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Bodybuilding für den Leib Christi

Lead Customer und Innovationsprozesse in der Kirche

Florian Sobetzkos Beitrag bringt Betriebswirtschaftslehre und Praktische Theologie in Kontakt: Eine wichtige Quelle von Innovationsprozessen ist der Einbezug von Lead Usern, also von unzufriedenen Kunden, die ein Produkt aufgrund ihrer Bedürfnisse entscheidend weiterentwickeln. Wie kann ein solcher Pool an neuen Ideen auch in der Kirche seine innovatorische Kraft entfalten?

Sprechen wir einmal über die Gemeinsamkeiten von Bodybuildern, Zug­vogelforschern, Restaurateuren historischer Bilderrahmen, Notfall­medizinern und christlichen Gemeindegründern: Was verbindet sie zu einer Gruppe höchster ekklesiogenetischer Relevanz – und das nicht nur, weil die Gemeindegründer mit dabei sind?

Die Antwort ist schlicht: Sie sind gelegentlich unzufriedener als der Rest von uns. Unzufrieden mit der Leistungsfähigkeit ihrer Werkzeuge. Und ihre Unzufriedenheit mit den verfügbaren Technologien und Theologien und deren Resultaten lässt sie nicht resignieren, sondern weckt ihre Kre­a­tivität – und das macht sie interessant für Kirche und andere Orga­ni­sationen, die der Innovation verpflichtet sind.

Schon legendär die Sekretärin Betty Nesmith Graham: Die Hobbyma­lerin brachte sich – genervt vom Neutippen misslungener Typoskripte auf der mechanischen Schreibmaschine – weiße Abtönfarbe mit ins Büro und erfand Liquid Paper, bei uns als TippEx bekannt. Da der Büro­maschinenhersteller IBM hierfür keine Verwendung sah („Braucht nie­mand. Kaufen Sie sich doch eine elektronische Maschine mit Korrek­turfunktion!“ – so die Überlieferung), vermarktete sie die Idee selbst – offensichtlich nicht ganz ohne Erfolg.

Wir alle sind auf Reisen so dankbar, dass der US-Pilot Robert Plath Ende der 80er Jahre das Schleppen satt hatte und Röllchen unter seinen Kof­fer schraubte – die Geburt des Trolleys. Nicht ganz so bekannt eine typi­sche Arbeitsweise modernen Innovationsmanagements unserer Zeit: Weder in Kosmetikinstituten noch in Parfümerien suchen die Beiers­dorf-Marketeers für NIVEA nach den Profis für die Selbstbräunungspro­duktideen von morgen, sondern in Internetforen von Bodybuildern – hier wird z. B. mit Autolackierpistolen der optimale Farbauftrag für die Sprühdose von morgen vorabgebildet.

Aber Zugvogelforscher? Auf der Suche nach neuen Bedürfnistrends für mobiles Internet und ortsbezogene Datenanwendungen (Location Based Data) entdeckte Nortel Networks seinerzeit nicht nur Polizisten und Not­fallmediziner als Untersuchungsfeld, sondern eben auch Tierfor­scher, die das Zug- und Flugverhalten von Vogel- und Fischschwärmen analysieren – per aufgeschnalltem Transponder mit GPS-Modul (vgl. die verlinkten youtube-Videos mit Lead User Studies von Eric von Hippel).

Schnellere Pferde und unzufriedene Kinder

Und hier zeigt sich ein wesentliches Merkmal einer Lead User bzw. Lead Customer Strategie der Produktinnovation: Gesucht werden eingangs die AnwenderInnen, die schon heute Bedürfnisse haben, von denen der Markt noch gar nichts weiß, der – frei nach Henry Ford – nach schnelle­ren Pferden und Kutschen gefragt hätte und nicht nach motorisierten Autos für den Individualverkehr.

Und diese unzufriedenen AnwenderInnen haben meistens schon eine Idee – oder kennen eben jemanden mit einem Vorschlag, wie man vor­handene Produkte oder Dienstleistungen verbessern oder ersetzen müsste, damit die Schinderei ein Ende hat.

Abb.1: Diffusion von Innovationen (blau: die verschiedenen Konsumen­ten­gruppen, gelb: Marktanteil des neuen Produkts); Quelle: Wikipedia, http://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations

Die kurvenhafte Darstellung von Innovationsdiffusionsprozessen nach Rogers platziert die Lead User als winzige Familie in der Führungs­grup­pe noch vor den Early Adopters, den ersten Anwendern neuer Produkte. Letztere kennen wir alle aus unseren Bekanntenkreisen, sie haben das neueste iPhone dem Familienurlaub vorgezogen – haben jetzt unzufrie­dene Kinder statt unzufriedenen Kunden – und führen uns begeistert die revolutionären neuen Möglichkeiten vor. Sie sind den Unternehmen als „Evangelisten“ wichtig, um „in den Markt“ zu kommen, aber sie sind eben nicht die sog. „Kundeninnovatoren“, nach denen wir fahnden. Die sitzen derweil am selbstgehackten Vorjahresmodell und program­mieren ihm per „Jailbreak“ [Engl. Gefängnisausbruch: Das iPhone ist herstellerseitig gegen Manipulationen des Betriebssystems geschützt und lässt nur von Apple „abgesegnete“ Software zu. Um quasi im Ma­schinenraum des Mobiltelefons Änderungen vorzunehmen, bedarf es eines technisch sehr anspruchsvollen Eingriffs, dem oft monatelange Suchen nach Sicherheitslücken vorausgehen. Die Hacker und Program­mierer von „Jailbreaks“ werden von Herstellern gerne als Mitarbeiter angeheuert – als Sicherheitsfachleute] die fehlenden Fähigkeiten an, mit denen es für sie erst brauchbar wird. Ihre Motivation ist in der Regel intrinsisch – sie versprechen sich echte Erleichterung von ihrer Mühe.

Suche nach Bedürfnistrends

Der Bostoner Wirtschaftswissenschaftler Eric von Hippel, der für die Lead Customer Forschung maßgeblich verantwortlich zeichnet, opera­tionalisiert das als unternehmerisches Innovationskonzept: Über Tele­­foninterviews mit Nutzern werden beispielsweise Bedürfnistrends identifiziert, deren Spur zu den Lead Usern führt. Lead User Zusammen­hänge können erwartbar sein (Flugzeugindustrie als Lead User von Technologien, die später in der Automobilindustrie relevant werden) oder überraschend (besonders oberflächenschonende Restaurations­verfahren für kunsthistorisch bedeutsame Holzbilderrahmen liefern Prozessinnovation für die Lackentfernung an sensiblen Flugzeugober­flächen). Die Kunst besteht in der Konsequenz darin, diese gut und ger­ne aus sehr unterschiedlichen Professionsfeldern rekrutierten Lead Userinnen und User zu einem kompakten Workshop zusammenzu­­bringen, bei dem ihre Kreativität und ihr vorhandenes Lösungswissen maximale Durchschlagskraft erzielen können.

Der Effekt dürfte eigentlich nicht überraschen, denn schon länger wird beobachtet, dass eine imposante Zahl bahnbrechender Innovationen sich der Kombination unterschiedlicher Wissensbasen verdanken.

Abb. 2: Innovationstypen: Inkremental, radikal, Geschäftsfeld, Technologie, Grafik: Florian Sobetzko nach Reichwald/Piller 2009. Die Systematisierung verdeutlicht, dass die Bedürfnisse von Nachfragern aus bislang unbeachteten Märkten hohe Relevanz für den Innovationsgrad haben.

Fresh Expressions und Gemeindepflanzungen als Lead User Leistungen

Es braucht keine große Intuition zu erahnen, dass die Kombination dieser wirtschaftswissenschaftlichen und innovationstheoretischen Wissensbasen mit pastoraltheologischer und pastoralpraktischer Ex­pertise ebenfalls sehr lösungsproduktiv verlaufen könnte. Die Logiken der Lead Customer Strategie passen zunächst einmal ganz offensichtlich zur aktuellen ekklesiogenetischen Praxis „frischer Ausdrucksformen von Kirche“. In dieser Entwicklung finden sich reihenweise junge wie alte, frische wie kirchenerfahrene Aufbrecher und Ausbrecher, Gründe­rinnen und Gründer von neuen Gemeindeformen oder neuen Instru­men­ten medialer Glaubenskommunikation, TrägerInnen eines inno­vativen Berufsverständnisses überkommender pastoraler Berufe und Berufungen – ich nenne viele von ihnen „Ekklesiopreneure“: wagnis­bereite christliche Gründertypen (vgl. Sobetzko 2012).

Interaktion statt Publikation

Die Lead Customer Strategie artikuliert dabei als typischer Phänotyp der sog. „interaktiven Wertschöpfung“ ein extrem brauchbares (weil opera­tio­nalisierbares) Denkmodell und präzisionsvorteilhaftes Vokabular als Handwerkszeug pastoraler Innovation. Interaktive Wertschöpfung als Antwort auf moderne Bedürfnisheterogenität wechselt aus dem Modus der Publikation und Instruktion in den Modus der Kommunikation und Interaktion. Statt zu erraten, welches Schuhmodell der Kunde als nächs­tes möchte, verlagern Sportartikelhersteller den Designprozess per „Mass Customization“ (Produktindividualisierung) in die Kundendo­mäne – über einen Konfigurator stellt dieser sich seinen individuellen Schuh zusammen, der dann eigens für ihn gefertigt wird – und der Hersteller lernt eine Menge über den heiligen Gral des Marketings: er heißt „Bedürfniswissen“.

„Search is cheaper than research“

Mit Ideenwettbewerben wird das Lösungswissen von Kunden und ex­ter­nen Partnern von Unternehmen angezapft – statt „not invented here“ und „in unserer Branche bringt das nichts, wir kennen alle Exper­ten“ tauchen auf einmal unerwartete Problemlöser aus aller Welt auf und beenden jahrelange Odysseen der hauseigenen Forschungsabtei­lun­gen – Open Innovation heißt das Konzept, zu dessen Handwerkszeug Lead User Strategien zählen. Im Mittelpunkt steht die Integration des Kunden und anderer vormals peripherer Akteure in den Innovations- und Entwicklungsprozess.

Mithin könnte man fast fragen, wie es kommt, dass die Kirche das dieser Tage von den Technologiemanagern und Wirtschaftswissenschaftlern lernt – und nicht umgekehrt. Ganz offensichtlich trauen diese Unter­neh­­­men ihren Kunden und externen Partnern in der Peripherie erheb­lich mehr Lösungspotential zu als die institutionelle Kirche ihrem Got­tes­volk, das unterfordert im Status des Leistungsempfängers verbleibt bzw. sich echten Herausforderungen zuwendet. Die kirchliche Startpo­sition ist dabei eigentlich optimal: Die Propheten lassen sich ohne große Verrenkungen als unzufriedene und inspirierte Innovatoren lesen, Chris­tus selbst entwickelt seine Ekklesiologie des anbrechenden Reiches Gottes als interaktives Geschehen zwischen Gott und Mensch und ent­lang der Nöte der Menschen, deren Bedürfniswissen er erfragt: Co-Crea­tion nennt man das modern. Im Hinzuziehen von Kranken, Sündern, Zöllnern, Prostituierten, Soldaten beschreiben die Evangelisten das, was das Technologie- und Innovationsmanagement als „Verbreiterung der Löserbasis“ benennen würde. In der Kirchengeschichte begegnen uns gerade bei den Ordensgründungen extrem unzufriedene „Lead User“, die unerwartete und innovative Vollzugsgestalten von Kirche explorieren.

Die institutionelle Kirche tut sich in neuerer Zeit mit Bedürfnishete­roge­nität nicht leicht. Prägnant beleuchtet dies Boeve (2012, 164f.) mit dem Hinweis, dass die katholische Perspektive diesbezüglich dazu nei­ge, deskriptive durch Strategiebegriffe zu ersetzen: Aus Relativierungen werden alsbald Relativismen, aus Individualisierung wird Individualis­mus – der Wirtschaftswissenschaftler wird sich erinnert fühlen an o.g. Schuhhersteller, die mit Web 1.0 und 2.0 auf einmal die geballten Wün­sche und Verbesserungsvorschläge zahlloser Kunden als ausgedruckte eMail auf den Schreibtisch bekamen und in guter Neuländerlogik [vgl. Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Barack Obama am 19.6.2013: „Das Internet ist für uns alle Neuland (…)“ und prägte damit einen Begriff der Netzkultur, der se­man­tisch dem Begriff „Internetausdrucker“ sehr nahe steht und welt­weit für Erheiterung sorgte] am liebsten alles gleich wieder abgeschaltet hätten. Aus der Bedrohung wurde für manche eine enorme Chance, wo­möglich ein eminenter Wettbewerbsvorteil.

Klassenzimmer des Kircheseins

Über die hier zu Forschungszwecken zuversichtlich gerissene Latte zwi­schen Wirtschaftswissenschaften und Theologie wird sich in aktualisier­ter Perspektive trefflich streiten lassen. Unstrittig erscheint gleichwohl, dass das Technologie- und Innovationsmanagement hier zum Klassen­zimmer des Kircheseins taugt: Lead Customer Konzeptionen und Inter­aktive Wertschöpfung führen mit durchaus präzisem Instrumentarium vor, wie Unternehmen per Customer-Co-Creation (Kundenkokreation, siehe oben) dem Hamsterrad des Bedürfnisratens entkommen, indem sie statt immer diversifizierterer Produktportfolien den Kunden und seine Stärken selbst integrieren. Produkt und Dienstleistung werden dabei von „Angeboten für…“ zu Resultaten virtuoser „Kommunikation mit…“ – das Unternehmen selbst entwickelt vor allem Interaktions­fähigkeiten, gibt bislang geheimes Wissen und interne Lösungswerk­zeuge preis und lässt diejenigen damit kreativ arbeiten, die bislang nur passive Leistungsempfänger waren.

Die Lead Customer Konzeption darf dabei getrost ermutigen, einigen aktuellen pastoralen Überforderungen vorzubeugen: Statt sich milieu­verengt mit Mehrheitsbedürfnissen von gestern und heute zu befassen und das Morgen lieber ängstlich auszublenden, fragt man hier nach den Bedürfnissen von Übermorgen. Befragt werden dabei auch nicht einfach alle, die gerade da sind, sondern gezielt wird eine Kriteriologie entwi­ckelt, die die relevanten Wissensträger identifiziert. Was bringt ein Ideenwettbewerb, wenn die besten Ideengeber gar nicht gefragt wurden oder die besten Lösungen im Grundrauschen der 10.000 Einsendungen schlichtweg untergehen?

Innovation als kirchlicher Normalfall

Lead Customer Konzeptionen und Innovationsmanagement erinnern Kirche und Theologie an ihren pastoralen Auftrag, „Gott den Vater und seinen menschgewordenen Sohn präsent und sozusagen sichtbar zu ma­chen, indem sie sich selbst unter der Führung des Heiligen Geistes unaufhörlich erneuert und läutert …“ (GS 21) – Innovation ist nicht nur Wesensvollzug von Kirche, sie ereignet sich im Heiligen Geist quasi de­zentral und dezentrierend als Interaktion der Kirche mit sich selbst. Und so wie Unternehmen sich in diesem Vollzug mit der Auflösung ihrer Grenzen zu befassen haben, lernt Kirche mal wieder und ganz neu, dass De-Finition von Kirche nicht nur der Logik des Evangeliums diame­tral ist, sondern dass die jesuanische Holistik des Himmelsreiches für alle Menschen neben ekklesiologischer Redlichkeit auch eine ekklesio­praktische Lösungsraumerweiterung mit sich bringt, die die Zukunft von Kirche verheißungsvoll erscheinen lässt.

Es läge nun nahe, die LeserInnen zu Hausbesuchen bei den prominen­ten kirchlichen Lead Usern quer übers Land zu laden, jedoch: Deren Schäfchen und Schäferhunde haben bald so viel Besuch bekommen, dass sie sich in Streichelzoogefahr wägen. Die Praxisempfehlung lautet daher: An unzufriedenen Kunden, nennen wir sie der Einfachheit halber lieber „gute Christen“, dürfte es derzeit fast nirgends mangeln – fragen wir die Richtigen und trauen ihnen zu, dass sie nicht nur das Recht, son­dern bisweilen sogar die Pflicht im Sinne von can. 212 CIC haben, ihr Bedürfnis- und Lösungswissen mit uns zu teilen.

Lead User für eine bestimmte Problemstellung sind in der Regel nur sehr wenige unter den Vielen (s.o.). Aber jeder Mensch, so der Aachener Wirtschaftswissenschaftler und Innovationsmanagementexperte Frank Piller in einem Interview (bei ca. 7min20sek), jeder Mensch kann irgend­wann in seinem Leben Lead User für mindestens ein ganz spezifisches Problem sein.

Linkliste der kreativen Unzufriedenheiten

Die obligatorische Linkliste am Ende dieser Ausarbeitung will in diesem Sinne mehr sein als nur ein Tipp zum Weitersurfen. Die verlinkten Pro­jekte sind in ihrer Ausgangsmotivation und ihren Protagonisten typi­sche Resultate kreativer Unzufriedenheit. Gemeindegründungen von haupt- und ehrenamtlichen Christen, die einfach keine für sie zufrie­den­stellende Ausdrucksform von Kirche fanden – und sie schließlich einfach selbst erfanden, regelmäßig mit enormem Magnetismus für viele andere Unzufriedene – manche von ihnen wiederum lösungs­kreative Lead UserInnen. Die katholische Zeitfenster-Gemeinde in Aachen verfolgt derzeit (Frühjahr 2014) sogar gezielt und ausdrücklich eine Lead User Strategie bei der Kreation neuer Gottesdienstformate. Das Manna Magazin entstand, als ein aufstrebender Endzwanziger zum wiederholten Male die damalige Kirchenzeitung kopfschüttelnd beisei­te gelegt hatte und sich fragte, wie mediale Glaubenskommunikation eigentlich aussehen müsste, so dass sie auch für ihn und seine Sport­freunde lebensstilkompatibel würde. Das gottseidank schon allseits bekannte Motoki-Kollektiv entstammt ebenfalls ganz offensichtlich den Köpfen, Herzen und Händen von Menschen, die mit den auffindbaren Vollzugsgestalten von Kirche unzufrieden waren – und eben eine Lö­sung parat hatten, die sie zum Publikumsliebling der Gemeindepflan­zerszene machen würde. Kurz zuvor hatten sie bei ersten Kontakt­nah­men mit der institutionellen Kirche erstmal deren Sektenbeauftragten kennengelernt, alsbald begann ein pastoraler Pilgerzug in die wohnliche Fabrikhalle in Köln-Ehrenfeld, von deren Gastfreundschaft nicht nur die Künstler schwärmen.

Lokale, diözesane und nationale Innovationskulturen

Was braucht es, um kirchlich von solchen Innovationsstrategien profi­tieren zu können? Die Liste der Empfehlungen ist eigentlich weitgehend intuierbar: Vor allem braucht es diözesane und lokale Innovationskul­tur, die darauf fußt, dass der Heilige Geist nicht nach organisationaler Zuständigkeit antreffbar ist. Beete in guter Lage, auf denen unerwartete Blumen wachsen können. Bei vielen Computer- oder Autounternehmen sind etwa sogenannte U-Boot-Projekte längst teil der Strategie. Mitar­bei­terInnen bekommen freie Zeit für eigene Projekte – der erste BMW- Kombi entstand der Überlieferung nach in der privaten Garage eines Mitarbeiters. Als er ihn zusammengeschweißt hatte, stellte er ihn auf dem Unternehmensparkplatz ab und wurde entdeckt. Entdecken wir die unerlaubten Sportkombis auf unseren Kirchhöfen? Und kommen wir mit ihren Erfindern ins Gespräch, oder insistieren wir auf deren Nichtzuständigkeit, lassen sie abschleppen?

Vom Lehramt das Lernen lernen

Kirchliche Interaktionsfähigkeit im Sinne interaktiver Wertschöpfung darf sich fundiert wissen in biblischen Vorbildern und gediegener Kon­zilstheologie, bei deren Relecture die Verbreiterung der Löserbasis au­genscheinlich wird, angelegt schon im Prozess des Konzils mit seiner revolutionären Medienstrategie, mit seiner ökumenischen Öffnung, den tiefgreifenden Partizipations- und Berater-Strukturen, konkret aber in den Enkulturations- und Lernimpulsen von GS 44, im Laienapostolat, der subsistit-Lehre oder aber in der Rede vom Glaubenssinn des Gottes­volkes. Zur Relecture sei in diesem Sinne auch Rainer Buchers (2004) Reflexion auf die Sprachlosigkeit der Kirche angesichts der Kirchen­aus­tritte empfohlen – nicht nur der grandiosen Überschrift wegen: „Keine Prophetie, nirgends“. Am Bildschirm daneben passte die Homepage der Pfarrei Franziska von Aachen, die auf glaubwürdige Weise den Kirchen­austrittsanlauf von Katholiken im fremdprophetischen Sinne zum An­lass nimmt, ihre „unzufriedenen Kunden“ zu befragen und von ihnen zu lernen, „was wir in Zukunft besser machen können“. Wie sähe das Toolkit aus, mit dem wir bei der Ideengenerierung helfen könnten und die doch überwindbar operationalisierte Sprachlosigkeit lokal begrenz­ter Lösungssuche überwinden?

Von der Kontinuitätsfiktion zur Innovationsfiktion?

Pointiert hat Rainer Bucher an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass die Kirche in der Versuchung der Kontinuitätsfiktion steht: Es sieht aus, als kämen die Menschen zur Flursegnung, so wie sie es früher taten. Doch die Motive haben sich gewandelt und heterogenisiert, es ist keine traditionale, also selbstverständliche Praktik mehr, sondern eine ganz neue, eine völlig neu codierte. Kirchliches Innovationsmanagement steht – wie viele organisationsentwicklerische Konzepte – in der Versu­chung der Innovationsfiktion. Manches sieht nur so aus, als wäre es Innovation. Nicht jede Postkartenaktion ist Open Innovation. Nicht jedes Gespräch mit unzufriedenen Kirchenbesuchern ist eine Lead Customer Strategie.

Es wäre bedauerlich, würde der Präzisionsvorteil der zugrundelie­gen­den wirtschaftswissenschaftlichen Logiken verspielt, indem hier und da „ein bisschen“ interaktiv gewertschöpft, „ein bisschen“ Lead User, ein bisschen „externes Lösungswissen“ implementiert würde. Bei aller Liebe zu TippEx und Bräunungscreme.