. Tiefensee 2011, 95 f.).
Diese genealogische Skizze hat zwei miteinander verflochtene Ursprünge des Begriffes der Indifferenz aufgezeigt. Unsere Absicht war es, hierdurch die Symbolkraft deutlich zu machen, die in beidem liegt: etwas für indifferent zu erklären oder jemanden der Indifferenz zu beschuldigen.
2) Indifferenz im Lichte der Studien zu ‚Nichtreligion‘
a) Unsere Forschungen zum Verständnis von Nichtreligion
In einem umgangssprachlichen Verständnis kann Nichtreligion zunächst als das explizite Gegenteil von Religion verstanden werden: bspw. als etwas, das sich ausdrücklich, wie der Atheismus, Religion oder Religiosität gegenüber ablehnend verhält. Gerade auf diese Weise tritt Nichtreligion allerdings zur Religion in eine spezifische Art von Beziehung ein, nämlich die der Ablehnung (vgl. Quack 2014; Lee 2015; nonreligion.net). Darüber hinaus gibt es aber viele weitere Beziehungsarten zwischen religiösen und nichtreligiösen Positionen wie bspw. Wettbewerb, Nachahmung oder Zusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund verstehen wir den Begriff ‚Nichtreligion‘ als Sammelbezeichnung für Phänomene, die gemeinhin nicht als religiös angesehen werden, aber deren Signifikanz mehr oder weniger von den jeweiligen Relationen zu Religion bzw. zu einem religiösen Feld abhängt (vgl. Quack 2013; ders. 2014). Die Metapher ‚Feld‘, wie sie hier in loser Anlehnung an Bourdieu (vgl. Bourdieu/Wacquant 1992, 15–19.94–114) gebraucht wird, sollte nicht als klar definierter Raum, in dem etwas entweder drinnen oder draußen ist, sondern als Sphäre mit fließenden Grenzen und wechselnden Bezüglichkeiten verstanden werden. Unabhängig davon, wie ein religiöses Feld konstituiert wird, ist es immer von einem ‚nichtreligiösen‘ oder ‚religionsbezogenen Feld‘ umgeben, das so weit reicht, wie Effekte aus dem und in das religiöse Feld nachverfolgt werden können.
Wie kann eine solche Konzeption für die Analyse religiöser Indifferenz fruchtbar gemacht werden? Erstens kann man verschiedene Arten von Indifferenz daran unterscheiden, zu welchem Aspekt von Religion sich Menschen tatsächlich indifferent verhalten. Zweitens lenkt das Konzept eines religionsbezogenen Feldes den Blick auf die Art und Weise, wie vermeintlich indifferente Positionen von religiösen und explizit nichtreligiösen Positionen, inklusive der akademischen Religionsforschung, mitkonstruiert werden.
b) Indifferenz als indirekte Relationalität
Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass Indifferenz nicht Teil von Nichtreligion, wie oben ausgeführt, ist, da sie quasi per Definition nicht direkt auf Religion bezogen ist. Demgegenüber schlagen wir vor, Indifferenz über ein indirektes Verhältnis zu Religion zu konzeptualisieren. Explizit nichtreligiöse Phänomene haben zahlreiche direkte Bezüge zum entsprechenden religiösen Feld (Ablehnung, Wettbewerb, Nachahmung, Zusammenarbeit etc.). Die Indifferenten stehen in keinem solchen Verhältnis zu Religion, doch sind sie indirekt auf das religiöse Feld bezogen, in dem Sinne, dass ihnen Indifferenz von unterschiedlichen Seiten her entweder zugeschrieben oder streitig gemacht wird. Die Abwesenheit direkter Bezüge wird in diesen Fällen von anderen als ‚bemerkenswert‘ wahrgenommen, beispielsweise weil Religiosität als Teil einer conditio humana angenommen bzw. Religion als einflussreicher gesellschaftlicher Faktor wahrgenommen wird.
Indem religiöse und explizit nichtreligiöse Personen das Fehlen direkter Bezüge zu Religion und Nichtreligion als bemerkenswert erachten und auf dieser Grundlage als Indifferente verstandene Personen anfragen, vereinnahmen, kritisieren, umwerben oder untersuchen, werden diese von den Religiösen und Nichtreligiösen zum (nicht‑)religiösen Feld in Beziehung gesetzt. Die Bezüge des Indifferenten zu Religion, die sich in solchen Begegnungen manifestieren, können deshalb in einem gewissen Grad als ‚konstruiert‘ betrachtet werden. Was als Indifferenz in Erscheinung tritt, mag lediglich Indikator für eine Verschiebung von Relevanzen sein. So gesehen kann ‚Indifferenz’ als ‚Label‘ auch als eine Verkennung dieser anderen Relevanzsetzung und somit als Zuschreibung oder sogar als Kampfbegriff verstanden werden.
c) Indifferenz zwischen und jenseits von Religion und expliziter Nichtreligion
Die Anwendung des Feld-Ansatzes auf Nichtreligion hilft, religiöse Indifferenz konzeptionell in doppelter Spannung zwischen einerseits Religion sowie andererseits explizit formulierter Nichtreligion zu fassen.
Explizit nichtreligiöse Organisationen in zahlreichen Ländern positionieren sich mitunter als die Vertreter religiös Indifferenter (vgl. Burchardt 2016, 18 f.). So geben etwa die Humanisten in Deutschland an, dass sie dem Drittel der ‚konfessionsfreien‘ Menschen in Deutschland eine Stimme geben möchten, von denen, nach einer Studie der Humanisten, annähernd die Hälfte eine humanistische Lebensauffassung hat (vgl. HPD 1998; Allensbach 2014). Aber auf welcher Grundlage basiert ein solcher Repräsentationsanspruch? Die Bedeutung, die Religion (wenn auch in überwiegend negativer Bezugnahme) für explizit nichtreligiöse Gruppen hat, kann wohl nicht für die Indifferenten geltend gemacht werden. Der Rückgang der Kirchenmitgliedschaft hat sich jedenfalls nicht in einem ebenso großen Wachstum organisierter Nichtreligion niedergeschlagen. Die vergleichsweise hohe Zustimmung zu humanistischen Werten mag eine Operationalisierung mittels allgemeiner Formulierungen spiegeln, die mit wesentlichen Vorstellungen der progressiven Moderne übereinstimmen (vgl. Lammerts u. a. 2004, 6). Andererseits lässt sich gerade über die Thematik von Werten und Lebensstilen auch ein anderer Begriff von Repräsentation stark machen, der nicht auf Mitgliedschaft rekurriert. Repräsentation ist immer machtvoll und umstritten. Religionsvertreter stellen den Vertretungsanspruch nichtreligiöser Gruppen infrage und betonen den grundlegenden Unterschied zwischen den Negativbeziehungen von Humanisten und Atheisten zu Religion im Gegensatz zu religiöser Indifferenz (vgl. Tiefensee 2011). Auf der anderen Seite wird ihnen gegenüber der Wertebezug benutzt, um ihnen die mitgliederbasierende Inanspruchnahme von Repräsentanz streitig zu machen. Säkulare Aktivisten im Europäischen Parlament fragen so z. B. die Vertretungsansprüche von Kirchen an, indem sie beispielsweise infrage stellen, dass kirchliche Ansichten über Reproduktionsethik denen ihrer nominellen Mitglieder entsprächen (vgl. bspw. die allgemeine Dokumentation eines Treffens der Europäischen Humanistischen Föderation im Jahr 2011).
Jenseits der Frage nach Vertretungsansprüchen kann Indifferenz – oder besser: die Zurschaustellung oder Vortäuschung von Indifferenz – im Wettbewerb von religiösen und nichtreligiösen Organisationen ein strategisches Instrument sein bzw. eine bestimmte Art und Weise, eine nichtreligiöse Weltanschauung auszudrücken (vgl. Bullivant 2012; Lee 2015). Beruhend auf der Vorstellung, dass Indifferenz das ultimativ Andere zu Religion bezeichnet, findet man auch Positivbewertungen von Indifferenz innerhalb nichtreligiöser Gruppen. In einer Ausgabe eines Magazins der US Skeptics Society bspw. wird Indifferenz als Atheismus in seiner wahrsten Form porträtiert: „Es ist ebenso die religiös indifferente Person, mehr noch als der explizite Atheist, der den stärksten und eindeutigsten Beweis gegen die unausweichliche Zentralität religiösen Glaubens liefert“ (Cheyne 2010, 2).
Während also Indifferenz als konsequenteste Distanz zu Religion eine positive Bewertung von Seiten nichtreligiöser Akteure erfahren kann, gilt dies nicht für eine Indifferenz gegenüber Fragen von Werten und Wahrheit im Allgemeinen. Diesbezüglich gibt es sowohl von religiösen als auch von nichtreligiösen Gruppen Versuche, die Indifferenten zu gewinnen und hinsichtlich einer Positionierung in weltanschaulich-moralischen Fragen zu bewegen. Damit stehen sie in gegenseitiger Konkurrenz um die ‚Laien‘, teilen aber auch eine kritische Sicht auf eine scheinbar moralisch und epistemologisch indifferente Gesellschaft, die nach dem Prinzip des „Anything goes“ lebt. Der emeritierte deutsche Papst (vgl. Benedikt XVI./Seewald 2010, Kap. 5) und prominente Kritiker der katholischen Kirche (und anderer religiöser Gruppen in dieser Sache) in Deutschland, die Giordano-Bruno-Stiftung (GBS), sind sich in der Assoziation von Indifferenz in religiösen Angelegenheiten mit dem, was sie als ‚Relativismus‘ oder ‚Beliebigkeit‘ schmähen, in diesem Sinne einig.
d) Der Forscher innerhalb des religionsbezogenen Feldes
Der oben dargelegte Ansatz hinsichtlich Nichtreligion begünstigt ferner die Einsicht, dass akademische Studien von Religion, Nichtreligion und religiöser Indifferenz selbst Teil des religionsbezogenen Feldes sind, da sie über Forschungen und Analysen mit Religion in Beziehung treten (vgl. Quack 2014, 258–261). Dies wirft die Frage auf, wie es Arbeiten zu (Nicht‑)Religion möglich ist, indifferente Haltungen adäquat darzustellen, und in welchem Grade Menschen in den Standardverfahren der Datengewinnung ungefragt ein religiöser Stempel aufgedrückt wird (vgl. Blankholm 2016).
e) Zusammenfassung: Nichtreligion und Indifferenz
Die existierenden akademischen Ansätze zum Thema religiöse Indifferenz ergänzend, führte dieser Abschnitt eine Perspektive ein, die auf der relationalen Erforschung von Nichtreligion beruht. Auf dieser Grundlage wurde ‚Indifferenz‘ als indirekt auf Religion bezogen konzeptualisiert. Während explizit nichtreligiöse Positionen sich direkt auf das jeweilige religiöse Feld beziehen, wird die Abwesenheit solcher Bezüge im Falle der Indifferenz von stärker involvierten Akteuren als problematisch oder bedeutsam und deshalb ‚bemerkenswert‘ angesehen. Bisweilen konkurrieren Religiöse und explizit Nichtreligiöse um die (Vertretung der) Indifferenten. Aus explizit nichtreligiöser Perspektive erscheint Indifferenz einerseits als erwünschte Distanzierung gegenüber Religion, zugleich aber auch als instabil und potentiell ‚wieder religiös‘ (vgl. Burchardt 2016; Remmel 2016). Darüber hinaus scheinen sowohl religiöse wie auch explizit nichtreligiöse Akteure in vielen Fällen die Ablehnung relativistischer Haltungen zu teilen.
3) Indifferenz differenzieren
Eingangs haben wir Indifferenz mit Blick auf die theologischen und philosophischen Debatten zu Adiaphora und Indifferentismus als ‚strittige Kategorie‘ herausgearbeitet und dies anschließend mit unserem relationalen Ansatz zu Nichtreligion in Verbindung gebracht. Der folgende Abschnitt wird nun versuchen, verschiedene Arten von Indifferenz zu differenzieren.
Zusätzlich zu den bisher vorgenommenen Differenzierungen möchten wir zwei weitere Unterscheidungen von Indifferenz vornehmen: erstens die Unterscheidung zwischen einer ausgearbeiteten Haltung, die Religion als gleichermaßen gut wie schlecht oder weder gut noch schlecht und daher als indifferent (‚bewusste Indifferenz‘) einschätzt, und einer impliziteren und zur Gewohnheit übergegangenen Haltung, z. B. charakterisiert durch die habituelle, aber nicht zwangsläufig verbalisierte Vorannahme, dass die zur Debatte stehenden Angelegenheiten irrelevant sind (‚unbewusste Indifferenz‘). Implizite und explizite Formen der Indifferenz können je nach Kontext unterschiedlich aufeinander bezogen sein. Darüber hinaus kann es sich um eine relative und eine absolute Indifferenz handeln. Die absolut Indifferenten kümmern sich überhaupt nicht um Religion. Es handelt sich um eine nicht vorhandene (Nicht‑)Religiosität. Eine relative Indifferenz meint, dass sich Menschen lediglich gegenüber bestimmten Aspekten von Religion indifferent zeigen.
Mit Bezug auf Bullivant (2012) soll ferner eine bisher nicht diskutierte Unterscheidung betont werden, nämlich die zwischen Indifferenz gegenüber Religiosität und Indifferenz gegenüber Religion. Indifferenz gegenüber Religiosität steht für eine beidseitige Abwesenheit sowohl von Religiosität als auch expliziter Nichtreligiosität. Sie ist eine Indifferenz gegenüber religiösen Überzeugungen, Praktiken und Zugehörigkeiten. Indifferenz gegenüber Religion dagegen bezieht sich auf eine fehlende Haltung oder Meinung gegenüber der Manifestation und dem angemessenen sozialen ‚Ort‘ von Religion. Eine solche Haltung kann Indifferenz gegenüber Fragen des Säkularismus beinhalten, sie kann aber auch Ausdruck eines ‚säkularen Habitus‘ sein, im Sinn einer tiefverwurzelten Vorstellung, dass Religion etwas ist, das, wenn überhaupt, von privatem Interesse ist, und dass man nichts darüber wissen muss (vgl. Gutkowski 2012).
Indifferenzen gegenüber verschiedenen Aspekten von Religion können je nach Kontext auf unterschiedliche Weise in Beziehung zueinander stehen. Hinsichtlich der Situation in Großbritannien sprechen Bagg und Voas von einer ‚gewohnheitsbedingten Triebkraft‘ (‚behavioural drift‘) in dem Sinne, dass einer Verringerung der Praxis ein Rückgang an Glauben vorangegangen ist und in den meisten Fällen beides auf einem „Rückgang an Identifikation mit einer Religion“ (Bagg/Voas 2010, 106) basiert. Eine Haltung relativer Indifferenz in religiösen Angelegenheiten kann in eine ‚absolute‘ Abwesenheit jeglichen Interesses und fehlender Relevanz für das eigene Leben münden (vgl. Pollack u. a. 2003, 13). Andererseits kann sich Indifferenz auch hin zu einer expliziten (Nicht‑)Religiosität wandeln (vgl. Klug 2016; Quack 2016; Remmel 2016).
Im Sinne der Unterscheidung zwischen bewusster und unbewusster Indifferenz könnte man Indifferenz in erster Linie als das Fehlen einer maßgeblichen Antwort verstehen; sie kann somit als eine desinteressierte Einstellung betrachtet werden. Eine grundlegende Haltung des Desinteresses kann auch im persönlichen Gespräch über (Nicht‑)Religion aufscheinen: Würden die Indifferenten vielleicht mit den Achseln zucken und genervt aufstöhnen? Würden sie nach Worten und nach einem Standpunkt suchen? Würden sie lediglich oberflächliche Plattitüden wiedergeben? Würden sie darüber nachdenken, warum sie vor diesem Gespräch niemals darüber nachgedacht haben, oder würden sie vielleicht irgendetwas Beliebiges sagen und damit signalisieren, dass zustimmende oder ablehnende Antworten auf religiöse Fragen nicht so entscheidend sind wie die grundlegende Haltung des Desinteresses?
All dies zeigt, dass ein sensibler und wachsamer Umgang mit dem als Indifferenz bezeichneten Phänomenen und den Personen, die ihm zugerechnet werden, den sogenannten ‚Indifferenten‘, notwendig ist. Indifferenz ist nicht gleich Indifferenz und kann verschiedene Grade von Ablehnung, Desinteresse und Gleichgültigkeit sowie nur bestimmte oder sämtliche Aspekte einer bestimmten oder jeglicher Religion umfassen. Sie kann sich zudem aus einer Vielzahl von Motiven und Hintergründen sowohl bewusst als auch unbewusst ergeben. Anhand dieser differenzierten Betrachtung von Indifferenz mag dann das Maß ermessen werden können, nach dem auch solche Menschen, die zunächst als religiös indifferent erscheinen, für Religion – oder auch explizite Nichtreligion – ansprechbar sind.
Der vorliegende Artikel basiert auf der Einleitung der beiden Autoren zu dem von ihnen herausgegebenen Sammelband „Religious Indifferences: Between and Beyond Religion and Nonreligion“ (Wiesbaden 2016), welcher auf zwei Tagungen zum Thema ‚Religious Indifference‘ Bezug nimmt. Die Übersetzung und der Zuschnitt auf diese Ausgabe wurden von Jörg Termathe vorgenommen und von den Verfassern autorisiert.